Die Orgelkonzerte von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) waren aus der Not geboren: Im Wettbewerb mit der Opera of the Nobility drohte der Opernunter- nehmer 1734 zu unterliegen. Das Publikum blieb aus. In dieser Situation hatte Händel die geniale Idee, den Leuten in den Pausen zur Unterhaltung Konzerte auf der Orgel zu präsentieren. Der Musiker, der als Organist in einem exzellenten Ruf stand, trat damit persönlich gegen Farinelli, den berühmtesten Sänger seiner Zeit, an. Und Händel obsiegte – nach vier Spielzeiten gab das Ensemble der Opera of the Nobility um Nicola Porpora auf.
In späteren Jahrhunderten haben sich etliche Musiker für Händels Orgelkonzerte begeistert. So haben William Thomas Best (1826 bis 1897) und Clément Loret (1833 bis 1909) Bearbeitungen dieser Werke für Orgel solo veröffentlicht. Rudolf Innig stellt auf dieser Doppel-CD eine weitere Version vor. Sie stammt von Samuel de Lange (1840 bis 1911). Der Sohn eines Rotterdamer Organisten studierte in Lemberg Orgel bei dem Liszt-Schüler Alexander Winterberger, und Klavier bei dem Chopin-Schüler Karol Mikuli. Nach einigen Jahren, die er als Virtuose auf Reisen ver- brachte, wirkte er ab 1864 als Organist, zunächst in Rotterdam, dann in Basel, Paris, Köln und Den Haag. Außerdem unterrichtete er Orgelspiel am Konservatorium Stuttgart, das er von 1900 bis 1908 als Direktor leitete. De Lange hat zudem mehr als 800 Kompositionen hinterlassen.
„Samuel de Langes Bearbeitungen der Orgelkonzerte von Händel sind (..) der kühne Versuch, die Musik Händels mit den spiel- und kompositions- technischen Errungenschaften seiner Zeit in Einlang zu bringen“, urteilt Rudolf Innig in einem sehr informativen Aufsatz, den man im Beiheft lesen kann. Der Bielefelder Organist hat für seine Einspielung die Furtwängler & Hammer-Orgel in St. Nicolai Lüneburg aus dem Jahre 1899 ausgewählt. Das Instrument wurde 2002 durch die Firma Orgelbau Lenter restauriert, wobei auch die ursprüngliche pneumatische Traktur wiederhergestellt wurde.
Das Klangbild dieser Orgel passt zu de Langes Händel-Bearbeitungen wirklich gut. Denn bei allem Respekt, mit dem sich der Organist einst dem Werk des „alten Meisters“ gewidmet hat, so ist seine Version doch zutiefst im 19. Jahrhundert verwurzelt. „De Lange erweitert den in der Regel zweistimmigen Orgelpart Händels zu einem vollgriffigen Klaviersatz, er erfindet Neben- und Gegenstimmen (..) und fügt jeweils an den Stellen, bei denen Händel ad libitum schreibt, teils ausgedehnte Kadenzen hinzu (..), in denen sich seine kompositorische Fantasie und seine Virtuosität als Pianist und Organist widerspiegeln“, schreibt Innig. Wer das akzeptieren kann, der wird an dieser fantasievollen Bearbeitung seine Freude haben. Es ist eine echte Entdeckung, die Rudolf Innig hier liebevoll präsentiert – besten Dank zudem an die Soundkünstler von Dabringhaus und Grimm für die ringsum schöne, gelungene Aufnahme.
Sonntag, 28. Februar 2016
Freitag, 26. Februar 2016
Liebe in Variationen - Ragna Schirmer (Berlin Classics)
Liebesbotschaften in Musik zu „verpacken“, das fanden die Romantiker offenbar besonders reizvoll. Ragna Schirmer hat auf dieser CD einige Beispiele dafür zusammengetragen, wie diese spezielle Form der Kommunikation funktionierte. Die Pianistin hatte bereits ihre Diplomarbeit über die Bezüge in den Werken Clara und Robert Schumanns geschrieben.
Anlässlich des 175. Hochzeitstages des wohl bekanntesten Musiker- paares der Romantik – die Schu- manns heirateten am 12. September 1840, einen Tag vor Claras 21. Geburtstag – veröffentlichte sie ihr neues Album „Liebe in Variationen“. Um diese Eheschließung hatte das junge Paar lange ringen müssen. Claras Vater Friedrich Wieck war bekanntlich mit der Beziehung gar nicht einverstanden; als er feststellte, dass sich seine Tochter und sein Klavierschüler verliebt hatten, setzte er alles daran, das Paar zu trennen und jeglichen Kontakt zu unterbinden.
In ihrer Musik aber teilten sich die beiden mit, das war nicht zu verhin- dern. So hatte Clara schon 1833 über ein Thema Robert Schumanns ihre Romance variée op. 3, komponiert, die sie ihrem späteren Ehemann widmete. Ausgehend von diesem Werk, zitierte sich das Paar auch in zwei weiteren Musikstücken: In seinen Impromptus über eine Romanze von Clara Wieck op. 5, die Robert Schumann im selben Jahr schrieb, verwendete er das Thema ebenfalls. 1850 überarbeitete er dieses Werk zu einer zweiten Fassung. 1853 ließ dann Clara Schumann das Thema aus ihrer Jugend erneut erklingen, und zwar in ihren Variationen für das Pianoforte op. 20 – eine Liebesbotschaft an ihren Mann, der zu diesem Zeitpunkt gerade eingestehen musste, dass er auf dem Posten des städtischen Musikdirektors in Düsseldorf gescheitert war.
„Dass sich der Kreis der Zitierenden nun um einen weiteren Komponisten erweitert, hat mich als Künstlerin besonders gereizt, und ich wollte die vier Werke unbedingt nebeneinanderstellen“, schreibt Ragna Schirmer im Beiheft zu ihrer CD: „1854, also ein Jahr nach den Variationen op. 20 von Clara Schumann, schreibt Johannes Brahms nicht nur Variationen über dasselbe Thema aus dem Albumblatt von Robert Schumann, sondern er fügt – ebenso in einer Mittelstimme – das Romanzenthema in einer nachträglich eingefügten Variation ein. (..) Zusätzlich gibt sich Brahms sogar dem von Schumann vorgestellten Buchstabenspiel hin, indem er einige Variationen mit ,B' für Brahms und einige mit ,Kr' für Kreisler unterzeichnet. Für mich gehören die Variationen op. 9 zu den persön- lichsten und innigsten Werken von Johannes Brahms.“ Als Brahms diese Musik schrieb, befand sich Robert Schumann allerdings bereits in der Nervenheilanstalt in Bonn-Endenich. Er beschäftigte sich intensiv mit diesem Werk, wie man seinen Briefen entnehmen kann, aber er erkannte die Zitate nicht mehr.
„Es ist mir als Pianistin ein Herzensbedürfnis, diese vier so besonders miteinander verwandten und leider selten gespielten Werke vorzu- stellen“, unterstreicht Schirmer. „Die Überlegung, dass für diese Liebesbotschaften gerade die Zwischentöne, die Mittelstimmen, eine exponierte Rolle spielen, brachte mich auf den Gedanken, ein historisches Instrument zu wählen. Zu Schumanns Zeiten klangen Klaviere und Flügel sehr viel kompakter, die Mittellage war voller als Diskant und Bass, und so war die Polyphonie breitgefächert hörbar.“ Die Pianistin entschied sich daher für einen Blüthner-Flügel aus dem Jahre 1856, der sich im Original- zustand befindet. „Man kann also davon ausgehen, dass das Klang- spektrum dieses Instruments dem entspricht, was Clara, Robert und Johannes gehört haben“, meint Ragna Schirmer. Auch die leichtgängige Mechanik habe es ihr erleichtert, sich der Spielweise jener Jahre anzu- nähern.
Die Pianistin hat alle Stücke mit Sorgfalt und sehr individuell ausgearbei- tet. Ragna Schirmer musiziert differenziert, farbenreich und mit wunderbar kultiviertem Anschlag. Jeder Ton sitzt. Und vielleicht gelingt es der Musikerin tatsächlich, die vier Werke zumindest ein wenig von ihrem Mauerblümchen-Dasein zu erlösen. Insbesondere die Brahms-Variationen sind tatsächlich ein starkes Stück; für mich sind sie der klare Favorit in diesem Zitate-Kleeblatt. Erinnert die frühe Romance von Clara Wieck noch stark an die gängige Virtuosenliteratur jener Zeit, so wirken die Variatio- nen op. 20 kraftvoll, souverän und kühn. Unwillkürlich fragt man sich: Wieviel Zeit mag Clara, mit ihren vielen Kindern, dem Haushalt und ihren Klavierschülern, wohl zum Komponieren gehabt haben?
Anlässlich des 175. Hochzeitstages des wohl bekanntesten Musiker- paares der Romantik – die Schu- manns heirateten am 12. September 1840, einen Tag vor Claras 21. Geburtstag – veröffentlichte sie ihr neues Album „Liebe in Variationen“. Um diese Eheschließung hatte das junge Paar lange ringen müssen. Claras Vater Friedrich Wieck war bekanntlich mit der Beziehung gar nicht einverstanden; als er feststellte, dass sich seine Tochter und sein Klavierschüler verliebt hatten, setzte er alles daran, das Paar zu trennen und jeglichen Kontakt zu unterbinden.
In ihrer Musik aber teilten sich die beiden mit, das war nicht zu verhin- dern. So hatte Clara schon 1833 über ein Thema Robert Schumanns ihre Romance variée op. 3, komponiert, die sie ihrem späteren Ehemann widmete. Ausgehend von diesem Werk, zitierte sich das Paar auch in zwei weiteren Musikstücken: In seinen Impromptus über eine Romanze von Clara Wieck op. 5, die Robert Schumann im selben Jahr schrieb, verwendete er das Thema ebenfalls. 1850 überarbeitete er dieses Werk zu einer zweiten Fassung. 1853 ließ dann Clara Schumann das Thema aus ihrer Jugend erneut erklingen, und zwar in ihren Variationen für das Pianoforte op. 20 – eine Liebesbotschaft an ihren Mann, der zu diesem Zeitpunkt gerade eingestehen musste, dass er auf dem Posten des städtischen Musikdirektors in Düsseldorf gescheitert war.
„Dass sich der Kreis der Zitierenden nun um einen weiteren Komponisten erweitert, hat mich als Künstlerin besonders gereizt, und ich wollte die vier Werke unbedingt nebeneinanderstellen“, schreibt Ragna Schirmer im Beiheft zu ihrer CD: „1854, also ein Jahr nach den Variationen op. 20 von Clara Schumann, schreibt Johannes Brahms nicht nur Variationen über dasselbe Thema aus dem Albumblatt von Robert Schumann, sondern er fügt – ebenso in einer Mittelstimme – das Romanzenthema in einer nachträglich eingefügten Variation ein. (..) Zusätzlich gibt sich Brahms sogar dem von Schumann vorgestellten Buchstabenspiel hin, indem er einige Variationen mit ,B' für Brahms und einige mit ,Kr' für Kreisler unterzeichnet. Für mich gehören die Variationen op. 9 zu den persön- lichsten und innigsten Werken von Johannes Brahms.“ Als Brahms diese Musik schrieb, befand sich Robert Schumann allerdings bereits in der Nervenheilanstalt in Bonn-Endenich. Er beschäftigte sich intensiv mit diesem Werk, wie man seinen Briefen entnehmen kann, aber er erkannte die Zitate nicht mehr.
„Es ist mir als Pianistin ein Herzensbedürfnis, diese vier so besonders miteinander verwandten und leider selten gespielten Werke vorzu- stellen“, unterstreicht Schirmer. „Die Überlegung, dass für diese Liebesbotschaften gerade die Zwischentöne, die Mittelstimmen, eine exponierte Rolle spielen, brachte mich auf den Gedanken, ein historisches Instrument zu wählen. Zu Schumanns Zeiten klangen Klaviere und Flügel sehr viel kompakter, die Mittellage war voller als Diskant und Bass, und so war die Polyphonie breitgefächert hörbar.“ Die Pianistin entschied sich daher für einen Blüthner-Flügel aus dem Jahre 1856, der sich im Original- zustand befindet. „Man kann also davon ausgehen, dass das Klang- spektrum dieses Instruments dem entspricht, was Clara, Robert und Johannes gehört haben“, meint Ragna Schirmer. Auch die leichtgängige Mechanik habe es ihr erleichtert, sich der Spielweise jener Jahre anzu- nähern.
Die Pianistin hat alle Stücke mit Sorgfalt und sehr individuell ausgearbei- tet. Ragna Schirmer musiziert differenziert, farbenreich und mit wunderbar kultiviertem Anschlag. Jeder Ton sitzt. Und vielleicht gelingt es der Musikerin tatsächlich, die vier Werke zumindest ein wenig von ihrem Mauerblümchen-Dasein zu erlösen. Insbesondere die Brahms-Variationen sind tatsächlich ein starkes Stück; für mich sind sie der klare Favorit in diesem Zitate-Kleeblatt. Erinnert die frühe Romance von Clara Wieck noch stark an die gängige Virtuosenliteratur jener Zeit, so wirken die Variatio- nen op. 20 kraftvoll, souverän und kühn. Unwillkürlich fragt man sich: Wieviel Zeit mag Clara, mit ihren vielen Kindern, dem Haushalt und ihren Klavierschülern, wohl zum Komponieren gehabt haben?
Dienstag, 23. Februar 2016
Max Emanuel Cencic - Arie Napoletane (Decca)
Arien der neapolitanischen Schule präsentiert Max Emanuel Cencic auf seinem neuen Solo-Album bei dem Label Decca. Der Countertenor singt Werke von Alessandro Scarlatti, Nicola Porpora, Leonardo Leo, Leo- nardo Vinci und Giovanni Battista Pergolesi. Dabei wird er vom Ensemble Il Pomo d'Oro unter Leitung von Maxim Emelyanychev ebenso präzise wie temperamentvoll begleitet.
Ein ganz erheblicher Anteil dieser Stücke, die ursprünglich für Kastraten komponiert worden sind, ist auf dieser CD in Weltersteinspielung zu hören. In den Koloraturen erscheint die Stimme von Cencic mittlerweile fast ein wenig zu schwer und zu dramatisch; dafür kann er in den lyrischen Stücken mit rundem Klang, perfekter Phrasierung und souveräner Gestaltung beeindrucken.
Und als Zugabe bieten auch die Musiker eine Weltpremiere: Das Cembalo- konzert in D-Dur von Domenico Auletta (1723 bis 1753), das Solo über- nimmt Maxim Emelyanychev. Man lauscht erstaunt – aber dieses Werk klingt schon sehr nach Klassik.
Ein ganz erheblicher Anteil dieser Stücke, die ursprünglich für Kastraten komponiert worden sind, ist auf dieser CD in Weltersteinspielung zu hören. In den Koloraturen erscheint die Stimme von Cencic mittlerweile fast ein wenig zu schwer und zu dramatisch; dafür kann er in den lyrischen Stücken mit rundem Klang, perfekter Phrasierung und souveräner Gestaltung beeindrucken.
Und als Zugabe bieten auch die Musiker eine Weltpremiere: Das Cembalo- konzert in D-Dur von Domenico Auletta (1723 bis 1753), das Solo über- nimmt Maxim Emelyanychev. Man lauscht erstaunt – aber dieses Werk klingt schon sehr nach Klassik.
Montag, 22. Februar 2016
Buxtehude: The Complete Organ Works (Dacapo)
Eine exzellente Gesamtaufnahme der Orgelmusik von Dieterich Buxtehude (1637 bis 1707) hat das dänische Label Dacapo Records auf den Markt gebracht. Die Box bündelt sechs CD, die bereits separat erhältlich waren: Organistin Bine Bryndorf hat die Orgelwerke in den Jahren 2002 bis 2007 auf fünf histori- schen Orgeln rund um die Ostsee eingespielt.
Für diese Aufnahmen hat sie Instrumente ausgewählt, die einen Bezug zum Lebens- weg ihres berühmten Kollegen haben: An der Kirche St. Maria in Helsingborg, damals dänisch, heute schwedisch, war Buxtehudes Vater Johann Organist, und später begann der junge Dieterich Buxtehude dort seine Musikerlaufbahn. Das Instrument, das sich heute dort befindet, wurde in den Jahren 1997 bis 2000 durch den schwedischen Orgelbauer Robert Gustavsson aus Härnösand nach einem Konzept von Mads Kjersgaard geschaffen. Es ist ein neues Instrument im Stil der Buxtehude-Zeit.
Von Helsingborg aus wechselte Buxtehude einst an die Marienkirche Helsingör. Die Orgel dort wurde um 1640 von dem sächsischen Orgelbauer Johan Lorentz angefertigt und, während Buxtehude dort Organist war, durch Hans Christoph Fritzsche umgebaut. Dieses Instrument ist nicht erhalten; die Orgel, die sich heute in dem historischen Gehäuse befindet, hat das Unternehmen Marcussen & Son 1997 im Stil einer dänischen Orgel von 1650 neu gebaut. Zu hören sind zudem die Düben-Orgel der Deutschen Kirche St. Gertrud in Stockholm, rekonstruiert 2004 durch Grönlunds Orgelbyggeri Gammelstad/Schweden, die Arp-Schnitger-Orgel der Kirche St. Jacobi zu Hamburg, und die Stellwagen-Orgel der Kirche St. Jakobi zu Lübeck. Dort spielte Bryndorf auch ein Orgelpositiv von 1673. Es stammte aus der Werkstatt des Hamburger Orgelbauers Jochim Richborn; aller- dings war das eigentliche Instrument seit dem 19. Jahrhundert verloren und nur das Gehäuse erhalten. Die kleine Orgel wurde 2003 durch Mads Kjersgaard nach historischem Vorbild neu zum Leben erweckt.
Dass diese Aufnahmen seinerzeit von der Kritik hoch gelobt worden sind, verwundert nicht. Bryndorf spielt wirklich bewundernswert, und registriert eher zurückhaltend. Klar strukturiert und gut durchdacht, bringt sie Buxte- hudes Musik hervorragend zur Geltung – diese Box bietet ganz eindeutig eine der besten Gesamteinspielungen von Buxtehudes Orgelwerk, die derzeit zu bekommen sind.
Für diese Aufnahmen hat sie Instrumente ausgewählt, die einen Bezug zum Lebens- weg ihres berühmten Kollegen haben: An der Kirche St. Maria in Helsingborg, damals dänisch, heute schwedisch, war Buxtehudes Vater Johann Organist, und später begann der junge Dieterich Buxtehude dort seine Musikerlaufbahn. Das Instrument, das sich heute dort befindet, wurde in den Jahren 1997 bis 2000 durch den schwedischen Orgelbauer Robert Gustavsson aus Härnösand nach einem Konzept von Mads Kjersgaard geschaffen. Es ist ein neues Instrument im Stil der Buxtehude-Zeit.
Von Helsingborg aus wechselte Buxtehude einst an die Marienkirche Helsingör. Die Orgel dort wurde um 1640 von dem sächsischen Orgelbauer Johan Lorentz angefertigt und, während Buxtehude dort Organist war, durch Hans Christoph Fritzsche umgebaut. Dieses Instrument ist nicht erhalten; die Orgel, die sich heute in dem historischen Gehäuse befindet, hat das Unternehmen Marcussen & Son 1997 im Stil einer dänischen Orgel von 1650 neu gebaut. Zu hören sind zudem die Düben-Orgel der Deutschen Kirche St. Gertrud in Stockholm, rekonstruiert 2004 durch Grönlunds Orgelbyggeri Gammelstad/Schweden, die Arp-Schnitger-Orgel der Kirche St. Jacobi zu Hamburg, und die Stellwagen-Orgel der Kirche St. Jakobi zu Lübeck. Dort spielte Bryndorf auch ein Orgelpositiv von 1673. Es stammte aus der Werkstatt des Hamburger Orgelbauers Jochim Richborn; aller- dings war das eigentliche Instrument seit dem 19. Jahrhundert verloren und nur das Gehäuse erhalten. Die kleine Orgel wurde 2003 durch Mads Kjersgaard nach historischem Vorbild neu zum Leben erweckt.
Dass diese Aufnahmen seinerzeit von der Kritik hoch gelobt worden sind, verwundert nicht. Bryndorf spielt wirklich bewundernswert, und registriert eher zurückhaltend. Klar strukturiert und gut durchdacht, bringt sie Buxte- hudes Musik hervorragend zur Geltung – diese Box bietet ganz eindeutig eine der besten Gesamteinspielungen von Buxtehudes Orgelwerk, die derzeit zu bekommen sind.
Muffat: Florilegium Primum 1695 (Challenge Classics)
Das Ensemble Salzburg Barock ist der historischen Aufführungspraxis verpflichtet und widmet sich der Wiederentdeckung musikalischer Schätze aus der reichen Tradition Salzburgs sowie der Kammermusik des 17. Jahrhunderts. Es wurde 1999 von dem Geiger Jochen Grüner in Bremen gegründet, hat aber mittler- weile seinen Sitz in Österreich. Die Musiker waren bereits an etlichen Einspielungen bei dem Label cpo beteiligt. Angekündigt ist nun eine größer angelegte CD-Veröffentli- chung bei Challenge Records mit süddeutscher Barockmusik des 17. Jahrhunderts, nebst musikwissen- schaftlicher Edition.
Die erste Aufnahme des Ensembles für Challenge Classics galt nun dem Florilegium Primum von Georg Muffat ( 1653 bis 1704) aus dem Jahre 1695. Mit diesem Opus, das fünfzig einzelne „Blumen“ – überwiegend Tanzsätze – in sieben Suiten bündelt, den Fasciculi, bedankt sich der Komponist nach seinem Wechsel von Salzburg nach Passau bei seinem neuen Dienstherrn, Fürstbischof Johann Philipp von Lamberg. Dieser habe durch seine „sothane Gnadenreiche erwärm- und Befeuchtigung so viel reiffende Krafft disen Blumen mitgetheilet, daß sie durch häufige Vermehrung zu Büschlein erwachsen, und zu einem Bund worden seyn.“
Kathrin Tröger und Jochen Grüner, Violine, Clarissa Miller und Lothar Haass, Viola, Günter Holzhausen, Violone und Veronika Braß, Cembalo, präsentieren die Suiten, die hörbar französischer Tradition entstammen, versiert, aber mit erstaunlich breitem Strich. Ein bisschen mehr Esprit und deutlich mehr Mut zum Rhythmus könnten sie meiner Ansicht nach schon vertragen.
Die erste Aufnahme des Ensembles für Challenge Classics galt nun dem Florilegium Primum von Georg Muffat ( 1653 bis 1704) aus dem Jahre 1695. Mit diesem Opus, das fünfzig einzelne „Blumen“ – überwiegend Tanzsätze – in sieben Suiten bündelt, den Fasciculi, bedankt sich der Komponist nach seinem Wechsel von Salzburg nach Passau bei seinem neuen Dienstherrn, Fürstbischof Johann Philipp von Lamberg. Dieser habe durch seine „sothane Gnadenreiche erwärm- und Befeuchtigung so viel reiffende Krafft disen Blumen mitgetheilet, daß sie durch häufige Vermehrung zu Büschlein erwachsen, und zu einem Bund worden seyn.“
Kathrin Tröger und Jochen Grüner, Violine, Clarissa Miller und Lothar Haass, Viola, Günter Holzhausen, Violone und Veronika Braß, Cembalo, präsentieren die Suiten, die hörbar französischer Tradition entstammen, versiert, aber mit erstaunlich breitem Strich. Ein bisschen mehr Esprit und deutlich mehr Mut zum Rhythmus könnten sie meiner Ansicht nach schon vertragen.
Sonntag, 21. Februar 2016
Heinichen: Italian Cantatas & Concertos (Accent)
Nicht nur Musiker, auch den Adel zog es einst aus deutschen Landen nach Italien. Mitunter kam es so zu über- raschenden Begegnungen. So traf im Jahre 1716 der sächsische Kurprinz Friedrich August in Venedig auf Johann David Heinichen (1683 bis 1729). Der Sohn eines Pfarrers aus Krössuln bei Weißenfels hatte sechs Jahre lang unter den Kantoren Johann Schelle und Johann Kuhnau an der Leipziger Thomasschule gelernt. Bei Kuhnau nahm Heinichen zusätzlich Privatunterricht im Orgel- und Cembalospiel; gemeinsam mit dem späteren Darmstädter Hofkapellmeister Christoph Graupner wurde er durch Kuhnau zudem im Fach Komposition unterwiesen.
Von 1702 bis 1705 studierte Heinichen dann Jura an der Universität Leipzig, und musizierte in Telemanns studentischem Collegium musicum. Noch als Student bewarb er sich um die Nachfolge Telemanns als Musik- direktor der Neukirche; allerdings erhielt er das Amt nicht; wir wissen jedoch, dass er in den darauffolgenden Jahren etliche Werke für die Leipziger Oper geschrieben hat. Auch im Opernhaus vorm Salztor des Herzogs Moritz Wilhelm zu Sachsen-Zeitz in Naumburg wurden Opern von Heinichen aufgeführt. Als dort aber 1710 der Thronfolger starb, und Landestrauer ausgerufen wurde, entschied sich Heinichen, nach Italien zu reisen.
Er hielt sich einige Zeit in Rom auf, wo er kurzzeitig für Fürst Leopold von Anhalt-Köthen musizierte, Bachs späteren Dienstherrn. Ansonsten scheint Heinichen überwiegend in Venedig gelebt zu haben. Im Karneval 1713 präsentierte er erfolgreich zwei Opern. Immer wieder traf er auch Kollegen wieder, die er bereits aus Leipzig kannte. So war Gottfried Heinrich Stölzel 1713/14 in Venedig, und Johann Georg Pisendel traf 1716 im Gefolge des sächsischen Kurprinzen dort ein.
Friedrich August weilte auf Kavalierstour in Venedig; im Hause der Bankiersgattin Angioletta Bianchi, die eine hervorragende Sängerin und Cembalistin war, hörte der Kurprinz und spätere König August III. einige Kantaten Heinichens – und engagierte den Musiker umgehend als Kapellmeister auf Lebenszeit. Eigens dafür holte er aus der Heimat die Zustimmung seines Vaters August der Starke ein.
Heinichen revanchierte sich mit diversen musikalischen Huldigungen, nicht zuletzt an Maria Josepha von Habsburg. Die Gattin des Kurprinzen war Heinichen sehr gewogen. Der Musiker, der leider zunehmend unter der Tuberkulose litt, schuf in den zwölf Lebensjahren, die ihm noch verblieben, neben Musiken für höfische Feste und für den Gottesdienst in der katholi- schen Hofkirche insbesondere auch Kantaten und Instrumentalwerke, die für das intime Musizieren in den Räumen des Kurprinzen-Paares bestimmt waren. Sie sind, gemeinsam mit ähnlichen Werken aus Heinichens Zeit in Venedig, in zwei dicken Sammelbänden überliefert.
Die Batzdorfer Hofkapelle hat nun eine Auswahl dieser kurfürstlichen Privatmusik eingespielt. Die vier Kantaten versetzen den Zuhörer in ein ländliches Idyll, das von Nymphen und Hirten bevölkert wird. Sopranistin Marie Friederike Schröder, leider in den Koloraturen nicht wirklich sattel- fest, und Alto Terry Wey, sehr hörenswert, singen diese Kabinettstückchen höfischen Ziergesanges. Insbesondere der abschließende Dialog zwischen Clori und Tirsi, man hören nur das finale Duetto O mio ben, ist auch in der Instrumentierung von betörender Wirkung.
Neben diesen Gesangsstücken erklingen auch zwei Concerti Heinichens; überliefert sind diese in Abschriften der Darmstädter Hofkapelle. Die kurzen Werke geben den Instrumentalsolisten, hier sind es Geige und Oboe, Gelegenheit, sowohl mit virtuosen Passagen als auch mit schönen Tönen zu glänzen. Die Soli spielen Daniel Deuter, Violine, bzw. Xenia Löffler, Oboe. Die gesamte Batzdorfer Hofkapelle zeigt sich einmal mehr in Hochform und bester Spiellaune – aus einem regionalen Projekt ist mittlerweile ohne Zweifel ein Spitzenensemble von europäischem Format herangewachsen. Bravi!
Von 1702 bis 1705 studierte Heinichen dann Jura an der Universität Leipzig, und musizierte in Telemanns studentischem Collegium musicum. Noch als Student bewarb er sich um die Nachfolge Telemanns als Musik- direktor der Neukirche; allerdings erhielt er das Amt nicht; wir wissen jedoch, dass er in den darauffolgenden Jahren etliche Werke für die Leipziger Oper geschrieben hat. Auch im Opernhaus vorm Salztor des Herzogs Moritz Wilhelm zu Sachsen-Zeitz in Naumburg wurden Opern von Heinichen aufgeführt. Als dort aber 1710 der Thronfolger starb, und Landestrauer ausgerufen wurde, entschied sich Heinichen, nach Italien zu reisen.
Er hielt sich einige Zeit in Rom auf, wo er kurzzeitig für Fürst Leopold von Anhalt-Köthen musizierte, Bachs späteren Dienstherrn. Ansonsten scheint Heinichen überwiegend in Venedig gelebt zu haben. Im Karneval 1713 präsentierte er erfolgreich zwei Opern. Immer wieder traf er auch Kollegen wieder, die er bereits aus Leipzig kannte. So war Gottfried Heinrich Stölzel 1713/14 in Venedig, und Johann Georg Pisendel traf 1716 im Gefolge des sächsischen Kurprinzen dort ein.
Friedrich August weilte auf Kavalierstour in Venedig; im Hause der Bankiersgattin Angioletta Bianchi, die eine hervorragende Sängerin und Cembalistin war, hörte der Kurprinz und spätere König August III. einige Kantaten Heinichens – und engagierte den Musiker umgehend als Kapellmeister auf Lebenszeit. Eigens dafür holte er aus der Heimat die Zustimmung seines Vaters August der Starke ein.
Heinichen revanchierte sich mit diversen musikalischen Huldigungen, nicht zuletzt an Maria Josepha von Habsburg. Die Gattin des Kurprinzen war Heinichen sehr gewogen. Der Musiker, der leider zunehmend unter der Tuberkulose litt, schuf in den zwölf Lebensjahren, die ihm noch verblieben, neben Musiken für höfische Feste und für den Gottesdienst in der katholi- schen Hofkirche insbesondere auch Kantaten und Instrumentalwerke, die für das intime Musizieren in den Räumen des Kurprinzen-Paares bestimmt waren. Sie sind, gemeinsam mit ähnlichen Werken aus Heinichens Zeit in Venedig, in zwei dicken Sammelbänden überliefert.
Die Batzdorfer Hofkapelle hat nun eine Auswahl dieser kurfürstlichen Privatmusik eingespielt. Die vier Kantaten versetzen den Zuhörer in ein ländliches Idyll, das von Nymphen und Hirten bevölkert wird. Sopranistin Marie Friederike Schröder, leider in den Koloraturen nicht wirklich sattel- fest, und Alto Terry Wey, sehr hörenswert, singen diese Kabinettstückchen höfischen Ziergesanges. Insbesondere der abschließende Dialog zwischen Clori und Tirsi, man hören nur das finale Duetto O mio ben, ist auch in der Instrumentierung von betörender Wirkung.
Neben diesen Gesangsstücken erklingen auch zwei Concerti Heinichens; überliefert sind diese in Abschriften der Darmstädter Hofkapelle. Die kurzen Werke geben den Instrumentalsolisten, hier sind es Geige und Oboe, Gelegenheit, sowohl mit virtuosen Passagen als auch mit schönen Tönen zu glänzen. Die Soli spielen Daniel Deuter, Violine, bzw. Xenia Löffler, Oboe. Die gesamte Batzdorfer Hofkapelle zeigt sich einmal mehr in Hochform und bester Spiellaune – aus einem regionalen Projekt ist mittlerweile ohne Zweifel ein Spitzenensemble von europäischem Format herangewachsen. Bravi!
Samstag, 20. Februar 2016
Rota: Clarinet Sonata - Clarinet Trio (Naxos)
Nino Rota (1911 bis 1979) ist bekannt als Komponist von Filmmusik. Er arbeitet unter anderem mit Federico Fellini zusammen, mit Francis Ford Coppola („Der Pate“) und mit Luchino Visconti. Doch er hat auch Opern geschrieben, Konzerte, Sinfonien, Chorwerke und jede Menge Kammermusik. Dass diese ebenso hörenswert sind wie seine brillanten Filmmusiken, zeigt diese CD: Goran Gojevic, Klarinette, Lynn Kuo, Violine, Winona Zelenka, Violoncello, Michael Sweeney, Fagott und Mary Kenedi am Klavier haben eine spannende Auswahl an Kammermusik dafür zusammengestellt. Sie reicht vom Trio für Klarinette, Cello und Klavier (1973) über das Improvviso in d-Moll für Violine und Klavier (1947), die Toccata für Fagott und Klavier (1974) und die Sonate in D-Dur für Klarinette und Klavier (1945) bis zur Fantasie in G-Dur für Klavier (1945).
Trombone Attraction - Zug um Zug (Preiser Records)
„Zug um Zug“ lautet das Motto der Debüt-CD von Martin Riener, Christian Poitinger, Raphael Stieger und Stefan Obmann. Die vier Österreicher spielen Posaune – und wie! Auf dieser CD demonstrieren sie sowohl enorme Virtuosität als auch hörbare Freude am Musizieren in diesem Ensemble. Mit Witz, Charme und auch ein wenig Selbstironie prä- sentiert das Quartett ein Programm, das von Michael Praetorius‘ Französischen Tänzen bis hin zu Take Five und von Mancinis Pink Panther bis hin zu Rossinis Wilhelm Tell reicht. Die Arrangements sind sehr anspruchsvoll – Trombone Attraction ist wirklich eine Attraktion, und mittlerweile sind bereits zwei Nachfolge-Alben auf dem Markt. Anhören lohnt, unbedingt!
Donnerstag, 18. Februar 2016
Tchaikovsky: Violin Concerto; Stravinsky: Les Noces (Sony)
Diese Aufnahme habe ich etliche Male angehört – und ich verstehe immer noch nicht, warum Patricia Kopatchinskaja das Violinkonzert von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840 bis 1893) spielt.
„You know, for a long time the Tchaikovsky Concerto was alien to me. To my ears it didn't have any music relevant to our time. Need- lessly masticated by anyone no too lazy to practice, misappropriated for exercises in digital dexterity, spat out in competitions. Moronic violinism, that's what I thought of it“, schreibt die Geigerin im Beiheft zu dieser CD.
Zur Erinnerung: Es ist dieses Konzert, das den Wiener Kritiker Eduard Hanslick einst bescheinigte, es bewege sich eine Weile „maßvoll, musi- kalisch und nicht ohne Geist, bald aber gewinnt die Rohheit Oberhand und behauptet sich bis ans Ende des ersten Satzes. Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebläut.“ Genau so spielt Kopatchinskaja dieses Konzert; sie vermeidet scheu romantische Kantilene und große Bögen, um statt dessen zu zerfetzen, zu schaben und zu kratzen, was der Bogen hergibt. Natürlich kann man Tschaikowski dekonstruieren; man kann ihn musikhistorisch befragen, zergliedern, und spielen, wie man zeitgenössische Musik zu spielen geneigt ist – aber wird das diesem Konzert gerecht?
Im Beiheft liest man einen langen Aufsatz von Patricia Kopatchinskaja in Briefform, in dem sie dieser Musik nachsinnt. Doch die Bilder, die sie hier schildert – man hört sie leider nicht. Auch Teodor Currentzis schreibt einen solchen Brief, viele Worte, sehr blumig und poetisch. Der griechische Dirigent agiert seit einigen Jahren im russischen Perm, und hat diese Aufnahme mit seinem Ensemble Musica Aeterna mitgestaltet. Bislang sind großartige Klänge aus der sibirischen Provinz zu hören gewesen. Das Mozart-Requiem beispielsweise war grandios. Doch mit diesem Tschaikowski-Violinkonzert, eingepackt in soviel Texte, kann ich nichts anfangen.
Warum machen diese Musiker nicht einfach Musik – und akzeptieren dabei, dass Romantik schlicht Romantik ist? Dieses Konzert ist nun einmal Vergangenheit, und wenn man sie in die Zukunft holt, dann sollte man das doch bitte behutsam tun und sehr aufmerksam; vielleicht so, wie man eine wertvolle alte Vase aufstellt, um sie respektvoll zu bewundern. Stellt man sie allzu derb in die Zugluft, dann reisst sie der Wind möglicherweise herunter. Man hat dann die Scherben – aber befriedigt das?
Hanslicks Kritik gipfelte einst in der Feststellung: „Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört.“ Wenn man dem künstlerisch nichts hinzuzufügen hat, dann sollte man es vielleicht einfach lassen.
Für den zweiten Teil der CD wählte Currentzis Les Noces, ein selten zu hörendes Werk von Igor Strawinsky. Das Stück ist besetzt mit einem Sängerquartett, Chor, vier Pianisten und sieben (!) Schlagzeugern. Es schildert eine russische Bauernhochzeit, und wurde als Tanzkantate komponiert, als Ballettmusik. Gewidmet ist es Serge Diaghilev, der es 1923 in Paris mit seinen Ballets Russes uraufgeführt hat. Und dieser Teil der CD ist dann wirklich gelungen.
„You know, for a long time the Tchaikovsky Concerto was alien to me. To my ears it didn't have any music relevant to our time. Need- lessly masticated by anyone no too lazy to practice, misappropriated for exercises in digital dexterity, spat out in competitions. Moronic violinism, that's what I thought of it“, schreibt die Geigerin im Beiheft zu dieser CD.
Zur Erinnerung: Es ist dieses Konzert, das den Wiener Kritiker Eduard Hanslick einst bescheinigte, es bewege sich eine Weile „maßvoll, musi- kalisch und nicht ohne Geist, bald aber gewinnt die Rohheit Oberhand und behauptet sich bis ans Ende des ersten Satzes. Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebläut.“ Genau so spielt Kopatchinskaja dieses Konzert; sie vermeidet scheu romantische Kantilene und große Bögen, um statt dessen zu zerfetzen, zu schaben und zu kratzen, was der Bogen hergibt. Natürlich kann man Tschaikowski dekonstruieren; man kann ihn musikhistorisch befragen, zergliedern, und spielen, wie man zeitgenössische Musik zu spielen geneigt ist – aber wird das diesem Konzert gerecht?
Im Beiheft liest man einen langen Aufsatz von Patricia Kopatchinskaja in Briefform, in dem sie dieser Musik nachsinnt. Doch die Bilder, die sie hier schildert – man hört sie leider nicht. Auch Teodor Currentzis schreibt einen solchen Brief, viele Worte, sehr blumig und poetisch. Der griechische Dirigent agiert seit einigen Jahren im russischen Perm, und hat diese Aufnahme mit seinem Ensemble Musica Aeterna mitgestaltet. Bislang sind großartige Klänge aus der sibirischen Provinz zu hören gewesen. Das Mozart-Requiem beispielsweise war grandios. Doch mit diesem Tschaikowski-Violinkonzert, eingepackt in soviel Texte, kann ich nichts anfangen.
Warum machen diese Musiker nicht einfach Musik – und akzeptieren dabei, dass Romantik schlicht Romantik ist? Dieses Konzert ist nun einmal Vergangenheit, und wenn man sie in die Zukunft holt, dann sollte man das doch bitte behutsam tun und sehr aufmerksam; vielleicht so, wie man eine wertvolle alte Vase aufstellt, um sie respektvoll zu bewundern. Stellt man sie allzu derb in die Zugluft, dann reisst sie der Wind möglicherweise herunter. Man hat dann die Scherben – aber befriedigt das?
Hanslicks Kritik gipfelte einst in der Feststellung: „Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört.“ Wenn man dem künstlerisch nichts hinzuzufügen hat, dann sollte man es vielleicht einfach lassen.
Für den zweiten Teil der CD wählte Currentzis Les Noces, ein selten zu hörendes Werk von Igor Strawinsky. Das Stück ist besetzt mit einem Sängerquartett, Chor, vier Pianisten und sieben (!) Schlagzeugern. Es schildert eine russische Bauernhochzeit, und wurde als Tanzkantate komponiert, als Ballettmusik. Gewidmet ist es Serge Diaghilev, der es 1923 in Paris mit seinen Ballets Russes uraufgeführt hat. Und dieser Teil der CD ist dann wirklich gelungen.
Neeme Järvi conducts Offenbach (Chandos)
Dass die Musik von Jacques Offen- bach noch immer einer Wiederent- deckung harrt, macht Orchester- zauberer Neeme Järvi auf dieser CD gemeinsam mit dem Orchestre de la Suisse Romande deutlich. Jakob Offenbach (1819 bis 1880) war der Sohn eines jüdischen Kantors und stammte aus Köln. Sein Vater brachte ihm bei, Geige und Violoncello zu spielen – und zwar so gut, dass bereits 1833 Luigi Cherubini den Filius als Schüler am Pariser Kon- servatorium akzeptierte. Offenbach blieb auch nach dem Abbruch seines Studiums in Frankreich. Er änderte seinen Namen, aus Jakob wurde Jacques, und musizierte in diversen Boulevardtheatern sowie an der Opéra-Comique; als Cellovirtuose war er sehr erfolgreich.
Doch den Musiker zog es zur Bühne. 1849 wurde er Dirigent am Théâtre français, für das er auch Bühnenmusiken komponierte. 1855, zur Welt- ausstellung, eröffnete er schließlich eine eigene Spielstätte, das Théâtre des Bouffes-Parisiens. Dort stellte er zunächst Einakter in kleiner Besetzung vor, bis schließlich 1858 Orphée aux enfers, Orpheus in der Unterwelt, jene lange Reihe satirischer Stücke eröffnete, mit denen Offenbach berühmt werden sollte. Mit spitzer Feder und treffsicherem musikalischen Spott unterhielt er das Publikum.
Allerdings galten in Wien, wo seine Spöttereien gern nachgespielt wurden, etwas andere Sitten. Offenbach arbeitete mit einem eher kleinen Orchester, was den Wienern nicht süffig genug klang, und seine Ouvertüren waren kurz und knackig – für Wiener Verhältnisse ganz entschieden zu kurz, so dass seine Musik für Aufführungen außerhalb von Frankreich oftmals von geschickten Arrangeuren bearbeitet und erweitert wurde.
Man wird es Neeme Järvi gern verzeihen, dass er für diese Einspielung in der Regel die opulentere Version ausgewählt hat. Das Label Chandos begeistert zusätzlich durch eine hervorragende Aufnahmequalität. Offen- bachs witzige Musik würde man ohnehin gern öfters hören – denn seine frechen Satiren sind längst nicht so verstaubt, wie ihr Alter vermuten lässt.
Doch den Musiker zog es zur Bühne. 1849 wurde er Dirigent am Théâtre français, für das er auch Bühnenmusiken komponierte. 1855, zur Welt- ausstellung, eröffnete er schließlich eine eigene Spielstätte, das Théâtre des Bouffes-Parisiens. Dort stellte er zunächst Einakter in kleiner Besetzung vor, bis schließlich 1858 Orphée aux enfers, Orpheus in der Unterwelt, jene lange Reihe satirischer Stücke eröffnete, mit denen Offenbach berühmt werden sollte. Mit spitzer Feder und treffsicherem musikalischen Spott unterhielt er das Publikum.
Allerdings galten in Wien, wo seine Spöttereien gern nachgespielt wurden, etwas andere Sitten. Offenbach arbeitete mit einem eher kleinen Orchester, was den Wienern nicht süffig genug klang, und seine Ouvertüren waren kurz und knackig – für Wiener Verhältnisse ganz entschieden zu kurz, so dass seine Musik für Aufführungen außerhalb von Frankreich oftmals von geschickten Arrangeuren bearbeitet und erweitert wurde.
Man wird es Neeme Järvi gern verzeihen, dass er für diese Einspielung in der Regel die opulentere Version ausgewählt hat. Das Label Chandos begeistert zusätzlich durch eine hervorragende Aufnahmequalität. Offen- bachs witzige Musik würde man ohnehin gern öfters hören – denn seine frechen Satiren sind längst nicht so verstaubt, wie ihr Alter vermuten lässt.
Dienstag, 16. Februar 2016
Handel: Complete Harpsichord Music (Brillant Classics)
Eine Anekdote berichtet, Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) habe in Venedig bei einer Maskerade das Cembalo gespielt. Domenico Scarlatti, einer der besten Cemba- listen seiner Zeit, kam dazu – und soll spontan ausgerufen haben, dies müsse entweder der Sachse oder aber der Teufel sein.
Anders aber als Scarlatti, hat Händel nicht gerade viel Musik speziell für das Cembalo komponiert. Dafür sind diese wenigen Werke allerdings von exzellenter Qualität. Virtuose Passagen machen deutlich, dass Händel das Instrument brillant beherrscht haben muss. Bei Brilliant Classics sind nun sämtliche Cembalowerke des Komponisten in einer Box erschienen. Sie fasst zwei Einspielungen zusammen, die beide Standards setzen. Auf vier CD erklingen die Einzelwerke – Präludien, Fugen, Partiten, Sonaten und anderes, vorgetragen von Roberto Loreggian. Der italienische Cembalist und Organist hat bereits die Frescobaldi-Edition des Labels betreut, und auch ansonsten etliche ausgezeichnete Aufnahmen veröffentlicht. Bei den Werken für zwei Cembali musiziert er gemeinsam mit Elisa Fanchini.
Die Suites de pièces pour le clavecin von 1720, HWV 426-433 und 1733, HWV 434-441 sind ebenfalls auf vier CD in einer Aufnahme mit Michael Borgstede aus dem Jahre 2008 enthalten. Sie wurde seinerzeit von der Kritik sehr gefeiert; Fono Forum beispielsweise erklärte sie zur neuen Referenzaufnahme. Dieses Urteil kann ich nur bestätigen - wer diese Musik auf einem Cembalo gespielt hören möchte, dem sei diese Box daher wärmstens empfohlen.
Anders aber als Scarlatti, hat Händel nicht gerade viel Musik speziell für das Cembalo komponiert. Dafür sind diese wenigen Werke allerdings von exzellenter Qualität. Virtuose Passagen machen deutlich, dass Händel das Instrument brillant beherrscht haben muss. Bei Brilliant Classics sind nun sämtliche Cembalowerke des Komponisten in einer Box erschienen. Sie fasst zwei Einspielungen zusammen, die beide Standards setzen. Auf vier CD erklingen die Einzelwerke – Präludien, Fugen, Partiten, Sonaten und anderes, vorgetragen von Roberto Loreggian. Der italienische Cembalist und Organist hat bereits die Frescobaldi-Edition des Labels betreut, und auch ansonsten etliche ausgezeichnete Aufnahmen veröffentlicht. Bei den Werken für zwei Cembali musiziert er gemeinsam mit Elisa Fanchini.
Die Suites de pièces pour le clavecin von 1720, HWV 426-433 und 1733, HWV 434-441 sind ebenfalls auf vier CD in einer Aufnahme mit Michael Borgstede aus dem Jahre 2008 enthalten. Sie wurde seinerzeit von der Kritik sehr gefeiert; Fono Forum beispielsweise erklärte sie zur neuen Referenzaufnahme. Dieses Urteil kann ich nur bestätigen - wer diese Musik auf einem Cembalo gespielt hören möchte, dem sei diese Box daher wärmstens empfohlen.
Jan Lisiecki - Schumann (Deutsche Grammophon)
Jan Lisiecki hat Schumanns Klavierkonzert eingespielt – es erklingt auf der CD in Kombination mit zwei weiteren Stücken, die so gut wie nie zu hören sind: Konzertstück (Introduktion und Allegro appassionato) op. 92 und Konzert-Allegro mit Introduktion op. 134 – letzteres wurde in der 117jährigen Geschichte der Deutschen Grammophon bislang überhaupt noch nicht aufgenommen. Als Zugabe spielt Lisiecki dann eine subtile Träumerei.
„Das starre Konzertsystem von Ouvertüre, Konzert und Symphonie war zu Schumanns Zeit bereits mehr oder weniger fest etabliert“, so Lisiecki, „das ist auch einer der Haupt- gründe, warum die beiden Werke in Vergessenheit gerieten; ganz nebenbei sind sie aber auch sehr schwierig – man muss sehr hart arbeiten, um all diese vielschichtigen und komplizierten Details zu meistern, und es ergibt sich kaum einmal eine Gelegenheit, die Werke mehrfach aufzuführen.“
Entstanden sind Schumanns Werke einst für seine Frau Clara, die bekanntlich eine begnadete Pianistin war. In jeder Rezension ihrer Konzerte werde der Klang hervorgehoben, unterstreicht Lisiecki, „singend und warm, und vor allem darauf kommt es meiner Meinung nach in all diesen drei Stücken auch an. Ich denke, sie besaß auch die Fähigkeit – und das war Schumann wichtig, als er diese Stücke schrieb, vor allem beim Konzert – , sich ins Orchester einzufügen und nicht herauszustechen.“ Nicht das Virtuosenkonzert, das die Brillanz des Pianisten hervorhebt, war das Ziel des Komponisten; Schumann wollte vielmehr, so Lisiecki, „Klavier und Orchester dasselbe Gewicht geben“.
Das „Mitspielen“ mit dem Orchester, das Gestalten eines Soloparts, der mitunter schlicht das Orchester begleitet, ist für einen Pianisten eine anspruchsvolle Aufgabe, betont Lisiecki. Der junge Musiker konzertiert bei dieser Aufnahme gemeinsam mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom unter Antonio Pappano. Er hat damit seine Wunsch- partner zur Verfügung, und der Zuhörer darf sich auf einen anspruchs- vollen musikalischen Dialog freuen.
„Das starre Konzertsystem von Ouvertüre, Konzert und Symphonie war zu Schumanns Zeit bereits mehr oder weniger fest etabliert“, so Lisiecki, „das ist auch einer der Haupt- gründe, warum die beiden Werke in Vergessenheit gerieten; ganz nebenbei sind sie aber auch sehr schwierig – man muss sehr hart arbeiten, um all diese vielschichtigen und komplizierten Details zu meistern, und es ergibt sich kaum einmal eine Gelegenheit, die Werke mehrfach aufzuführen.“
Entstanden sind Schumanns Werke einst für seine Frau Clara, die bekanntlich eine begnadete Pianistin war. In jeder Rezension ihrer Konzerte werde der Klang hervorgehoben, unterstreicht Lisiecki, „singend und warm, und vor allem darauf kommt es meiner Meinung nach in all diesen drei Stücken auch an. Ich denke, sie besaß auch die Fähigkeit – und das war Schumann wichtig, als er diese Stücke schrieb, vor allem beim Konzert – , sich ins Orchester einzufügen und nicht herauszustechen.“ Nicht das Virtuosenkonzert, das die Brillanz des Pianisten hervorhebt, war das Ziel des Komponisten; Schumann wollte vielmehr, so Lisiecki, „Klavier und Orchester dasselbe Gewicht geben“.
Das „Mitspielen“ mit dem Orchester, das Gestalten eines Soloparts, der mitunter schlicht das Orchester begleitet, ist für einen Pianisten eine anspruchsvolle Aufgabe, betont Lisiecki. Der junge Musiker konzertiert bei dieser Aufnahme gemeinsam mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom unter Antonio Pappano. Er hat damit seine Wunsch- partner zur Verfügung, und der Zuhörer darf sich auf einen anspruchs- vollen musikalischen Dialog freuen.
Bach: The Well-Tempered Clavier; Desenclos (Alpha)
Eine berühmte Sammlung, und vier Instrumente – Frédéric Desenclos spielt Bachs Wohltemperirtes Clavier auf der Orgel. Dazu hat er höchst unterschiedliche Instrumente ausgewählt: Die Orgel der Oud Katholieke Kerk La Haye wurde 1726 von Rudolph Garrel gebaut, einem Lehrling von Arp Schnitger. Das Instrument wurde in den 90er Jahren durch die Firma Flentrop rekonstru- iert. Es steht in Kirnberger III-Stimmung. Eine andere Stimmung, Neidhart, hat die Orgel der Grote of Sint-Maartenskerk Zaltbommel. Sie wurde in den Jahren 1783 bis 1786 von Andries Wolfferts errichtet, wobei Pfeifen eines älteren Instrumentes von Matthias Verhofstadt mit verwendet wurden. Diese Orgel ist im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut worden; in den 80er Jahren wurde sie durch den Orgelbauer Blank restauriert.
In der Kirche Notre Dame Saint-Vincent von Lyon befindet sich eine moderne Orgel aus dem Jahre 1994, von Bernard Aubertin und Richard Freytag. Sie wurde nach norddeutschem Vorbild konzipiert und gilt als ideales Instrument, um die Musik Bachs zu spielen. Von süddeutschen Orgeln inspiriert hingegen ist das Instrument, das Rémy Mahler 1999 für die Kirche Saint-Etienne im baskischen Baigorry gebaut hat. Sie ist 1/6 Komma mitteltönig gestimmt.
Desenclos spielt Bachs 48 Präludien und Fugen an diesen vier Orgeln – und gibt dabei eine Lehrstunde in Klangcharakteristika wie in Hörge- wohnheiten. Nicht auf jedem Instrument kommen Bachs berühmte Stücke gleichermaßen zur Geltung. Es ist erstaunlich, wie sehr doch winzige Unterschiede in der Intonation den Gesamtklang beeinflussen. Ob man dazu allerdings eine solche Box veröffentlichen muss, das erscheint mir fraglich.
In der Kirche Notre Dame Saint-Vincent von Lyon befindet sich eine moderne Orgel aus dem Jahre 1994, von Bernard Aubertin und Richard Freytag. Sie wurde nach norddeutschem Vorbild konzipiert und gilt als ideales Instrument, um die Musik Bachs zu spielen. Von süddeutschen Orgeln inspiriert hingegen ist das Instrument, das Rémy Mahler 1999 für die Kirche Saint-Etienne im baskischen Baigorry gebaut hat. Sie ist 1/6 Komma mitteltönig gestimmt.
Desenclos spielt Bachs 48 Präludien und Fugen an diesen vier Orgeln – und gibt dabei eine Lehrstunde in Klangcharakteristika wie in Hörge- wohnheiten. Nicht auf jedem Instrument kommen Bachs berühmte Stücke gleichermaßen zur Geltung. Es ist erstaunlich, wie sehr doch winzige Unterschiede in der Intonation den Gesamtklang beeinflussen. Ob man dazu allerdings eine solche Box veröffentlichen muss, das erscheint mir fraglich.
Montag, 15. Februar 2016
Reger: Organ Works (MDG)
Christoph Schoener, Kirchenmusik- direktor an der Hamburger Haupt- kirche St. Michaelis, beschert allen Musikfreunden, quasi im Vorgriff auf den 100. Todestag von Max Reger (1873 bis 1916), bei Dabringhaus und Grimm ein Orgelkonzert erster Güte.
Für diese Einspielung hat der Orga- nist ein Programm zusammengestellt, das nicht nur inhaltlich bestens zum „Michel“ passt, sondern darüber hinaus auch die Orgeln dieser Kirche bestens zur Geltung kommen lässt. Er beginnt mit der Choralfantasie über Ein feste Burg ist unser Gott op. 27, komponiert für Regers Freund Karl Straube, von diesem 1898 uraufgeführt im Willibrordi-Dom zu Wesel; die Sauer-Orgel dort war damals das größte Instrument im Rheinland. Reger folgt in seinem Werk den Choralstrophen, Zeile für Zeile, und deutet sie musikalisch aus, wobei er nicht nur auf den barocken rhetorischen Figurenfundus zurückgreift. Auch die Klangmög- lichkeiten einer großen deutsch-spätromantischen Orgel nutzt das Werk voll – der Effekt ist gewaltig, die Herausforderungen an den Organisten sind allerdings ebenfalls nicht gerade gering.
Schoener bewältigt diese Klangfluten ebenso souverän wie die nachfol- gende Auswahl aus den 30 kleinen Choralvorspielen op. 135a. Diese Sammlung begeistert durch die Verknüpfung von technischer Einfachheit und harmonischer Raffinesse. Gewidmet hatte sie Reger Hans von Ohlendorff, einem engen Vertrauten und großem Musikfreund, seinerzeit Kirchenvorstand in St. Michaelis. „Kinderleicht“ sollten diese Stücke sein, so schrieb der Komponist in einem Brief an Straube; bestimmt waren sie für nebenamtliche Organisten, üblicherweise waren dies Lehrer, die auf dem Lande den Gottesdienst musikalisch ausgestalteten. Dabei hatten sie oft- mals auch nur kleine Orgeln zur Verfügung, mit wenig Registern, mitunter sogar ohne Pedal.
Für diese Lehrerorganisten stellte Reger eine Kollektion der 30 gebräuch- lichsten Choräle zusammen, und schuf gut spielbare, aber trotz ihrer scheinbar simplen Strukturen meisterhaft gearbeitete Sätze. Zwölf davon hat Schoener für diese CD eingespielt, darunter Wie schön leucht't uns der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme, beide von Philipp Nicolai, von 1601 bis zu seinem Tod 1608 Hauptpastor in Hamburg an St. Katharinen. Nun sind die Orgeln der St. Michaelis-Kirche – im Rahmen dieser Einspielung erklingen die Große Orgel, die Konzertorgel und das Fernwerk – große, städtische Instrumente, die Schoener ganz andere Möglichkeiten bieten als eine ländliche Orgel. Er nutzt dies, um den Aus- druck der Choralsätze zu unterstreichen.
„Ein ganz großes Orgelwerk“ nannte Reger Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127, entstanden 1913 zur Einweihung der von Karl Straube disponierten Sauer-Orgel in der Breslauer Jahrhunderthalle. Mit fünf Manualen und 200 Registern war sie seinerzeit die weltweit größte Orgel, und dementsprechend sind die Dimensionen der Musik, die Reger für dieses Instrument geschaffen hat. Das Opus dauert mehr als eine halbe Stunde, und bietet von der sinfonischen Introduktion über die vielen, vielen Variationen des Themas der Passacaglia bis hin zur Doppelfuge und zum majestätischen Finale in E-Dur auf, was Klangpracht und Kunstfertigkeit demonstrieren kann. Schoener wiederum beweist, dass sich an den Orgeln im „Michel“ solche Klangwelten ebenfalls hervorragend gestalten lassen.
Dank dieser Super Audio CD ist dies auch zu Hause am Lautsprecher nachzuvollziehen: Bei Wiedergabe im 2+2+2-Format sind die drei einge- setzten Orgelwerke mit atemberaubender Raumwirkung im Wohnzimmer zu erleben. Der Klang ist phänomenal.
Für diese Einspielung hat der Orga- nist ein Programm zusammengestellt, das nicht nur inhaltlich bestens zum „Michel“ passt, sondern darüber hinaus auch die Orgeln dieser Kirche bestens zur Geltung kommen lässt. Er beginnt mit der Choralfantasie über Ein feste Burg ist unser Gott op. 27, komponiert für Regers Freund Karl Straube, von diesem 1898 uraufgeführt im Willibrordi-Dom zu Wesel; die Sauer-Orgel dort war damals das größte Instrument im Rheinland. Reger folgt in seinem Werk den Choralstrophen, Zeile für Zeile, und deutet sie musikalisch aus, wobei er nicht nur auf den barocken rhetorischen Figurenfundus zurückgreift. Auch die Klangmög- lichkeiten einer großen deutsch-spätromantischen Orgel nutzt das Werk voll – der Effekt ist gewaltig, die Herausforderungen an den Organisten sind allerdings ebenfalls nicht gerade gering.
Schoener bewältigt diese Klangfluten ebenso souverän wie die nachfol- gende Auswahl aus den 30 kleinen Choralvorspielen op. 135a. Diese Sammlung begeistert durch die Verknüpfung von technischer Einfachheit und harmonischer Raffinesse. Gewidmet hatte sie Reger Hans von Ohlendorff, einem engen Vertrauten und großem Musikfreund, seinerzeit Kirchenvorstand in St. Michaelis. „Kinderleicht“ sollten diese Stücke sein, so schrieb der Komponist in einem Brief an Straube; bestimmt waren sie für nebenamtliche Organisten, üblicherweise waren dies Lehrer, die auf dem Lande den Gottesdienst musikalisch ausgestalteten. Dabei hatten sie oft- mals auch nur kleine Orgeln zur Verfügung, mit wenig Registern, mitunter sogar ohne Pedal.
Für diese Lehrerorganisten stellte Reger eine Kollektion der 30 gebräuch- lichsten Choräle zusammen, und schuf gut spielbare, aber trotz ihrer scheinbar simplen Strukturen meisterhaft gearbeitete Sätze. Zwölf davon hat Schoener für diese CD eingespielt, darunter Wie schön leucht't uns der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme, beide von Philipp Nicolai, von 1601 bis zu seinem Tod 1608 Hauptpastor in Hamburg an St. Katharinen. Nun sind die Orgeln der St. Michaelis-Kirche – im Rahmen dieser Einspielung erklingen die Große Orgel, die Konzertorgel und das Fernwerk – große, städtische Instrumente, die Schoener ganz andere Möglichkeiten bieten als eine ländliche Orgel. Er nutzt dies, um den Aus- druck der Choralsätze zu unterstreichen.
„Ein ganz großes Orgelwerk“ nannte Reger Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127, entstanden 1913 zur Einweihung der von Karl Straube disponierten Sauer-Orgel in der Breslauer Jahrhunderthalle. Mit fünf Manualen und 200 Registern war sie seinerzeit die weltweit größte Orgel, und dementsprechend sind die Dimensionen der Musik, die Reger für dieses Instrument geschaffen hat. Das Opus dauert mehr als eine halbe Stunde, und bietet von der sinfonischen Introduktion über die vielen, vielen Variationen des Themas der Passacaglia bis hin zur Doppelfuge und zum majestätischen Finale in E-Dur auf, was Klangpracht und Kunstfertigkeit demonstrieren kann. Schoener wiederum beweist, dass sich an den Orgeln im „Michel“ solche Klangwelten ebenfalls hervorragend gestalten lassen.
Dank dieser Super Audio CD ist dies auch zu Hause am Lautsprecher nachzuvollziehen: Bei Wiedergabe im 2+2+2-Format sind die drei einge- setzten Orgelwerke mit atemberaubender Raumwirkung im Wohnzimmer zu erleben. Der Klang ist phänomenal.
Samstag, 13. Februar 2016
Moscheles: Music for Flute and Piano (Naxos)
Ignaz Moscheles (1794 bis 1870) begann seine Ausbildung bei Friedrich Dyonis Weber am Prager Konservatorium, und studierte dann ab 1808 in Wien bei Antonio Salieri und Johann Georg Albrechtsberger. Als reisender Klaviervirtuose wurde er wenig später in allen europäischen Musikmetropolen gefeiert. In Berlin begegnete er 1824 dem 15jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Auf Bitten der Mutter erteilte Moscheles ihm und seiner Schwester Fanny Klavierunterricht; trotz des Alters- unterschiedes waren die beiden Musiker bald eng befreundet. 1825 ging Moscheles dann nach London, wo er als Pianist und Dirigent sehr gefragt war, und von Schülern schier überrannt wurde. Felix Mendelssohn Bartholdy allerdings konnte ihn davon überzeugen, nach Deutschland zurückzukehren und im beschau- lichen Sachsen zu wirken: 1846 übernahm Moscheles die Klavierklasse am Leipziger Konservatorium.
Wie damals üblich, hat Moscheles einen Gutteil der Musik, die er in Konzerten spielte, auch selbst komponiert. Dazu entstanden zahlreiche Werke auf Drängen der Verleger, und für seine Schüler schrieb er Etüden, die noch heute sehr geschätzt sind, weil sie nicht nur simple „technische“ Übungsstücke sind, sondern obendrein sehr gut klingen.
Kammermusik für Flöte und Klavier von Ignaz Moscheles erklingt auf einer CD, die bei Naxos erschienen ist. Kazunori Seo, Flöte, und Makoto Ueno, Klavier, spielen das Divertimento à la savoyarde op. 78, die Sonate concertante in G-Dur op. 79, die Quatre Divertissements op. 82b mit allerlei musikalischen Anspielungen, die Six Variations concertantes op. 21 und die Grande Sonate concertante in A-Dur op. 44. Die beiden Musi- ker sind exzellent aufeinander eingestellt, ihr Zusammenspiel begeistert. Makoto Ueno bewältigt den oftmals sehr anspruchsvollen Klavierpart locker und hörenswert. Mit dem Flötenspiel von Kazunori Seo hingegen werde ich nicht glücklich; insbesondere in schnellen Passagen gelingt es ihm nicht wirklich, seinen Ton zu formen und zu färben. So klingen die rasanten Läufe oftmals flach und in der Höhe spitz und blechern. Schade!
Wie damals üblich, hat Moscheles einen Gutteil der Musik, die er in Konzerten spielte, auch selbst komponiert. Dazu entstanden zahlreiche Werke auf Drängen der Verleger, und für seine Schüler schrieb er Etüden, die noch heute sehr geschätzt sind, weil sie nicht nur simple „technische“ Übungsstücke sind, sondern obendrein sehr gut klingen.
Kammermusik für Flöte und Klavier von Ignaz Moscheles erklingt auf einer CD, die bei Naxos erschienen ist. Kazunori Seo, Flöte, und Makoto Ueno, Klavier, spielen das Divertimento à la savoyarde op. 78, die Sonate concertante in G-Dur op. 79, die Quatre Divertissements op. 82b mit allerlei musikalischen Anspielungen, die Six Variations concertantes op. 21 und die Grande Sonate concertante in A-Dur op. 44. Die beiden Musi- ker sind exzellent aufeinander eingestellt, ihr Zusammenspiel begeistert. Makoto Ueno bewältigt den oftmals sehr anspruchsvollen Klavierpart locker und hörenswert. Mit dem Flötenspiel von Kazunori Seo hingegen werde ich nicht glücklich; insbesondere in schnellen Passagen gelingt es ihm nicht wirklich, seinen Ton zu formen und zu färben. So klingen die rasanten Läufe oftmals flach und in der Höhe spitz und blechern. Schade!
Donnerstag, 11. Februar 2016
C.P.E. Bach: Die Israeliten in der Wüste (Deutsche Harmonia Mundi)
Einer der Höhepunkte des Bachfestes Leipzig 2014 war die Aufführung des Oratoriums Die Israeliten in der Wüste von Carl Philip Emanuel Bach (1714 bis 1788) mit den Ensembles Chorus Musicus Köln und Das Neue Orchester unter der Leitung von Christoph Spering.
Ein Mitschnitt dieses Konzertes liegt nun auf CD vor – und er macht noch einmal deutlich, was für ein Ereignis diese Aufführung in der Nikolaikirche war. Die Kölner würdigten damit den 300. Geburtstag des berühmtesten der Bach-Söhne. Carl Philipp Emanuel Bach wirkte zunächst als Cembalist am Hofe Friedrichs des Großen; 1768 wurde er dann als Nachfolger seines Taufpaten Georg Philipp Telemann städtischer Musikdirektor und Kantor am Johanneum in Hamburg. Die Israeliten in der Wüste entstand 1768/69 als Auftragskomposition zur Einweihung der neu errichteten Lazarus-Kirche in Hamburg. Das Werk zeigt zunächst das in der Wüste herumirrende, murrende Volk Israel – durstig, entmutigt und auf Moses nicht besonders gut zu sprechen. Doch Moses erbarmt sich, und fleht in einer grandiosen Arie zu Gott, der auch prompt das ersehnte Wasser aus einem Felsen am Berg Horeb fließen lässt. Das ist der Wendepunkt des Oratoriums. Nach dem Wunder Gottes folgt aber nicht schlicht ein finaler Dankeschor, sondern eine komplette zweite Hälfte voll Reflektion und Lobpreis. Und letztendlich stimmt in Form einer Choralstrophe auch die Christenheit mit ein. Moses selbst hat zuvor auf den kommenden Erlöser verwiesen. Getragen wird die Handlung zudem von ausdrucksstarken Chören, nebst zwei Solistinnen, die quasi aus der Volksmasse hervortreten, und einem Tenor, im ersten Teil Aaron, im zweiten schlicht „Eine Stimme“, der wie ein Moderator bemüht ist, das Geschehen zu lenken.
Bach merkte an, dass sein Oratorium „nicht just bey einer Art von Feyerlichkeit, sondern zu allen Zeiten, in und außer der Kirche“ gespielt werden könne. Auch Händel hatte seine Werke weniger für den kirchlichen Gebrauch als vielmehr für den Konzertsaal geschrieben – ein Trend, der geistliche Musik in völlig neue Räume und Wirkungszusammenhänge bringen sollte.
Spering allerdings belässt Bachs Opus im kirchlichen Raum. Mit seinem exzellenten Chor und dem Neuen Orchester, ebenfalls bestens besetzt mit Experten aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis, interpretiert er das Oratorium unter Verwendung der neuesten textkritischen Partitur- ausgabe. Er hat einen ausgesprochen wachen Sinn für musikalische Strukturen – und er schaut zugleich genauestens auf Details. So gibt die Neuausgabe Einblick in die Musizierpraxis jener Jahre, insbesondere auf die Auszierung von Da-capo-Arien: „Denn in die Neuausgabe ist zum Beispiel auch das überlieferte Stimmheft der 2. Sopranistin eingegangen, in das Carl Philipp Emanuel Bach selbst diese Verzierungen eingetragen hatte“, erläutert Christoph Spering im Beiheft zu dieser CD. Nach diesem Vorbild hat Spering gemeinsam mit dem Solistenensemble – Anja Petersen, Sarah Maria Sun, Daniel Johannsen und Johannes Weisser – auch für die anderen Partien die entsprechende Ornamentierung erarbeitet. Gesungen wird sehr präzise, und man staunt, wieviel Wirkung das bringt.
„Bei meiner Interpretation habe ich mich übrigens bewusst nicht auf die Verhältnisse der Hamburger Kirchenmusik zur Carl Philipp Emanuel Bachs Zeit bezogen, sondern eine mittelgroße Besetzung gewählt, mit der man alle Ausdrucksmöglichkeiten des Werkes farbiger zeichnen kann“, schreibt der Dirigent. All das macht diese Aufnahme abwechslungsreich. Spering gelingt es, Empfindsamkeit nicht gefühlig werden zu lassen; Kon- templation und Spannung sind ja bekanntlich kein Gegensatz. Unbedingt anhören!
Ein Mitschnitt dieses Konzertes liegt nun auf CD vor – und er macht noch einmal deutlich, was für ein Ereignis diese Aufführung in der Nikolaikirche war. Die Kölner würdigten damit den 300. Geburtstag des berühmtesten der Bach-Söhne. Carl Philipp Emanuel Bach wirkte zunächst als Cembalist am Hofe Friedrichs des Großen; 1768 wurde er dann als Nachfolger seines Taufpaten Georg Philipp Telemann städtischer Musikdirektor und Kantor am Johanneum in Hamburg. Die Israeliten in der Wüste entstand 1768/69 als Auftragskomposition zur Einweihung der neu errichteten Lazarus-Kirche in Hamburg. Das Werk zeigt zunächst das in der Wüste herumirrende, murrende Volk Israel – durstig, entmutigt und auf Moses nicht besonders gut zu sprechen. Doch Moses erbarmt sich, und fleht in einer grandiosen Arie zu Gott, der auch prompt das ersehnte Wasser aus einem Felsen am Berg Horeb fließen lässt. Das ist der Wendepunkt des Oratoriums. Nach dem Wunder Gottes folgt aber nicht schlicht ein finaler Dankeschor, sondern eine komplette zweite Hälfte voll Reflektion und Lobpreis. Und letztendlich stimmt in Form einer Choralstrophe auch die Christenheit mit ein. Moses selbst hat zuvor auf den kommenden Erlöser verwiesen. Getragen wird die Handlung zudem von ausdrucksstarken Chören, nebst zwei Solistinnen, die quasi aus der Volksmasse hervortreten, und einem Tenor, im ersten Teil Aaron, im zweiten schlicht „Eine Stimme“, der wie ein Moderator bemüht ist, das Geschehen zu lenken.
Bach merkte an, dass sein Oratorium „nicht just bey einer Art von Feyerlichkeit, sondern zu allen Zeiten, in und außer der Kirche“ gespielt werden könne. Auch Händel hatte seine Werke weniger für den kirchlichen Gebrauch als vielmehr für den Konzertsaal geschrieben – ein Trend, der geistliche Musik in völlig neue Räume und Wirkungszusammenhänge bringen sollte.
Spering allerdings belässt Bachs Opus im kirchlichen Raum. Mit seinem exzellenten Chor und dem Neuen Orchester, ebenfalls bestens besetzt mit Experten aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis, interpretiert er das Oratorium unter Verwendung der neuesten textkritischen Partitur- ausgabe. Er hat einen ausgesprochen wachen Sinn für musikalische Strukturen – und er schaut zugleich genauestens auf Details. So gibt die Neuausgabe Einblick in die Musizierpraxis jener Jahre, insbesondere auf die Auszierung von Da-capo-Arien: „Denn in die Neuausgabe ist zum Beispiel auch das überlieferte Stimmheft der 2. Sopranistin eingegangen, in das Carl Philipp Emanuel Bach selbst diese Verzierungen eingetragen hatte“, erläutert Christoph Spering im Beiheft zu dieser CD. Nach diesem Vorbild hat Spering gemeinsam mit dem Solistenensemble – Anja Petersen, Sarah Maria Sun, Daniel Johannsen und Johannes Weisser – auch für die anderen Partien die entsprechende Ornamentierung erarbeitet. Gesungen wird sehr präzise, und man staunt, wieviel Wirkung das bringt.
„Bei meiner Interpretation habe ich mich übrigens bewusst nicht auf die Verhältnisse der Hamburger Kirchenmusik zur Carl Philipp Emanuel Bachs Zeit bezogen, sondern eine mittelgroße Besetzung gewählt, mit der man alle Ausdrucksmöglichkeiten des Werkes farbiger zeichnen kann“, schreibt der Dirigent. All das macht diese Aufnahme abwechslungsreich. Spering gelingt es, Empfindsamkeit nicht gefühlig werden zu lassen; Kon- templation und Spannung sind ja bekanntlich kein Gegensatz. Unbedingt anhören!
Vivaldi senza Basso (Baltic Baroque)
Gleich zwei Editionen von Vivaldi-Violinsonaten des estnischen Labels Baltic Baroque liegen vor mir auf dem Schreibtisch. Das Ensemble Baltic Baroque, geleitet von Grigori Malit- zov, musiziert historisch möglichst korrekt und auf zeitgenössischen Instrumenten.
VI Sonate, Quatro à Violino solo e Basso e dua a due Violini e Basso Continuo di Antonio Vivaldi, Opera Quinta O vero Parte Seconda del Opera Seconda – so lautete der Titel der Kollektion, die auf der einen CD erschienen ist. Die Violinsonaten op. 5 mit dem kuriosen Titel wurden 1716 in Amsterdam veröffentlicht. Sie gehören nicht zu den bekannten Werken Vivaldis, was verwundert, denn diese Musik hat durchaus ihre Qualitäten. Maria Krestinskaya, Evgeny Sviridov, Anfisa Kalinina, Barockvioline, Sofia Maltizova, Barockcello sowie Reinut Tepp und Imbi Tarum, Cembalo, ist somit die erste Einspie- lung auf historischen Instrumenten gelungen.
Die zweite CD fasst vier Sonaten a 2 Violini anco senza Basso se piace – „für zwei Violinen ohne Bass, wenn es beliebt“ – zusammen. Die Noten sind schnell aufzufinden, wenn man sie unter den Triosonaten sucht – was daran liegt, dass sie auch exakt so notiert worden sind, mit zwei Melodiestimmen plus Basslinie. Doch diese Zuordnung wird den virtuosen Duetten nicht wirklich gerecht; sie ähneln nicht nur mit ihrer Satzfolge schnell-langsam-schnell eher Vivaldis Doppelkonzerten. Auch erweist sich die Bassstimme nicht als ein selbständiger Part; sie verdoppelt statt dessen weitgehend die tiefsten Bereiche der beiden Violinstimmen.
Vermutet wird, dass diese Musikstücke entweder als Auftragskompositio- nen oder aber als Vortragsstücke entstanden sind, die Vivaldi auf seiner Europa-Tournee in den Jahren 1729/30 gemeinsam mit seinem Vater spielen wollte, wenn kein Bass-Instrument verfügbar war. Diese Aufnahme präsentiert zwei der Sonaten mit Cembalo-Begleitung, und zwei ohne. Es musizieren Maria Krestinskaya und Evgeny Sviridov, Barockvioline, sowie Imbi Tarum, Cembalo. Die Aufnahme ist allerdings sehr direkt und trocken; den Effekt von Pferdehaar auf Geigensaiten möchte man vielleicht doch nicht ganz so aus der Nähe hören.
VI Sonate, Quatro à Violino solo e Basso e dua a due Violini e Basso Continuo di Antonio Vivaldi, Opera Quinta O vero Parte Seconda del Opera Seconda – so lautete der Titel der Kollektion, die auf der einen CD erschienen ist. Die Violinsonaten op. 5 mit dem kuriosen Titel wurden 1716 in Amsterdam veröffentlicht. Sie gehören nicht zu den bekannten Werken Vivaldis, was verwundert, denn diese Musik hat durchaus ihre Qualitäten. Maria Krestinskaya, Evgeny Sviridov, Anfisa Kalinina, Barockvioline, Sofia Maltizova, Barockcello sowie Reinut Tepp und Imbi Tarum, Cembalo, ist somit die erste Einspie- lung auf historischen Instrumenten gelungen.
Die zweite CD fasst vier Sonaten a 2 Violini anco senza Basso se piace – „für zwei Violinen ohne Bass, wenn es beliebt“ – zusammen. Die Noten sind schnell aufzufinden, wenn man sie unter den Triosonaten sucht – was daran liegt, dass sie auch exakt so notiert worden sind, mit zwei Melodiestimmen plus Basslinie. Doch diese Zuordnung wird den virtuosen Duetten nicht wirklich gerecht; sie ähneln nicht nur mit ihrer Satzfolge schnell-langsam-schnell eher Vivaldis Doppelkonzerten. Auch erweist sich die Bassstimme nicht als ein selbständiger Part; sie verdoppelt statt dessen weitgehend die tiefsten Bereiche der beiden Violinstimmen.
Vermutet wird, dass diese Musikstücke entweder als Auftragskompositio- nen oder aber als Vortragsstücke entstanden sind, die Vivaldi auf seiner Europa-Tournee in den Jahren 1729/30 gemeinsam mit seinem Vater spielen wollte, wenn kein Bass-Instrument verfügbar war. Diese Aufnahme präsentiert zwei der Sonaten mit Cembalo-Begleitung, und zwei ohne. Es musizieren Maria Krestinskaya und Evgeny Sviridov, Barockvioline, sowie Imbi Tarum, Cembalo. Die Aufnahme ist allerdings sehr direkt und trocken; den Effekt von Pferdehaar auf Geigensaiten möchte man vielleicht doch nicht ganz so aus der Nähe hören.
Mittwoch, 10. Februar 2016
Nami plays Diabelli Variations (Genuin)
Antonio Diabelli war nicht nur als Komponist, sondern vor allem auch als Musikverleger sehr erfolgreich. 1819 bat er 50 Komponisten, sich an einem Sammelwerk zu beteiligen. Dazu schickte er ihnen einen kleinen Walzer, den er selbst komponiert hatte – und auf dem Blatt befanden sich dann weiter leere Notenzeilen, auf denen die lieben Kollegen eine Variation notieren sollten – nicht zu umfangreich bitte, denn in der Edition, die Diabelli plante, sollten alle Beteiligten angemessen vertreten sein.
Wie die Geschichte ausgegangen ist, das weiß jeder Musikfreund: Ludwig van Beethoven nutzte das harmlose Walzerchen, um eines jener späten Werke zu schreiben, die umfangreich geraten sind und als sperrig und komplex gelten.
Die japanische Pianistin Nami Ejiri hat sich mit Diabelli und seinen Variationen sorgsam auseinandergesetzt. Auf ihrer CD erklingen sowohl ausgewählte Beiträge aus den 50 Variationen über eine Walzer von Anton Diabelli als auch Beethovens Beitrag – die 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli, op. 120. Sie sind 1824, kurioserweise ein Jahr vor Diabellis Kollektion, im Druck erschienen.
Aus den 50 Variationen hat Nami Ejiri acht ausgewählt, die sie nebst dem Thema und der Coda von Carl Czerny vorträgt. Den Reigen eröffnet auch die Variation von Carl Czerny; es folgen zwei berühmte Pianisten, Johann Nepomuk Hummel und Friedrich Wilhelm Kalkbrenner, mit ihren Beiträgen. Franz Liszt, der ebenfalls eine Variation geschrieben hat, war 1819 acht Jahre alt, als Wunderkind bereits aufgefallen, und was er zu Papier gebracht hat, das lässt staunen. Danach sind noch Variationen von Ignaz Moscheles, Joseph Kerzkowsky, Mozarts Sohn Franz Xaver und Franz Schubert zu hören.
Dieser Einstimmung folgt dann Beethovens monumentales Opus. Nami Ejiri spielt sie ebenso feinfühlig wie virtuos. Allerdings macht sie daraus kein pianistisches Glaubensbekenntnis; sie scheint eher Brendels Diktum zu folgen, der in den 33 Veränderungen in erster Linie ein „Kompendium musikalischer Komik“ sah. Wer dieser Sichtweise folgt, der wird entdecken, dass Beethoven durchaus Humor hatte, und dazu Sinn für musikalische Knalleffekte. Lustvoll zelebriert Nami Ejiri dieses Vexierspiel mit seinen Zitaten, Parodien und brillanten Effekten – ein Wirbel an Spielfreude, der mir großes Vergnügen bereitet hat. Sehr gelungen!
Wie die Geschichte ausgegangen ist, das weiß jeder Musikfreund: Ludwig van Beethoven nutzte das harmlose Walzerchen, um eines jener späten Werke zu schreiben, die umfangreich geraten sind und als sperrig und komplex gelten.
Die japanische Pianistin Nami Ejiri hat sich mit Diabelli und seinen Variationen sorgsam auseinandergesetzt. Auf ihrer CD erklingen sowohl ausgewählte Beiträge aus den 50 Variationen über eine Walzer von Anton Diabelli als auch Beethovens Beitrag – die 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli, op. 120. Sie sind 1824, kurioserweise ein Jahr vor Diabellis Kollektion, im Druck erschienen.
Aus den 50 Variationen hat Nami Ejiri acht ausgewählt, die sie nebst dem Thema und der Coda von Carl Czerny vorträgt. Den Reigen eröffnet auch die Variation von Carl Czerny; es folgen zwei berühmte Pianisten, Johann Nepomuk Hummel und Friedrich Wilhelm Kalkbrenner, mit ihren Beiträgen. Franz Liszt, der ebenfalls eine Variation geschrieben hat, war 1819 acht Jahre alt, als Wunderkind bereits aufgefallen, und was er zu Papier gebracht hat, das lässt staunen. Danach sind noch Variationen von Ignaz Moscheles, Joseph Kerzkowsky, Mozarts Sohn Franz Xaver und Franz Schubert zu hören.
Dieser Einstimmung folgt dann Beethovens monumentales Opus. Nami Ejiri spielt sie ebenso feinfühlig wie virtuos. Allerdings macht sie daraus kein pianistisches Glaubensbekenntnis; sie scheint eher Brendels Diktum zu folgen, der in den 33 Veränderungen in erster Linie ein „Kompendium musikalischer Komik“ sah. Wer dieser Sichtweise folgt, der wird entdecken, dass Beethoven durchaus Humor hatte, und dazu Sinn für musikalische Knalleffekte. Lustvoll zelebriert Nami Ejiri dieses Vexierspiel mit seinen Zitaten, Parodien und brillanten Effekten – ein Wirbel an Spielfreude, der mir großes Vergnügen bereitet hat. Sehr gelungen!
A Bassoon in Stockholm... (BIS)
Diese CD ist einem außergewöhn- lichen Instrument gewidmet: Donna Agrell ist die glückliche Besitzerin eines Fagotts aus der Werkstatt des Dresdner Holzblasinstrumenten- bauers Grenser & Wiesner. Das Unternehmen wurde 1744 von Carl August Grenser gegründet, und genoss schon bald einen ausgezeich- neten Ruf. Im späten 18. Jahrhundert übernahm Carl Augusts Neffe Heinrich die Werkstatt; er lieferte die begehrten Instrumente an Musiker in ganz Europa. Nach seinem Tode 1831 führte sein Geselle Samuel Wiesner die Geschäfte weiter. Er hat auch das Fagott angefertigt, das im Mittelpunkt dieser Einspielung steht.
Donna Agrell hat es in den 80er Jahren erworben und seitdem in über 1.500 Konzerten eingesetzt, oft mit dem Orchestra of the Eighteenth Cen- tury, dem sie seit seiner Gründung angehört. Das Fagott wurde zwischen 1817 und 1825 in Dresden gebaut; es war, so die Musikerin, „in ausgezeich- netem Zustand und auf einer Tonhöhe von etwa a=430 Hz spielbar.“
Zu dem Fagott gehörte noch der originale Koffer, und der Adressaufkleber darauf, teilweise noch lesbar, bezeugte, das es seinerzeit nach Stockholm geliefert wurde. Außerdem befanden sich in dem Koffer zwei Flügel und drei S-Bögen von unterschiedlicher Länge, die das Spiel in unterschiedlichen Stimmungen ermöglichen. In einer Schachtel lagen zudem sechs intakte Rohrblätter bei - „ein unglaublich seltener und wertvoller Fund“, erläutert die Donna Agrell. Die empfindlichen Teile, die in diesem Glücksfall erhalten geblieben sind, wurden von Instrumentenbauern aufmerksam studiert und teilweise nachgebaut.
Instrumente von Grenser & Wiesner wurden von bekannten Musikern gespielt. Einer von ihnen, der deutsche Fagottvirtuose Frans Carl Preumayr (1782 bis 1853), ging zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seinen Brüdern Conrad und Carl nach Schweden. Dort wirkte er als Mitglied der Hofka- pelle und als Musikdirektor in der Militärmusik. Mehrfach ging er auf Konzertreisen, und dabei musizierte er auf seinem Grenser-Instrument, wie er in seinem Reisejournal berichtet.
Das Publikum war beeindruckt: „Preumayr is the best performer on the bassoon that we ever heard, taking tone, taste and execution into consideration; he makes nothing of a rapid flight from the lowest B flat in the bass to E flat, fourth space in the treble, three octaves and a half! (..) He displayed great skill and command of his instrument“, schwärmt ein Kritiker, der den Musiker 1830 in London gehört hat. Kein Wunder, dass Musikerkollegen für den Ausnahme-Fagottisten auch eigens Werke komponierten.
Diese CD stellt drei davon vor: Ein Septett und ein Quartett des Geigers Franz Adolf Berwald sowie das Quintett für Fagott und Streicher seines Lehrers, des Geigers und Sängers Jean Baptiste Édouard Du Puy. Für die Aufnahme hat Donna Agrell Musikerfreunde eingeladen, die ebenfalls im Orchestra of the Eighteenth Century mitwirken – Marc Destrubé und Franc Polman, Violine, Yoshiko Morita, Viola, Albert Brüggen, Violoncello, Robert Franenberg, Kontrabass und Teunis van der Zwart, Horn – sowie Lorenzo Coppola, Soloklarinettist des Freiburger Barockorchesters und Pianist Ronald Brautigam, ein Spezialist, der seit Jahren klassisches Repertoire auf historischen Klavieren spielt. Musiziert wird brillant, und der sonore, wunderbar runde, durch alle Register ausgeglichene Klang des Fagottes kommt bestens zur Geltung. Bravi!
Donna Agrell hat es in den 80er Jahren erworben und seitdem in über 1.500 Konzerten eingesetzt, oft mit dem Orchestra of the Eighteenth Cen- tury, dem sie seit seiner Gründung angehört. Das Fagott wurde zwischen 1817 und 1825 in Dresden gebaut; es war, so die Musikerin, „in ausgezeich- netem Zustand und auf einer Tonhöhe von etwa a=430 Hz spielbar.“
Zu dem Fagott gehörte noch der originale Koffer, und der Adressaufkleber darauf, teilweise noch lesbar, bezeugte, das es seinerzeit nach Stockholm geliefert wurde. Außerdem befanden sich in dem Koffer zwei Flügel und drei S-Bögen von unterschiedlicher Länge, die das Spiel in unterschiedlichen Stimmungen ermöglichen. In einer Schachtel lagen zudem sechs intakte Rohrblätter bei - „ein unglaublich seltener und wertvoller Fund“, erläutert die Donna Agrell. Die empfindlichen Teile, die in diesem Glücksfall erhalten geblieben sind, wurden von Instrumentenbauern aufmerksam studiert und teilweise nachgebaut.
Instrumente von Grenser & Wiesner wurden von bekannten Musikern gespielt. Einer von ihnen, der deutsche Fagottvirtuose Frans Carl Preumayr (1782 bis 1853), ging zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seinen Brüdern Conrad und Carl nach Schweden. Dort wirkte er als Mitglied der Hofka- pelle und als Musikdirektor in der Militärmusik. Mehrfach ging er auf Konzertreisen, und dabei musizierte er auf seinem Grenser-Instrument, wie er in seinem Reisejournal berichtet.
Das Publikum war beeindruckt: „Preumayr is the best performer on the bassoon that we ever heard, taking tone, taste and execution into consideration; he makes nothing of a rapid flight from the lowest B flat in the bass to E flat, fourth space in the treble, three octaves and a half! (..) He displayed great skill and command of his instrument“, schwärmt ein Kritiker, der den Musiker 1830 in London gehört hat. Kein Wunder, dass Musikerkollegen für den Ausnahme-Fagottisten auch eigens Werke komponierten.
Diese CD stellt drei davon vor: Ein Septett und ein Quartett des Geigers Franz Adolf Berwald sowie das Quintett für Fagott und Streicher seines Lehrers, des Geigers und Sängers Jean Baptiste Édouard Du Puy. Für die Aufnahme hat Donna Agrell Musikerfreunde eingeladen, die ebenfalls im Orchestra of the Eighteenth Century mitwirken – Marc Destrubé und Franc Polman, Violine, Yoshiko Morita, Viola, Albert Brüggen, Violoncello, Robert Franenberg, Kontrabass und Teunis van der Zwart, Horn – sowie Lorenzo Coppola, Soloklarinettist des Freiburger Barockorchesters und Pianist Ronald Brautigam, ein Spezialist, der seit Jahren klassisches Repertoire auf historischen Klavieren spielt. Musiziert wird brillant, und der sonore, wunderbar runde, durch alle Register ausgeglichene Klang des Fagottes kommt bestens zur Geltung. Bravi!
Dienstag, 9. Februar 2016
Mattheson: Die wohlklingende Fingersprache (Oehms Classics)
Johann Mattheson (1681 bis 1764) darf man wohl mit Fug und Recht zu den Universalgenies zählen. Der Sohn eines wohlhabenden Hambur- ger Kaufmanns erlernte nicht nur Fremdsprachen, Reiten und Fechten, er erhielt zudem eine erstaunlich um- fangreiche musikalische Ausbildung. Bereits als Knabe sang er im Hamburger Opernchor; später übernahm er auch Solistenpartien, spielte Cembalo und Orgel und komponierte. 1704 wurde Mattheson zunächst Hofmeister, dann Sekretär und Korrespondent des englischen Gesandten. Diese Position sicherte ihm bis ins hohe Alter Status und Einkommen.
1715 wurde Mattheson zusätzlich Vikar und 1718 Musikdirektor am Hamburger Dom. Diese Stelle musste er im Jahre 1728 aus zwei Gründen aufgeben. Zum einen verschlechterte sich sein Gehör drastisch; er wurde erst schwerhörig und dann sogar taub. Zum anderen scheint Mattheson keinem Streit aus dem Wege gegangen zu sein. Legendär ist sein Duell mit Händel, das wohl nur wegen eines Knopfes keine schlimmeren Auswir- kungen hatte. Und Auseinandersetzungen mit Oratoriensängern sollen derart eskaliert sein, dass sie die weitere Zusammenarbeit mit Mattheson verweigert und so seinen Rückzug erzwungen haben sollen.
Einen bleibenden Ruf errang Mattheson mit seinen musiktheoretischen und musikhistorischen Schriften. Seine Grundlage einer Ehren-Pforte beispielsweise, erschienen 1740, enthält 149 Musikerbiographien. Auch seine Schriften über das Orchester gelten bis heute als wichtige Quellen. Es steht außer Zweifel, dass Mattheson zu den bedeutendsten Musikpubli- zisten seiner Zeit gehörte. Allerdings ist sein Urteil mitunter tendenziös bis befremdlich. So wird Bach in der Ehrenpforte nicht einmal erwähnt, obwohl Mattheson 1725 in Leipzig war und den Thomaskantor erlebt und kennengelernt hat.
Eine andere Facette seines Lebenswerkes präsentiert nun bei Oehms Classics Andrea Benecke. Die Pianistin stellt auf einer CD den Musiker Mattheson vor, der neben Opern und Oratorien auch ein wenig Kammermusik und einige Werke für das Klavier geschrieben hat. Sie hat dafür Die wohlklingende Fingersprache ausgewählt, eine Sammlung von zwölf Fugen, einer Fughetta und fünf Suiten-Sätzen, sowie eine Sonata per Clavicembalo aus dem Jahre 1713, komponiert vermutlich für einen Schüler. Für ihre Einspielung nutzt sie einen modernen Steinway, weil seine Dynamik und die erreichbaren Feinheiten im Anschlag ihrer Meinung nach das Potential dieser Musik besser aufzeigen können als der originale Cembaloklang.
Matthesons Stil ist der galante. Das gilt auch für seine Fugen, die eher niedlich wirken als mathematisch streng: „Matthesons Fugen basieren stets auf einem gesanglichen Thema, das ständig ohne komplizierte kontrapunktische Verwicklungen präsent bleibt und deren Zwischen- spiele verspielt sind“, urteilt Benecke im Beiheft zu dieser CD. Harmonisch ergeben sich des öfteren spannende Effekte, aber man hat insgesamt den Eindruck, dies geschieht eher aus Versehen – Matthesons Themen sind oftmals banal, und ihre Verarbeitung sprüht ebenfalls nicht gerade von Geist und Witz, die man allerdings in seinem Schriften sonst durchaus antrifft. Im musikalischen Bereich scheint Mattheson doch limitiert gewesen zu sein, und daran vermag auch diese liebevolle Einspielung nichts zu ändern.
1715 wurde Mattheson zusätzlich Vikar und 1718 Musikdirektor am Hamburger Dom. Diese Stelle musste er im Jahre 1728 aus zwei Gründen aufgeben. Zum einen verschlechterte sich sein Gehör drastisch; er wurde erst schwerhörig und dann sogar taub. Zum anderen scheint Mattheson keinem Streit aus dem Wege gegangen zu sein. Legendär ist sein Duell mit Händel, das wohl nur wegen eines Knopfes keine schlimmeren Auswir- kungen hatte. Und Auseinandersetzungen mit Oratoriensängern sollen derart eskaliert sein, dass sie die weitere Zusammenarbeit mit Mattheson verweigert und so seinen Rückzug erzwungen haben sollen.
Einen bleibenden Ruf errang Mattheson mit seinen musiktheoretischen und musikhistorischen Schriften. Seine Grundlage einer Ehren-Pforte beispielsweise, erschienen 1740, enthält 149 Musikerbiographien. Auch seine Schriften über das Orchester gelten bis heute als wichtige Quellen. Es steht außer Zweifel, dass Mattheson zu den bedeutendsten Musikpubli- zisten seiner Zeit gehörte. Allerdings ist sein Urteil mitunter tendenziös bis befremdlich. So wird Bach in der Ehrenpforte nicht einmal erwähnt, obwohl Mattheson 1725 in Leipzig war und den Thomaskantor erlebt und kennengelernt hat.
Eine andere Facette seines Lebenswerkes präsentiert nun bei Oehms Classics Andrea Benecke. Die Pianistin stellt auf einer CD den Musiker Mattheson vor, der neben Opern und Oratorien auch ein wenig Kammermusik und einige Werke für das Klavier geschrieben hat. Sie hat dafür Die wohlklingende Fingersprache ausgewählt, eine Sammlung von zwölf Fugen, einer Fughetta und fünf Suiten-Sätzen, sowie eine Sonata per Clavicembalo aus dem Jahre 1713, komponiert vermutlich für einen Schüler. Für ihre Einspielung nutzt sie einen modernen Steinway, weil seine Dynamik und die erreichbaren Feinheiten im Anschlag ihrer Meinung nach das Potential dieser Musik besser aufzeigen können als der originale Cembaloklang.
Matthesons Stil ist der galante. Das gilt auch für seine Fugen, die eher niedlich wirken als mathematisch streng: „Matthesons Fugen basieren stets auf einem gesanglichen Thema, das ständig ohne komplizierte kontrapunktische Verwicklungen präsent bleibt und deren Zwischen- spiele verspielt sind“, urteilt Benecke im Beiheft zu dieser CD. Harmonisch ergeben sich des öfteren spannende Effekte, aber man hat insgesamt den Eindruck, dies geschieht eher aus Versehen – Matthesons Themen sind oftmals banal, und ihre Verarbeitung sprüht ebenfalls nicht gerade von Geist und Witz, die man allerdings in seinem Schriften sonst durchaus antrifft. Im musikalischen Bereich scheint Mattheson doch limitiert gewesen zu sein, und daran vermag auch diese liebevolle Einspielung nichts zu ändern.
Sonntag, 7. Februar 2016
Keiser: Pomona (cpo)
Reinhard Keiser (1674 bis 1739) kam im mitteldeutschen Teuchern, einem Marktflecken zwischen Zeitz und Weißenfels, zur Welt. Sein Vater, ein Organist, verschwand kurz nach der Geburt des Knaben und ward nicht mehr gesehen, so dass das Kind wahrscheinlich allein bei seiner Mutter aufwuchs. 1685 wurde Keiser Schüler der Leipziger Thomasschule, wo er unter Thomaskantor Johann Schelle offenbar auch eine gediegene musikalische Ausbildung erhalten hat. 1693 wurde in Braunschweig seine vermutlich erste Oper aufgeführt; doch trotz Ernennung zum Cammer-Componisten ging Keiser 1704 nach Hamburg, wo er über viele Jahre mit seinen Opern den Spielplan prägte. 1728 wurde der Musiker Kantor am Hamburger Dom.
Auch wenn die Hansestadt stets darauf bedacht war, ihre Unabhängigkeit zu betonen, so waren sich die Hamburger als gute Diplomaten doch nicht zu schade, ihre Nachbarn zu feiern, wenn es dazu Anlass gab. In der Oper am Gänsemarkt wurden daher auch Festopern aufgeführt – beispielsweise anlässlich von Krönungen, Siegesfeiern oder Geburtstagen. Gesponsert wurde dies übrigens vom Repräsentanten des jeweiligen Staates. So musste 1702 der dänische Resident Hans Statius von Hagedorn tief in die Tasche greifen, als mit Keisers Oper Der Sieg der fruchtbaren Pomona der Geburtstag Friedrichs IV., des Königs von Dänemark, festlich begangen wurde. Dazu waren nicht nur die „Standes-Persohnen“ eingeladen, sie wurden obendrein auf das Beste bewirtet – und die zweite und letzte Vor- stellung endete sogar mit einem Feuerwerk.
Das Singe-Spiel, komponiert auf ein Libretto von Christian Heinrich Postel, ist witzig und auch ein wenig schlüpfrig, denn neben Königin Louise, Herzogin zu Mecklenburg-Güstrow, war Friedrich IV. noch zwei weiteren Damen „zur linken Hand“ angetraut; eine davon heiratete er 1721, keine drei Wochen nach dem Tode seiner Ehefrau.
Pomona schildert einen Wettstreit der vier Jahreszeiten, repräsentiert von den entsprechenden Götterpaaren, der von Jupiter entschieden werden soll. Die Wetteifernden werden in ansprechenden Szenen vorgestellt. Dann erwarten sie den Schiedsspruch, was nicht ganz ohne Sticheleien abgeht, und zudem eine Vielzahl von Tänzen ermöglicht. Schließlich erscheint Jupiter – und preist das Geburtstagskind in den höchsten Tönen. Auch Königin Louise wird mit einbezogen – und da Jupiter Friedrich IV. nebst Gemahlin durch Vertumnus, den Gott der Verwandlungsfähigkeit, und Pomona, die Göttin der fruchttragenden Bäume und der Gärten, repräsen- tiert sieht, gewinnen diese auch den Wettstreit – wohl nicht umsonst haben sie zuvor ausgiebig die glückliche Ehe gepriesen. Abschließend gratulieren die Götter noch einmal mit Tanz und Gesang dem Königspaar.
Für eine Barockoper ist das Werk kurz, und es gibt weder komplizierte Intrigen noch verzwickte Situationen nebst den entsprechenden affekt- betonten Arien. Hier ist alles nett, harmlos und kurzweilig; für Abwechs- lung sorgen in erster Linie die amüsanten musikalischen Einfälle des Komponisten sowie die höchst unterschiedlichen Charaktere, die Postel und Keiser auf die Bühne gebracht haben. Deshalb erfordert diese Oper ein ebenso umfangreiches wie versiertes Solistenensemble. Zu hören sind Melanie Hirsch als Pomona, Doerthe Maria Sandmann als Flora, Olivia Vermeulen als Ceres, Magdalene Harer als Vertumnus (Sopran!), Julian Podger als Mercurius, Knut Schoch als Zephyrus, Jan Kobow als Jasion und als Jupiter, Raimondis Spogis als Bacchus und Jörg Gottschick als Vulcanus. Es musiziert die Capella Orlandi Bremen unter Thomas Ihlenfeldt – und der Zuhörer darf sich über eine erstklassige, stilsicher gestaltete Aufnahme freuen.
Auch wenn die Hansestadt stets darauf bedacht war, ihre Unabhängigkeit zu betonen, so waren sich die Hamburger als gute Diplomaten doch nicht zu schade, ihre Nachbarn zu feiern, wenn es dazu Anlass gab. In der Oper am Gänsemarkt wurden daher auch Festopern aufgeführt – beispielsweise anlässlich von Krönungen, Siegesfeiern oder Geburtstagen. Gesponsert wurde dies übrigens vom Repräsentanten des jeweiligen Staates. So musste 1702 der dänische Resident Hans Statius von Hagedorn tief in die Tasche greifen, als mit Keisers Oper Der Sieg der fruchtbaren Pomona der Geburtstag Friedrichs IV., des Königs von Dänemark, festlich begangen wurde. Dazu waren nicht nur die „Standes-Persohnen“ eingeladen, sie wurden obendrein auf das Beste bewirtet – und die zweite und letzte Vor- stellung endete sogar mit einem Feuerwerk.
Das Singe-Spiel, komponiert auf ein Libretto von Christian Heinrich Postel, ist witzig und auch ein wenig schlüpfrig, denn neben Königin Louise, Herzogin zu Mecklenburg-Güstrow, war Friedrich IV. noch zwei weiteren Damen „zur linken Hand“ angetraut; eine davon heiratete er 1721, keine drei Wochen nach dem Tode seiner Ehefrau.
Pomona schildert einen Wettstreit der vier Jahreszeiten, repräsentiert von den entsprechenden Götterpaaren, der von Jupiter entschieden werden soll. Die Wetteifernden werden in ansprechenden Szenen vorgestellt. Dann erwarten sie den Schiedsspruch, was nicht ganz ohne Sticheleien abgeht, und zudem eine Vielzahl von Tänzen ermöglicht. Schließlich erscheint Jupiter – und preist das Geburtstagskind in den höchsten Tönen. Auch Königin Louise wird mit einbezogen – und da Jupiter Friedrich IV. nebst Gemahlin durch Vertumnus, den Gott der Verwandlungsfähigkeit, und Pomona, die Göttin der fruchttragenden Bäume und der Gärten, repräsen- tiert sieht, gewinnen diese auch den Wettstreit – wohl nicht umsonst haben sie zuvor ausgiebig die glückliche Ehe gepriesen. Abschließend gratulieren die Götter noch einmal mit Tanz und Gesang dem Königspaar.
Für eine Barockoper ist das Werk kurz, und es gibt weder komplizierte Intrigen noch verzwickte Situationen nebst den entsprechenden affekt- betonten Arien. Hier ist alles nett, harmlos und kurzweilig; für Abwechs- lung sorgen in erster Linie die amüsanten musikalischen Einfälle des Komponisten sowie die höchst unterschiedlichen Charaktere, die Postel und Keiser auf die Bühne gebracht haben. Deshalb erfordert diese Oper ein ebenso umfangreiches wie versiertes Solistenensemble. Zu hören sind Melanie Hirsch als Pomona, Doerthe Maria Sandmann als Flora, Olivia Vermeulen als Ceres, Magdalene Harer als Vertumnus (Sopran!), Julian Podger als Mercurius, Knut Schoch als Zephyrus, Jan Kobow als Jasion und als Jupiter, Raimondis Spogis als Bacchus und Jörg Gottschick als Vulcanus. Es musiziert die Capella Orlandi Bremen unter Thomas Ihlenfeldt – und der Zuhörer darf sich über eine erstklassige, stilsicher gestaltete Aufnahme freuen.
Silver Bow (Linn)
In früheren Jahrhunderten war die Entscheidung für eine Besetzung einfach: Es spielten die Instrumente, die vorhanden waren, so, wie es zu den jeweils erforderlichen Stimmen passte. Innovationen, wie die Erfin- dung der Traversflöte, und modische Trends, wie die Einführung der „höfischen“ Geige auch ins bürger- liche Musikleben, wo die Violine einst den Zink aufs Altenteil schickte, veränderten die Zusammensetzung des Ensembles. Doch erst im Spät- barock entstanden die ersten Partien mehr oder minder speziell für ein Instrument. Und noch die Romantiker gaben, freilich vor allem auf Drängen ihrer Musikverleger, Besetzungsalternativen an.
Insofern ist es kein Tabubruch, wenn eine Flötistin Werke spielt, die für die Violine geschrieben worden sind. „My reason for recording this selection of repertoire is a desire to offer a new perspective on familiar composi- tions“, erläutert Katherine Bryan im Beiheft zu dieser CD. „Today the modern flute is able to transport its listeners through many emotions, evoking numerous sound colours and nuances, and is capable of speaking above an orchestra. I feel that primarly, I am a musician rather than a flautist, and most importantly, I see my instrument simply as a vehicle through which to interpret music.“
Das gelingt Bryan sehr beeindruckend. Sie startet mit Ralph Vaughan Williams' The Lark Ascending – und falls tatsächlich jemand dieses Werk nicht kennt, dann dürfte er denken, nachdem er ihre Interpretation gehört hat, es sei für die Flöte entstanden. Exzellent gelungen erklingen auch musikalische Evergreens wie Introduction et Rondo capriccioso op. 28 und Romanze op. 37 von Camille Saint-Saens, die Serenade Nr. 1 von Frantisek Drdla, Liebesleid von Fritz Kreisler, oder aber die unvermeidliche Meditation aus Thais von Jules Massenet. Zu hören sind zudem Caprice Nr. 24 von Niccolo Paganini, und die Zigeunerweisen op. 20 von Pablo de Sarasate. Bei den meisten Stücken musiziert Katherine Bryan gemeinsam mit dem Royal Scottish National Orchestra unter Jac van Steen.
Sämtliche Transkriptionen und Bearbeitungen der Violinstimmen für die Flöte hat die Solistin selbst vorgenommen. Dabei ist ihr sogar eine Ent- deckung gelungen: Die Romanze vom Dmitri Schostakowitsch stammt aus einer Suite mit Musik zu dem Film Die Pferdebremse. Dieses Stück ist wenig bekannt, es hat mit seiner herrlichen Kantilene aber eigentlich das Zeug zum Wunschkonzert-Hit. Und man wird feststellen, dass die Flöte bei den allermeisten Werken auf dieser CD durchaus eine interessante Alternative zur Violine bieten kann – wenn sie denn so virtuos gespielt wird, wie in diesem Falle. Katherine Bryan musiziert höchst durchdacht und präzise, und mit farbenreichem, wandelbaren Ton, stets und in jeder Lage kontrolliert und auf den Punkt. Hörenswert!
Insofern ist es kein Tabubruch, wenn eine Flötistin Werke spielt, die für die Violine geschrieben worden sind. „My reason for recording this selection of repertoire is a desire to offer a new perspective on familiar composi- tions“, erläutert Katherine Bryan im Beiheft zu dieser CD. „Today the modern flute is able to transport its listeners through many emotions, evoking numerous sound colours and nuances, and is capable of speaking above an orchestra. I feel that primarly, I am a musician rather than a flautist, and most importantly, I see my instrument simply as a vehicle through which to interpret music.“
Das gelingt Bryan sehr beeindruckend. Sie startet mit Ralph Vaughan Williams' The Lark Ascending – und falls tatsächlich jemand dieses Werk nicht kennt, dann dürfte er denken, nachdem er ihre Interpretation gehört hat, es sei für die Flöte entstanden. Exzellent gelungen erklingen auch musikalische Evergreens wie Introduction et Rondo capriccioso op. 28 und Romanze op. 37 von Camille Saint-Saens, die Serenade Nr. 1 von Frantisek Drdla, Liebesleid von Fritz Kreisler, oder aber die unvermeidliche Meditation aus Thais von Jules Massenet. Zu hören sind zudem Caprice Nr. 24 von Niccolo Paganini, und die Zigeunerweisen op. 20 von Pablo de Sarasate. Bei den meisten Stücken musiziert Katherine Bryan gemeinsam mit dem Royal Scottish National Orchestra unter Jac van Steen.
Sämtliche Transkriptionen und Bearbeitungen der Violinstimmen für die Flöte hat die Solistin selbst vorgenommen. Dabei ist ihr sogar eine Ent- deckung gelungen: Die Romanze vom Dmitri Schostakowitsch stammt aus einer Suite mit Musik zu dem Film Die Pferdebremse. Dieses Stück ist wenig bekannt, es hat mit seiner herrlichen Kantilene aber eigentlich das Zeug zum Wunschkonzert-Hit. Und man wird feststellen, dass die Flöte bei den allermeisten Werken auf dieser CD durchaus eine interessante Alternative zur Violine bieten kann – wenn sie denn so virtuos gespielt wird, wie in diesem Falle. Katherine Bryan musiziert höchst durchdacht und präzise, und mit farbenreichem, wandelbaren Ton, stets und in jeder Lage kontrolliert und auf den Punkt. Hörenswert!
Samstag, 6. Februar 2016
Josef Bulva plays Franz Liszt (RCA Red Seal)
Josef Bulva, geboren 1943 in Brünn, galt bereits früh als Ausnahme- virtuose. Er begeisterte durch seine exzellente Technik, und seinen wachen Kunstverstand. Denn die Virtuosität ist für Bulva nie Selbst- zweck, sondern stets eine Voraus- setzung für musikalischen Ausdruck. Eine weitere Vorbedingung, die den Pianisten besonders interessierte, ist das Wissen um die Strukturen und die Entstehung eines Werkes: Interpreten seien das Dienstpersonal der Kompo- nisten, das betonte der Musiker mehr- fach.
Mit sieben Jahren begann Josef Bulva, Klavier zu lernen. Als Teenager spielte er seine ersten Mozart-Klavierkonzerte und Brahms' Paganini-Variationen, und mit 21 Jahren wurde er Staatssolist der Tschechoslo- wakei. 1972, auf seiner ersten Auslandstournee nach dem Prager Frühling, blieb der Pianist dann in Luxemburg, was in seiner Heimat erhebliche Aufregung verursachte und ihm sogar einen Prozess wegen Hochverrats einbrachte. Seine Musikerkarriere allerdings hätte beinahe ein sehr viel banalerer Vorgang beendet: 1996 stürzte Bulva, und fiel mit der linken Hand in Glasscherben. Dabei verletzte er sich so schwer, dass nicht nur die Ärzte der Meinung waren, er werde wohl nie wieder Klavier spielen können.
Auch Bulva selbst schien diese Auffassung zunächst zu teilen. Er verkaufte seine Instrumente, und ging nach Monaco, wo er viel Geld an der Börse verdiente. Doch am Ende war der Drang zum Klavier stärker. Der Musiker ließ seine Hand mehrfach operieren, und er begann, wieder zu üben, um Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer zu trainieren. Das Wunder gelang: Der Pianist spielt wieder Konzerte; 2010 gab er seine Börsenmakler-Lizenz zurück.
Im vergangenen Jahr ehrte sein langjähriges Label RCA Josef Bulva mit einem Doppelalbum, das ausgewählte Liszt-Einspielungen aus dem Jahren 1960 bis 2014 zusammenfasst. Daran könnte man die Entwicklung einer großartigen Künstlerpersönlichkeit verfolgen – wenn sie denn chronolo- gisch geordnet wären. Allerdings erklärt Bulva im Beiheft recht ausführ- lich, warum die jeweilige Aufnahme ausgewählt wurde, und wie er sie aus heutiger Sicht bewertet.
Die Musik von Franz Liszt hat den Pianisten ein Leben lang begleitet. Sie war es, die ihn in jungen Jahren zum Üben motivierte, so dass er schon als Jugendlicher die ersten Etüden spielen konnte. Liszt ist für Bulva aber kein Idol; er äußert sich zu etlichen Werken des Komponisten durchaus kritisch, und hat auch längst nicht alles gespielt, was Liszt zu Papier gebracht hat. So wird er im Beiheft zu dieser CD mit dem Bonmot zitiert: „Ein anderer Komponist hätte Die Legende der Heiligen Elisabeth wahrscheinlich zum Anzünden des Kaminfeuers verwendet. Liszt aber hat es drucken lassen.“
Zu hören sind neben dem Klavierkonzert Nr. 1 mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Daniel Nazareth und der berühmten h-Moll Sonate auch zwei der Grandes Études de Paganini, darunter eine legendäre Aufnahme von La Campanella, die der 17jährige Pianist einst im Supraphon-Studio eingespielt hat, sowie vier der Études d'exécution transcendante. Die Spanische Rhapsodie erklingt in einer Supraphon-Einspielung aus dem Jahre 1970, die seinerzeit wegen der „Republikflucht“ des Interpreten nicht veröffentlicht worden ist. Ausgewählt wurden für diese Edition zudem die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 in cis-Moll, die
E-Dur-Polonaise und der Mephistowalzer.
Bulva beeindruckt mit seinem beständigen Ringen um eine Interpretation, die einerseits möglicht dicht am Notentext bleibt, andererseits aber die Essenz eines Werkes ins Hier und Jetzt transferiert. „So stellt man sich z.B. die Frage: Was hätte der Komponist anders instrumentiert, wenn er für ein Klavier der heutigen Zeit hätte schreiben müssen?“, erläutert der Pianist im Beiheft. „Die Antworten auf solche Fragen erfordern Entschei- dungen, die man im Sinne des Komponisten treffen muss, die aber nicht im Notentext stehen. Die Notenschrift enthält maximal 70 % von dem, was der Komponist im Sinn hat. 30 % kann man nicht notieren. Das gibt einen gewissen Spielraum, den man benutzen kann, ohne sich der Untreue gegenüber dem Notentext schuldig zu machen.“ Mit Virtuosität allein kommt man da nicht weit – aber natürlich kommt sie in sämtlichen Liszt-Einspielungen auf den beiden CD hinreißend zur Geltung. Auch wenn Josef Bulva möglicherweise weniger bekannt sein mag als so mancher Kollege – aber meiner Meinung nach ist er noch immer einer der besten Pianisten der Welt. Unbedingt anhören!
Mit sieben Jahren begann Josef Bulva, Klavier zu lernen. Als Teenager spielte er seine ersten Mozart-Klavierkonzerte und Brahms' Paganini-Variationen, und mit 21 Jahren wurde er Staatssolist der Tschechoslo- wakei. 1972, auf seiner ersten Auslandstournee nach dem Prager Frühling, blieb der Pianist dann in Luxemburg, was in seiner Heimat erhebliche Aufregung verursachte und ihm sogar einen Prozess wegen Hochverrats einbrachte. Seine Musikerkarriere allerdings hätte beinahe ein sehr viel banalerer Vorgang beendet: 1996 stürzte Bulva, und fiel mit der linken Hand in Glasscherben. Dabei verletzte er sich so schwer, dass nicht nur die Ärzte der Meinung waren, er werde wohl nie wieder Klavier spielen können.
Auch Bulva selbst schien diese Auffassung zunächst zu teilen. Er verkaufte seine Instrumente, und ging nach Monaco, wo er viel Geld an der Börse verdiente. Doch am Ende war der Drang zum Klavier stärker. Der Musiker ließ seine Hand mehrfach operieren, und er begann, wieder zu üben, um Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer zu trainieren. Das Wunder gelang: Der Pianist spielt wieder Konzerte; 2010 gab er seine Börsenmakler-Lizenz zurück.
Im vergangenen Jahr ehrte sein langjähriges Label RCA Josef Bulva mit einem Doppelalbum, das ausgewählte Liszt-Einspielungen aus dem Jahren 1960 bis 2014 zusammenfasst. Daran könnte man die Entwicklung einer großartigen Künstlerpersönlichkeit verfolgen – wenn sie denn chronolo- gisch geordnet wären. Allerdings erklärt Bulva im Beiheft recht ausführ- lich, warum die jeweilige Aufnahme ausgewählt wurde, und wie er sie aus heutiger Sicht bewertet.
Die Musik von Franz Liszt hat den Pianisten ein Leben lang begleitet. Sie war es, die ihn in jungen Jahren zum Üben motivierte, so dass er schon als Jugendlicher die ersten Etüden spielen konnte. Liszt ist für Bulva aber kein Idol; er äußert sich zu etlichen Werken des Komponisten durchaus kritisch, und hat auch längst nicht alles gespielt, was Liszt zu Papier gebracht hat. So wird er im Beiheft zu dieser CD mit dem Bonmot zitiert: „Ein anderer Komponist hätte Die Legende der Heiligen Elisabeth wahrscheinlich zum Anzünden des Kaminfeuers verwendet. Liszt aber hat es drucken lassen.“
Zu hören sind neben dem Klavierkonzert Nr. 1 mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Daniel Nazareth und der berühmten h-Moll Sonate auch zwei der Grandes Études de Paganini, darunter eine legendäre Aufnahme von La Campanella, die der 17jährige Pianist einst im Supraphon-Studio eingespielt hat, sowie vier der Études d'exécution transcendante. Die Spanische Rhapsodie erklingt in einer Supraphon-Einspielung aus dem Jahre 1970, die seinerzeit wegen der „Republikflucht“ des Interpreten nicht veröffentlicht worden ist. Ausgewählt wurden für diese Edition zudem die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 in cis-Moll, die
E-Dur-Polonaise und der Mephistowalzer.
Bulva beeindruckt mit seinem beständigen Ringen um eine Interpretation, die einerseits möglicht dicht am Notentext bleibt, andererseits aber die Essenz eines Werkes ins Hier und Jetzt transferiert. „So stellt man sich z.B. die Frage: Was hätte der Komponist anders instrumentiert, wenn er für ein Klavier der heutigen Zeit hätte schreiben müssen?“, erläutert der Pianist im Beiheft. „Die Antworten auf solche Fragen erfordern Entschei- dungen, die man im Sinne des Komponisten treffen muss, die aber nicht im Notentext stehen. Die Notenschrift enthält maximal 70 % von dem, was der Komponist im Sinn hat. 30 % kann man nicht notieren. Das gibt einen gewissen Spielraum, den man benutzen kann, ohne sich der Untreue gegenüber dem Notentext schuldig zu machen.“ Mit Virtuosität allein kommt man da nicht weit – aber natürlich kommt sie in sämtlichen Liszt-Einspielungen auf den beiden CD hinreißend zur Geltung. Auch wenn Josef Bulva möglicherweise weniger bekannt sein mag als so mancher Kollege – aber meiner Meinung nach ist er noch immer einer der besten Pianisten der Welt. Unbedingt anhören!
Karneval anno dazumal (Berlin Classics)
„Karneval anno dazumal“ hat das Ensemble Concerto Köln bei ihrem Kinderkonzert im Jahre 2012 gefeiert. Dabei nehmen die Musiker große und kleine Jecken mit auf eine historische Reise nach Venedig, Paris und Dresden. Zu hören sind die Sinfonia aus der eigens für den Karneval komponierten Oper Il Bajazet von Antonio Vivaldi, Auszüge aus Le Carnaval de Venise, einem opéra-ballet von André Campra, das den venezianischen Karneval einst auch in Paris zum Ereignis werden ließ, sowie diverse Charakterstücke von Georg Philipp Telemann, hier, quasi im Karnevalszug, zugeordnet dem Wagen der Komödianten, dem Wagen der Athleten, dem Wagen der Magier und Hexen sowie dem Wagen der Wassergötter.
Den Kehraus gestaltet der Komponist und Arrangeur Matthias Stötzel, der kölsche Karnevalsmelodien und barocke Klänge gekonnt verknüpft und dem bewegten Treiben einen Schlusspunkt setzt. Durch das Programm führen der Kabarettist Erwin Grosche und seine Tochter Lisa. Mit ihren launigen kleinen Geschichten sorgen sie für heitere Stimmung – nicht nur im Saal, auch vor den Lautsprechern.
Den Kehraus gestaltet der Komponist und Arrangeur Matthias Stötzel, der kölsche Karnevalsmelodien und barocke Klänge gekonnt verknüpft und dem bewegten Treiben einen Schlusspunkt setzt. Durch das Programm führen der Kabarettist Erwin Grosche und seine Tochter Lisa. Mit ihren launigen kleinen Geschichten sorgen sie für heitere Stimmung – nicht nur im Saal, auch vor den Lautsprechern.