Mstislaw Leopoldowitsch Rostro- powitsch (1927 bis 2007) hat sich, ähnlich wie Pablo Casals, sein Leben lang mit Bachs Cello-Suiten auseinandergesetzt. 1991 spielte er in der Basilika Sainte-Madelaine in der burgundischen Benediktiner-Abtei Vézelay die sechs berühmten Werke hintereinander ein. Diese Aufnahme ist bei EMI erschienen und gilt als Referenzaufnahme.
Im Archiv des tschechischen Rundfunks fand sich eine weitere Gesamtaufnahme. Sie ist ein Mit- schnitt vom zehnten Musikfestival Prager Frühling aus dem Jahre 1955. Das war für Rostropowitsch eine schicksalhafte Veranstaltung – denn beim Essen in dem Hotel, in dem die sowjetische Delegation wohnte, lernte er eine junge Dame kennen, die ihn faszinierte: Galina Wischnewskaja vom Bolschoi-Theater, damals 28 Jahre alt, gab mit der Tatjana in Tschaikowskis Oper Eugen Onegin ihr Auslandsdebüt. Rostropowitsch war Zweiter Vorsitzender der Jury des Violoncello-Wettbewerbs, und trat zudem an drei Abenden auf. Dennoch fanden der Cellist und die Sängerin Gelegenheit, ihren Aufpassern auszu- büchsen, und durch Prag zu schlendern. Zurück in Moskau, heirate- ten sie.
Der Stadt Prag blieb Rostropowitsch zeitlebens verbunden. Allerdings hielt der Künstler ziemlich wenig von der politischen Führung seines Landes, und er trat stets entschieden für Menschenrechte und Demo- kratie ein. So weigerte er sich nach dem Einmarsch russischer Trup- pen in die damalige Tschechoslowakei 1968 strikt, dort aufzutreten, solange seine Landsleute als Besatzer im Lande sind. 1974 ging der Cellist mit seiner Familie für lange Jahre ins Exil. Auch wenn er in Moskau gestorben ist - der Musiker blieb bis ans Ende seines Lebens ohne Staatsangehörigkeit.
Fünfzehn Tage nach dem Abzug der russischen Armee reiste Rostro- powitsch zu einem außerordentlichen Konzert des Prager Frühlings an, eingeladen durch Präsident Václav Havel. Prag liebte den Cellisten: 1998 war er zum letzten Mal in der Stadt an der Moldau, um dort den Karlspreis entgegenzunehmen. In dem Mitschnitt aus dem Jahr 1955 ist etwas von dem Zauber dieser besonderen Beziehung zwischen dem Musiker und der Goldenen Stadt zu spüren. Die Auf- nahme ist zwar nur Mono, aber sie wurde liebevoll remastert, und vermittelt einen exzellenten Eindruck von dem klangschönen, emotional ergreifenden Spiel Rostropowitschs. Der Ausnahmecellist spielt Bachs Suiten eher meditiativ als betont artistisch – das ist nicht Barock, aber es ist in sich stimmig, und wunderschön.
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