Dienstag, 29. Juni 2021

Tchaikovsky: Sleeping Beauty (Sony)


 Konzerte des Baltic Sea Philharmonic sind stets ein Ereignis. Gegründet wurde dieses ganz besondere Orchester 2008 für das Usedom Musikfestival. Die jungen Musiker unter Leitung von Kristjan Järvi musizieren mit einer Leidenschaft und Präsenz, die allein schon ausreichen würde, das Publikum mitzureißen. Sie kommen aus allen Ländern, die an die Ostsee angrenzen, von Norwegen bis Russland, und sie spielen alle Programme auswendig. 

Obwohl eine CD natürlich ´nicht das perfekte Medium für die Multimedia-Show ist, die das Baltic Sea Philharmonic in seinen Konzerten üblicherweise bietet, können auch die Einspielungen des Orchesters überzeugen. Jüngstes Projekt: Sleeping Beauty; der Titel wirkt fast wie ein ironischer Kommentar zur aktuellen Situation der Musikszene. Doch das konnte im März 2019, als dieser Mitschnitt in St. Petersburg aufgezeichnet wurde, natürlich noch niemand ahnen. 

Es geht also um Peter Tschaikowskis Dornröschen, im Original mit einer Spieldauer von fast drei Stunden. Järvi hat die Ballettmusik zu einer Dramatic Symphony zusammengefasst, wobei sein Arrangement die Magie der bekannten Szenen und Tänze nicht beschädigt. So kommen die Fliederfee und Prinzessin Aurora ebenso zu ihrem Recht wie die böse Fee Carabosse und Prinz Desiré sowie die vielen Märchenfiguren, die durch den dritten Akt tanzen. Dennoch ist es Järvi gelungen, die Musik zu einer etwa 70-minütigen Fassung zu verdichten. 

Dieses umfangreiche Stück ohne Noten aufzuführen, das war für die Musiker mit Sicherheit keine geringe Herausforderung. „Die Aufführung aus dem Gedächtnis hat unsere Beziehung zu Tschaikowskys Musik verändert“, berichtet Marzena Malinowska, Stimmgruppenführerin der Bratschen. „Wenn man als Musiker Ballettstücke oder Opern spielt, dann ist man meistens im Orchestergraben versteckt und die Stars der Show sind die Tänzer oder die Sänger, die die Geschichte auf der Bühne erzählen und lebendig machen.“ Bei den Aufführungen mit dem Baltic Sea Philharmonic aber sind die Musiker die Stars. „In diesem Moment fühlt man sich unglaublich verbunden miteinander und mit dem Publikum“, so Malinowska. „Man spürt die Kraft des Publikums, man fühlt die Kreativität, Energie und Einzigartigkeit.“ Das macht einen Unterschied, der auch zu hören ist. 


Montag, 28. Juni 2021

Carl Loewe: Piano Music, Volume two (Toccata Classics)


 Carl Loewe (1796 bis 1869) galt zu Lebzeiten als „norddeutscher Schubert“. Heute ist der Komponist nur noch Kennern und Liebhabern des Kunstlieds aufgrund seiner berühmten Balladen ein Begriff. 

Dass er auch ein beachtliches Klavierwerk geschaffen hat, das beweist Linda Nicholson mit einer Reihe von Aufnahmen, die britische das Label Toccata Classics nun in Co-Produktion mit dem WDR veröffentlicht. 

Auf diesem Album, es ist das zweite der Reihe, wurden vier Stücke zusammengefasst, die deutlich werden lassen, dass Loewe zu den wichtigsten Komponisten der Romantik gehört – durchaus an die Seite von Koryphäen wie Franz Liszt, Johannes Brahms oder Edvard Grieg. 

Zu hören sind Frühling. Eine Tondichtung in Sonatenform op. 47, Biblische Bilder op. 96, die Grande Sonate Brillante in Es-Dur op. 41 und die Abendfantasie op. 11, letztere in Erstaufnahme. Linda Nicholson spielt diese Werke stilsicher auf einem herrlichen Originalinstrument von Erard aus dem Jahre 1839, das sich im Besitz des WDR befindet. Was für ein Klang!  


Schöne, strahlende Welt - Peter Schreier (Berlin Classics)


 Auf diesem Album präsentiert sich Peter Schreier einmal nicht als Evangelist, als Tamino oder Belmonte. Der berühmte Dresdner Tenor hat sich an jene musikalische Schatzkiste herangewagt, die üblicherweise mit einem gewissen Naserümpfen der Unterhaltung zugerechnet wird – und er balanciert dabei stilsicher auf der Kante zwischen Kitsch und Kunst: Wer kann, der kann! 

Mit seiner phantastischen Stimme veredelte Schreier diesen krassen Mix aus Schlager und Operette. Wenn er Kálmáns Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen anstimmt, dann sehnt sich wohl jeder nach Wien. O sole mio lässt das Publikum von Venedig träumen. 

Und bei Granada zückt dann das Große Rundfunkorchester Berlin unter Robert Hanell die Kastagnetten. Die Aufnahme betört auch sonst mit leinwandbreitem Sound – warum also im Schlosspark schwitzen, wenn man ganz entspannt zu Hause solche Spitzentöne genießen kann? 

Herzlichen Dank an Berlin Classics, die diese bunte Wundertüte aus dem Jahre 1977 im Archiv aufgespürt und, sorgsam remastert, wieder auf CD gebracht hat. 


Avi Avital - Art of the Mandolin (Deutsche Grammophon)


 Manchmal sind die Wege des Lebens seltsam verschlungen, aber gerade dann führen sie oftmals zum Ziel. Eine solche Geschichte berichtet Avi Avital im Beiheft seines aktuellen Albums. Sie hat mich sehr beeindruckt, weil sie zeigt, welch faszinierende Wirkungen der Zufall haben kann. 

Ein solcher Zufall nämlich war es, dass der Geiger Simcha Nathanson nach seiner Übersiedelung aus der Sowjetunion in seiner neuen Heimat Beer Sheva im Keller der Musikschule einige Mandolinen fand. Als Geigenlehrer wurde er dort nicht gebraucht. Aber dem begnadeten Pädagogen gelang es, ein exzellentes Jugend-Mandolinenorchester aufzubauen. Dort musizierte in jungen Jahren auch Avi Avital,. Und weil die Mandoline wie eine Violine gestimmt ist, gab es auch keine Probleme, geeignete Literatur zu finden: Nathanson legte seinen Schülern einfach Geigenmusik aufs Pult. 

Da die Mandoline zwar populär ist, aber in der Klassikwelt eher nicht so verbreitet, hat Avital im Konzert jahrelang vor allem Arrangements gespielt. Für diese CD aber hat der Mandolinenvirtuose nun erstmals ein Programm zusammengestellt, das ausschließlich aus Originalkompositionen besteht. Es reicht von Antonia Vivaldis höchst reizvollem Konzert für zwei Mandolinen, Streicher und Basso continuo RV 532 über die Sonata a tre für Mandoline, Gitarre und Cembalo von Paul Ben-Haim (1897 bis 1984) bis zu einem Prelude for Solo Mandolin von Giovanni Sollima (*1962). 

Zu hören sind zudem das Adagio ma non troppo in Es-Dur für Mandoline und Harfe von Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827), Death is a Friend of Ours von David Bruce (*1970), die Sonate für Mandoline und Basso sontinuo K 89 von Domenico Scarlatti (1685 bis 1757) und Carillon, Récitatif, Masque für Mandoline, Gitarre und Harfe von Hans Werner Henze (1926 bis 2012). 

„I have created this album to paint a portait of the mandolin as I have never done before“, berichtet Avi Avital im Beiheft. „To tell a story – an unfinished story – of an instrument at once familiar and unknown.“ Im Zusammenspiel mit dem Venice Baroque Orchestra sowie Alon Sariel, Mandoline, Anneleen Lenaerts, Harfe, Sean Shibe, Gitarre, Yizhar Karshon, Cembalo, Patrick Sepec, Violoncello und Ophira Zakai, Theorbe, zeigt der Musiker, dass die Mandoline kein Kuriosum ist, sondern ein interessantes Instrument, das mit seinem charakteristischen Klang eine ganz besondere Farbe einbringt. Das Album vermag zu überzeugen, bravi! 


Sonntag, 27. Juni 2021

Royal. Stefan Koim (Musicaphon)


 Königliche Klänge stehen im Mittelpunkt der zweiten CD von Stefan Koim. Der Gitarrist, der unüberhörbar ein Faible für spanische Spieltechnik hat, kombiniert auf diesem Album die berückende Musik des Renaissance-Lautenisten John Dowland (1536 bis 1626) mit bedeutenden Werken aus der Gegenwart. 

So stehen drei Lautenfantasien Dowlands neben dem Nocturnal after John Dowland op. 70 von Benjamin Britten (1913 bis 1976), acht Variationen über Come, heavy Sleep – wobei das Thema in diesem Falle erst ganz zum Schluss erklingt. 

Auf drei Tänze Dowlands folgt dann eine Komposition von Hans Werner Henze (1926 bis 2012): Royal Winter Music nimmt Bezug auf Figuren von William Shakespeare, und ebenfalls auf Dowlands Lautenmusik. Die Second Sonata on Shakespearean characters lässt Junker Bleichenwang, den Weber Bottom aus dem Sommernachtstraum (der trotz Eselskopf glücklich in Titanias Armen liegt) und die dem Wahnsinn verfallene Lady Macbeth auftreten. „die in diesem stück auftretenden dramatis personae treten durch den klang der gitarre hindurch wie durch einen theatervorhang“, schrieb Henze dazu. „mit ihren masken, ihren stimmen und gesten sprechen sie zu uns von großen leidenschaften, von zärtlichkeiten, traurigem, komischem, seltsamen dingen im leben der menschen, dahinein mischen sich flüsternd die stimmen der geister.“ 

Koim befreit sie aus den Buchseiten und bringt sie in unsere Zimmer. Sein Spiel ist magisch, dramatisch, ungemein lebendig. Alles wirkt schlüssig und unangestrengt, technische Komplexität scheint es für ihn nicht zu geben. Grandios. 


Cole Porter - A Celebration (SWR Music)

 

Diesen Komponisten zu feiern, ist zweifellos eine hervorragende Idee. Doch was heißt Komponist – Cole Albert Porter (1891 bis 1964) war ein Multitalent. Notfalls schrieb er seine Lieder komplett selbst. Und was für Lieder! 

Wann immer ich diese CD in den Player lege, geht die Sonne auf, und der Tag beginnt zu swingen; wer diese Melodien anhören kann, ohne gute Laune zu bekommen, der muss fürwahr aus Holz sein. Porters Melodien beeindrucken mit Leichtigkeit, Eleganz und Drive. Viele seiner Songs wurden zu Evergreens, und seine Texte sind ebenfalls eine Klasse für sich. 

Auch die Sänger schätzen diese Lieder – so hat Ella Fitzgerald Cole Porter gleich zwei Alben gewidmet. Louis Armstrong und Frank Sinatra haben seine Songs ebenfalls gern gesungen. Etliche Melodien von Cole Porter wurden zu Jazz-Klassikern. Kann eine klassisch ausgebildete Sopranistin diesen Repertoireschätzen gerecht werden? 

Juliane Banse gelingt dies wunderbar. Die Sängerin macht kleine Opernrollen daraus, und gestaltet diese mit hörbarem Vergnügen – ironisch, munter swingend, mitunter auch energisch, und Banse kann durchaus auch lasziv. 

Der Arrangeur, Komponist, Chorleiter und Kirchenmusiker Lars J. Lange hat die Melodien des Amerikaners liebevoll und mit Witz für Orchester arrangiert. Und die Deutsche Radio Philharmonie, dirigiert von Dorian Wilson, musiziert mit  Leidenschaft. Bravi!