Musik für Gambenconsort? Da führt kein Weg an dem britischen Ensem- ble Phantasm vorbei. Das Quintett, gegründet und geleitet von Laurence Dreyfus, hat mittlerweile etliche Einspielungen vorgelegt. Dafür wird die Besetzung bei Bedarf erweitert. So hat Phantasm 2009, unter Mitwir- kung von Wendy Gillespie, die Consort-Musik von John Ward (1571 bis 1639) für fünf und sechs Gamben eingespielt. Diese spektakuläre Aufnahme ist erst kürzlich bei Linn Records wiederveröffentlicht worden.
Im vergangenen Jahr publizierte das Ensemble The Royal Consort von William Lawes (1602 bis 1645). Er war der Sohn eines Kantors, und stand im Dienst König Charles I. Sein Royal Consort ist auf dieser Doppel-CD in der Version für Gamben und Theorbe erstmals vollständig zu hören. Einige der Setts verlangen im Continuo „to the Organ“. Den Orgelpart übernahm Daniel Hyde, die Theorbe spielt Elizabeth Kenny, und die sechste Gambe ergänzt, wo erforderlich, Emily Ashton. Zur Qualität dieser Aufnahme fällt mir nur ein Wort ein: Hin- reißend!
Ähnlich gelungen ist auch das jüngste Album des Ensembles, Lachrimae or Seven Tears, das sich dem Ausdruck der Melancholie in der Musik John Dowlands widmet. Diese Klagegesänge sind unbeschreiblich; schöner kann man wohl nicht trauern – und Phantasm musiziert gemeinsam mit Elizabeth Kenny, Theorbe, in einer solchen Ausdrucksstärke und Homo- genität, dass man nur staunen kann. Unbedingt anhören!
Freitag, 30. September 2016
Michael Haydn: Symphonies (Naxos)
Nach den Sinfonien von Franz Joseph Haydn (1732 bis 1809), die auf 34 CD mit unterschiedlichen Interpreten vollständig vorliegen, wendet sich Naxos nunmehr auch den Werken von Johann Michael Haydn (1737 bis 1806) zu. Die beiden ersten CD hat das Czech Chamber Philharmonic Orchestra Pardubice mit dem französischen Flötisten Patrick Gallois am Dirigentenpult mittlerweile veröffentlicht. Sie machen deutlich, dass die Musik von Michael Haydn durchaus Aufmerk- samkeit verdient – auch wenn der Komponist bislang, im Schatten seines Bruders, weniger wahrgenommen worden ist. Er wirkte ab 1763 bis an sein Lebensende als Konzert- und Kapellmeister am Hofe des Fürsterzbischofs in Salzburg. Seine Sinfonien sind überraschend originell und zudem sehr elegant; man stellt bald fest, dass sie auch den jungen Wolfgang Amadeus Mozart hörbar inspiriert haben.
Donnerstag, 29. September 2016
The Great Violins (Athene)
Herausragende Geigen aus berühm- ten Werkstätten stehen im Mittel- punkt einer neuen Serie des Labels Athene. „During my time as Instrument Curator at the Royal Academy I welcomed many violin making students from around the world to view the treasures oft the collection. The reaction to these works was interesting to observe“, schildert der renommierte Instru- mentenbauer David Rattray in seinem Geleitwort ein Phänomen, das sich beim Anhören dieser Aufnahmen vielleicht auch beim Zuhörer einstel- len könnte: „The Stradivari's were greeted with voices of excitement and wide eyed reference, Guarneri's with nervous chuckles and often an element of bewilderness, however presenting an Andrea Amati violin the room would fall silent, this shared experience of being in the presence of something akin to the luthier's ,Holy Grail' was a privilege and honour.“
Die Reihe eröffnet eine Doppel-CD, auf der eine Geige von Andrea Amati aus dem Jahr 1570 erklingt, die von der Royal Academy of Music im Auftrag eines privaten Sammlers verwahrt wird. Peter Sheppard Skærved ist mit diesem Instrument seit langer Zeit vertraut und hat es bereits mehrmals in Konzerten gespielt. Die Fantasien Georg Philipp Telemanns klingen seiner Meinung nach auf keinem Instrument besser, zumal auch der verwendete Nachbau eines historischen Bogens, angefertigt von dem Genueser Bogenbauer Antonino Airenti, dazu offenbar perfekt passt, was dem Interpreten Klangräume eröffnet.
Peter Sheppard Skærved hat nicht nur die zwölf Fantasien eingespielt, die Telemann für die Geige komponierte. Auch die zwölf Flöten-Fantasien haben es dem Geiger angetan: „Early on, I noticed that the earliest known edition oft the Flute Fantasies (in the Brussels Conservatoire Library) reads, on the front page „Violino“. I am not suggesting for a minute that these are violin pieces, but modestly, that violinists should learn them, as a balance to the rather earthier (I generalise) violin works.“ Der Solist hat mit Bläsern über diese Werke gesprochen, und sie dann geübt: „I studied and played the Telemann flute Fantasies, in private, and at a safe distance from the critical ears of my flutist friends“, berichtet er. „This led, naturally, to the performance and recording oft the violin works.“
Die zweite CD der Reihe enthält nicht, wie zunächst angekündigt, Bachs Sonaten und Partiten auf der Joachim-Stradivari, sondern eine musika- lische Referenz an den norwegischen Geiger Ole Bull (1810 bis 1880). Dieser besaß etliche Instrumente. Bekannt sind Bulls Violine von Gasparo da Salò und ein weiteres Instrument von Giuseppe Guarneri del Gesù; spielen durfte Sheppard Skærved zudem eine Geige von Joseph Guarneri sowie eine weitere von Jean-Baptiste Vuillaume (1790 bis 1875) aus dem Besitz von Ole Bull. Bei einem Besuch in Bulls Haus auf der Insel Lysøen, seit 1984 in dem Sommermonaten als Museum geöffnet, zeigte Kurator Bertil Høgheim dem Geiger zudem einen Koffer für zwei Violinen – eine davon, so eine Aufschrift, stamme von „Nikolaus Amati 1647“. Wo aber war sie?
„Sitting at my father-in-law's breakfast table in New York, on a freezing morning in January 2015, an E-mail arrived. Would I be interested in seeing the 1647 Amati owned by Bull? I was thunderstruck“, schreibt Sheppard Skærved. „One month later, I held it in my hands for the first time.“ Die Geige begeistert den Musiker; er schwärmt, sie sei eines der schönsten Instrumente, die er je gesehen habe, und ihr Ton vermittele eine Ahnung von jener Reinheit und Intimität, die Bull offenbar gesucht habe. Noch im gleichen Jahr konnte er diese Amati-Geige in einigen Konzerten spielen, unter anderem auf dem Festival Bergen Festspillene.
In diesem Zusammenhang sei er, so erzählt der Musiker im Beiheft, mit Nachkommen Bulls sowie einem Tross von Journalisten, der Geige und Bulls Geigenbogen nach Lysøen gefahren, in Bulls einstiges Musizier- zimmer. „I had the extraordinary privilege of playing the violin in this wonderful room; the first time since Bull's death. Then, with the cameras still rolling, I took it over the double violin case, with the embroided cover (..). The violin fitted its case perfectly: It had come home.“ Mit Bulls Amati-Violine gestaltet Peter Sheppard Skærved, mitunter begleitet von dem Pianisten Roderick Chadwick, ein Salonkonzert im Stile Ole Bulls. Dabei erklingen auch etliche Werke des Virtuosen.
Andrea Amati (um 1505 bis 1577) gilt als Stammvater des Geigenbaus in Cremona. Über seinen Lebensweg ist wenig bekannt. Nicola Amati (1596 bis 1684), sein Enkel, war möglicherweise der beste Geigenbauer der Familie. Er unterwies zahlreiche Lehrlinge, darunter wahrscheinlich Antonio Stradivari und Andrea Guarneri.
Die Reihe eröffnet eine Doppel-CD, auf der eine Geige von Andrea Amati aus dem Jahr 1570 erklingt, die von der Royal Academy of Music im Auftrag eines privaten Sammlers verwahrt wird. Peter Sheppard Skærved ist mit diesem Instrument seit langer Zeit vertraut und hat es bereits mehrmals in Konzerten gespielt. Die Fantasien Georg Philipp Telemanns klingen seiner Meinung nach auf keinem Instrument besser, zumal auch der verwendete Nachbau eines historischen Bogens, angefertigt von dem Genueser Bogenbauer Antonino Airenti, dazu offenbar perfekt passt, was dem Interpreten Klangräume eröffnet.
Peter Sheppard Skærved hat nicht nur die zwölf Fantasien eingespielt, die Telemann für die Geige komponierte. Auch die zwölf Flöten-Fantasien haben es dem Geiger angetan: „Early on, I noticed that the earliest known edition oft the Flute Fantasies (in the Brussels Conservatoire Library) reads, on the front page „Violino“. I am not suggesting for a minute that these are violin pieces, but modestly, that violinists should learn them, as a balance to the rather earthier (I generalise) violin works.“ Der Solist hat mit Bläsern über diese Werke gesprochen, und sie dann geübt: „I studied and played the Telemann flute Fantasies, in private, and at a safe distance from the critical ears of my flutist friends“, berichtet er. „This led, naturally, to the performance and recording oft the violin works.“
Die zweite CD der Reihe enthält nicht, wie zunächst angekündigt, Bachs Sonaten und Partiten auf der Joachim-Stradivari, sondern eine musika- lische Referenz an den norwegischen Geiger Ole Bull (1810 bis 1880). Dieser besaß etliche Instrumente. Bekannt sind Bulls Violine von Gasparo da Salò und ein weiteres Instrument von Giuseppe Guarneri del Gesù; spielen durfte Sheppard Skærved zudem eine Geige von Joseph Guarneri sowie eine weitere von Jean-Baptiste Vuillaume (1790 bis 1875) aus dem Besitz von Ole Bull. Bei einem Besuch in Bulls Haus auf der Insel Lysøen, seit 1984 in dem Sommermonaten als Museum geöffnet, zeigte Kurator Bertil Høgheim dem Geiger zudem einen Koffer für zwei Violinen – eine davon, so eine Aufschrift, stamme von „Nikolaus Amati 1647“. Wo aber war sie?
„Sitting at my father-in-law's breakfast table in New York, on a freezing morning in January 2015, an E-mail arrived. Would I be interested in seeing the 1647 Amati owned by Bull? I was thunderstruck“, schreibt Sheppard Skærved. „One month later, I held it in my hands for the first time.“ Die Geige begeistert den Musiker; er schwärmt, sie sei eines der schönsten Instrumente, die er je gesehen habe, und ihr Ton vermittele eine Ahnung von jener Reinheit und Intimität, die Bull offenbar gesucht habe. Noch im gleichen Jahr konnte er diese Amati-Geige in einigen Konzerten spielen, unter anderem auf dem Festival Bergen Festspillene.
In diesem Zusammenhang sei er, so erzählt der Musiker im Beiheft, mit Nachkommen Bulls sowie einem Tross von Journalisten, der Geige und Bulls Geigenbogen nach Lysøen gefahren, in Bulls einstiges Musizier- zimmer. „I had the extraordinary privilege of playing the violin in this wonderful room; the first time since Bull's death. Then, with the cameras still rolling, I took it over the double violin case, with the embroided cover (..). The violin fitted its case perfectly: It had come home.“ Mit Bulls Amati-Violine gestaltet Peter Sheppard Skærved, mitunter begleitet von dem Pianisten Roderick Chadwick, ein Salonkonzert im Stile Ole Bulls. Dabei erklingen auch etliche Werke des Virtuosen.
Andrea Amati (um 1505 bis 1577) gilt als Stammvater des Geigenbaus in Cremona. Über seinen Lebensweg ist wenig bekannt. Nicola Amati (1596 bis 1684), sein Enkel, war möglicherweise der beste Geigenbauer der Familie. Er unterwies zahlreiche Lehrlinge, darunter wahrscheinlich Antonio Stradivari und Andrea Guarneri.
Vivaldi: The Four Seasons (Challenge Classics)
„Warum Vivaldi? Warum die Vier Jahreszeiten und warum gerade jetzt? Diese Fragen stellen sich sicherlich viele Freunde, die den Werdegang von Ars Antiqua Austria seit Jahren mitverfolgt haben“, schreibt Gunar Letzbor im Beiheft zu dieser CD. „Die Verlockung, seine Musik auf unsere Konzertprogram- me zu setzen, war sicherlich immer groß. Allein sein Name garantiert viele Besucher und erleichtert Ver- handlungen mit Konzertveran- staltern“, räumt der Geiger ein.
Dagegen spricht, dass die Musik des berühmten Venezianers heutzutage allgegenwärtig ist. Die vier Jahreszei- ten sind derzeit wohl das am häufigsten aufgenommene Werk der Musik- geschichte. Und um in diesem Wust an Einspielungen wahrgenommen zu werden, entwickeln Musiker einen geradezu olympischen Ehrgeiz: „Wer spielt eigentlich die Läufe (..) am schnellsten? Wer kratzt, quietscht, heult, säuselt, klopft und donnert daselbst am extremsten? Wer hier punkten will, muss alles Bisherige überbieten“, ätzt Letzbor. „Es ist wie bei einer Sportveranstaltung. Da zählen Millimeter und Hundertstel- sekunden!“
Auf der CD hat Ars Antiqua Austria Die vier Jahreszeiten mit dem Violin- konzert in d-Moll von František Jiránek (1698 bis 1778) gekoppelt. Der Zusammenhang ergibt sich über den Widmungsträger – „Signor Venceslao Conte di Marzin“, Graf Wenzel Morzin, dem Vivaldi verbunden war, und dem er Die vier Jahreszeiten widmete. Jiránek, Sohn von Bediensteten des Grafen, schickte dieser im Jahre 1624 zur Ausbildung nach Venedig, wo er drei Jahre lernte – bei Vivaldi oder aber in dessen Umfeld. Nach Prag zurückgekehrt, musizierte er wieder in der Kapelle des Grafen. 1637, nach dem Tode seines Dienstherren, ging er nach Dresden, wo er in der Kapelle des Grafen Brühl wirkte. Er verbrachte des Rest seines Lebens in der sächsischen Residenzstadt. Überliefert sind von ihm ausschließlich Instrumentalwerke, wobei die Geige klar im Mittelpunkt seines Schaffens steht. Das Konzert auf dieser CD kombiniert auf eine ausgesprochen reizvolle Weise böhmische und italienische Einflüsse. Mir persönlich gefällt auch die Interpretation dieser Entdeckung weit besser als das Resultat von Letzbors Auseinandersetzung mit den Vier Jahreszeiten. Denn der Versuch, Vivaldis berühmte Violinkonzerte frisch und unver- braucht klingen zu lassen, führt letzten Endes auch Letzbor und das Ensemble Ars Antiqua Austria ins Extrem. Diese Musik einfach Musik sein zu lassen, und weder ins Sportive noch ins Theatralische zu übertreiben, das muss enorm schwierig sein.
Dagegen spricht, dass die Musik des berühmten Venezianers heutzutage allgegenwärtig ist. Die vier Jahreszei- ten sind derzeit wohl das am häufigsten aufgenommene Werk der Musik- geschichte. Und um in diesem Wust an Einspielungen wahrgenommen zu werden, entwickeln Musiker einen geradezu olympischen Ehrgeiz: „Wer spielt eigentlich die Läufe (..) am schnellsten? Wer kratzt, quietscht, heult, säuselt, klopft und donnert daselbst am extremsten? Wer hier punkten will, muss alles Bisherige überbieten“, ätzt Letzbor. „Es ist wie bei einer Sportveranstaltung. Da zählen Millimeter und Hundertstel- sekunden!“
Auf der CD hat Ars Antiqua Austria Die vier Jahreszeiten mit dem Violin- konzert in d-Moll von František Jiránek (1698 bis 1778) gekoppelt. Der Zusammenhang ergibt sich über den Widmungsträger – „Signor Venceslao Conte di Marzin“, Graf Wenzel Morzin, dem Vivaldi verbunden war, und dem er Die vier Jahreszeiten widmete. Jiránek, Sohn von Bediensteten des Grafen, schickte dieser im Jahre 1624 zur Ausbildung nach Venedig, wo er drei Jahre lernte – bei Vivaldi oder aber in dessen Umfeld. Nach Prag zurückgekehrt, musizierte er wieder in der Kapelle des Grafen. 1637, nach dem Tode seines Dienstherren, ging er nach Dresden, wo er in der Kapelle des Grafen Brühl wirkte. Er verbrachte des Rest seines Lebens in der sächsischen Residenzstadt. Überliefert sind von ihm ausschließlich Instrumentalwerke, wobei die Geige klar im Mittelpunkt seines Schaffens steht. Das Konzert auf dieser CD kombiniert auf eine ausgesprochen reizvolle Weise böhmische und italienische Einflüsse. Mir persönlich gefällt auch die Interpretation dieser Entdeckung weit besser als das Resultat von Letzbors Auseinandersetzung mit den Vier Jahreszeiten. Denn der Versuch, Vivaldis berühmte Violinkonzerte frisch und unver- braucht klingen zu lassen, führt letzten Endes auch Letzbor und das Ensemble Ars Antiqua Austria ins Extrem. Diese Musik einfach Musik sein zu lassen, und weder ins Sportive noch ins Theatralische zu übertreiben, das muss enorm schwierig sein.
Montag, 26. September 2016
Bach: Köthener Trauermusik (Deutsche Harmonia Mundi)
Darf man verlorene Werke von Johann Sebastian Bach rekonstru- ieren? Und wenn ja, in welchem Umfang sind Ergänzungen zulässig? Darf man beispielsweise Rezitative, deren Musik nicht überliefert ist, neu komponieren? Wo sind Entdeckun- gen möglich, und wo wird die Grenze überschritten zu einem musikalischen Disney-Land?
Einen Beitrag zu dieser Debatte liefert Alexander Grychtolik. Er hat, mit dem Ensemble Deutsche Hofmusik, die Trauerkantate BWV 244a Klagt, Kinder, klagt es aller Welt einge- spielt. Dieses Werk hatte Bach im Jahre 1729 für den Gedächtnisgottes- dienst seines früheren Dienstherrn Fürst Leopold von Anhalt-Köthen geschrieben, der im November 1728 gestorben war.
Die Trauerfeierlichkeiten sind, wie damals üblich, minutiös dokumentiert; wir wissen, wie der Gottesdienst verlaufen ist, ja, selbst was die Gäste an- schließend speisten. Die Trauermusik erklang aufgeteilt in vier Abschnitte, die Landestrauer, Tod und Erlösung, eine nochmalige Würdigung des Verstorbenen sowie Trost und Abschied zum Gegenstand haben. Das Libretto schuf der Leipziger Christian Friedrich Henrici, besser bekannt unter dem Pseudonym Picander. Es ist gleich in drei Versionen überliefert – die Musik dazu allerdings nicht.
Schon 1873 wurde bei der Arbeit an der ersten Bach-Gesamtausgabe festgestellt, dass Bach für die Trauerkantate im Parodieverfahren auf zwei ältere Werke, nämlich die Trauerode für Kurfürstin Christine Eberhardine BWV 198 und die Matthäus-Passion BWV 244, zurückgegriffen hat. Die allermeisten Einzelsätze ließen sich damit zuordnen. Zudem folgt Grych- tolik Vorschlägen des Musikwissenschaftlers Detlef Gojowy, der darauf hingewiesen hatte, dass auch im Falle der Accompagnato-Rezitative Analogien zur Matthäus-Passion aufzufinden sind. Die fehlenden Teile – es sind nur noch wenige – wurden angelehnt an entsprechende Vorbilder neu komponiert.
Man muss anerkennen, dass es Alexander Grychtolik sehr schlüssig gelungen ist, die Köthener Trauermusik zu rekonstruieren. Auch bei der Aufführung folgt das Ensemble Deutsche Hofmusik unter seiner Leitung den historischen Fakten: In Köthen gab es zwar eine exzellente Hofka- pelle, aber keine Kantorei. So wird Bach neben den herausragenden Musikern, wie dem berühmten Gambisten Christian Ferdinand Abel, nur einige wenige professionelle Sänger zur Verfügung gehabt haben. Neben den Solisten Sidonie Otto, David Erler, Hans Jörg Mammel und Daniel Ochoa sind hier noch fünf Ripienisten eingesetzt. Musiziert wurde in der Köthener Stadtkirche St. Jakob; der Kirchenraum ist allerdings heute nach diversen Umbaumaßnahmen, zuletzt im 19. Jahrhundert, nicht mehr in dem Zustand, in dem er sich zu Bachs Zeiten befand.
Es ist also nicht mehr ganz der originale Klangraum; die Grablege des Fürstenhauses von Anhalt-Köthen befindet sich in der Kirche aber bis zum heutigen Tage. In dieser besonderen Atmosphäre hat das Ensemble Deutsche Hofmusik im September 2014 die Trauermusik aufgeführt – und das sehr beeindruckend, wozu nicht zuletzt Instrumentalsolisten wie die Flötisten Jan de Winne und Christine Debaisieux, Mechthild Karkow, Violine, und natürlich Marcel Ponseele mit beitragen. Geht es um Barock- musik, ist dieser Oboist derzeit eine Klasse für sich.
Einen Beitrag zu dieser Debatte liefert Alexander Grychtolik. Er hat, mit dem Ensemble Deutsche Hofmusik, die Trauerkantate BWV 244a Klagt, Kinder, klagt es aller Welt einge- spielt. Dieses Werk hatte Bach im Jahre 1729 für den Gedächtnisgottes- dienst seines früheren Dienstherrn Fürst Leopold von Anhalt-Köthen geschrieben, der im November 1728 gestorben war.
Die Trauerfeierlichkeiten sind, wie damals üblich, minutiös dokumentiert; wir wissen, wie der Gottesdienst verlaufen ist, ja, selbst was die Gäste an- schließend speisten. Die Trauermusik erklang aufgeteilt in vier Abschnitte, die Landestrauer, Tod und Erlösung, eine nochmalige Würdigung des Verstorbenen sowie Trost und Abschied zum Gegenstand haben. Das Libretto schuf der Leipziger Christian Friedrich Henrici, besser bekannt unter dem Pseudonym Picander. Es ist gleich in drei Versionen überliefert – die Musik dazu allerdings nicht.
Schon 1873 wurde bei der Arbeit an der ersten Bach-Gesamtausgabe festgestellt, dass Bach für die Trauerkantate im Parodieverfahren auf zwei ältere Werke, nämlich die Trauerode für Kurfürstin Christine Eberhardine BWV 198 und die Matthäus-Passion BWV 244, zurückgegriffen hat. Die allermeisten Einzelsätze ließen sich damit zuordnen. Zudem folgt Grych- tolik Vorschlägen des Musikwissenschaftlers Detlef Gojowy, der darauf hingewiesen hatte, dass auch im Falle der Accompagnato-Rezitative Analogien zur Matthäus-Passion aufzufinden sind. Die fehlenden Teile – es sind nur noch wenige – wurden angelehnt an entsprechende Vorbilder neu komponiert.
Man muss anerkennen, dass es Alexander Grychtolik sehr schlüssig gelungen ist, die Köthener Trauermusik zu rekonstruieren. Auch bei der Aufführung folgt das Ensemble Deutsche Hofmusik unter seiner Leitung den historischen Fakten: In Köthen gab es zwar eine exzellente Hofka- pelle, aber keine Kantorei. So wird Bach neben den herausragenden Musikern, wie dem berühmten Gambisten Christian Ferdinand Abel, nur einige wenige professionelle Sänger zur Verfügung gehabt haben. Neben den Solisten Sidonie Otto, David Erler, Hans Jörg Mammel und Daniel Ochoa sind hier noch fünf Ripienisten eingesetzt. Musiziert wurde in der Köthener Stadtkirche St. Jakob; der Kirchenraum ist allerdings heute nach diversen Umbaumaßnahmen, zuletzt im 19. Jahrhundert, nicht mehr in dem Zustand, in dem er sich zu Bachs Zeiten befand.
Es ist also nicht mehr ganz der originale Klangraum; die Grablege des Fürstenhauses von Anhalt-Köthen befindet sich in der Kirche aber bis zum heutigen Tage. In dieser besonderen Atmosphäre hat das Ensemble Deutsche Hofmusik im September 2014 die Trauermusik aufgeführt – und das sehr beeindruckend, wozu nicht zuletzt Instrumentalsolisten wie die Flötisten Jan de Winne und Christine Debaisieux, Mechthild Karkow, Violine, und natürlich Marcel Ponseele mit beitragen. Geht es um Barock- musik, ist dieser Oboist derzeit eine Klasse für sich.
Montag, 19. September 2016
Daniel_Röhn - The_Kreisler_Story (Berlin Classics)
Daniel Röhn enstammt einer Musikerdynastie: Sein Großvater Erich Röhn war Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern, sein Vater Andreas Röhn musizierte als Konzertmeister im Symphonie- orchester des Bayerischen Rund- funks, seine Mutter ist Pianistin, und seine Schwester Anja ist ebenfalls eine erfolgreiche Geigerin.
Schon mit 14 Jahren begann er sein Studium an der Münchner Musik- hochschule. Gelernt hat er freilich auch anderswo: „Einer meiner besten Lehrer war der Plattenschrank meiner Eltern“, merkt der junge Geiger an: „Das meiste habe ich mir bei den Kreislers und Heifetzes einfach abgelauscht.“ Röhn klingt tatsächlich ein wenig wie die alten Meister; allerdings hat er ihr Spiel nicht einfach kopiert, sondern einen eindrucksvollen, ganz eigenen Ton entwickelt. Dieser ist überraschend warm und beredt, aber nicht ganz so breit und so gestisch wie beispielsweise der Kreislers.
Von dem berühmten Kollegen hat Daniel Röhn auch in Sachen Marketing offenbar einiges gelernt. Denn Fritz Kreisler hat erstaunlich viele kurze Stücke geschrieben – und sie auch gleich selbst für die Schallplatte eingespielt, die in ihren frühen Jahren bekanntlich nur wenige Minuten Laufzeit hatte. Röhn gelingt es, mit diesen Miniaturen ein Publikum zu begeistern, das sonst sicherlich eher nicht ins Konzert geht. In das Programm hat er allerdings auch einige Werke anderer Komponisten mit „hineingeschmuggelt“, wie zwei Capricen und ein Moto Perpetuo von Paganini, Tartinis berühmte Teufelstriller-Sonate, zwei Capricen von Wieniawski oder eine Partita von Bach – in den virtuosen Bearbeitungen von Fritz Kreisler, selbstverständlich.
Im Originalklang-Zeitalter ist das ziemlich mutig; normalerweise präsentieren sich Geiger heutzutage mit einem Repertoire, das in erster Linie aus drei Dutzend mehr oder minder bekannter Konzerte besteht, beginnend bei Bach und Vivaldi, und endend allerspätestens bei Schostakowitsch. Wenn Kammermusik gespielt wird, dann Sonaten; was nach Salonmusik klingt, das hat seinen Platz im Konzertsaal, maximal, unter den Zugaben.
Röhn setzt sich über diese Konventionen hinweg. Zwar hat auch er bereits Violinkonzerte von Mendelssohn, Berg und Sibelius eingespielt. Doch dann widmete er ein weiteres Album virtuosen Piècen, beispielsweise der Carmen-Suite von Waxman. Und nun folgt dieses Kreisler-Programm, das Virtuosität und Ausdruck elegant kombiniert. Mit dem Pianisten Paul Rivinius hat Daniel Röhn dabei den perfekten Partner an seiner Seite.
„Wenn ich Kreisler höre, habe ich manchmal das Gefühl, direkt von ihm angesprochen zu werden“, schreibt der Geiger. „Musiker sollen erzählen, predigen, manchmal vielleicht nur ein einziges Wort. Leichter gesagt als getan, Kreisler konnte es. Er holte mit dem Bogen schöne Worte aus der Geige. Auf eine Weise, die ihn von allen anderen Geigern unterschied, auch von jenen, die ihm technisch eigentlich überlegen waren.“
Schon mit 14 Jahren begann er sein Studium an der Münchner Musik- hochschule. Gelernt hat er freilich auch anderswo: „Einer meiner besten Lehrer war der Plattenschrank meiner Eltern“, merkt der junge Geiger an: „Das meiste habe ich mir bei den Kreislers und Heifetzes einfach abgelauscht.“ Röhn klingt tatsächlich ein wenig wie die alten Meister; allerdings hat er ihr Spiel nicht einfach kopiert, sondern einen eindrucksvollen, ganz eigenen Ton entwickelt. Dieser ist überraschend warm und beredt, aber nicht ganz so breit und so gestisch wie beispielsweise der Kreislers.
Von dem berühmten Kollegen hat Daniel Röhn auch in Sachen Marketing offenbar einiges gelernt. Denn Fritz Kreisler hat erstaunlich viele kurze Stücke geschrieben – und sie auch gleich selbst für die Schallplatte eingespielt, die in ihren frühen Jahren bekanntlich nur wenige Minuten Laufzeit hatte. Röhn gelingt es, mit diesen Miniaturen ein Publikum zu begeistern, das sonst sicherlich eher nicht ins Konzert geht. In das Programm hat er allerdings auch einige Werke anderer Komponisten mit „hineingeschmuggelt“, wie zwei Capricen und ein Moto Perpetuo von Paganini, Tartinis berühmte Teufelstriller-Sonate, zwei Capricen von Wieniawski oder eine Partita von Bach – in den virtuosen Bearbeitungen von Fritz Kreisler, selbstverständlich.
Im Originalklang-Zeitalter ist das ziemlich mutig; normalerweise präsentieren sich Geiger heutzutage mit einem Repertoire, das in erster Linie aus drei Dutzend mehr oder minder bekannter Konzerte besteht, beginnend bei Bach und Vivaldi, und endend allerspätestens bei Schostakowitsch. Wenn Kammermusik gespielt wird, dann Sonaten; was nach Salonmusik klingt, das hat seinen Platz im Konzertsaal, maximal, unter den Zugaben.
Röhn setzt sich über diese Konventionen hinweg. Zwar hat auch er bereits Violinkonzerte von Mendelssohn, Berg und Sibelius eingespielt. Doch dann widmete er ein weiteres Album virtuosen Piècen, beispielsweise der Carmen-Suite von Waxman. Und nun folgt dieses Kreisler-Programm, das Virtuosität und Ausdruck elegant kombiniert. Mit dem Pianisten Paul Rivinius hat Daniel Röhn dabei den perfekten Partner an seiner Seite.
„Wenn ich Kreisler höre, habe ich manchmal das Gefühl, direkt von ihm angesprochen zu werden“, schreibt der Geiger. „Musiker sollen erzählen, predigen, manchmal vielleicht nur ein einziges Wort. Leichter gesagt als getan, Kreisler konnte es. Er holte mit dem Bogen schöne Worte aus der Geige. Auf eine Weise, die ihn von allen anderen Geigern unterschied, auch von jenen, die ihm technisch eigentlich überlegen waren.“
Mittwoch, 14. September 2016
Telemann: The Oboe Album (Accent)
Es war kein Zufall, dass die Leipziger Stadtväter Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) nach dem Tode Johann Kuhnaus 1722 gern als neuen Thomaskantor gewonnen hätten. Zum einen hatte Telemann in Leipzig studiert und zugleich seine Laufbahn als Musiker begonnen; er war an der Pleiße also kein Unbekannter. Zum anderen war er ohne Zweifel damals der wohl bekannteste deutsche Kom- ponist überhaupt; ähnlich prominent war wohl nur noch Händel.
Über Bach hingegen, der die Stelle schließlich erhielt, nachdem auch ein Christoph Graupner absagen musste, meinten die Stadträte, so steht es im Ratsprotokoll, „da man nun die besten nicht bekommen könne, müße man mittlere nehmen“. Aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts heraus aber veränderte sich diese Bewertung: Bach wurde zum Genie, Telemann jedoch wurde zum Vielschreiber, dem die aufkommende Musikwissenschaft zudem Oberflächlichkeit zuschrieb – schließlich hatte er nicht nur Kirchenmusik, sondern obendrein obendrein noch Opern geschrieben.
Aus diesem Grunde aber wird das Werk des Komponisten erst jetzt in seiner vollen Breite erschlossen, sowie in seiner vollen Schönheit und Bedeutung erkannt. Dass sich die Auseinandersetzung mit der Musik Telemanns lohnt, beweist auch die jüngste Doppel-CD mit dem Oboisten Marcel Pon- seele, der bei Accent gemeinsam mit dem Ensemble Il Gardellino Oboen- musik des Meisters eingespielt hat. Die Concerti, Triosonaten, Sonaten und die Partita Belegen Telemanns enormen Einfallsreichtum, und bieten auch klanglich Abwechslung, nicht zuletzt durch eine Vielzahl unter- schiedlicher Besetzungen, aber schlicht auch aufgrund der versierten musikalischen Gestaltung. Dazu kommt bei dieser Aufnahme noch der faszinierende Klang der Barockoboe, die derzeit wohl niemand so virtuos spielt wie Marcel Ponseele. Zu hören sind mehr als zwei Stunden (!) Programm – und keine einzige Sekunde davon habe ich mich gelangweilt. Bravi! Das ist wirklich große Kunst.
Über Bach hingegen, der die Stelle schließlich erhielt, nachdem auch ein Christoph Graupner absagen musste, meinten die Stadträte, so steht es im Ratsprotokoll, „da man nun die besten nicht bekommen könne, müße man mittlere nehmen“. Aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts heraus aber veränderte sich diese Bewertung: Bach wurde zum Genie, Telemann jedoch wurde zum Vielschreiber, dem die aufkommende Musikwissenschaft zudem Oberflächlichkeit zuschrieb – schließlich hatte er nicht nur Kirchenmusik, sondern obendrein obendrein noch Opern geschrieben.
Aus diesem Grunde aber wird das Werk des Komponisten erst jetzt in seiner vollen Breite erschlossen, sowie in seiner vollen Schönheit und Bedeutung erkannt. Dass sich die Auseinandersetzung mit der Musik Telemanns lohnt, beweist auch die jüngste Doppel-CD mit dem Oboisten Marcel Pon- seele, der bei Accent gemeinsam mit dem Ensemble Il Gardellino Oboen- musik des Meisters eingespielt hat. Die Concerti, Triosonaten, Sonaten und die Partita Belegen Telemanns enormen Einfallsreichtum, und bieten auch klanglich Abwechslung, nicht zuletzt durch eine Vielzahl unter- schiedlicher Besetzungen, aber schlicht auch aufgrund der versierten musikalischen Gestaltung. Dazu kommt bei dieser Aufnahme noch der faszinierende Klang der Barockoboe, die derzeit wohl niemand so virtuos spielt wie Marcel Ponseele. Zu hören sind mehr als zwei Stunden (!) Programm – und keine einzige Sekunde davon habe ich mich gelangweilt. Bravi! Das ist wirklich große Kunst.
Samstag, 10. September 2016
Bach: Goldberg Variations; Esfahani (Deutsche Grammophon)
Mahan Esfahani hat bei der Deutschen Grammophon nun die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach eingespielt – eines der großen Rätsel der Musikge- schichte. „I haven`t the foggiest notion what Bach's 'Goldberg' Variations 'are' and I find most of the cosmological and numerological chatter around them to be tremen- dously irritating, but I cannot deny that I find a great deal of narrative and life beyond the score when I play them“, merkt der iranische Cembalist an. Die Variationen, die im letzten Lebensjahrzehnt des Komponisten entstanden sind, bieten sowohl eine Lebensbilanz als auch einen Blick darauf, wie er als Musiker auf Inno- vationen reagierte: „We hear this from the charming polonaise of the first variation (..) and the Scarlattian arabesques of the first variation to the obvious feast-day cantata-band in the sixteenth variation. Then there is the wind trio à la Dresde in the canon in unison (Var. 3) and, in the canon in contrary motion at a fifth (Var. 15), what sounds like a wordless vocal setting from a never composed Passion“, berichtet Esfahani. „Whenever I play the canon at the octave (Var. 24), I cannot help but imagine the grand ensemble of horns and strings in the opening movement of the cantata Sie werden aus Saba alle kommen (BWV 65). Other variations seems to come from outer space (Var. 25, while the last nine variations always remeind me of the final two Cantos from Dante's Inferno. And, when we finally reach the Quodlibet (Var. 30), Sebastian plays Virgil to our Dante – and, as we walk out of the earth to riveder le stelle (see again the stars), we meet the Bach family singing their village songs and laughing heartily, exclaiming: 'See? After all these fireworks, life's really about cabbages and potatoes.'“
Der alte Thüringer Kanon Kraut und Rüben erklingt in der Tat, neben der heute nicht mehr so bekannten Melodie Ich bin so lang nicht bei dir gwest, im Quodlibet – kurz bevor sich der Kreis schließt, und die Variationen mit einer Wiederholung der Aria enden. Und bei aller Berufung auf Wanda Landowska, Zuzana Rûzicková oder gar Ferruccio Busoni: Die Interpre- tation von Mahan Esfahani erinnert vielfach an eine Einspielung mit Keith Jarrett, aus dem Jahre 1989, abgesehen freilich von Esfahanis Neigung zum extrabreiten Rubato. Ganz ehrlich: Das irritiert, und wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen.
Esfahani, klassisch ausgebildet, hat bereits mit seinem brillanten Debüt- album Time Present and Time Past, in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Concerto Köln, eindrucksvoll demonstriert, dass „alte“ und „neue“ Musik keineswegs Gegensätze sind. Die Deutsche Grammophon hatte mit diesem Album, eigenen Angaben zufolge die erste Cembalo-Veröffentlichung seit über 30 Jahren bei diesem Label, ohne Zweifel einen großen Wurf gelandet – und die Goldberg-Variationen sind durchaus eine würdige Fortsetzung. Der Cembalist liest Partituren aus der tiefen Einsicht in die Musikgeschich- te heraus, und macht auch seinem Publikum Muster deutlich, die er dabei aufgespürt hat. Das Ergebnis aber klingt keineswegs akademisch-spröde, sondern hinreißend lebendig.
In der Auseinandersetzung mit den Goldberg-Variationen nähert sich Esfahani verblüffenderweise jener Werkauffassung an, zu der auch der Jazzmusiker Keith Jarrett einst gelangt war, auch wenn dieser mit Bachs großem Variationszyklus insgesamt noch etwas freier umgeht als sein junger Kollege.
Ein klangschönes Cembalo, nebenbei bemerkt, konnte Esfahani für diese Einspielung nutzen. Das Instrument hat Huw Saunders, London, im Jahre 2013 als Nachbau eines Originals von Johann Heinrich Harraß aus dem thüringischen Großbreitenbach, entstanden um 1710, angefertigt. Ein ähnliches Instrument, es befindet sich im Berliner Musikinstrumenten-Museum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, soll einst Wilhelm Friede- mann Bach von seinem Vater geerbt haben. Leider ist es heute nicht mehr spielbar. Es wird berichtet, dass Harraß dieses „Bach-Cembalo“ nach Bachs Vorgaben und norddeutschem Vorbild für den Musiker angefertigt haben soll, als dieser noch in Arnstadt wirkte. Belegt ist das nicht. Sowohl das Sondershäuser als auch das Berliner Harraß-Cembalo wurden vielfach nachgebaut.
Der alte Thüringer Kanon Kraut und Rüben erklingt in der Tat, neben der heute nicht mehr so bekannten Melodie Ich bin so lang nicht bei dir gwest, im Quodlibet – kurz bevor sich der Kreis schließt, und die Variationen mit einer Wiederholung der Aria enden. Und bei aller Berufung auf Wanda Landowska, Zuzana Rûzicková oder gar Ferruccio Busoni: Die Interpre- tation von Mahan Esfahani erinnert vielfach an eine Einspielung mit Keith Jarrett, aus dem Jahre 1989, abgesehen freilich von Esfahanis Neigung zum extrabreiten Rubato. Ganz ehrlich: Das irritiert, und wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen.
Esfahani, klassisch ausgebildet, hat bereits mit seinem brillanten Debüt- album Time Present and Time Past, in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Concerto Köln, eindrucksvoll demonstriert, dass „alte“ und „neue“ Musik keineswegs Gegensätze sind. Die Deutsche Grammophon hatte mit diesem Album, eigenen Angaben zufolge die erste Cembalo-Veröffentlichung seit über 30 Jahren bei diesem Label, ohne Zweifel einen großen Wurf gelandet – und die Goldberg-Variationen sind durchaus eine würdige Fortsetzung. Der Cembalist liest Partituren aus der tiefen Einsicht in die Musikgeschich- te heraus, und macht auch seinem Publikum Muster deutlich, die er dabei aufgespürt hat. Das Ergebnis aber klingt keineswegs akademisch-spröde, sondern hinreißend lebendig.
In der Auseinandersetzung mit den Goldberg-Variationen nähert sich Esfahani verblüffenderweise jener Werkauffassung an, zu der auch der Jazzmusiker Keith Jarrett einst gelangt war, auch wenn dieser mit Bachs großem Variationszyklus insgesamt noch etwas freier umgeht als sein junger Kollege.
Ein klangschönes Cembalo, nebenbei bemerkt, konnte Esfahani für diese Einspielung nutzen. Das Instrument hat Huw Saunders, London, im Jahre 2013 als Nachbau eines Originals von Johann Heinrich Harraß aus dem thüringischen Großbreitenbach, entstanden um 1710, angefertigt. Ein ähnliches Instrument, es befindet sich im Berliner Musikinstrumenten-Museum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, soll einst Wilhelm Friede- mann Bach von seinem Vater geerbt haben. Leider ist es heute nicht mehr spielbar. Es wird berichtet, dass Harraß dieses „Bach-Cembalo“ nach Bachs Vorgaben und norddeutschem Vorbild für den Musiker angefertigt haben soll, als dieser noch in Arnstadt wirkte. Belegt ist das nicht. Sowohl das Sondershäuser als auch das Berliner Harraß-Cembalo wurden vielfach nachgebaut.
Samstag, 3. September 2016
Mendelssohn: Lieder ohne Worte books 5-8 (BIS)
Noch einmal Lieder ohne Worte. Felix Mendelssohn Bartholdy erschuf dieses Genre, indem er seiner Schwester Fanny einst „sechs Lieder ohne Worte“ zum Geburtstag schenkte. Die Romantiker waren überzeugt, dass Musik mehr sagt als Worte: „Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an“, formulierte es E.T.A. Hoffmann. Und so kompo- nierte Frédéric Chopin Klavierstücke, die er Ballade nannte – und Franz Liszt Orchesterwerke, die als Symphonische Dichtungen Musik- geschichte schrieben.
Mendelssohns Lieder ohne Worte begeistern das Publikum – damals wie heute. Zu Lebzeiten veröffentlichte der Komponist sechs Hefte mit je sechs Werken; zwei weitere erschienen nach seinem Tode, und gedruckt wurden zusätzlich diverse Einzelstücke. Sie sind bei Profi-Pianisten ebenso beliebt wie bei Amateuren, und erklingen im Konzert ebenso wie beim häuslichen Musizieren.
Auf dieser CD spielt der niederländische Pianist Ronald Brautigam die Lieder ohne Worte der Hefte fünf bis acht, dazu fünf Einzelstücke und die Sechs Kinderstücke op. 72. Komplettiert wird die CD durch zwei Werke aus dem Notenalbum für Eduard Benecke, den Sohn des Onkels von Mendels- sohns Frau Cécile, dessen Gast der Musiker bei seinem Englandaufenthalt 1842 gewesen war.
Zu hören ist erneut die Kopie eines Pleyel-Flügels von 1830 aus der Werk- statt von Paul McNulty. Das Original befindet sich im Musée de la musique in Paris. Die Aufnahme vermittelt einen Eindruck davon, wie die Lieder ohne Worte zu Lebzeiten des Komponisten geklungen haben könnten.
Mendelssohns Lieder ohne Worte begeistern das Publikum – damals wie heute. Zu Lebzeiten veröffentlichte der Komponist sechs Hefte mit je sechs Werken; zwei weitere erschienen nach seinem Tode, und gedruckt wurden zusätzlich diverse Einzelstücke. Sie sind bei Profi-Pianisten ebenso beliebt wie bei Amateuren, und erklingen im Konzert ebenso wie beim häuslichen Musizieren.
Auf dieser CD spielt der niederländische Pianist Ronald Brautigam die Lieder ohne Worte der Hefte fünf bis acht, dazu fünf Einzelstücke und die Sechs Kinderstücke op. 72. Komplettiert wird die CD durch zwei Werke aus dem Notenalbum für Eduard Benecke, den Sohn des Onkels von Mendels- sohns Frau Cécile, dessen Gast der Musiker bei seinem Englandaufenthalt 1842 gewesen war.
Zu hören ist erneut die Kopie eines Pleyel-Flügels von 1830 aus der Werk- statt von Paul McNulty. Das Original befindet sich im Musée de la musique in Paris. Die Aufnahme vermittelt einen Eindruck davon, wie die Lieder ohne Worte zu Lebzeiten des Komponisten geklungen haben könnten.
Danzi: Der Berggeist (Carus)
Der Berggeist Rübezahl mag Menschen nicht. Zur Strafe für sein rücksichtsloses Benehmen wurde seine Gattin, die mildtätige Nixen- königin Erli, in den Tiefschlaf versetzt – und aufwachen wird sie erst, wenn eine Jungfrau den Zauber löst. Was tun? Rübezahl versucht es mit guten Taten. Er bringt verirrte Wanderer wohlbehalten nach Hause, und übergibt der Tochter obendrein ein Säckel, das ein Vermögen ent- hält.
Doch das Geld bringt Anne kein Glück, denn ihr Vater hält sich nun für einen reichen Mann, und will die Tochter mit dem Geldgeber verheiraten. Anne ist aber bereits verlobt – und gelobt ihrem Heinrich ewige Treue. Rübezahl hat alle Hände voll zu tun, die Verwicklungen zu lösen, die sich daraus ergeben. Und natürlich geht am Ende die Geschichte, die Franz Ignaz Danzi (1763 bis 1826) in seiner Oper Der Berggeist erzählt, gut aus.
Danzi wuchs in Mannheim auf. Seine Ausbildung erhielt er durch den Vater, einen exzellenten Cellisten, und durch den berühmten Abbé Vogler. Als die kurfürstliche Hofkapelle nach München umzog, blieb er zunächst in Mannheim. 1784 wurde er in München Nachfolger seines Vaters in der Position des Solo-Cellisten, später stieg er zum Vize-Kapellmeister auf. Nach einer Zwischenstation in Stuttgart wirkte er ab 1812 als Hofkapell- meister in Karlsruhe.
Auch wenn Danzi heute in erster Linie für seine Instrumentalmusik bekannt ist, war er doch der Oper sehr zugetan und auch ein passionierter Opernkomponist. Der Berggeist oder Schicksal und Treue wurde 1813 im Hoftheater Karlsruhe uraufgeführt. Danzi selbst nannte das Werk eine romantische Oper; allerdings ist diese, anders als beispielsweise Der Freischütz von Carl Maria von Weber, eher durch Ensembleszenen geprägt als durch Arien. Das Übersinnliche ist stets präsent. Und Danzi lässt seine Geister gern dramatisch vom Orchester umwittern, das, bei allen lieblichen Melodien, hier doch eher Farbe liefert.
Frieder Bernius hat mit Kammerchor und Hofkapelle Stuttgart dieses Opus aus dem Archivstaub erweckt und sich an die Weltersteinspielung gewagt. Die Rollen – und das sind ziemlich viele! – sind solide mit jungen Sängern besetzt, darunter mit Vincent Frisch sogar ein Knabensopran. Fürs heutige Theater wäre die Oper eher nichts, fürchte ich – aber musikhistorisch bedeutsam ist das Werk ohne Zweifel.
Doch das Geld bringt Anne kein Glück, denn ihr Vater hält sich nun für einen reichen Mann, und will die Tochter mit dem Geldgeber verheiraten. Anne ist aber bereits verlobt – und gelobt ihrem Heinrich ewige Treue. Rübezahl hat alle Hände voll zu tun, die Verwicklungen zu lösen, die sich daraus ergeben. Und natürlich geht am Ende die Geschichte, die Franz Ignaz Danzi (1763 bis 1826) in seiner Oper Der Berggeist erzählt, gut aus.
Danzi wuchs in Mannheim auf. Seine Ausbildung erhielt er durch den Vater, einen exzellenten Cellisten, und durch den berühmten Abbé Vogler. Als die kurfürstliche Hofkapelle nach München umzog, blieb er zunächst in Mannheim. 1784 wurde er in München Nachfolger seines Vaters in der Position des Solo-Cellisten, später stieg er zum Vize-Kapellmeister auf. Nach einer Zwischenstation in Stuttgart wirkte er ab 1812 als Hofkapell- meister in Karlsruhe.
Auch wenn Danzi heute in erster Linie für seine Instrumentalmusik bekannt ist, war er doch der Oper sehr zugetan und auch ein passionierter Opernkomponist. Der Berggeist oder Schicksal und Treue wurde 1813 im Hoftheater Karlsruhe uraufgeführt. Danzi selbst nannte das Werk eine romantische Oper; allerdings ist diese, anders als beispielsweise Der Freischütz von Carl Maria von Weber, eher durch Ensembleszenen geprägt als durch Arien. Das Übersinnliche ist stets präsent. Und Danzi lässt seine Geister gern dramatisch vom Orchester umwittern, das, bei allen lieblichen Melodien, hier doch eher Farbe liefert.
Frieder Bernius hat mit Kammerchor und Hofkapelle Stuttgart dieses Opus aus dem Archivstaub erweckt und sich an die Weltersteinspielung gewagt. Die Rollen – und das sind ziemlich viele! – sind solide mit jungen Sängern besetzt, darunter mit Vincent Frisch sogar ein Knabensopran. Fürs heutige Theater wäre die Oper eher nichts, fürchte ich – aber musikhistorisch bedeutsam ist das Werk ohne Zweifel.