Mit der fünften und letzten CD hat Andreas Boyde nunmehr seine Einspielung des Klavier-Gesamt- werkes von Johannes Brahms bei Oehms Classics abgeschlossen. Sie überzeugt durch ihre Klarheit und Konzentration auf die musikali- schen Strukturen - und weicht mit traumwandlerischer Sicherheit den üblichen Brahms-Klischees aus: Hier gibt's keinen pianisti- schen Klangrausch, und keine Sextenseligkeit.
Boyde stammt aus dem sächsi- schen Oschatz, und studierte in Dresden bei Christa Holzweißig und Amadeus Webersinke sowie in London bei James Gibb. Großen Einfluss auf seine künstlerische Entwicklung hatte auch sein Mentor und Förderer Malcolm Frager. Der war ein großer Freund von Bibliotheken und Archiven, und entdeckte dort so manchen Schatz - ganz besonders auf seinen Konzertreisen im Ostblock, wo er beispiels- weise 1978 in der Krakower Biblioteka Jagiellońska enorme Mengen an Manuskripten aufspürte, die seit dem Zweiten Weltkrieg als ver- schollen galten - darunter Werke von Bach, Mozart und Schumann. Der amerikanische Pianist sah das Musizieren weniger als schöpferi- schen Akt als vielmehr als eine kreative Mischung zwischen Hand- werk und Wissenschaft: "Interpretation ist Differenzierung. Jeden Komponisten muß man anders anfassen. Das geht bis in die letzten technischen Details wie Anschlag oder Pedalgebrauch", so Frager. "Ein Schauspieler, der Shakespeare interpretiert, spricht ja auch völlig anders als einer, der einen Dürrenmatt-Text vorträgt."
Diese Auffassung vertritt offenbar auch Boyde. Er zeigt, dass Brahms’ Musik das Produkt eines scharfen Intellektes ist. Obwohl der Kompo- nist gern Titel wie Ballade, Romanze, Intermezzo, Capriccio oder Rhapsodie verwendet, erscheinen seine Werke formal keineswegs beliebig. Boyde vermeidet die lediglich auf den Effekt bedachte, "virtuose" Interpretation, und erschließt dem Zuhörer damit einen spannenden Zugang zu Brahms' Werken und seiner Persönlichkeit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen