Das soll ein Schumann sein? Donnerwetter! Bei den Klängen reibt man sich verwundert die Augen. Die CD hebt an mit kräftig grollenden Bässen, und energisch schepperndem Diskant.
Die Vier Märsche op. 76 beginnen Mit größter Energie, und Tobias Koch lässt seinen Erard-Flügel von 1852 dementsprechend tönen. Damit beginnt zugleich eine musikalische Entdeckungsreise, denn das historische Instrument klingt in der Tat ganz anders als ein moderner Konzertflügel. Der Düsseldorfer Pianist entlockt ihm elegante, singende Passagen ebenso wie derbe, zupackende Momente, distanzierte, geradezu akademische Phrasen ebenso wie raunende, murmelnde Stimmungsbilder; der Erard-Flügel beeindruckt dabei stets durch die Transparenz und Strahlkraft seines Klanges.
Tobias Koch hat für diese CD ausschließlich Werke aus den Dresdner Jahren des Ehepaares Schumann ausgewählt. Nach einer schweren Schaffenskrise und anschließendem gesundheitlichen Zusammen- bruch hatte sich Schumann während der Herbstmonate in der sächsischen Landeshauptstadt allmählich wieder stabilisiert; zum Jahresende 1844 zogen die Schumanns endgültig dorthin um.
Und im Januar 1845 begann Schumann ausgedehnte Contrapunc- tische Studien, dem Vorbild Bachs nachspürend, den der Komponist zeitlebens als unerreichbares Vorbild betrachtete und zu dem er immer wieder in Krisensituationen Zuflucht nahm. Die CD bringt die Vier Fugen op. 72 - Schumanns Antwort auf Bachs Meisterwerke wie das Wohltemperierte Clavier oder Die Kunst der Fuge. Sie bringt aber auch Drei Präludien und Fugen op. 16 von Clara Schumann, ent- standen ebenfalls 1845 - und zwar nach Fugenthemen, die der welt- berühmten Pianistin wohl ihr Gemahl vorgegeben hat. Dieser Aufgabe entledigt sie sich eher akademisch und relativ kurz angebunden. Interessant aber sind ihre Präludien dazu, denn es sind kleine Meisterstücke, effektvoll konzipiert für die Konzertbühne, unter klug kalkuliertem Einsatz des Instrumentenklanges. Koch spürt ihren Ambitionen nach, und präsentiert gerade in diesen Werken eine ganze Palette an Klangfarben, die man dem Erard-Flügel nach dem ersten Höreindruck so gar nicht zugetraut hätte.
Wie exzellent Clara Schumann mit den Klangmöglichkeiten eines solchen Instrumentes umzugehen wusste, das zeigt auch ihre Bearbeitung von vier der urprünglich für Pedalflügel bestimmten Kanonischen Studien aus op. 56: "Faszinierend in seinem durch- sichtigen, aufs Genaueste austarierten Stimmenverlauf, gibt das extrem weitgriffige, durchweg hochkomplizierte Arrangement zudem Kunde von der beeindruckend großen Spannweite von Claras Hand, von der ich mir im Zwickauer Schumann-Haus anhand eines Gips- abgusses ein authentisches Bild machen konnte", begeistert sich Tobias Koch. "Nicht zuletzt handelt es sich hier um imponierende Zeugnisse aus erster Hand für Clara Schumanns innige Vertrautheit mit den kompositorischen Intentionen ihres Mannes. Gleichwohl erstaunt ihre eigene fabelhafte, alle Möglichkeiten und Klangebenen des Instrumentes ausschöpfende pianistische Vorstellungskraft."
Der Kontrapunkt prägte auch ein weiteres Projekt Schumanns aus seiner Dresdner Zeit - die Waldscenen op. 82, entstanden 1848, die darauf gründen wie ein Baum auf seinem Wurzelwerk. Koch spielt das populäre Werk ohne den üblichen "romantischen" Puderzucker - und so wird in der Tat ein Hörerlebnis mit sehr viel Waldeinsamkeit daraus.
Vor der Revolution, die Dresden 1849 erreichte, floh die Familie Schumann aufs Land. Nach der Rückkehr des Komponisten in die von den Barrikadenkämpfen gezeichnete Stadt entstanden innerhalb weniger Tage die Vier Märsche op. 76 - "aber keine alten Dessauer", so schrieb Schumann an seinen Verleger, "sondern eher republica- nische". Pauken und Salven sind zu hören, zudem erklingen das Kugelgießer-Motiv aus Webers Freischütz und die Marseillaise - doch mit dem Marschrhythmus wird es nichts; die Revolution verliert sich in der Reflexion. Und in diesem Punkt erweist sich Schumann dann doch als Romantiker.