Wer diese Aufnahmen angehört hat, der fragt sich, warum Henryk Szeryng (1918 bis 1988) – zu Lebzeiten ebenso berühmt wie etwa Jascha Heifetz, David Oistrach oder Yehudi Menuhin – heute nur noch Experten bekannt ist. Dass der Nachruhm dieses exzellenten Geigers lang nicht an den seiner Kollegen heranreicht, ist mit der Qualität seines Spiels jedenfalls nicht zu erklären.
Szeryng kam in Warschau zur Welt, und erhielt ersten Musikunterricht von seiner Mutter. Das Geigenspiel erlernte er bei dem Auer-Schüler Moritz Frenkel. Als er acht Jahre alt war, hörte Bronislaw Huberman den Knaben und schickte ihn zur weiteren Ausbildung nach Berlin zu Carl Flesch, dem renommiertesten Violin- pädagogen jener Zeit.
1933 übersiedelte die Familie nach Paris, wo Szeryng zunächst an der Sorbonne studierte, und dann ab 1936 am Conservatoire. Dann kam der Krieg – und Szeryng, der etliche Sprachen beherrschte, trat als Dolmetscher und Verbindungsoffizier von General Sikorski in den Dienst der polnischen Exilregierung. Er spielte für die alliierten Truppen – unter anderem auch in Mexiko. Dieses Land faszinierte den Musiker, und so nahm Szeryng nach Kriegsende eine Professur an der Universität von Mexico City an. 1946 wurde er mexikanischer Staatsbürger.
Und er hätte wohl dort bis ans Ende seiner Tage Studierende unterrichtet. Doch dann hörte er 1954 ein Konzert von Artur Rubinstein, und bedankte sich bei dem Pianisten für dieses Erlebnis. Dieser wiederum fragte, als höflicher Mensch, ob er denn auch ein Instrument spiele. Was Szeryng gleich am nächsten Tag unter Beweis stellte – er kam ins Hotel, und spielte Rubinstein vor.
Diese Begegnung wurde zum Beginn einer großen Musikerfreundschaft, und zum Ausgangspunkt von Szeryngs internationaler Karriere, die ihn sehr bald weltweit in die bedeutenden Konzertsäle führte. Auf dieser CD ist er gemeinsam mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester aus Pforzheim zu hören, das er in diesem Konzertmitschnitt vom 07. Dezem- ber 1969 als Solist zugleich geleitet hat.
Die Eleganz seines Vortrages und sein strahlender, nobler Ton sind einzigartig. Vivaldis Vier Jahreszeiten gestaltet Szeryng überraschend modern; er setzt auf klare Strukturen und oftmals schroffe Gegensätze. Das Ensemble unterstützt den Solisten dabei auf das Beste; es folgt auch seinen eigenwilligen, aber in ihrer Wirkung beeindruckenden Temponuancierungen. Für mich ist diese Aufnahme der Vier Jahreszeiten mit Szeryngs herrlichem Geigenton eine der schönsten überhaupt – und das will bei diesem extrem häufig eingespielten Werk schon etwas besagen.
Bei Mozarts Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219 kommt Szeryngs brillante Technik ebenfalls bestens zur Geltung. Dennoch wählte er auch grundsätzlich Tempi, die nicht die flinken Finger des Solisten in den Vordergrund stellen, sondern die innere Logik des jeweiligen Stückes. Unbedingt anhören, das lohnt sich!
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