Montag, 28. August 2017

Bach: Six suites for unaccompanied cello (FCI)

Der Cellist Niklas Schmidt, Professor für Kammermusik und Violoncello an der Hochschule für Musik in Hamburg sowie künstlerischer Leiter des International Mendelssohn Festivals, hat bei seinem eigenen Label eine Aufnahme der sechs Suiten für Violoncello solo BWV 1007 – 1012 veröffentlicht. Dabei entschied er sich für die Teilung; zunächst erschienen die Suiten I, III und VI, und kürzlich komplettierte der Musiker den Zyklus durch die Suiten II, IV und V. 
„Ich begann im Jahr 2014 mit den Aufnahmen, angestachelt von der Idee meinem Freund und Bach-Kenner Jörn Braun zu seinem 80. Geburtstag eine Freude zu bereiten“, schreibt der Cellist im Beiheft zu dieser Edition. Er berichtet, dass er dieses Projekt zunächst mit der dritten Suite begonnen hat, und danach zum einen den Entschluss gefasst hat, sich Zeit zu nehmen, „intensiv vorzubereiten, um dem Geist dieser Musik auch wirklich gerecht zu werden“. 
Zum anderen wechselte er auf Empfehlung seines Tonmeisters Philipp Schulz den Raum. So sind fünf der Suiten in der Andreas-Kirche in Berlin-Wannsee eingespielt worden, einem „besonders schönen Raum“, so Schmidt, mit einer wunderbaren Akustik. Dort hat er auf seinem klangschönen italienischen Violoncello, gebaut um das Jahr 1700 von Giovanni Battista Rogeri in Brescia, Bachs Meisterwerke erkundet. 
Schmidt spielt die Suiten als Folge stilisierter Tänze; sie wirken bei ihm nicht grüblerisch-versunken, wie bei so manchem anderen Solisten, sondern schwungvoll und flüssig. Gerade weil der Cellist die musikalischen Strukturen klar herausarbeitet, und Bachs Stücke nuancenreich und mit tief empfundener Agogik vorträgt, erscheint diese Aufnahme frisch und lebendig. 

Mittwoch, 16. August 2017

Telemann: 12 Fantasien für Querflöte ohne Bass; Fedotova (Gramola)

„Alte Formen erscheinen mir (..) wie klassische Schönheitsideale, nicht mehr erreichbar, aber doch in großer Ferne sichtbar, Erinnerung belebend wie Träume, aber der Weg zu ihnen ist von größtem Dunkel des Zeitalters erfüllt, der Weg zu ihnen ist das schwerste und das unmöglichste. Mir erscheint es als die einzige Narretei, für die es sich lohnt zu leben“, zitiert das Beiheft zu dieser CD den Komponisten Hans Werner Henze (1926 bis 2012). 
Maria Fedotova, Solo-Flötistin des Orchesters am renommierten St. Petersburger Mariinskij-Theater , hat sich auf diesen Weg begeben – und die Zwölf Fantasien für Querflöte ohne Bass von Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) eingespielt. Sie musiziert auf einer modernen Böhmflöte, mit dem entsprechenden Klang. Ihre Interpretation ist zudem relativ modern; auf die üppige Auszierung von Wiederholungen verzichtet die Solistin. Fedotova legt statt dessen besonderen Wert darauf, Melodien zu gestalten sowie latente Polyphonie sauber herauszuarbeiten und hörbar zu machen.  
Das Ergebnis erinnert ein wenig an eine Marmorstatue - schön, aber auch glatt und kalt. Dem galanten Telemann wird dies nicht völlig gerecht. Freunde barocker Musik wird diese so perfekt wirkende Aufnahme daher leider nicht rundum glücklich machen. 

Donnerstag, 10. August 2017

Late Piano Works by Franz Schubert (Genuin)

„Im Vergleich zu Beethoven, dem Architekten“, so zitiert das Beiheft zu dieser CD Alfred Brendel, „komponierte Schubert wie ein Schlafwandler. In Beethovens Sonaten verlieren wir nie die Orientierung; sie rechtfertigen sich selbst in jedem Augenblick. Schuberts Sonaten ereignen sich auf rätselhaftere Weise; um es österreichischer zu sagen: sie passieren.“ 
Nami Ejiri nähert sich auf ihrer Genuin-CD diesem Phänomen. Sie hat dafür drei späte Werke von Franz Schubert (1797 bis 1828) ausgewählt. Das Allegretto c-Moll (D 915) ist ein Albumblatt, welches der Komponist im Mai 1827 seinem Freunde Ferdinand Walcher mit auf eine Reise nach Venedig gab. Es ist erfüllt vom Abschiedsschmerz. Die vier Impromptus op. 90 (D 899) erscheinen ebenfalls wie musikalische Stimmungsbilder. 
Die Klaviersonate in B-Dur (D 960) ist Schuberts letzte, entstanden im September 1828, und so vielschichtig wie das Leben selbst. Aufbegehren steht hier neben Resignation, Ironie neben Melancholie, Schönheit neben Düsternis. Nami Ejiri fasziniert mit ihrem sensiblen Klavierspiel. Die junge Musikerin gehört nicht zu den Tastendonnerern; sie erkundet Stücke eher zurückhaltend, spielt sehr präzise und durchdacht. Folgt man ihrer Interpretation, kann man selbst die bekannten Impromptus neu entdecken. Ihr Schubert ist von überraschender Klarheit und auch Leuchtkraft – und wo es erforderlich ist, fehlt auch die Dramatik nicht. Sehr gelungen!

Scarlatti: Sonatas (MDG)

Domenico Scarlatti (1685 bis 1757) wirkte viele Jahre seines Lebens als persönlicher Musicus der María Bárbara von Portugal. Die Prinzessin, die von klein auf eine exzellente Erziehung erhielt, war sehr musikalisch. 1729 heiratete sie den spanischen Thronfolger, und wurde an der Seite Ferdinands IV. zur Regentin. 
Scarlatti folgte seiner Schülerin nach Spanien. Für seine Dienstherrin komponierte er 555 (!) Cembalo-Sonaten – abwechslungsreiches Repertoire für eine ausgesprochen talentierte Musikerin mit Sinn für Kapriolen. Denn eines sind diese Werke mit Sicherheit nicht: langweilig. In seinen Sonaten scherte sich Scarlatti keinen Deut um Konventionen. So finden sich kühne Modulationen und ungewöhnliche Akkordbrechungen neben weiten Sprüngen, schnellen Repetitionen, Handüberkreuzungen und anderen technischen Herausforderungen, die Virtuosen offenbar auch heute noch Vergnügen bereiten. 
Eri Mantani jedenfalls hat für ihr erstes Album bei dem audiophilen Label Dabringhaus und Grimm eine reizvolle persönliche Auswahl aus dem umfangreichen Gesamtwerk Scarlattis zusammengestellt. Die japanische Pianistin musiziert auf dem hauseigenen Steinway-Konzertflügel „Manfred Bürki“ aus dem Jahr 1901. Sie zelebriert Scarlattis folkloristische Zitate und bringt mit ihrem virtuosen Klavierspiel südländisches Flair auch in einen verregneten Sommer. Wie beispielsweise imitiert man auf dem Piano eine Gitarre? Die Antwort ist hier zu hören. Und auch das Klangbild dieser Aufnahme ist, wie stets bei MDG, atemberaubend. 

Mittwoch, 9. August 2017

Bach: Die Kunst der Fuge (Oehms Classics)

Kaum eine andere Komposition hat Musiker und Musikwissenschaft derart fasziniert wie Die Kunst der Fuge, das letzte Werk von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750). Schon die Überlieferungssituation war Anlass für zahlreiche Debatten. Denn eine endgültige Reinschrift fehlt; die Autographen, die sich in der Staatsbibliothek Berlin befinden, geben nach Ansicht von Experten zumeist nicht den finalen Stand der Komposition wieder. Es wird aber vermutet, dass ein Manuskript existierte, das zumindest die (vollständige) Schlussfuge enthalten haben soll. 
Dagegen spricht freilich jene Bemerkung, die Carl Philipp Emanuel Bach dort notierte, wo im Manuskript die Notenschrift abbricht: „NB: Ueber dieser Fuge, wo der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfaßer gestorben.“ Doch warum sind sämtliche Stücke zuvor sorgsam in Partiturform niedergeschrieben worden – und dieses in einem System, für ein Tasteninstrument? 
Derartige Rätsel gibt es viele. So ist die Abfolge der einzelnen Teile umstritten. Auch wird von Anbeginn darüber diskutiert, für welche Instrumente dieser Zyklus eigentlich geschrieben worden ist. Bachs Sohn jedenfalls schrieb 1751, bei der Werbung um Subskribenten für den Erstdruck: „Es ist aber dennoch alles zu gleicher Zeit zum Gebrauch des Claviers und der Orgel ausdrücklich eingerichtet.“ 
Wie also umgehen mit diesem Rätselwerk der Musikgeschichte? Hans-Eberhard Dentler, studierter Dr. med., aber auch renommierter Cellist, Schüler von Pierre Fournier und Gründer einer Bach-Gesellschaft in Italien, hat sich viele Jahre mit dem Opus beschäftigt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass man „Bachs Wunderwerk“ – so einst Karl Straube – „als Teil einer groß und komplex angelegten pythagoreischen Rätselfrage zu verstehen“ hat. 
Dentler nimmt die vorhandenen Quellen als die gegebenen hin – und er hat anhand der Handschriften seine eigene Edition herausgegeben. Bachs mathematisch-philosophischem Rätsel hat er zudem ein umfangreiches Buch gewidmet, in dem er seine Theorie ausführlich begründet. Im Beiheft zu dieser Einspielung findet sich nun ein Aufsatz, in dem er auf wichtige Argumente hinweist. 
Darin begründet er auch seine Entscheidung für eine Besetzung für Violine, Viola, Violoncello, Fagott und Kontrabass. Mit seinem Ensemble L'Arte della Fuga – der Cellist musiziert gemeinsam mit Carlo Parazzoli, Raffaele Mallozzi, Francesco Bossone und Antonio Sciancalepore – hat Dentler diese Vision schließlich zum Klingen gebracht; dokumentiert ist dies auf zwei CD, die bei Oehms Classics erschienen sind. 
Um es klar zu sagen: Die gewählte Besetzung überzeugt mich nicht; das Fagott wirkt auf mich inmitten der Streicher mitunter wie ein Irrläufer. Mich fasziniert aber die Leidenschaft, mit der hier musiziert wird, die Intensität dieser Aufnahme. Hier erklingt kein Choral zum Schluss. Die berühmte Fuge beginnt, nimmt ihren Lauf, und bricht dann einfach ab. Der Rest ist Schweigen.

Dienstag, 8. August 2017

Jutta Hipp: Lost Tapes - The German Recordings (SWR Jazzhaus)

Jutta Hipp (1925 bis 2003) war ein Jazz-Phänomen. Schon als Teenager in Leipzig spielte sie Jazz, im Krieg, verbotenerweise. Drei Jahre lang studierte sie an der Kunsthochschule. 1946 ging sie dann in den Westen, wo sie in diversen Jazzbands musizierte. So spielte sie in der Combo von Hans Koller, die auch Dizzy Gillespie begleitete. Mit Emil Mangelsdorff, Joki Freund, Hans Kresse und Karl Scanner bildete sie das Jutta Hipp Quintett. Sie spielte auf Festivals, spielte Platten ein und ging auf Tourneen. Wo immer sie auftrat, wurde die Musikerin gefeiert. 
Als ihr Leonard Feather eine Karriere in den USA versprach, brach sie 1955 auf nach New York. Dort wurde sie von dem berühmten Label Blue Note Records unter Vertrag genommen, und war zunächst sehr erfolgreich – doch schon 1956 endete diese Glückssträhne. Hipp überwarf sich mit Feather, und zog sich in die kleinen Klubs zurück. Geld war so nicht zu verdienen; 1958 nahm sie daher einen Job als Näherin an. 
In ihrer Freizeit malte Jutta Hipp, sie fotografierte auch, schrieb Gedichte und zeichnete Karikaturen. Klavier hat sie nie wieder gespielt, und auch nach Deutschland kehrte sie nie zurück. Die vorliegende CD enthält Aufnahmen, die noch in Deutschland entstanden sind – 1952 in Koblenz, 1953 in Baden-Baden, und 1955 in Stuttgart. Jutta Hipp ist hier zu erleben als eine sensible, versierte und auch sehr eigenwillige Jazz-Pianistin – welch ein Verlust! 

Montag, 7. August 2017

Variations over Variations (Aurora)

Neue Musik von norwegischen Komponisten ist auf dieser CD zu hören: Alfred Janson, Knut Vaage, Maja Ratkje und Jan Erik Mikalsen unterscheiden sich nicht nur durch Alter, Ausbildung und Wohnort. Jeder von ihnen hat auch seine ganz individuelle musikalische Handschrift. Aber jeder nimmt in seinem Werk auf einzigartige Weise Bezug auf norwegische Traditionen. 
So bezieht sich beispielsweise Variations Over Variations von Alfred Janson auf die g-Moll-Ballade von Edvard Grieg, die wiederum eigentlich aus Variationen über ein norwegisches Volkslied besteht. Mit seinen Variationen über Griegs Variationen schuf er ein originelles Trompetenkonzert für Tine Thing Helseth – das auf dieser CD in Erstaufnahme erklingt. Die Trompeterin musiziert gemeinsam mit dem Kringkastingsorkestret, dem Norwegischen Rundfunkorchester, das unter Leitung von Miguel Harth-Bedoya auch die anderen zeitgenössischen Kompositionen aufmerksam erkundet. 

Ristori: Cantatas for Soprano, Oboe Concerto (Audax)

Compositeur de la musique italienne, Kammerorganist, Opernlieferant und geheimer Korrespondent, Kirchen- komponist und schließlich Vize- kapellmeister – Giovanni Alberto Ristori (1692/93 bis 1753) fand am Dresdner Hof seine Lebensstellung. Der Musiker war in Venedig bereits für seine Oper Orlando gefeiert worden, als er 1715 mit der italieni- schen Schauspieltruppe seines Vaters nach Sachsen ging. 
Auch in Dresden war er als Komponist mit seinen Opern hochwillkommen. Besonders wichtig aber wurde er für den Hof als Musiklehrer der sächsischen Prinzessinnen. Nachdem Maria Amalia 1738, gerade einmal 13 Jahre alt, mit Karl, dem König von Neapel und beider Sizilien, verheiratet wurde, wurde auch Ristori nach Italien gesandt. Er glänzte dort mit seinen Opern, erteilte gelegentlich Unterricht – und berichtete dem Dresdner Hof, wie seine Schülerin ihre neue Rolle als Königin und Ehefrau bewältigte. 
Als Ristori 1740 nach Dresden zurückgerufen wurde, brachte er aus Neapel auch die neueste Musik mit. Sie erklang nun im Gottesdienst an der katholischen Hofkirche. Sein üppiges Gehalt und die Ernennung zum Vizekapellmeister unter Johann Adolf Hasse im Jahre 1750 konnte Ristori aber nicht mehr lange genießen. 
Nach dem Tode des Musikers erwarb der Hof seine Notenmanuskripte. Im Druck erschienen ist kein einziges seiner Stücke; neue Komponisten schrieben für den Hof neue Werke, und bald war Ristori vergessen. Um die Jahrhundertwende würdigten einige Musikhistoriker sein Wirken, doch viele der Archivalien, die ihnen noch zur Verfügung standen, gingen im Zweiten Weltkrieg verloren. 
Das Ensemble Diderot hat sich dennoch auf die Spurensuche eingelassen – und aus den verbliebenen Dresdner Notenbeständen drei Solo-Kantaten und ein brillantes Oboenkonzert herausgesucht. Die Libretti der Kantaten schrieb Maria Antonia, eine Tochter Kaiser Karls VII., die 1747 den sächsischen Kurprinzen Friedrich Christian geheiratet hatte. Diese junge Dame aber war nicht nur in der Dichtkunst höchst versiert; sie scheint auch eine exzellente Sängerin, Lautenistin und Cembalistin gewesen zu sein. 
Ihre Kantaten sind Monologe berühmter Heldinnen: Lavinia muss ihrem Geliebten erklären, warum sie gleich einen anderen heiraten wird. Dido, von Aeneas verlassen, geht in den Tod. Und Nice beklagt sich bitter den wankelmütigen Amor – und über die Trennung von ihrem Tirsis. Ristori hat die Leidenschaft dieser Frauen in entsprechend dramatische Musik umgesetzt. Es ist belegt, dass die Kurprinzessin selbst diese Kantaten gesungen hat – in dieser Aufnahme übernimmt die argentinische Sopranistin María Savastano den durchaus anspruchsvollen Part. Die mehrfach preisgekrönte Sängerin wird begleitet vom Ensemble Diderot unter Leitung seines Konzertmeisters Johannes Pramsohler. 
Komplettiert wird diese CD durch die Weltersteinspielung eines Oboenkonzertes, das Ristori für den Oboenvirtuosen Antonio Besozzi geschrieben hat. Dieses grazile Solo, voll Anmut und Charme, spielt Jon Olaberria; und sobald eine Notenedition verfügbar ist, werden dieses hinreißende Konzert wohl auch andere Ensembles nachspielen. 

Sonntag, 6. August 2017

Clementi: Monferrinas (Naxos)

Muzio Clementi (1752 bis 1832) gehörte zu den berühmtesten Klaviervirtuosen seiner Zeit. Dennoch sind die meisten seiner Werke, mit Ausnahme vielleicht des legendären Gradus ad Parnassum, heute in Vergessenheit geraten. 
Naxos engagiert sich seit vielen Jahren, um an diesem unbefriedigenden Zustand etwas zu ändern. Mittlerweile gibt es bei keinem anderen Label mehr Clementi-Einspielungen. 
Und nun hat Naxos dieser langen Liste eine weitere Aufnahme hinzugefügt: Dominic Cheli präsentiert seine höchstpersönliche Clementi-Auswahl. Der junge Pianist hat sich dabei überwiegend auf Werke ohne Opus-Nummer konzentriert. Nicht alles davon ist von gleichem Niveau; es ist beeindruckende Musik darunter, aber es gibt auch Stücke, die vergleichsweise uninspiriert und ungeschickt wirken. 
Ganz besonders in der Behandlung der linken Hand sind zwischen den frühen Werken und jenen der späten Jahre erhebliche Entwicklungen wahrzunehmen. Insofern sind manche Fragmente oder frühe Werke wohl eher von musikhistorischem Interesse. Ausgesprochen originell aber sind die Monferrinas – ursprünglich ein italienischer Volkstanz aus dem Piemont; im 18. Jahrhundert war dieser Tanz aber auch in England aus- gesprochen populär, unter dem Namen Monfreda oder gar Manfredina. Cheli spielt neben den Zwölf Monferrinas op. 49, im Druck erschienen 1821, auch noch sechs weitere dieser Tänze, die zu Clementis Lebzeiten unveröffentlicht geblieben sind. 

Telemann: Ein feste Burg ist unser Gott (Deutsche Harmonia Mundi)

Die Confessio Augustana ist wohl das wichtigste Dokument, das auf dem Reichstag in Augsburg 1530 unter- zeichnet wurde. Darin beschrieben die lutherischen Reichsstände die Grundsätze ihres Glaubens. Diese Schrift, die weitgehend aus der Feder von Philipp Melanchthon stammt und vor allem auch die Gemeinsam- keiten mit der katholischen Kirche betont, gehört noch heute zum Inventar der lutherischen Kirchen. 
Der 200. Jahrestag der Augsburger Konfession, jenes „unerschrockenen Bekenntnisses der lautern Evangelischen Lehre“, so Georg Philipp Telemann, wurde auch in Hamburg aufwendig gefeiert. Im Festgottesdienst erklangen gleich zwei Kantaten, die Telemann als Musikdirektor der Hansestadt eigens für diesen Anlass komponiert hatte. 
Die pragmatischen Hamburger feierten lediglich einen Tag, nämlich am 25. Juni, praktischerweise ohnehin ein Sonntag. Infolgedessen wurde in allen Kirchen gleichzeitig musiziert – was bedeutete, dass Telemann natürlich zuvor auch die Proben für die Festgottesdienste in allen fünf Hauptkirchen zu leiten hatte, und dann gar nicht allen Aufführungen selbst beiwohnen konnte. 
Er selbst schreibt von mehr als hundert Personen in den Proben – was uns heute einen interessanten Einblick in das Musikleben jener Zeit gibt; denn die Kantaten gelten als „groß besetzt“. Und man muss bedenken, dass sich die hundert Mitwirkenden ja noch auf fünf Kirchen verteilten. Überliefert sind leider nur die „Poesien zur Music, welche daselbst am Großen Jubel-Feste (..) musicalisch aufgeführet“, denn Telemann ließ sie drucken. Die Festkantaten selbst gelten als verschollen. 
Zwei kleinere Werke, die in St. Katharinen erklungen sind, veröffentlichte der Musiker: Die Solokantaten  Sey tausendmahl willkommen ( TVWV 13: 9a) und Du bleibest dennoch unser Gott (TVWV 13: 9b) hat das Ensemble Concerto Melante, geleitet von Konzertmeister Raimar Orlovsky, nun bei dem Label Deutsche Harmonia Mundi in Weltersteinspielung vorgestellt. Dass es bei Telemann noch viel zu entdecken gibt, beweisen die Musiker auch mit drei hinreißenden Instrumentalstücken in ihrem Programm: Zu hören sind, ebenfalls in Weltersteinspielungen, die zwei Triosonaten TWV 42:e7 und 42:e8, beide zu finden in den Notenbeständen des Darmstädter Hofkapellmeisters Christoph Graupner, und das Quartett TWV 43:G13. 
Gleich fünfmal zu hören ist auf der CD Luthers Choral Ein feste Burg ist unser Gott – vierfach in musikalischen Bearbeitungen von Johann Walther, sowie in Form einer vierstimmigen Motette, die Telemann für die akademische Feier des Hamburger Johanneums zum „Jubel-Fest“ 1730 geschrieben hat. Es singen Robin Johannsen, Sopran, Alexander Seidel, Altus, Holger Marks, Tenor, und Wolf Matthias Friedrich, Bass. 
Concerto Melante – wer gern mit Buchstaben spielt, der sieht auf den ersten Blick, dass der Name des Ensembles aus dem des Komponisten hervorgegangen ist (wobei aber leider ein „n“ verloren ging) – leistet mit diesem Album einen Beitrag sowohl zum Telemann-Jubiläum als auch zum Reformationsjahr. Telemann, der nicht nur ein exzellenter Musiker und Komponist, sondern auch ein cleverer Geschäftsmann war, hätte das mit Sicherheit gefallen.

Donnerstag, 3. August 2017

Zelenka: Sonatas ZWV 181 (Accent)

Noch eine weitere Gesamteinspielung der Triosonaten ZWV 181 von Jan Dismas Zelenka (1679 bis 1745) ist zu vermelden. Václav Luks hat in Prag diese Gipfelwerke der barocken Oboenliteratur mit seinem Collegium 1704 eingespielt. Und das will in diesem Falle heißen, dass er mit Xenia Löffler und Michael Bosch vor allem auch zwei exzellente Oboisten für dieses Projekt gewinnen konnte. Es musizieren zudem Jane Gower, Fagott, Helena Zemanová, Violine, Luděk Braný, Kontrabass, Shizuko Noiri, Laute, und, wie gesagt, Václav Luks am Cembalo. 
Musikalisch ist diese Aufnahme gut, wenn auch zwangsläufig klanglich wenig abwechslungsreich und dynamisch wenig differenziert. Insgesamt finde ich sie nicht gänzlich befriedigend, weil die beiden Oboen, bei aller virtuosen Brillanz, doch sehr dominieren. Dagegen wirken die Bassinstru- mente erstaunlich leise; insbesondere das Fagott ist akustisch oft wenig präsent. Ich vermisse daher eine gewisse Ausgewogenheit, mir fehlt hier Fundament. Wer einmal so richtig in wundervollen Oboengesängen schwelgen möchte, der wird aber hingerissen sein. 

Telemann: 12 Fantasien für Violine solo (Es-Dur)

Die 12 Fantasien für Violine solo von Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) interpretiert Thomas Pietsch auf der Barockvioline. Die Einspie- lung ist jüngst bei dem Hamburger Label Es-Dur erschienen. Alltägliches Repertoire ist das nicht. 
Telemann hat Fantasien für einige Instrumente veröffentlicht: für Cembalo, Traversflöte, Viola da gamba und Violine. Typisch für diese Werke ist ihre scheinbare Freiheit von formalen Beschränkungen. Wer sie aber spielen will, der darf sie keineswegs unterschätzen. So werden die 12 Fantasien für Violine solo noch heute gerne als „Vorstufen“ zu den Solowerken Bachs betrachtet, die man quasi als Vorübung durcharbeiten solle – ein kurioser Irrtum, gleichsam als Echo der jahrzehntelangen Geringschätzung des Komponisten Telemann. Das ist, als käme jemand auf die Idee, etwa Beethovens Violinsonaten als Wegweiser zu Mozarts Werken zu betrachten. 
Thomas Pietsch, dem barocken Repertoire seit vielen Jahren zugewandt, sieht den Schlüssel zu Telemanns Fantasien in der barocken Rhetorik und Poetik: „Nur in Kenntnis dieser Umstände werden die Fantasien lesbar und letztlich auch spielbar“, mahnt der Geiger. „Diese Musik ist aus der Geste, aus der Figur, aus der Andeutung geboren und entzieht sich dadurch einer aus Etüden erlernten Handhabung von Bogen und Geige.“ 
Mit antrainierter Virtuosität allein sind diese charmanten, aber dennoch anspruchsvollen Werke nicht zu bewältigen. Pietsch hat offenbar viel Arbeit investiert, um „seinem“ Telemann gerecht zu werden: „Seine galante Schreibweise leuchtet in die Fantasien durch ihre leichte, schmeichelnde, pointenreiche und witzige Art hinein“, resümiert der Musiker. Eleganz, Leichtigkeit und Esprit prägen daher auch das Spiel von Thomas Pietsch. Ein würdiges Gedenken zum Jubiläumsjahr. 

Mittwoch, 2. August 2017

Mariani Klavierquartett - "Idee fixe" Vol. 1 (GWK Records)

Mit Klavierquartetten von Gabriel Fauré (1845 bis 1924) und seinem Schüler George Enescu (1881 bis 1955) startet das Mariani Klavier- quartett eine Folge von Aufnahmen, die sich offenbar damit auseinander- setzen soll, wie Komponisten ihr musikalisches Material organisieren. 
Den Begriff der Idée fixe – nicht ganz frei von Zweideutigkeit, denn er wird auch von der Psychiatrie verwendet – könnte man im Bereich der Musik vielleicht am ehesten auf das Leit- motiv, musikalischer Grundgedanke einer Komposition, beziehen. Der Einsatz von Leitmotiven ist eine Erfindung der Romantik; Louis Spohr beispielsweise hat sie genutzt, Carl Maria von Weber, Hector Berlioz, in seiner Symphonie fantastique, und César Franck, der wiederum ein Vorbild war für Gabriel Fauré. 
Damit sind wir bei dieser Einspielung angekommen. Sie beginnt mit Faurés Klavierquartett Nr. 2 g-Moll op. 45 aus dem Jahre 1886. Dieses Stück startet gewaltig, kraftvoll, sehr energisch. Und wenn Faurés Musik gelegentlich auch elegante, lyrische Passagen aufweist, so beeindruckt sie doch vor allem durch ihre orchestrale Wucht. Pianist Gerhard Vielhaber schafft dafür die klangliche Basis, doch im Klavierquartett ist sein Part letztendlich nicht der einer Begleitung, sondern vielmehr einer musika- lischen Partnerschaft mit den Streichern. Auch Philipp Bohnen, Violine, Barbara Buntrock, Viola, und Peter-Philipp Staemmler, Violoncello, musizieren großartig, mit beeindruckender Sensibilität und Intensität. 
Wie bewundernswert das Zusammenspiel der vier Quartettpartner funktioniert, das wird beim zweiten Werk auf der CD besonders deutlich. Das Klavierquartett Nr. 1 D-Dur op. 16 von George Enescu, Erstling des Komponisten in dieser Gattung aus dem Jahre 1909, ist nicht nur dem Umfang nach ein Solitär. Enescu hat seine Ideen recht penibel notiert – was von den Musikern große Aufmerksamkeit und enorme Präzision fordert. „Das Ergebnis ist ein Meisterwerk der Polyphonie“, so beschreibt es Pianist Vielhaber in seinem Begleittext: „Der rote Faden wird von Instrument zu Instrument gereicht, so dass eine pulsierende räumliche Klangwelt entsteht, die einen vom ersten bis zum letzten Ton umgibt.“ Faszinierend.