Boris Tschaikowski (1925 bis 1996), offensichtlich mit dem be- rühmten russischen Komponisten nicht verwandt, begann seine Ausbildung am Moskauer Konser- vatorium 1941. Er studierte Klavier bei Lew Oborin und Komposition zunächst in der Klasse von Wissa- rion Schebalin.
1946 begann Dmitri Schostako- witsch, an der Hochschule zu un- terrichten, und Schebalin empfahl seinem Schüler, in dessen Klasse zu wechseln. Schon zwei Jahre später, im Zuge der "Anti-Formalismus-Kampagne", flogen beide von der Hochschule. Tschaikowski, der als "kontaminiert" galt, und sich oben- drein der Hexenjagd auf Schostakowitsch verweigerte, wechselte in die Klasse von Nikolai Mjaskowski, und konnte dort seine Ausbildung 1949 abschließen.
Immer wieder bekam der Komponist Schwierigkeiten, weil er nicht das lieferte, was die offiziellen Stellen gerade hören wollten. So schrieb er 1965 einen Liedzyklus für Sopran und Klavier nach Texten von Joseph Brodsky. Der Dichter, der später den Nobelpreis erhielt, war da gerade nach einer Hetzkampagne wegen "Parasitentum" zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Und natürlich wurden nicht nur seine Gedichte, sondern auch Tschaikowskis Lieder verboten. 1984 schrieb der Komponist die Stücke um - und machte Vier Prälu- dien für Kammerorchester daraus.
Tschaikowski schuf zudem mehr als 30 Filmmusiken, insbesondere für Kinderfilme und Trickfilme, sowie zahlreiche Bühnenmusiken und gut zwei Dutzend Musiken für Hörspiele. Zwischen 1954 und 1958 beispielweise schrieb er die Musik für fünf Rundfunkproduktionen mit Märchen von Hans Christian Andersen. Die Manuskripte tauchten 2003, sieben Jahre nach dem Tode des Komponisten, wieder auf. Kyrill Erschow hat, unterstützt durch den Komponisten Petr Klimow, daraus drei Suiten zusammengestellt. Er dirigiert auch das Musica Viva Kammerorchester, Moskau, dass diese Werke zum ersten Mal auf CD vorstellt und so auch "im Westen" bekannt macht.
Das ist sehr verdienstvoll, denn mit Boris Tschaikowski lernen wir einen Komponisten kennen, der sein Handwerk beherrscht, und zeigt, dass auch Moderne durchaus klangvoll sein darf. Für Andersens Märchen verwendet er natürlich das eine oder andere Zitat, mitunter liebevoll-ironisch verfremdet. Diese CD aber weckt das Interesse für seine Sinfonien, Streichquartette und Konzerte - Musik, die nicht vordergründig eine Begleitfunktion und ein vorgegebenes Thema hat.