Samstag, 31. März 2012

Vanhal: Two Symphonies, Cello Concerto (cpo)

Johann Baptist Vanhal (1739 bis 1813) war der Sohn eines leib- eigenen Bauern aus Böhmen. Ersten Unterricht im Orgelspiel und Generalbass erhielt er in seinem Heimatort Nové Necha- nice; im benachbarten Marsov erlernte er zudem die deutsche Sprache - und das Violinspiel. 
Schon bald konnte er Organisten- pflichten übernehmen. Schließlich wurde er Regens Chori in Hnevce- ves; sein Vorgesetzter, Dechant Mathias Nowák, war Violinist, und Vanhal hat auch von ihm offenbar sehr viel gelernt. 1760 oder 61 gelangte Vanhal im Gefolge der Gräfin Schaffgotsch nach Wien. Dort konnte er seine Ausbildung fortsetzen. So behauptet Carl Ditters von Dittersdorf in seiner Lebensbeschreibung, Vanhal sei sein Schüler gewesen. 
In Wien gelang es Vanhal, sich binnen kurzer Frist als Violinist, Musiklehrer und schließlich auch als Komponist zu etablieren. Er verdiente genügend Geld, um sich aus der Leibeigenschaft freikaufen zu können. Im Mai 1769 reiste er nach Italien - der Mäzen Baron Wolfgang Isaac von Riesch finanzierte diese Reise, die Vanhal über Venedig, Bologna und Florenz nach Rom führte. Dort soll er zwei Opern nach Libretti von Pietro Metastasio komponiert haben. Im September 1771 kehrte Vanhal nach Wien zurück. 
Er schuf eine Vielzahl von Werken; darunter mindestens 77 Sinfo- nien, 60 Solokonzerte, hunderte kammermusikalische Werke und Stücke für Klavier, dazu mehr als 50 Messen und weit über hundert kleinere geistliche Vokalwerke. Sie wurden in ganz Europa geschätzt. So schreibt der englische Musikhistoriker Charles Burney 1819: "Bevor wir mit den Sinfonien Haydns bekannt wurden, erregte der geistvolle, natürliche und ungekünstelte Stil Vanhals mehr Auf- merksamkeit in unseren (Londoner) Konzerten als irgend eine andere ausländische Musik seit langer Zeit." 
Als er 1813 starb, waren seine großen Orchesterwerke jedoch schon vergessen. Das liegt daran, dass er um 1780 aufhörte, Sinfonien, Konzerte und Streichquartette zu komponieren. Statt dessen schrieb Vanhal nun Kirchen- und Klaviermusik - und lebte davon ganz prächtig, auch wenn die Musikkritik über Stücke wie Die große Seeschlacht bey Abukir (1800)  oder Feyer der Rückkehr unseres allgeliebten Monarchen Franz I. (1810) die Nase rümpfte. 
Im Mittelpunkt der vorliegenden CD steht Vanhals Cellokonzert C-Dur (Weinmann IId:C1), eines von vier Cellokonzerten des Komponisten. Es ist ein strahlend schönes, festliches Werk, das dem Solisten viel Raum zur virtuosen Präsentation bietet. Der junge ungarische Cellist István Várdai spielt dieses Konzert klangschön; er studiert derzeit an der Kronberg Academy, und man darf von ihm für die Zukunft wohl noch viel erwarten. Begleitet wird er von den Camerata Schweiz, einem Ensemble, das aus dem Schweizer Jugend-Sinfonieorchester hervorgegangen ist, und hier von Howard Griffiths geleitet wird. Die Musiker stellen auch zwei Sinfonien Vanhals vor - und sie spielen mit viel Engagement. Den hübschen Werken kommt dies zugute; Vanhal ist, was seine Sinfonien betrifft, nicht nur ein Vorgänger, sondern offenbar auch ein Geistesverwandter Haydns. Seine Musik macht Freude. Man wünscht sich mehr davon. 

Montag, 26. März 2012

Bach: Guitar Transcriptions; Devine (Naxos)

Graham Anthony Devine spielt eigene Transkriptionen von Bach-Werken. Der Gitarrist, der am Trinity College of Music in London unterrichtet, hat sich für durchweg sehr bekannte Stücke entschieden: Nun komm' der Heiden Heiland BWV 659 aus den Leipziger Chorälen, die Cello-Suite mit der berühmten Sarabande (BWV 1010), Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ BWV 639 aus dem Orgel- büchlein, Jesus bleibet meine Freude aus Herz und Mund und Tat und Leben BWV 147, die Partita Nr. 2 in d-Moll BWV 1004 für Violine solo - mit der Chaconne - und Bist du bei mir BWV 508 aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach
Seine Bach-Bearbeitungen sind grandios; sie erkunden Bachs Musik mit Demut und Sensibilität, und vollziehen auf der Gitarre nach, was der Komponist einst für gänzlich andere Instrumente erdacht hat. Obwohl Devines Bach-Transkriptionen zumeist technisch höchste Ansprüche stellen, bringt sie der Gitarrist so locker zum Klingen, dass man nur staunen kann. Er spielt Bach glasklar strukturiert, jederzeit durchhörbar bis ins kleinste Detail, beseelt und eindrücklich - selten habe ich diese Werke so ergreifend gehört. Kurz und gut: Dies dürfte meine persönliche Bach-Lieblingsaufnahme des Jahres werden. Bravo!

Sonntag, 25. März 2012

Vása Príhoda plays Mozart & Bach (Idis)

Vása Príhoda (1900 bis 1960) ge- hörte zu den großen Violinvirtuo- sen der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Sein Vater, der ebenfalls Musiker war, hatte in Prag eine Musikschule gegründet. Er unterrichtete seinen Sohn bis zu dessen 10. Lebensjahr, danach ging Vása Príhoda aufs Konservatorium. Der Geiger debütierte als Zwölfjäh- riger mit Mozarts D-Dur-Konzert; ein Jahr später konzertierte er erstmals im Prager Mozarteum - und zwar mit Beethovens Früh- lingssonate und Tartinis Teufelstriller-Sonate.
Parallel zu seiner Solistenkarriere unterrichtete Príhoda in Prag, in Salzburg und ab 1951 als Professor an der Musikhochschule in Wien. Die vorliegende CD enthält Aufnahmen, die Príhoda 1957 im Studio in Turin eingespielt hat. Es handelt sich dabei um Mozarts G-Dur-Kon- zert KV 216 und das D-Dur-Konzert KV 218, sowie Bachs Doppel- konzert, das er gemeinsam mit Franco Novello spielt. Zu hören ist zudem das Orchestra Sinfonica di Torino della RAI; es dirigiert Ennio Gerelli. Die sorgsam remasterten Aufnahmen vermitteln einen guten Klangeindruck vom Ton und von der Gestaltungskraft des Geigers zum Ende seiner Laufbahn. In seinen letzten Lebensjahren soll er zunehmend unter gesundheitlichen Problemen gelitten haben; im April 1960 gab er sein letztes Konzert, und im Juli erlag er einem Herzleiden. 

Monteverdi: Marienvesper; Knabenchor Hannover, Breiding (Rondeau)

400 Jahre nach der Erstveröffent- lichung 1610 hat der Knabenchor Hannover die berühmte Marien- vesper von Claudio Monteverdi (1567 bis 1643) in der St. Michae- lis-Kirche zu Hildesheim aufge- führt. Der Mitschnitt dieses Kon- zertes zum Festjahr "1000 Jahre St. Michaelis" ist nun bei Rondeau auf zwei CD erschienen. 
Die Aufnahme beeindruckt gleich mehrfach. So ist es erfreulich, dass die Psalmen der Vesper durch Antiphonen ergänzt wurden, gesungen von der Choralschola Vox Werdensis. Das vermittelt einen Eindruck davon, wie ein solches Werk zu Monteverdis Zeiten erklungen sein dürfte. Der Knabenchor Hannover singt unter Leitung von Jörg Breiding mit hohem Engagement und entfaltet, unterstützt und getragen von den Instrumentalisten des Ensembles Musica Alta Ripa und den Posaunen und Zinken des Concerto Palatino, die dem Werk angemessene Klangpracht. Die jungen Sänger werden dabei zudem durch die Himlische Cantorey ergänzt - in diesem Falle besetzt mit Veronika Winter und Gerlinde Sämann, Sopran, Henning Voss, Altus, Jan Kobow, Georg Poplutz und Nils Ole Peters, Tenor, sowie Michael Jäckel und Ralf Grobe, Bass. Diese Sänger haben durchweg reiche Erfahrungen mit der "historischen" Aufführungspraxis, und in ihrem Zusammenwirken zeigt sich, dass sie sowohl hervorragende Ensemblesänger als auch exzellente Solisten sind. Das perfekt vorgetragene Solo von Knabensopran Daniel Bühl zeigt allerdings, dass sich auch die jungen Sänger des Knabenchores durchaus hören lassen können. Der Chor singt sauber, schwungvoll und homogen. Hier gelingt ihm eine Monteverdi-Interpretation, die mit den Referenzaufnahmen durchaus mithalten kann. 

The Twiolins - Virtuoso (Emotion Music)

Marie-Luise und Christoph Dingler spielen seit ihrem siebenten Lebensjahr Violine - und obwohl beide schon früh bei "Jugend musiziert" auch als Solisten sehr erfolgreich waren, musizieren die Geschwister am liebsten gemein- sam. Mittlerweile haben die jungen Musiker bei Professor Dora Bratch- kova an der Musikhochschule Mannheim studiert; Christoph Dingler ist Konzertmeister bei den Mannheimer Philharmonikern. 
Werke für zwei Violinen sind in der älteren Literatur reich gesät. Beinahe jeder namhafte Geiger hat früher Werke geschrieben, die er gemeinsam mit seinen Schülern spielen konnte. 
In der Moderne aber ist diese Tradition offensichtlich eingeschlafen. Um das zeitgenössische Repertoire für Violinduo zu erweitern, haben Marie-Luise und Christoph Dingler 2009 den Crossover Composition Award (CCA) ins Leben gerufen. Der international ausgeschriebene Wettbewerb ruft alle drei Jahre dazu auf, neue Werke für zwei Violi- nen einzuschicken. Über die Preisvergabe entscheidet - nach einer Vorauswahl - das Publikum; der Komponist bleibt bis zur Preisverga- be anonym. 
An der ersten Wettbewerbsrunde haben sich mehr als hundert Kom- ponisten aus 16 Ländern beteiligt. "Die Besetzung Violinduo gibt viel mehr her, als man zunächst glaubt", begeistert sich beispielsweise Tina Ternes, die mit ihrem Stück Windspiel den zweiten Preis erhielt, "es lohnt sich wirklich, dafür zu schreiben und das Erlebnis, sein Stück von den Geschwistern Dingler gespielt zu hören, ist für mich unver- gesslich." 
Die beiden jungen Geiger musizieren höchst harmonisch miteinander. Sie spielen wie aus einem Gedanken, und haben hörbar Vergnügen an den Einfällen der Komponisten, die sehr unterschiedliche Werke eingereicht haben. Diese CD stellt uns die Preisträger vor. Windspiel beispielsweise wirkt sehr melancholisch, und ist zugleich mit seinen mehrstimmmigen Passagen sehr melodisch. Pas de deux von Doro- thea Mader überrascht mit erstaunlichen harmonischen Wendungen. Wie Filmmusik wirkt Auf der Autobahn von Benedikt Brydern; der Komponist und Violinist gewann dafür den ersten Preis. Aleksey Igudesman, ausgezeichnet mit dem dritten Preis, schuf mit Fever of passion und Peesh moosh farbenreiche, moderne und zugleich ein- gängige Werke. 
Auch die anderen Preisträger bieten etliche interessante Ideen. Insgesamt dürfte der Wettbewerb dem Mannheimer Violinduo viel spannende Musik beschert haben, die sie in ihren Konzerten vor- stellen können. Das Publikum wird sich darüber freuen - und wir hoffen darauf, dass es 2012 wieder einen CCA gibt. 

Samstag, 24. März 2012

"A due Organi" (Gallo)

In der Kathedrale von Asti befin- den sich rechts und links vom Hauptaltar zwei großartige histo- rische Orgeln. Rodolfo Bellatti und Nicola Cittadin bringen auf dieser CD beide Instrumente miteinander zum Klingen - und wer hier eine Rarität wittert, der wird nicht ent- täuscht. 
Da wäre auf der rechten Seite das Instrument, das die Gebrüder Serassi aus Bergamo 1844 mit Werknummer 570 errichteten. 1865 fügten sie noch eine Echo-Orgel hinzu. Diese Orgel folgt der lombardischen Tradition, mit einem grandiosen Plenum und einer breiten Spektrum an Registern. Es ist ein Instrument des 19. Jahrhun- derts - dazu bestimmt, den Orchesterklang eines Rossini oder eines Verdi zu imitieren und damit zu wetteifern. Umbauten aus späteren Jahren wurden bei einer gründlichen Restauration zur Jahrtausend- wende beseitigt und die Orgel nahezu auf ihren Ausgangszustand zurückgeführt. 
Doch bevor die Serassi-Brüder ihre Orgel errichten konnten, mussten sie ein älteres Instrument ausbauen. Es stammte von dem Orgelbauer Liborio Grisanti und aus dem Jahre 1768 - eine Orgel der neapolita- nischen Schule, mit einem brillanten Klang und einigen wenigen Konzertregistern wie Flauto in Ottava, Cornetto oder Voce Umana. Die Gebrüder Serassi haben es 1835 auf die linke Seite versetzt, und 1865 überarbeitet. Auch diese Orgel wurde, und zwar 2009, von der Bottega Organara Dell'Orto e Lanzini nach modernen Maßstäben restauriert. 
Beide Instrumente sind auf eine Stimmhöhe von 435,7 Hertz sowie leicht ungleichschwebend gestimmt. Das macht es möglich, mit beiden Orgeln zugleich zu musizieren. Rodolfo Bellatti und Nicola Cittadin haben dafür ein Programm zusammengestellt, das die Eigenheiten der Instrumente zur Geltung bringt, und ihre Stärken ausspielt. So treten diese beiden höchst verschiedenen Orgeln in einen spannenden musikalischen Dialog. Die beiden Organisten präsentieren teils Werke, die tatsächlich für zwei Instrumente komponiert worden sind, teilweise auch Transkriptionen. Dabei setzen sie auf die "Terrassendynamik" barocker Konzerte ebenso wie auf die Kontraste, mit denen Rossini einst sein Publikum entzückte. 
Abschließend erklingen die Variations on a Easter Theme, ein Stück von John Rutter. Es ist für das vierhändige Spiel an einer nicht zu kleinen modernen Orgel entstanden. Bellatti und Cittadin haben es sehr geschickt an die Voraussetzungen angepasst, die die beiden historischen Instrumente bieten. 

Chopin: 4 Ballades - 4 Impromptus; Katz (Oehms Classics)

Werke von Frédéric Chopin, ge- spielt von Amir Katz? Das macht neugierig. Und wie schon bei seiner Aufnahme der Nocturnes, setzt sich der Pianist auch bei dieser Einspielung der vier Balla- den und vier Impromptus über so manche Konvention hinweg, und sucht seine ureigenste Lesart. 
Wie er Chopin hier spielt, das passt erstaunlich gut - seine Balladen-Interpretationen erscheinen weniger virtuos als poetisch, und die Impromptus wirken tatsächlich wie improvisiert. Eine schöne CD, das muss man Katz lassen - doch man würde sich freuen, wenn er sich gelegentlich auch einmal der Literatur abseits vom romantischen Mainstream widmen würde. Man mag die vielen Aufnahmen kaum mehr anhören, die immer wieder die gleichen bekannten Werke reproduzieren. Warum kümmert sich eigentlich keiner um die Komponisten, die nicht Schumann, Schubert, Mendelssohn, Brahms und Chopin heißen?! 

Handel: Il trionfo del Tempo e del Disinganno (Wigmore Hall Live)

Als Georg Friedrich Händel, gerade 20 Jahre alt, 1706 in Italien eintraf, war in Rom die Aufführung von Opern verboten. Gar zu lasterhaft erschien dem Papst das Geschehen auf und sicherlich auch hinter der Bühne - doch die Musikfreunde in der ewigen Stadt wussten sich zu helfen: An die Stelle der Oper trat das Oratorium.
Händel schuf 1707 in Rom sein erstes Werk dieser Gattung - im Auftrag und nach einem Libretto des Kardinals Benedetto Pamphili. Es ist dem jungen Komponisten wirklich gelungen, und niemand sollte sich wundern, dass ihm viele der Melodien bekannt vorkommen: Händel selbst hat Il trionfo del tempo e del disignanno noch zweimal komplett wiederverwendet - 30 Jahre später in London als Il trionfo del tempo e della verita, und am Ende seines Lebens, als sein letztes Vokalwerk, als The Triumph of Time and Truth. Einzelne Arien daraus begegnen dem Opernfreund zudem in Händels Opern; so beispiels- weise jene Arie, die später als Lascia ch'io pianga in seiner Oper Rinaldo berühmt wurde. 
Die Handlung ist sehr moralisch, und sie dreht sich um die Frage: Was passiert, wenn die Schönheit (Bellezza) von dem Vergnügen (Piacere), der Zeit (Tempo) und der Vernunft (Disignanno) umworben wird? Die Antwort kann sich jeder vorstellen, der sich mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt hat. Aber Händels Musik ist bezaubernd. Und diese Einspielung, ein Live-Mitschnitt aus Wigmore Hall, ist exzellent. Dazu tragen ganz wesentlich die vier vorzüglichen Solisten bei - Lucy Crowe, Anna Stephany, Hilary Summers und Andrew Staples, durchweg mit gut geführten und schön timbrierten Stimmen. Es musiziert die Early Opera Company unter Christian Curnyn, ein Orchester in nahezu solistischer Besetzung, von dem man sicherlich noch manche Überraschung erwarten darf. 

Sonntag, 18. März 2012

Liszt: Anées de Pèlerinage; Schirmer (Berlin Classics)

Reisen überwindet Distanzen.
Und so hat Ragna Schirmer den 200. Geburtstag Franz Liszts  zum Anlass für eine Pilgerreise ge- nommen: Sie folgte den Spuren des Komponisten durch die Schweiz und Italien, seinen Zyklus Années de Pèlerinage als Reiseführer. 
Dabei gelang der Pianistin zumin- dest räumlich die Annäherung an den berühmten Kollegen. Das Beiheft zu dieser CD - leider un- glaublich kitschig aufgemacht - verdeutlicht, welche Erkenntnisse Schirmer durch die Reise ge- wonnen hat. So stellte sie fest, dass das Wasser im Garten der Villa d'Este nicht etwa murmelt und raunt: "Das sind hunderte riesiger Wasser-Fontainen. Es ist unfassbar laut!" Über die literarische Qualität der Einträge, die hier mit blauer Tinte notiert sind, möchte man an dieser Stelle lieber schweigen, und hoffen, dass diese schwachen Textchen von PR-Leuten geschrieben worden sind. 
Aus der Auseinandersetzung mit den Quellen, auf die Liszt sich in seinem Werk immer wieder bezieht, hat Ragna Schirmer das Prinzip für ihre Gesamteinspielung gewonnen: Liszt hat sich für die Kunst der italienischen Renaissance stark interessiert, sie hat ihn begeistert und inspiriert. Schirmer unterbricht daher seine Klaviermusik, und setzt in die Pausen Madrigale von Carlo Gesualdo und Luca Marenzio. Diese Stücke werden ausdrucksstark gesungen vom Männerquintett Amarcord. Man spürt, dass das Leipziger Ensemble seine Wurzeln im Thomanerchor hat. 
Dieser Versuch, Liszts Zyklus durch eine Art Zwiegespräch zu ergän- zen, funktioniert mal besser, mal weniger gut. Wenn beispielsweise auf Marenzios Dura legge d'Amor, am Beginn der dritten CD, Liszts Angélus folgt, dann empfinde ich das als einen Bruch, dessen Funk- tion ich nicht wirklich begreife. 
Auch die Liszt-Interpretation von Ragna Schirmer macht mich nicht vollends glücklich. Sie ist unglaublich farbenreich, erscheint aber auch unsäglich oberflächlich. Eine Note ist möglicherweise eben doch nicht nur eine Note. Aus dieser Musik ist unter den Händen der Pianistin das Geheimnis verschwunden; es ist ein protestantisch-geradliniger Liszt, den Schirmer hier porträtiert. Er war aber, denke ich, letzten Endes ein Mystiker, ein Mann der Abgründe und nicht nur der Täler. In den Années de Pèlerinage beschreibt der Komponist weniger Reiseeindrücke als vielmehr seine persönliche, innere Entwicklung - und da ist zu spüren, dass Schirmer der Zugang zu Liszt wohl doch nicht gelungen ist. Schade. 

Virtuoso Baroque (Our Recordings)

Michala Petri hat gemeinsam mit Lars Hannibal eine CD mit Barock- musik eingespielt. Die Flötistin beweist damit erneut ihre Klasse - wenn es um Blockflötenmusik geht, kann ihr weltweit keiner das Was- ser reichen. 
So ist es überhaupt kein Problem, dass sie sich aus dem Repertoire attraktive Stücke heraussucht, die üblicherweise selbst Geiger ins Schwitzen bringen, wie Tartinis berüchigte Teufelstrillersonate. Zu Bachs Zeiten war es ja ohnehin üblich, die Musik der jeweils vorhan- denen Besetzung anzupassen. Und diesem Duo zu lauschen, ist wirk- lich ein Vergnügen: Rasante Läufe, brillante Verzierungen, schön ausmusizierte langsame Passagen - es gibt schier nichts, was Petri/ Hannibal nicht mit Perfektion gelingt. Bravi! Diese CD, die auch klanglich erstaunlich viel Abwechslung bietet, ist ein großer Spaß für Kenner, und wird auch Nicht-Experten gefallen - versprochen! 

Samstag, 17. März 2012

Romance of the Lute - Lutz Kirchhof (Centaur)

Lutz Kirchhof gehört zu den enga- gierten Lautenisten. Der Musiker setzt sich sehr für "sein" Instru- ment ein, und es ist ihm ein Anliegen, das Publikum und auch den Nachwuchs für die Laute zu begeistern. 
Auf der vorliegenden CD stellt er Werke von drei Lautenvirtuosen vor, die man im Umfeld Johann Sebastian Bachs verorten kann - jedenfalls zwei von ihnen: Über den großen Lautenisten Sylvius Leopold Weiss, der am Dresdner Hof seinen Wirkungskreis fand, ist in diesem Blog bereits ausführlich berichtet worden. Johann Kropfgans war einer seiner Schüler. 
Johann Friedrich Daube stammte aus dem Hessischen; er war zu- nächst Theorbist am Hofe Friedrichs II. in Berlin, und ging 1744 als Kammermusikus nach Stuttgart, später dann als Rath und Sekretär der Akademie der Wissenschaften nach Augsburg.  Er starb 1797 in Wien. Seine Werke stehen, bei aller Galanterie, der Frühklassik bereits ziemlich nahe. 
Kirchhof scheint aber seine Sonate zunächst Rudolf Straube, einem Schüler Bachs, zugeschrieben zu haben - und korrigiert dies zwar auf der Titel-Liste, nicht aber im Text für das Beiheft, von dem man sich zudem mehr versprochen hatte. Da gibt es wenig Information, statt dessen aber allerlei esoterisches Geschwafel. Doch wie schreibt Kirchhof? "Viel schöner ist es ja auch, als Hörer selbst die zarten musikalischen Andeutungen und geheimnisvollen emotionalen Aussagen zu entdecken." 
Nun denn. Doch auch beim Anhören dieser CD sind leider gewisse Unschärfen und ein Mangel an Präzision und an strukturellem Verständnis festzustellen. Fingerfertigkeit allein genügt halt nicht; man wünscht sich eine angemessene Gestaltung, und daran mangelt es in diesem Falle. Schade. 

Freitag, 16. März 2012

Bühler: Galanteriestücke, Pastorellen; P. Justinus: Toccaten (Organum Classics)

Franz Bühler (1760 bis 1823) war der Sohn eines Lehrers und Organisten aus Unterschneidheim. Im Alter von zehn Jahren wurde er als Chorknabe in die Benediktiner- abtei Neresheim aufgenommen. Dort besuchte er das Gymnasium, und erhielt natürlich auch Musik- unterricht in seiner ganzen damals üblichen Breite. Nach einem Studium in Augsburg trat er 1778 in das Benediktinerkloster Donau- wörth ein. Es darf vermutet werden, dass Abt Coelestin II. Bühlers musikalische Talente nach Kräften förderte. Die Kantaten und Sing- spiele, die der Priester mit Schülern und Mitbrüdern aufführte, wurden weithin gerühmt; sie begeisterten auch den Millionär Anton Melchior von Menz, der Abbé Bihler 1794 nach Bozen holte, wo er das Musikleben kraftvoll in Schwung gebracht hat. 1801 wurde Bühler dann als Domkapellmeister nach Augsburg berufen. 
Obwohl Bühler ein umfangreiches Werk hinterlassen hat, ist er heute nahezu vergessen. Aus diesem Grunde beauftragte die Kulturstiftung Franz Bühler, Unterschneidheim, den Organisten Professor Willibald Bezler damit, auf einer CD die Musik dieses süddeutschen Meisters vorzustellen. Ausgewählt wurde dafür die Orgel der Abteikirche Neresheim, die dort durch Johann Nepomuk Holzhey in den Jahren 1794 bis 1797 errichtet worden ist. Es ist das größte Orgelwerk, dass dieser schwäbische Orgelbauer je geschaffen hat - und es ist in hörbar exzellentem Zustand. 
Um deutlich zu machen, wie individuell Bühlers musikalische Hand- schrift ist, und wie erstaunlich seine Klangvorstellungen bereits die Romantik vorwegnehmen, hat Bezler zwischen die Galanteriestücke und die - sehr hübschen - Pastorellen des Komponisten Toccaten eines anderen Komponisten aus der Region eingefügt: Johannes Justus Will (1675 bis 1747), bekannter als Pater Justinus, gehörte der Vorgängergeneration an, und schrieb noch "richtige" Barockmusik. Diese Kombination sorgt einerseits für einen gewissen Kontrast. Andererseits macht sie deutlich, wie groß der Schritt ist, den Bühler gewagt hat. 
In der Zusammenstellung dieser Raritäten erweist sich Bezler als ein Kenner der musikalischen Landschaft. Und die CD zeigt ihn als einen großartigen Organisten. Schade nur, dass sie nach 47 Minuten schon zu Ende ist. 

Bach: 6 Suites de danses; Caussé (Virgin Classics)

Darf man Bachs Cello-Suiten auf der Bratsche spielen? Gérard Caussé beantwortet diese Frage im Beiheft zu dieser CD, indem er sich an ferne Kindertage und seinen da- maligen Lehrer, Monsieur Mey- nard, erinnert: "Noch bevor ich ihn sah, hörte ich ihn, und zwar mit einer Intensität, wie man sie nur in der Kindheit erlebt und so gerne noch einmal empfinden möchte. 
Er begrüßte uns mit einer der Suiten und öffnete mir mit seiner Bratsche die Tür zu Bach, Sonntag für Sonntag." 
Und auch wenn der kleine Gérard zunächst ganz sicher andere Stücke geübt haben wird, und der große Komponist ausgerechnet für sein Instrument kein wichtiges Werk hinterlassen hat, so wusste Caussé doch schon als Kind: "Bach spielte Bratsche." Und dieses Instrument hat vier Saiten, genau wie das Violoncello, meint der Musiker, "nur eine Oktave höher"
"Ist dies der Versuch, mich für einen Betrug zu rechtfertigen?", fragt sich Caussé. Und findet gleich darauf ebenso viele Gründe, die dafür sprechen, die Suites de danses auf der Viola zu spielen. Resultat dieses Ringens: "Ich kann nur für eine zeitlose Leidenschaft eintreten und für den Glauben an mein eigenes Instrument." Caussé spielt Bachs Suiten als Stücke "des inneren Tanzes, Entzücken und Tiefe, Anmut und Meditation". Er lässt sie schwingen und atmen - und wie Denkpausen wirken daneben sieben Texte von Rainer Maria Rilke, die sein Freund und künstlerischer Weggefährte Laurent Terzieff dafür ausgewählt und (in französischer Sprache) gelesen hat. Es erscheint zugleich wie ein Vermächtnis des großen französischen Schauspielers, der gestorben ist, noch bevor Caussé Bachs Musik vollständig ein- gespielt hatte. 
So ergibt sich ein altersweises Gesamtkunstwerk - sehr ruhig, sehr meditativ und auch ein bisschen schwermütig. Eine schöne Auf- nahme, die hier empfohlen werden kann. 

Donnerstag, 15. März 2012

Ensemble Consolazione (Ars Produktion)

Musik für Flöte und Gitarre er- freute sich zur Zeit des Bieder- meier großer Beliebtheit. Insbe- sondere in den Wiener Salons wetteiferten nicht nur die höheren Töchter, sondern auch etliche Virtuosen um die Gunst des Publikums. Einige ihrer Werke haben Karel Valter, Traversflöte, und Jan Tulácek, Gitarre, auf dieser CD zusammengetragen. 
Es erklingen das Gran Duetto Concertante op. 52, die Serenade op. 127 und das Gran Duetto Concertante op. 85 von Mauro Giuliani (1781 bis 1829), zwei der
Six Duos op. 104 von Ferndinando Carulli und die Grande Serenate op. 67 von Anton Diabelli. 

Die beiden jungen Musiker haben bereits während ihres Studiums am Prager Konservatorium die "Alte" Musik für sich entdeckt, und treten seit 1995 gemeinsam als Ensemble Consolazione auf. Fast noch interessanter als das Repertoire, das sie mit der vorliegenden Aufnahme präsentieren, erscheinen die wunderbaren Instrumente, auf denen sie spielen: Karel Valter benutzt die Kopie einer Flöte, die der berühmte Dresdner Flötenbauer August Grenser um 1790 geschaffen hat. Das Original ist aus Ebenholz. Die Kopie hat Martin Wenner in Singen 2005 aus Grenadillholz angefertigt. Jan Tulácek spielt eine Gitarre in alter Mensur von Johann Michael Rudert, Wien 1814. Dieses faszinierende Instrument ist komplett im Original- zustand erhalten; sie wurde von dem Vogtländer, der 1813 nach Wien ging, nach italienischem Vorbild gebaut. 
Dank dieser beiden Instrumente erhalten wir einen Eindruck vom originalen Klang dieser sehr speziellen Art von Salonmusik - und das macht diese Aufnahme interessant. Denn wir können hier diese Un- terhaltungsmusik in ihrer ursprünglichen klanglichen Ausgewogen- heit erleben. Und so wirkt sie wirklich bezaubernd. 

Handel: Nine German Arias, Gloria (Naxos)

Diese CD vereint zwei sehr unter- schiedliche Werke von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759). Die Neun Deutschen Arien schuf der Komponist 1724 bis 1727 nach Gedichten aus der Sammlung Irdisches Vergnügen in Gott des Hamburger Dichters Barthold Heinrich Brockes. Sie sind schlicht und empfindsam, und bereiten so manchem Sänger Probleme - so auch Dorothea Craxton, die in den pietistisch-innigen Gesängen ihren strahlenden Sopran nicht recht zur Geltung zu bringen weiß. Auch ein Zwiegesang mit der obligaten Violine von Fredrik From kommt nicht recht zustande. So macht sich Langeweile breit, schade. 
Das Gloria hingegen, das Händel während seines Aufenthaltes in Ita- lien komponiert haben soll, ist hochvirtuose, technisch höchst an- spruchsvolle Musik - und hier brilliert urplötzlich auch die Sängerin. Man staunt, und ist erfreut: Ein schönes Stück, temperamentvoll vorgetragen. 

Bach: Missa in h-moll; Herreweghe (Phi)

Die h-Moll-Messe ist mir bislang immer wie ein Fremdkörper in Bachs  urprotestantischem Werk erschienen. Überforderte Chöre und wenig inspiriert, aber desto engagierter vortragende Sänger lassen die Beschäftigung mit Bachs "großer catholischer Messe" regelmäßig zur Qual werden - denn wer über Musik schreiben möchte, muss auch schlechte Aufnahmen bis zum bitteren Ende ertragen. So hatte ich wenig Hoffnung, als ich diese CD startete - doch schon nach wenigen Takten weicht das Ent- setzen der Faszination: Das ist Musik! 
Es ist bereits seine dritte Einspielung der h-Moll-Messe, die Philippe Herreweghe nun bei seinem eigenen Label Phi veröffentlicht. Die jahrzehntelange intensive Auseinandersetzung des Dirigenten mit Bachs Musik schuf die Grundlage für diese phantastische Aufnahme - für die ihm allerdings auch erstklassige Musiker und Sänger als Part- ner zur Verfügung standen.  
Die Solistenriege besteht aus Dorothee Mields, Hana Blažiková, Damien Guillon, Thomas Hobbs und Peter Kooij, durchweg Sänger mit reicher Erfahrung im Bereich der "Alten" Musik. Und auch das Colle- gium Vocale Gent zeigt sich bestens disponiert. Solisten wie Ripie- nisten singen berückend. So himmlisch klingt Bachs Messe also, wenn Musiker nirgends durch ihre Technik limitiert sind. 
Herreweghe kann auf einen homogenen, traumhaft schönen En- sembleklang bauen. Wie er Bachs musikalischen Strukturen zum Leben erweckt, das hätte wohl auch den Thomaskantor begeistert. Herreweghe setzt ganz auf eine textnahe Interpretation, und sie ist hier in einzigartiger Intensität gelungen. Diese herausragende Ein- spielung ist ohne Zweifel die neue Referenzaufnahme. 


Mittwoch, 7. März 2012

Andreas Scholl - Bach Cantatas (Decca)

Beim ersten Anhören dieser CD ist man geneigt, den Countertenor Andreas Scholl einen Schönsinger zu schelten. Doch hört man seine Interpretationen der Bach-Kanta- ten BWV 82 Ich habe genug und BWV 169 Gott soll allein mein Herze haben sowie einiger ergän- zender Zugaben mehrfach an, wird man bald feststellen, dass sie klare Akzente setzen, und offensichtlich trotz allen Wohlklanges auch wohl- durchdacht sind.
"Ganz wichtig ist meiner Meinung nach, sich sehr viel Zeit für das Studium von Bachs Musik zu neh- men", erklärte der Sänger einmal in einem Aufsatz, der seine Erfah- rungen mit dem Werk des Komponisten zusammenfasst. "Man ist immer auf der sicheren Seite, wenn man ein Werk nahezu auswendig lernt und sich dann eine bestimmte Zeit lang immer wieder mit ihm befasst. Gerade in Rezitativen entdecke ich beständig neue Details und gewinne neue Einsichten und Ideen für eine Interpretation. (...) Insbesondere die Rezitative gewinnen unendlich, wenn man sie viele Male laut liest."
Diese Sorgfalt macht sich bemerkbar. Denn die Botschaft, die der Sänger und die Musiker des Kammerorchesters Basel um Julia Schröder vermitteln, kommt an - auch wenn Scholls Stimme heute nicht mehr ganz so brillant klingt wie bei jener legendären Aufnahme aus dem Jahre 1997 mit Philipp Herreweghe und dem Collegium Vocale, auf der er bereits drei Bach-Kantaten in herausragenden Interpretationen vorgestellt hat. Auch an der grandiosen Bach-Gesamteinspielung unter Ton Koopman hatte Scholl seinerzeit mitgewirkt. Mit dieser CD komplettiert Scholl nun seine Einspielungen der Bach-Kantaten für Altstimme; leider erfährt man aber nicht, wer die Solo-Oboe geblasen hat (sehr ordentlich), und wer die obligate Orgel gespielt hat (exzellent) - soviel Korrektheit sollte gerade ein großes Label wie Decca auszeichnen. 

Eccard: Preussische Festlieder (Carus)

"Selten sind seine Gaben, keiner unter den Söhnen unserer Stadt hat vor ihm verstanden, so anmuthig die Töne zu verbinden, die lebendige Melodie so den Worten anzuschmiegen", lobte Ludwig Helmbold, poeta laurea- tus, Pfarrer und Superintendent an der Marienkirche im thüringischen Mühlhausen, seinen Schüler Jo- hannes Eccard. 
Diese Stärke zeigt sich auch in je- nen Liedsätzen, die Eccards Schüler Johannes Stobäus gemein- sam mit eigenen Werken 1642 und 1644 unter dem Titel Preussische Festlieder veröffentlicht hat. Musikhistoriker haben diese Sammlung als kulturelles Vermächtnis Preußens gewürdigt. Sie entstand als Chorbuch für den Figuralgesang in den lutherischen Gemeinden des Herzogtums, zusammengestellt im Auftrag des Königsberger Geist- lichen Ministeriums. 
Stobäus wählte dafür 35 eigene Liedsätze für fünf bis acht Stimmen und 26 seines Lehrers Eccard aus, und ordnete sie dem Kirchenjahr entsprechend. 15 dieser Werke hat jetzt das Vocal Concert Dresden unter Leitung von Peter Kopp und zumeist lautstarker Begleitung durch die Capella de la Torre für Carus eingesungen. Darunter sind bekanntere Werke, wie Macht hoch die Tür von Stobäus oder Maria, das Jungfräuelein von Eccard, aber auch etliche Lieder in Welt- ersteinspielung. Das Vocal Concert Dresden erweist sich erneut als einer der derzeit besten Chöre Deutschlands. Die Bläserklänge der Capella de la Torre sind für meinen Geschmack zumeist sehr intensiv; aber es ist anzunehmen, dass Stadtpfeiffer seinerzeit mit genau diesem Instrumentarium an der Kirchenmusik mitgewirkt haben. Insofern ist dieses Klangbild sicherlich authentisch. 

Eccard: Fröhlich will ich singen (Carus)

"Wes Brot ich ess', des Lied ich sing", dieses Sprichwort prägte Musikerbiographien ganz beson- ders zur Zeit der Reformation und Gegenreformation. Johannes Eccard (1553 bis 1611) stammt aus der Keyserlich Freyen und des Heil. Reichs Stadt Mühlhausen in Thüringen - seit 1557 protestan- tisch. Seine musikalische Laufbahn begann er als Sängerknabe an der Hofkapelle in Weimar, ebenfalls evangelisch. Als diese 1571 aufge- löst wurde, wechselte Eccard als Cantorey Puebe bzw. Altist an die Münchner Hofkapelle München unter Orlando di Lasso. 
Er habe "daselbst von Orlando di Lassus (...) in itziger zeit under den Musicis dem beruhmbtesten (...) Composition in preceptis et funda- mento (...) gefast und gelernet", berichtet Eccard später. Da musi- zierte er bereits in Augsburg für Jakob Fugger, und damit erneut für einen katholischen Dienstherrn.
Die Religion könnte der Grund dafür sein, dass Eccard schließlich bei diesem Mäzen kündigte und in die Hofkapelle Markgraf Georg Fried- richs von Ansbach eintrat: Im Mai 1580 ging er als Vizekapellmeister nach Königsberg. Doch die Kapelle nahm der Markgraf 1586 wieder mit zurück nach Ansbach. Eccard blieb in Königsberg zurück, und schrieb eifrig Bittbriefe, der Markgraf möge ihm seine Tätigkeit doch angemessen vergüten. Als der Markgraf 1603 starb, übernahm der brandenburgische Kurfürst Johann Friedrich die Verwaltung des Herzogtums Preußen - und damit auch den Vizekapellmeister, der in Königsberg offenbar sowohl für die Musik bei Hofe als auch in der Kirche zuständig war. Erst sein Nachfolger Johann Sigismund machte Eccard endlich zum Kapellmeister, und holte den Musiker 1608 nach Berlin. Dort leitete Eccard die kurfürstliche Hofkapelle nebst sechs Chorknaben und den "andern so du aus Preußen mit zu bringen gemeint", so die Order. Die "Musica", so der Kurfürst, solle "Unns zur Zier, und dir selbst zum ruhm" gereichen.
Dafür sorgte dann letztendlich Eccards Schüler und Nachfolger Johannes Stobäus. Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass die Werke Eccards nicht in Vergessenheit geraten sind. Noch heute erklingen seine Liedsätze in evangelischen Kirchen; sie sind im Gesangbuch zu finden. Staats- und Domchor Berlin und die Lautten Compagney Berlin haben nun für Carus eine Auswahl aus seinem umfangreichen Werk eingespielt. 
Der Staats- und Domchor wurde 1465 gegründet. Damals stellte Friedrich II. von Hohenzollern für die Kirchenmusik fünf "Singe- knaben" ein. Als Eccard dieses Ensemble leitete, bestand es bereits aus 12 Sängern, die zudem gemeinsam mit der Hofkapelle musizier- ten. Heute gehört der Chor zur Universität der Künste, er ist noch immer ein Knabenchor, und konnte unter Leitung von Kai-Uwe Jirka in jüngster Vergangenheit europaweit etliche Preise erringen. 
Die Jungs und jungen Männer singen - im typischen Knabenchor-Sound - geistliche und weltliche Lieder des von Johannes Eccard. Die CD beginnt und endet mit gewichtiger Kirchenmusik - Ein feste Burg, De profundis, Das Vater unser und Da pacem Domine. Dazwischen wird fröhlich und mitunter auch etwas keck gesungen, was die Noten hergeben. Und da findet sich auch allerhand Unterhaltsames. Für Abwechslung sorgt auch die Besetzung, sowohl instrumental als auch mit Chor und Soli; allerdings stammen diese wohl nicht durchweg aus dem Chor. Wie wenig erschlossen dieses Repertoire bislang ist, wird daran sichtbar, dass fast die Hälfte der Stücke auf dieser CD Welt- ersteinspielungen sind. 

Dienstag, 6. März 2012

Pour le moment (Violoncello à deux)

Violoncello à deux - das sind die Cellistinnen Birgit Heinemann und Uta Schlichting. Auf der vorlie- genden CD unternehmen sie eine musikalische Zeitreise - und erkun- den dabei zwischen Francois Couperin und Louis Guglielmi jede Menge hübsche Miniaturen, die sie temperamentvoll vorstellen. 
Das Duo hat eine ganz entschiede- ne Schwäche für den Tango, den die beiden Musikerinnen regel- recht zelebrieren. Am stärksten spielen sie, wenn die beiden Partien klar unterschiedlich sind. Sind hingegen zwei Stimmen zu vernehmen, die miteinander in den Dialog treten sollen, so kann das schon einmal in einen Wettstreit münden; einen Boccherini beispielsweise wünscht man sich eleganter. Und auch den Dotzauer-Variationen über Mozarts Reich mir die Hand, mein Leben würde ein bisschen Verschmitztheit sicherlich gut zu Gesicht stehen. 

Friedrich II "Der Grosse" und seine Hofkomponisten (Crystal Classics)

Friedrich II. (1712 bis 1786) engagierte für sein Orchester einige der besten Musiker seiner Zeit. Am Hof des Preußenkönigs wirkten unter anderem Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Joachim Quantz, die Brüder Graun und Franz Benda. Wer wissen will, welche Musik Friedrich schätzte, dem bietet diese Doppel-CD einen ersten Höreindruck. 
Die Aufnahmen stammen aus dem Archiv von Capriccio; sie sind zumeist von hoher Qualität. Zu hören sind unter anderem Flötisten wie Eckart Haupt, Manfred Friedrich und Christoph Huntgeburth, Christine Schornsheim, Cembalo, sowie die Berliner Barock-Compagney, die Dresdner Barocksolisten und das Kammerorchester "Carl Philipp Emanuel Bach" unter Hartmut Haen- chen. 

Montag, 5. März 2012

Baroque Oriental (Berlin Classics)

Es sind ungewöhnliche Klänge, die das Pera Ensemble hier vorstellt. Gegründet 2005 von den aus Istanbul stammenden Musikern Mehmet C. Yesilcay und Ihsan Özer, kombiniert es die Traditio- nen der osmanischen Hofmusik auf authentischen Instrumenten mit "Alter" Musik aus Europa. 
Das bringt zum einen faszinierende Klangfarben. Zum anderen zeigt es aber auch, dass ein Austausch zwi- schen den Kulturen stattgefunden hat. So kam ein Wojciech Bobowski, geboren 1610 in Galizien und später verschleppt von den Tataren, an den Hof des Sultans, wo er zum Islam konvertierte und unter dem Namen Ali Ufki wirkte. Weil er die Musik, die damals in Istanbul gespielt wurde, in einer eigens dafür von ihm entwickelten Notenschrift aufzeichnete, lässt sich heute nachvollziehen, was um 1650 bei Hofe erklungen ist. 
Die Viola d'amore fand den Weg aus Europa nach Istanbul, die Laute hingegen hat ihre Ursprünge im arabischen Instrument Al-Ud. Und nicht erst zur Mozart-Zeit würzten europäische Komponisten ihre Werke gern mit einer Prise orientalisch-exotischer Wendungen. Wer hören möchte, wie Monteverdi klingt, wenn er von türkischen Musikern gespielt wird, der wird an dieser CD seine Freude haben.

Sonntag, 4. März 2012

Reinecke: Complete Violoncello Sonatas (MDG)

"Das kann ich nicht, da musst du den Reinecke fragen, der kann das besser", soll Schumann einst ge- antwortet haben, als er gebeten wurde, eine Fassung seiner Sinfo- nien für zwei Klaviere anzufertigen. Carl Reinecke (1824 bis 1910) debütierte 1835 als Pianist. Nach ersten Konzertreisen quer durch Europa finanzierte ihm sein Landesherr, der dänische König Christian VIII., ein dreijähriges Studium am Leipziger Konservato- rium. 
In dieser Zeit lernte Reinecke Robert Schumann und Felix Mendels- sohn Bartholdy kennen und schätzen; ihnen blieb er zeitlebens eng verbunden. Auch mit Johannes Brahms war er befreundet. 
Als Reinecke 1860 Gewandhauskapellmeister wurde, verstand er sich in erster Linie als Hüter Leipziger Musiktraditionen. Dieses Amt hatte Reinecke immerhin 35 Jahre lang inne. Und obwohl er bis 1902 am Leipziger Konservatorium die Fächer Klavier und Komposition unterrichtete - unter seinen zahlreichen Schülern waren Max Bruch, Edvard Grieg und Leos Janácek - und auch selbst immer wieder als Klaviervirtuose auftrat, fand er noch die Zeit zum Komponieren. 
Unter seinen Werken sind drei zauberhafte Cello-Sonaten, die ohne Zweifel zu den Perlen des Repertoires gezählt werden müssen. Erinnert op. 42, entstanden zweifellos in den 40er Jahren, an Schumann, so erfreut op. 89 durch Mendelssohnsche Anklänge - und die dritte Sonate, op. 238 aus dem Jahre 1897, hat Reinecke "Den Manen Brahms'" gewidmet, der kurz zuvor verstorben war. In der Presse wurde der Komponist seinerzeit dafür als Altmeister gefeiert. Und man sollte vorsichtig sein und ein vorschnelles Urteil vermei- den; für seinen starken Bezug zur romantischen Musiktradition erntete Reinecke zu Lebzeiten heftige Angriffe aus Bayreuth und Weimar, davon sollte man sich nicht beeindrucken lassen, bevor man seine Werke angehört hat. 
Denn der exzellente Cellist Manuel Fischer-Dieskau zeigt auf dieser CD gemeinsam mit der kanadischen Pianistin Connie Shih, dass Reineckes Cello-Sonaten in erster Linie wundervolle Musik sind. Die beiden musizieren bestens ausbalanciert miteinander, und spielen sich die Themen zu. Man muss sich sehr wundern, dass diese schönen Sonaten bislang keinen Platz im Konzertleben gefunden haben - so umfang- reich ist die einschlägige Literatur nun wirklich nicht. 

Schubert: The Complete Lieder (Naxos)

Kaum ein anderer Komponist war dem Lied so zugewandt wie Franz Schubert (1797 bis 1828): Um die 650 Lieder nach Texten von 115 Dichtern hat der Komponist in seinem kurzen Leben geschaffen. Ulrich Eisenlohr hat sie in der Gesamtedition, die er für das Label Naxos geleitet hat, nach den Auto- ren der Texte gruppiert.
Die Aufnahmen folgen zudem der Neuen Schubert-Ausgabe des Bä- renreiter-Verlages, und profitieren somit von neuesten Forschungs- ergebnissen. In einem dicken Begleitheft wird jede einzelne CD aus- giebig gewürdigt, und im Internet sind zudem sämtliche Texte der Lieder zum Nachlesen verfügbar.
Doch dieses Angebot wird eigentlich nicht benötigt. Eisenlohr, der die meisten Aufnahmen auch als Pianist begleitet, konnte für dieses Pro- jekt etliche der besten deutschsprachigen Sänger begeistern. Die lange Liste der Mitwirkenden liest sich - von Ulf Bästlein über Inge- borg Danz, Christoph Genz, Jan Kobow und Sibylla Rubens bis hin zu Roman Trekel und Ruth Ziesak - wie ein Who's who der derzeit füh- renden Lied-Spezialisten. So werden Schuberts Lieder nicht nur exzellent gesungen; auch ihre Texte sind hervorragend zu verstehen.
Das ist für das Projekt essentiell. Denn es war eine besondere Gabe Schuberts, sich auf die künstlerische Eigenart jedes einzelnen Dichters einzustellen. "Mit frappierender Genauigkeit und scheinbar traumwandlerischer Selbstverständlichkeit verbrüdern sich Form- gebung und klingende Musik dem jeweiligen Gedicht, der individu- ellen Sprache des Dichters, verschmelzen sich quasi mit ihr und schaffen so ein neues Ganzes, ein unteilbares Kunstwerk", erläutert Eisenlohr. "Dies geschieht bei den Gedichten Goethes auf andere Weise und hat einen anderen 'Klang' als bei denen Schillers oder Ossians, der empfindsamen oder romantischen Dichter oder der Lyrik aus dem Freundeskreis."
Deutlich wird zudem, wie Schubert von seinem ersten Lied, dem Gesang in C, bis hin zu seinem letzten großen Zyklus, dem sogenann- ten Schwanengesang, seine musikalischen Möglichkeiten weiterent- wickelt. Der Text von Schuberts frühestem Lied, das er im Alter von 13 Jahren geschrieben hat, ist verloren. Und deshalb wird es in dieser Edition auch nicht gesungen, sondern von Daniel Grosgurin auf dem Violoncello gespielt - eine kluge Lösung, weil dies der menschlichen Stimme ziemlich ähnlich klingt. Interessant ist zudem, dass die Ge- samteinspielung auch die Fragmente sowie verschiedene Versionen einer Textvertonung enthält. So kann der Zuhörer kreative Prozesse nachvollziehen - und wird bestätigt finden, was Eisenlohr resümiert: "Nicht Vielfalt und äußere Komplexität führen zum Gipfelpunkt von Schuberts Liedkunst, sondern Verdichtung und Reduktion auf das absolut Wesentliche." 
Und damit der Hörer auch ein Klangbild erhält, das dem Original der Schubert-Zeit ziemlich nahe kommt, wurde zumindest die Serie der Lieder nach Texten, die der Empfindsamkeit zuzuordnen sind, durch einen Hammerflügel begleitet (genaueres wird aber leider nicht verraten). Man staunt, wie sehr dies die Klangfarben sowie die Balance zwischen Sänger und Pianist beeinflusst, und grübelt, ob dies nicht eigentlich auch für die anderen Aufnahmen die spannendere Variante gewesen wäre. 

Samstag, 3. März 2012

Die Orgel der Prinzessin Anna Amalia von Preußen (Crystal Classics)

Anna Amalia von Preußen (1723 bis 1787) war die jüngste Schwester Friedrichs des Großen. Sie heiratete nie; der König machte sie 1756 zur Äbtissin des Stifts Quedlinburg. Ebenso wie ihr Bruder interessierte sie sich für Musik; Amélie, wie sie eigentlich genannt wurde, begann jedoch erst nach dem Tode ihres Vaters, des Soldatenkönigs, das Clavierspiel zu erlernen. Später nahm sie auch Unterricht im Fach Komposition, und spielte Flöte, Geige, Laute und Orgel. Ihr Kapellmeister und Musiklehrer war Johann Philipp Kirn- berger. 
Eigens für die Prinzessin wurde durch Johann Peter Migendt und Ernst Julius Marx im Berliner Stadtschloss 1755 eine Orgel errichtet. Bei ihrem Umzug ins Palais Unter den Linden ließ Anna Amalia dieses Instrument umsetzen, und 1776 erwarb sie bei dem Orgelbauer ein weiteres Instrument für ihr Sommerquartier, das Venezobresche Palais. Letzteres ist verloren; doch die "Amalien-Orgel" kam nach dem Tode der Prinzessin in die Schlosskirche nach Wendisch-Buch bei Berlin. 1936 wurde sie dort ausgebaut, weil sie in eine andere Kirche gebracht werden sollte. Dazu kam es dann nicht mehr, sie blieb ein- gelagert - glücklicherweise, denn sonst wäre sie wie die Gotteshäuser durch Bomben zerstört worden. 
Nach dem Krieg fand die Amalien-Orgel in Berlin-Karlshorst ihren Platz. Dort war Roland Münch Organist, und er hat in den 80er Jahren auch die vorliegende CD eingespielt. Für dieses Orgelporträt hat der Kirchenmusikdirektor Werke von Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann Bach, Kirnberger sowie drei weniger bekannten Berliner Organisten ausgewählt. Daran zeigt er exemplarisch die Klangmöglichkeiten des Instrumentes auf. 

Benda: Violin Sonatas (Glossa)

"Er bildete sich wie alle großen Genies selber", rühmte Christian Friedrich Daniel Schubart den Musiker Franz Benda (1709 bis 1786). "Der Ton, den er aus seiner Geige zog, war der Nachhall einer Silberglocke. Seine Harpeggi sind neu, stark, voll Kraft; die Applica- turen tief studiert und sein Vor- trag ganz der Natur der Geige an- gemessen. Er spielte zwar nicht so geflügelt, wie es jetzt unsere raschen Zeitgenossen verlangen; aber desto saftiger, tiefer, einschneidender. Im Adagio hat er bey- nahe das Maximum erreicht: er schöpfte aus dem Herzen - und drang in die Herzen, und man hat mehr als einmahl Leute weinen sehen, wenn Benda ein Adagio spielte."
Benda komponierte überwiegend für sein Instrument, die Violine. Überliefert sind unter anderem etwa 150 Sonaten, nicht zuletzt des- halb, weil sie von seinen Schülern und Kollegen immer wieder abge- schrieben wurden. In der Staatsbibliothek zu Berlin befindet sich unter anderem jene Sammlung, aus der die Werke stammen, die auf der vorliegenden CD zu hören sind. Sie ist eine ganz besondere Kostbarkeit - denn sie enthält 34 Sonaten Bendas mit ausnotierten Verzierungen, die auf separaten Notensystemen ergänzt worden sind. Der heutige Hörer wird staunen, was man damals alles als "Verzie- rung" ansah - und wie weit die Musiker seinerzeit von der "originalen", notierten Version abgewichen sind. 
Das macht diese Einspielung der Schola Cantorum Basiliensis spannend. Und Geigerin Laila Schayegh, Felix Knecht am Violoncello sowie der versierte Cembalist Václav Luks - allesamt ausgewiesene Experten für "Alte" Musik - sorgen dafür, dass aus diesen Noten-Skizzen wieder Musik wird, die so hinreißend klingt, wie dies von Bendas Zeitgenossen berichtet worden ist. Bravi!

Freitag, 2. März 2012

Byrd: Complete Consort Music (Linn Records)

William Byrd (um 1540 bis 1623) gehört zu den großen Komponisten der Shakespeare-Zeit. Er galt als "englischer Palestrina", und wirkte, wie sein ebenfalls berühmter Zeitgenosse Thomas Tallis, an der Chapel Royal. 
Das Ensemble Phantasm hat auf der vorliegenden CD sämtliche Werke von William Byrd zusam- mengetragen, die dieser für (Gamben-)Consort geschaffen hat. Diese Musik ist aus mehreren Gründen interessant. Zum einen war sie damals der absoluten gesellschaftlichen Elite vorbehalten; zu Byrds Lebzeiten erklang sie in Großbritannien zunächst nur bei Hofe, und dann mehr und mehr auch in den Adelshäusern. Zum anderen war die Consort-Musik damals im Reich Königin Elisabeths I. eine von sehr wenigen Möglichkeiten, Musik außerhalb der Kirche weiterzu- entwickeln. 
Und wie klingt diese Musik? Beinahe hypnotisch, würde ich sagen. Denn anders als der moderne Geiger legte der Spieler einer Gambe seinerzeit Wert auf ein glattes, von deftigen individuellen Akzenten freies Klangbild. So wirkt das Gambenconsort, wenn es so perfekt und harmonisch gespielt wird wie durch die Musiker von Phantasm, oftmals wie ein einziges Instrument. Phantastisch! 

Bach: Das Wohltemperirte Clavier; Schornsheim (Capriccio)

"Das Wohltemperierte Clavier hat Zeit meines bisherigen Lebens eine heilende Wirkung auf mich ausge- übt", berichtet Christine Schorns- heim. "Ging es mir nicht gut, habe ich mich an ein verfügbares Tasteninstrument gesetzt und Fugen gespielt. Die Kraft dieser Musik spendete mir innere Ruhe, reinigte die Seele und schärfte meinen Geist für das Wesentliche."
Nun hat sich die Musikerin, die seit vielen Jahren als Cembalistin tätig ist und nach ebenfalls vielen Jahren in Leipzig seit 2002 an der Münchner Musikhochschule unterrichtet, einen Herzenswunsch er- füllt: Sie hat Bachs monumentales Werk an dem berühmten Cembalo eingespielt, das Johannes Ruckers 1624 gebaut hat, und das sich nach seiner Restaurierung nunmehr in Colmar, im Musée d'Unterlinden, befindet. 
Dieses phantastische Instrument wurde hier im Blog an anderer Stelle bereits ausgiebig gewürdigt. Schornsheim setzt bei ihrer Bach-Inter- pretation ganz auf seine Klangmöglichkeiten, die sie ausgesprochen klug einsetzt. Sie spielt Bachs Präludien und Fugen klar strukturiert und transparent. Unter ihren Händen wird daraus hinreißend schöne Musik - dies ist ohne Zweifel die neue Referenzaufnahme, und sie wird diesen Status über einen sehr langen Zeitraum behalten. Gratulation!