Sonntag, 30. Januar 2011

Beethoven: String Quartets (Virgin Classics)

Als Beethovens Streichquartett Nr. 13 in B-Dur 1826 zum ersten Mal erklang, schrieb der Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zei- tung: "Aber den Sinn des fugirten Finale wagt der Referent nicht zu deuten: für ihn war es unverständ- lich, wie Chinesisch. Doch wollen wir damit nicht voreilig abspre- chen: vielleicht kommt noch die Zeit, wo das, was uns beym ersten Blicke trüb und verworren er- schien, klar und in wohlgefälligen Formen erkannt wird." 
Beethovens Verleger Artaria zeigte sich von dem Ende des Werkes ebenfalls wenig angetan, und drängte den Komponisten, noch einen gefälligeren Schluss zu liefern - was jener dann auch erledigte. Das ursprüngliche Finale publizierte er als Große Fuge op. 133. 
Der Geschmack des Publikums dürfte sich seitdem wenige geändert haben; die Musiker des Artemis Quartetts aber haben bei ihrer Gesamteinspielung der Beethovenschen Quartette für Virgin Classics die komplexe ursprüngliche Form bevorzugt.  Technisch bringt sie das nicht in Probleme. Natalia Prischepenko und Gregor Sigl, Violine, Friedemann Weigle, Viola und Eckart Runge, Violoncello, treiben das Streichquartettspiel zur Perfektion. 
Die Gattung, bei der - so Goethe - "vier vernünftige Leute sich unter- einander unterhalten", wird hier zur musikalisch ausgefeilten und durchgestylten Show. Das ist sehr beeindruckend, aber nicht immer überraschend, ja, mitunter auch ein bisschen zu glatt und zu gut abgestimmt. Hier hat jeder Effekt, jeder Gedanke seinen vorbestimm- ten Platz; die Suche nach Argumenten, nach der treffenden Formu- lierung erscheint bereits abgeschlossen, wenn der Zuhörer Platz genommen hat. 
Das ist Quartettspiel in Vollendung - aber wenn die Fetzen, die da geflogen kommen, in Wahrheit Designerfetzen sind, von genau kalkulierter Wirkung, wenn der Zuhörer nicht mehr den Eindruck hat, Zeuge eines kreativen Prozesses sein zu dürfen, dann finde ich das nicht sehr aufregend. Insofern mag ich mich den Elogen meiner Kritikerkollegen nicht so ganz anschließen. Exzellente Aufnahmen der Beethoven-Quartette gibt es auf dem Markt bereits einige; insofern ist auch ein weiteres Beethoven-Projekt nicht gerade eine Innovation. 

Bach in romantischer Manier (Genuin)

Die Romantiker haben Bach nicht nur wiederentdeckt und aus dem Zirkeln einiger weniger Einge- weihter, in denen seine Musik stets präsent blieb, vor ein breites Publikum gebracht. Wie sie ihn zugleich verwandelt, ihren Hör- gewohnheiten und Bedürfnissen angepasst haben, davon berichtet diese CD: Die junge japanische Geigerin Mayumi Hirasaki und die - zumal im Bereich des historisch informierten Musizierens - sehr versierte Cembalistin und Pianistin Christine Schornsheim stellen bei Genuin Bach-Bearbeitungen von Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Ferdinand David und Friedrich Wilhelm Ressel vor. Bachs Ciaconna d-Moll für Violine solo BWV 1004/5 ist gleich drei Mal zu hören - und sie macht auch die Unterschiede deutlich. 
Während Schumann strikt systematisch vorging, und sich "seinen" Bach schrittweise erschuf, zeigt sich Gewandhauskapellmeister Mendelssohn gemeinsam mit seinem Ersten Geiger Ferdinand David sehr respektvoll, und orientiert sich bei seinen Klavierbegleitungen, die er für konkrete Konzerte schuf, stark an Bachs eigener Bearbei- tungspraxis. Als ein Kuriosum erscheint uns heute die Version der Ciaconna d-Moll für Violine solo mit der ergänzten Klavierbegleitung des Berliner Theatermusikers Ressel. Er "romantisierte" Bachs Werk konsequent, indem er dafür eine Begleitung schuf, die ein wahres Feuerwerk an pianistischen Effekten und Variationen abbrennt. Das klingt nach allem - nur nach Bach nicht mehr. 
Und weil die Straub-Violine, Röthenbach um 1800, gespielt mit einem Bogen von Luis Emilio Rodríguez, und der Pleyel-Flügel von 1848 gar so schön harmonieren, freut man sich noch über ein weiteres Stück, das zeigt, wie die Beschäftigung mit dem musika- lischen Erbe auch das eigene Schaffen beeinflusst hat: Der erste Satz aus Mendelssohns Sonate F-Dur für Violine und Klavier MWV Q 26 in der ersten Fassung von 1838 - ein grandioses, originär romantisches Werk. Schade, dass die anderen Sätze nicht dabei sind. 

Mendelssohn Bartholdy: Motetten (Solo Musica)

Das beginnende 19. Jahrhundert sah den Musiker als Magier - jeder Komponist ein Genie, und jeder Tintenklecks auf einer Notenlinie ein Beweis dafür, dass sein Urheber berechtigt ist, der hehren Ton- kunst zu dienen. Die Musik, die jahrhundertelang als eine mathe- matisch-rhetorische Kunst galt, hatte sich mit Aufklärung und Romantik von der Sprache ent- fremdet. Jetzt stand das Werk "für sich", und sollte beim Hörer jenen ehrfürchtigen Schauder erzeugen - Kunst also als Religionsergänzung, ja, als Ersatzreligion.
Musik, die zuvor dem Gottesdienst vorbehalten war, zog um in neue, bürgerliche Räume: Beethovens Missa solemnis erklang üblicher- weise im Konzertsaal, und nicht in der Kirche. Welche Musik aber blieb für den Gottesdienst? Dafür lieferte die wiederentdeckte "alte" Musik die Vorbilder - Bach, Händel, Palestrina, der Choral Luthers. Felix Mendelssohn Bartholdy, protestanisch getauft, hat zeit seines Lebens Kirchenmusik komponiert. Das gehörte sowohl in Düsseldorf als auch in Berlin zu seinen Arbeitsaufgaben. 
Diese CD zeigt, wie er sich die Vorbilder aneignete, und in der Tat eigene Werke daraus machte, die nicht wie Kopien der alten Meister klingen, sondern nach Mendelssohn - mitunter auch nach russischem Kirchenchor, wie man beim Anhören dieser CD schmunzelnd fest- stellen wird. Denn hier singt keine Kantorei, sondern ein professio- nelles Ensemble. Die Mitglieder der "Münchner Hofkantorei" gehören wie ihr Leiter und Wiederbegründer Wolfgang Antesberger im Haupt- beruf dem Chor der Bayerischen Staatsoper an. So klingt der Gesang dann auch; mitunter hätte man sich den Chor ein wenig schlanker und beweglicher gewünscht. 

Samstag, 29. Januar 2011

Hermann Baumann Collection (Newton Classics)

Die New York Times schrieb einmal über Hermann Rudolph Konrad Baumann, Jahrgang 1934, Hornisten wie er würden - wenn man Glück habe - in jedem Jahr- hundert einmal geboren. Diese Box fasst auf sieben CD seine wichtig- sten Aufnahmen zusammen.
Baumanns Repertoire ist von einer ganz erstaunlichen Breite; es reicht von den Hornkonzerten und Suiten von Georg Philipp Telemann über Mozarts und Haydns großartige Hornkonzerte bis hin zu den Werken Richard Strauss'. Beethoven und Rossini spielt er ebenso überzeugend wie Reinhold Glière, Paul Dukas oder aber die Grande Messe de Saint Hubert, übrigens teilweise stilecht auf Jagdhörnern geblasen.
Wenn das Horn heute ein allseits akzeptiertes Konzertinstrument ist, an das das Publikum hohe Erwartungen hat, dann ist das auch Bau- manns Verdienst. Und das liegt nicht nur an den Scharen von Horni- sten, die er ausgebildet hat. "Nicht die stupende Technik ist das Faszinierende an Baumanns Kunst", schreibt seine Frau Hella, "son- dern seine Wandlungsfähigkeit. Er bläst sein Horn, wie ein großer Sänger singt und darstellt. Wohl nur dem Horn ist eine solche Vielfalt an Klangfarben und Stimmungen eigen, eine solche Fülle von Charak- teren: aufreizend schmetternde Attacke, heldisches Pathos, drama- tischer Gesang, liedhafte Idyllik, melancholische Verhangenheit, feierlicher Sarastro-Ernst, aber auch eulenspiegelige Pfiffigkeit und Ironie." Diese Aufzählung beschreibt auch den Inhalt dieser Box bestens - und wer Hornmusik liebt, der wird davon sehr angetan sein.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Bach: Partitas for Violin (Berlin Classics)

Midori Seiler, Konzertmeisterin der Orchester Akademie für Alte Musik Berlin und Anima Eterna und Professorin für Barockvioline und -viola an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, hat die Partiten für Violine solo von Johann Sebastian Bach eingespielt. Die Aufnahme ist erstaunlich radikal. 
"Mich als Hörer oder Spieler auf Bachs Musik einzulassen, ist wie eine Disziplinierung des eigenen Geistes, wie Meditation. Das fasziniert mich in jedem Moment das Arbeitens daran", sagt Seiler. "Was am Ende dabei als Extrakt zutage tritt, ist das, was uns als Menschen eigentlich ausmacht: das Erlebnis von Schönheit, der ständige Kontakt mit der eigenen Begrenzung und die große Sehn- sucht nach Erlösung." 
Die Solistin spielt konzentriert und reduziert; sie lässt sich in ihrer Interpretation von den Möglichkeiten der Barockvioline leiten. "Dadurch hat man natürlich gewisse Schwierigkeiten mit an Bord", meint Seiler, "die beim modernen Instrumentarium getilgt wurden, aber für mich ist das Resultat die Mühe wert." Die Violinistin be- geistert mit einer blitzsauberen Intonation, einem überlegten und überlegenen Einsatz von Klangfarben, und mitunter überraschenden Akzenten, die jedoch nie ruppig oder unkultiviert werden. Seilers Ton bleibt immer edel, schlank und und klar. Eine CD, die für mich zu den besten Aufnahmen von Bachs Partiten überhaupt gehört - trotz der Darmsaiten. 

Dienstag, 25. Januar 2011

Beethoven: Past & Present (Dorian)

Ein überaus interessantes Experi- ment wagen Lambert Orkis, Kla- vier, und David Hardy, Violon- cello: Sie spielen die kompletten Variationen und Sonaten Beet- hovens für Klavier und Violoncello ein. Nun ist das allein noch kein spektakuläres Projekt. Doch auf den vier CD erklingt dieses Programm gleich zweimal - und da wird es aufregend. 
Denn wenn die Musiker beim ersten Mal durchgängig "moderne" Instrumente verwenden - es erklingen der übliche Steinway, allerdings ein Modell C aus Hamburg, mit dem etwas dezenteren "europäischen" Sound, sowie ein Cello von Carlo Giuseppe Testore, erbaut in Mailand 1694, aber ausgestattet mit den neuzeitlichen Stahlsaiten - so ist das Cello bei der Wiederholung des Programmes mit Darmsaiten versehen. Und es sind gleich drei Klaviere zu hören, die sich klanglich erheblich unterscheiden. So erklingt ein Fortepiano der Washingtoner Klavierbauer Thomas und Barbara Wolf nach Jean-Louis Dulcken, München um 1788, ein weiteres Instrument derselben Werkstatt nach einem Fortepiano von Nanette Streicher, Wien, ca. 1814-1820, und ein Fortepiano von R. J. Regier, Freeport, nach Wiener Vorbildern um 1830. Orkis nennt das Instrument scherzhaft einen "Grafendorfer", weil es die Stärken der Fortepianos von Conrad Graf und Ignaz Bösendorfer kombiniert. 
An diesen Aufnahmen lässt sich die rasante Entwicklung des Klavier- baues zur damaligen Zeit akustisch nachvollziehen. Das macht die Aufnahme außerordentlich spannend. Wirkt die Dulcken-Kopie noch fast wie ein Cembalo, so ist der "Grafendorfer" trotz seines Holzrah- mens und seiner lederbezogenen Hämmerchen klanglich und von seinen gestalterischen Möglichkeiten dem "europäischen" Steinway schon erstaunlich nahe. 
Die beiden Musiker aber sind mit der modernen Version hörbar am glücklichsten. Und warum sie fürs Foto auf den zerfledderten und verstreuten Noten herumtrampeln müssen, das bleibt dann vollends das Geheimnis des Labels. 

Montag, 24. Januar 2011

Kreutzer: Violin Concertos Nos. 17, 18 and 19 (Naxos)

Rodolphe Kreutzer (1766 bis 1831) gehört mit Pierre Rode und Pierre Baillot zu den Begründern der grandiosen französischen Violin- schule. Der Musiker erhielt ersten Unterricht von seinem Vater, dann studierte er bei Anton Stamitz.  Kreutzer gab sein Debüt im Alter von zwölf Jahren; vier Jahre später wurde er zum Mitglied der Königli- chen Kapelle ernannt. 
Er wirkte als Professor für Violine am Pariser Konservatorium, als Solo-Violinist am Théatre Italien und in der Privatkapelle Napoleons I., als Königlicher Kapellmeister und als Leiter der Pariser Oper. Kreutzer war in Frankreich hoch ge- achtet, und wurde unter anderem 1824 mit dem Titel eines Chevalier de la Légion d'honneur ausgezeichnet. 
Er komponierte unter anderem 40 Opern, 42 Etüden und Capricen für seine Violinschüler, und 19 Violinkonzerte. Kreutzer hat Generatio- nen von Geigern ausgebildet; er lehrte, bis ihm ein Unfall das Spielen unmöglich machte. Bekannt ist er aber, weil Beethoven ihm eine Sonate widmete - die Kreutzer übrigens nicht mochte, weil sie seinem Stil überhaupt nicht entsprach. Seine Violinkonzerte zeigen, wie Kreutzer spielte: Mit Ausdruck und mit schönem Ton, immer legato, den Bogen hübsch auf den Saiten, sehr edel und sehr französisch bis in die Begleitung durch das große Orchester, das er ebenso meisterhaft führte wie seinen Violinpart. 
Auf dieser CD werden seine drei letzten Konzerte von einem deut- schen Geiger gespielt. Axel Strauss, der seit 1996 in den USA lebt, und als Professor für Violine am San Francisco Conservatory of Music unterrichtet, musiziert gemeinsam mit dem Orchester dieser Musik- hochschule, das von seinem Leiter Andrew Mogrelia dirigiert wird. Die Aufnahme ist nicht perfekt, aber sehr achtbar - und sie macht deutlich, dass sich die französische Violinschule vom Virtuosen- training ihrer europäischen Nachbarn hörbar unterscheidet. Und allein das ist schon sehr spannend. 

Mozart: Sämtliche Werke für zwei Klaviere (Musicaphon)

Annette Töpel, Dozentin an der Musikakademie Kassel, hat ge- meinsam mit ihrem erfahrenen Kollegen Iwan Urwalow, der ebenfalls eine Klavierklasse an der Musikakademie Kassel leitet, für das Label Musicaphon sämtliche Werke Mozarts für zwei Klaviere eingespielt. 
Genutzt wurden dafür zwei Schimmel-Konzertflügel, die durch die Wilhelm Schimmel Pianoforte- fabrik GmbH in Braunschweig in deren Räumlichkeiten zur Verfü- gung gestellt wurden. Sie klingen nicht so massiv wie die heutzutage im Konzertbetrieb allgegenwärtigen Steinways, und das passt zu Mozarts Musik ganz ausgezeichnet. 
Mozart hat die meisten seiner Werke, die für diese Besetzung entstan- den sind, als Fragmente hinterlassen. Fertiggestellt hat er selbst nur zwei Stücke, die Sonate D-Dur KV 448 und die Fuge c-Moll KV 426. Alle anderen Werke haben die Musiker ergänzt, komplettiert, voll- endet, um spielbare Versionen zu erhalten. Dass dieses Vorgehen nicht unproblematisch ist, wird jedermann klar sein. Als Fragment aber wären die Werke auf CD wohl nicht unters Volk zu bringen; und auch handwerklich ist die Ergänzung ganz passabel gelungen. Inso- fern darf man sich auf eine ungewöhnliche Klavier-CD freuen, die mit Lust und Leidenschaft eingespielt wurde. 

Sonntag, 23. Januar 2011

Robert Schumann: Sammlung von Musik-Stücken alter und neuer Zeit (cpo)

"Unsere Gesinnung war vorweg festgestellt", notierte Robert Schumann 1835 mit Blick auf seine Neue Zeitschrift für Musik: "Sie ist einfach, und diese: die alte Zeit und ihre Werke anzuerkennen, darauf aufmerksam zu machen, wie nur an so reinem Quelle neue Kunstschönheiten gekräftigt werden können - sodann, die letzte Vergangenheit als eine unkünstle- rische zu bekämpfen, für die nur das Hochgesteigerte des Mechanischen einigen Ersatz gewährt habe - endlich eine junge, dichterische Zukunft vorzubereiten, beschleuni- gen zu helfen." Um dieses pädagogische Anliegen zu unterstützen, ergänzte Schumann seine Zeitschrift durch Notenhefte, in denen exemplarisch gezeigt wurde, wie sich der Komponist und sein Freundeskreis gute Musik vorstellten: "Ich will damit allerhand hübsche Gedanken ins Werk setzen, und die Sache soll Feuer unter die Musiker machen", schrieb Schumann an Ignaz Moscheles. 
Letztendlich erschienen 16 Notenhefte mit insgesamt 69 Werken von 39 Komponistinnen und Komponisten - nicht alle davon sind uns heute noch ein Begriff, und bei so manchem dieser Werke erscheint das auch in Ordnung. Auffällig ist zudem die starke Dominanz des Klaviers, neben einer großen Anzahl Lieder, die nicht nur für den Sologesang bestimmt sind, sondern teilweise auch zum Vortrag im Chor - gern auch für Männerchor, das romantische Ensemble par excellence. 
Das Label cpo hat nun gemeinsam mit Radio Bremen die gesamte Schumannsche Sammlung auf drei CD aufgezeichnet. Die Liste der Mitwirkenden ist lang. Die Klavierstücke spielt Klaus Sticken, die Orgelwerke Tillmann Benfer. Es singen Johanna Stojkovic, Miriam Sharoni und Veronika Winter, Sopran, Jale Papila, Alt, Jan Kobow und Michael Connaire, Tenor, Ralf Grobe und Andreas Pruys, Bass. Sie werden am Klavier begleitet von Cord Garben. Zu hören ist zudem das Alsfelder Vokalensemble unter Wolfgang Helbich. Musiziert wird durchweg sehr solide; diese Aufnahme ist ohne Zweifel eine der interessantesten Einspielungen zum Schumann-Jubiläumsjahr 2010. 

Graupner: Fagott- und Violinkonzerte (Carus)

Mehr als 40 Konzerte hat der Darmstädter Hofkapellmeister Christoph Graupner (1683 bis 1760) komponiert - die meisten davon für Bläser. So enthält diese CD allein vier Konzerte für Fagott, eines davon, das Konzert in C-Dur GWV 301 in Weltersteinspielung. Doch auch Graupners einziges Solokonzert für Violine in A-Dur GMV 337 findet sich in Welterst- einspielung, ebenso wie das Konzert für Chalumeau, Fagott und Violoncello C-Dur GWV 306. 
Graupners Konzerte überraschen durch viele unkonventionelle Wendungen und eine gewisse Kantigkeit des musikalischen Materials, das eher nach Haydn klingt als nach Corelli. Sie sind virtuos, aber es sind keine Barockkonzerte mehr. 
Friedemann Wezel, Professor für Violine an der Leipziger Musikhoch- schule, hat die Konzerte gemeinsam mit dem außerordentlich versier- ten Fagottisten Sergio Azzolini und Christian Leitherer, einem Spezia- listen für historisches Klarinettenspiel, sowie dem Ensemble Il Capriccio eingespielt. Zu hören sind historische Instrumente oder Kopien von Instrumenten aus jener Zeit, so ein Bass-Chalumeau, eine Rarität aus der Familie der Klarinetten, das aber runder und dunkler klingt als eine Klarinette, und ein Fagott nach einem Original aus dem Jahre 1720, mit dem typischen weichen Klang des Barockfagottes. 
Diese CD ist die Einladung zu einer faszinierenden musikalischen Zeitreise - inklusive der Entdeckung weiterer Werke eines Kompo- nisten, der seine Schaffenszeit nahezu ausschließlich in Darmstadt verbracht hat, und deshalb noch gründlicher dem Vergessen anheim gefallen ist als beispielsweise seine Zeitgenossen Bach, Kuhnau oder Heinichen. Es ist schön, dass anlässlich seines 250. Todestages im vergangenen Jahr etliche Graupner-Einspielungen erschienen sind - diese hier gehört ohne Zweifel zu den besten davon.

Samstag, 22. Januar 2011

Musica Sacra - De Maria Virgine (K&K)

Erneut legen Andreas Otto Grimminger und Josef-Stefan Kindler den Mitschnitt eines Konzertes im Kloster Maulbronn vor. Zu Gast war diesmal der Moskauer Akademische Staats- chor, einer der führenden pro- fessionellen Chöre Russlands, unter Leitung von Professor Andrej Koshewnikow. 
Im Zentrum des durchweg
a capella gesungenen Programms stand die Verehrung der Gottes- mutter Maria; dabei erklangen überwiegend klassische russische Kompositionen, unter anderem von Michail Glinka, Sergej Rachmaninoff, Modest Mussorgski und Alexan- der Archangelski. So kommen auch die Stimmen der in russischer Gesangstradition ausgebildeten Sänger am besten zur Geltung. 

Der Chor folgt perfekt dem Dirigat Koshewnikows, vom dezenten Pianissimo bis zum Fortissimo; wobei es für unsere Breiten eher ungewohnt ist, mit welcher Inbrunst (und Lautstärke) diese Sänger sich einbringen. Auch ruht dieser Chor auf einem beeindruckenden Fundament von tiefen Bass-Stimmen - und die sind wirklich tief; solche rabenschwarzen Bässe sind in Mitteleuropa sonst eher nicht zu hören. Einige Stücke aus der barocken und der italienischen Tradition machen allerdings deutlich, dass russischer Chorgesang nicht unbedingt mit jedem Repertoire kompatibel ist. 

Flute Friends (Acte Préalable)

Flötisten aus ganz Europa kamen zum Internationalen Flöten- festival im Februar 2010 an die Ignacy Jan Paderewski Academy of Music nach Poznan. In Kursen unterrichteten berühmte Flötisten den musikalischen Nachwuchs - und fanden auch selbst noch Zeit, eine CD einzuspielen: Flute Friends enthält etliche klangvolle Werke, die aus unerfindlichen Gründen aber selten gespielt werden. Da finden sich Konzerte von Vivaldi, Stamitz und Cimarosa neben der Rigoletto-Fantaisie von Franz und Karl Doppler, und zum Abschluss gibt's sogar noch ein Werk für fünf Flöten, Comme cinq flutes qui bourdinnent, in bester Virtuosentradition komponiert von Martial Nardeau. Es musizieren Ewa Murawska, Gro Sandvik, Gudrun Sigridur Birgisdottir, Ashildur Haraldsdottir, Martial Nardeau, Andrzej Le- gowski und das Kammerorchester Collegium F unter Marcin Sompo- linski. 

Mozart: Violinsonaten (Gramola)

Wie Mozarts Violinsonaten zu seinen Lebzeiten geklungen haben, davon vermittelt diese Einspielung einen Eindruck. Als der Komponist von Salzburg nach Wien ging, war dort der Hammerflügel schon groß in Mode - und Mozart erwarb bald ein derartiges Instrument aus der Werkstatt von Anton Walter (1752 bis 1826), des führenden Wiener Fortepianobauers der damaligen Zeit. 
Mozart soll zudem eine Violine des genialen Tiroler Geigenbauers Jakob Stainer (1617 bis 1683) gespielt haben; in jedem Falle aber besaß er die Kopie einer Stainer-Geige, die er als Konzertinstrument verwendete. Thomas Albertus Irnberger, Violine, und Paul Badura-Skoda, Klavier, haben für die vorliegende Super-Audio-Aufnahme von Mozarts Violinsonaten genau diese Instrumente eingesetzt, und folgen zudem jenen Anweisungen, die Mozarts Vater einst in seiner Violinschule notiert hat. 
Das Ergebnis verblüfft; schon rein klanglich unterscheidet sich der Hammerflügel deutlich von seinen modernen Vettern. Der Ton dieses historischen Fortepianos ist viel schlanker und kerniger, und ver- schmilzt daher ganz anders mit dem der Geige, als wir das heute gewohnt sind. Dazu kommt die Tatsache, dass Mozart zunächst den Flügel als das Soloinstrument betrachtete, das er auf der Violine begleitete. Erst nach und nach wurde die Violine zum gleichberech- tigten Partner des Hammerflügels - und beide Partien wurden zunehmend anspruchsvoll. 

New Year's Eve Concert 2010 (Deutsche Grammophon)

Das Silvesterkonzert des ZDF wurde in diesem Jahr erstmals nicht aus Berlin, sondern aus der Dresdner Semperoper übertragen. Christian Thielemann startet in sein Engagement bei der Dresdner Staatskapelle mit Auszügen aus Franz Lehárs Operette Die lustige Witwe. Damit folgt er übrigens seinem Mentor Herbert von Karajan, der für die leichte Muse durchaus auch ein Faible hatte. 
Die lustige Witwe gehört, dieser Kalauer sei gestattet, eher zu den Schwergewichten des Genres. Nummern wie Da geh ich zu Maxim, Ja, das Studium der Weiber ist schwer, das Vilja- Lied oder Lippen schweigen sind keineswegs leichte Kost; für die Partie der vermögen- den Witwe Hanna Glawari wurde in diesem Falle Renée Fleming angeheuert, und den Grafen Danilo singt Christopher Maltman. Um diese Weltstars herum agieren stimmstark die hauseigenen Kräfte aus dem Solistenensemble der Semperoper sowie der Staatsopernchor Dresden. 
Die Staatskapelle erweist sich erneut als ein erstklassiges Opern-Orchester, das auch einmal Vergnügen am Wiener Walzer findet. Zwar bleibt der typisch sächsisch-gedeckte Orchesterklang prägend, und zum Wiener Überschwang sind die Dresdner nicht zu verführen. Aber bei den Zugaben stellt man erstaunt fest, dass Bernstein der Staats- kapelle durchaus liegt. Und zum Abschluss erklingt mit An der Elbe sogar ein Walzer von Johann Strauss Sohn - ein Gruß an die Stadt der Neujahrskonzerte. 
Die Silvesterkonzerte dürften in Dresden umgehend zu einer Tradition werden. Diese Innovation Thielemanns wird das konservative Dresdner Publikum vermutlich nicht überfordern. Und die Gäste der sächsischen Landeshauptstadt werden sich an den Stars ebenfalls erfreuen, bevor sie in die Hotels entschwinden, um festlich zu dinieren und ins neue Jahr hinüberzufeiern. Alle sind glücklich - was will man mehr. 

Mittwoch, 19. Januar 2011

Beethoven: Sonatas & Variations (Profil)

Der Live-Mitschnitt eines Konzer- tes in der Tonhalle Zürich. Das Programm ist nicht gerade das, was einen spontan aus dem Haus locken würde - Wen-Sinn Yang, Cello, und Werner Bärtschi, Klavier, spielen zunächst Zwölf Variationen über ein Thema aus Händels Oratorium "Judas Maccabäus" WoO 45 - volkstüm- lich bekannt auch als "Tochter Zion, freue dich". Es folgen die Sonaten F-Dur und g-Moll op. 5/1 und 2, sowie die Zwölf Variationen über das Thema "Ein Mädchen oder Weibchen" aus Mozarts Oper "Die Zauberflöte" op. 66. 
Schon nach wenigen Takten bricht spontan Begeisterung aus: Das ist Musik, unglaublich! Yang und Bärtschi musizieren mit einer Leiden- schaft, die regelrecht ansteckt. Diese beiden Klangmagier verzau- bern alles, was sie spielen; sie machen aus der simpelsten Melodie ein Erlebnis, und aus einem Arpeggio eine Offenbarung. Dabei harmonie- ren sie stets wunderbar miteinander. 
Diese CD ist ein Ereignis. Denn sie zeigt, dass sich Musik eben doch nicht auf die korrekte Wiedergabe von Noten reduzieren lässt. Es braucht auch Geist, Witz und ein Fünkchen Gespür - und auf dieser Aufnahme gibt's ein wahres Feuerwerk davon. Bravi! 

Trumpet Concertos; Tarkövi (Tudor)

Diese CD erlaubt einen Blick auf die Entwicklung der Trompete und der für sie komponierten Musik. Sie beginnt mit einem Konzert für Trompete und Orchester in D-Dur aus dem Jahre 1762, das Leopold Mozart (1719 bis 1787) für den Salzburger Hoftrompeter Johann Andreas Schachtner geschrieben hat - einen versierten Solisten, der zur ersten Liga der Trompeter seiner Zeit gehörte. 
Denn nur die Hoftrompeter waren in der hohen Kunst des sogenann- ten Clarinblasens ausgebildet, und geübt darin, auf Naturtrompete und Corno da Caccia im hohen Register zu musizieren. Ähnliche Anforderungen stellt auch das Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur von Johann Baptist Georg Neruda (1707 bis 1780), kompo- niert für den Dresdner Hof und für Corno da Caccia. Mit der Weiter- entwicklung der Trompete verschwand dieses Instrument so gründlich, dass erst sein Nachbau durch den Leipziger Instrumenten- bauer Friedbert Syhre in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Trom- peter Ludwig Güttler dazu führte, das Repertoire jener Zeit wieder spielbar zu machen. Allerdings waren etliche Bläser mit Güttlers Version des Corno da Caccia nicht ganz glücklich; es handelt sich dabei um ein modernes Instrument, das klanglich nicht hinreichend dem Original entspricht. Mittlerweile sind auch Nachbauten erhält- lich, die auf die Ventile verzichten. 
Diese Innovation war seinerzeit eingeführt worden, um auf der Trompete nicht nur einige, sondern alle Töne blasen zu können - und um ein deutlich expressiveres Spiel zu ermöglichen. Zwischen der heute üblichen Ventiltrompete und ihren Vorfahren aber gab es einen Zwischenschritt - die Klappentrompeten des Wiener Hoftrompeters Anton Weidinger, an die diese CD mit zwei Werken erinnert, die spe- ziell dafür komponiert wurden. Joseph Haydn schrieb zur Demon- stration der damals unerhörten Möglichkeiten der Klappentrompete das Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur (1796); Johann Nepomuk Hummel für das Neujahrskonzert 1804 auf Schloss Ester- hazy das Konzert für Trompete und Orchester E-Dur
Gábor Tarkövi, Solo-Trompeter der Berliner Philharmoniker spielt diese musikhistorisch interessanten Werke auf modernen Instru- menten. Die eigentliche Entdeckung aber sind die Bamberger Symphoniker, die diese Konzerte begleiten. Sie spielen unter Karl-Heinz Steffens blitzsauber und kammermusikalisch inspiriert; diesem Orchester zu lauschen, ist wirklich eine Freude. 

Samstag, 15. Januar 2011

Orpheus in England - Dowland & Purcell (BIS)

Eigentlich wollte Dame Emma Carolyn Kirkby, Jahrgang 1949, nicht Sängerin werden. Sie studier- te in Oxford Altphilologie, und arbeitete nach dem Examen als Lehrerin. Gesungen hatte sie zum Vergnügen, und zwar bevorzugt jenes Repertoire, das man heute gern als "Alte" Musik bezeichnet - Werke aus der Zeit der Renaissance und des Barock. 
So sang sie bald auch in Ensembles wie dem Taverner Choir oder dem Consort of Musicke. 1974 gab sie ihr Debüt als Solistin. Damit gehört sie zu den Pionieren der histori- schen Aufführungspraxis - und mit der vorliegenden CD beweist sie, dass sie die Entscheidung gegen das Lehramt und für die Musik bis heute nicht bereut. Ihre Stimme klingt noch immer frisch und unver- braucht, und Kirkby hat hörbar Vergnügen an den Werken von John Dowland und Henry Purcell - der beiden großen englischen Musiker, die von ihren Zeitgenossen als Orpheus Britannicus gepriesen wur- den. Sie musiziert gemeinsam mit Jakob Lindberg, der nicht nur in den zahlreichen Solostücken durch sein rasantes Lautenspiel be- geistert. Die beiden entdecken auch an den Klagegesängen durchaus theatralische Momente, und kosten sie mit Hingabe aus. So munter waren die doch eher melancholischen Werke lang nicht zu hören. 

Schumann - Philippe Graffin (Onyx)

Das Cellokonzert in a-Moll op. 129 von Robert Schumann ist sehr bekannt; weit weniger bekannt ist, dass der Komponist selbst es auch für Violine bearbeitete. Diese Version widmete er seinem Freund Joseph Joachim. 1851, ein Jahr später, schrieb er in schneller Folge zwei Violinsonaten: "Die erste Violinsonate hat mir nicht gefallen", so Schumann, "da habe ich denn noch eine zweite gemacht, die hoffentlich besser geraten ist." 
Der französische Geiger Philippe Graffin hat für Onyx diese Werke eingespielt, das "Violinkonzert" gemeinsam mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter Christoph Poppen - ich konnte mich auch bei mehrmaligem Anhören nicht dafür begei- stern. Das liegt zum einen daran, dass bereits Schumann die Violin- version wesentlich schwächer, süßlicher geraten ist das das Cello-Original. Wird dann noch "schön" musiziert, wie in diesem Falle, dann kann das nicht mehr überzeugen. 
Weit besser gefallen mir die 3 Romanzen für Violine und Klavier op. 22 von Clara Schumann, die Graffin gemeinsam mit Pianistin Claire Désert ziemlich temperamentvoll nimmt, statt "romantisch" in Spitzendeckchenmanier. Das gilt auch für die Violinsonate Nr. 2 d-Moll op. 121 von Robert Schumann, wo den beiden eine hinreißend intensive Interpretation gelingt. 

Freitag, 14. Januar 2011

Norbert Burgmüller: Songs and Chamber Music (Querstand)

"Nach Franz Schubert's frühzei- tigem Tod konnte keiner schmerz- licher treffen   als der Burg- müller's", klagte Robert Schumann in einem Nachruf. "Sein Talent hatte solche leuchtenden Vorzüge, daß über dessen Dasein nur einem Blinden Zweifel aufkommen könnte; selbst die Masse, glaub' ich, würde er später zur Aner- kennung gezwungen, der Reich- tum seiner Melodien müßte sie gepackt haben, wenn sie auch die wahrhaft künstlerische Bearbeitung der Theile nicht zu würdigen verstanden." 
Norbert Burgmüller (1810 bis 1836) wuchs in einem Musikerhaushalt auf. Sein Vater war Musiklehrer, Komponist, Kapellmeister und Musikdirektor in Düsseldorf. Die Klavieretüden, die sein älterer Bruder Friedrich Burgmüller (1806 bis 1874) für junge Pianisten komponierte, sind noch heute beliebt und werden im Unterricht rege genutzt. 
Die Lebensgeschichte von Norbert Burgmüller liest sich wie ein Roman von Hedwig Courths-Mahler - nur hat sie leider kein glück- liches Ende. Als der Vater 1824 starb, geriet die Familie in große Not. Ein adliger Mäzen unterstützte sie, und er finanzierte auch Norbert das Studium bei Louis Spohr und Moritz Hauptmann in Kassel. Dort wirkte der junge Mann dann als Korrepetitor, Dirigent und Pianist. Er komponierte, und hatte mit seinen Werken erste Erfolge. 1829 verlobte er sich mit einer Opernsängerin, die jedoch die Verlobung im Jahr darauf wieder löste, weil sich ihr eine glänzende Partie bot. An dem Tage, an dem sie eigentlich heiraten wollte, starb sie in Aachen an einem Nervenfieber. 
Burgmüller hat dies nie verwunden. Er fing ein liederliches Leben an, verfiel zeitweise der Trunksucht - und wurde von epileptischen Anfällen heimgesucht. 1830 kehrte er nach Düsseldorf zurück, wo er seinen Lebensunterhalt in erster Linie durch Musikunterricht verdiente. 1833 lernte er Felix Mendelssohn Bartholdy kennen, der als Musikdirektor nach Düsseldorf kam. Mendelssohn erkannte sein Talent, und sorgte dafür, dass Burgmüllers Werke öffentlich gespielt wurden. So stellte er dem Publikum ein Klavierkonzert und eine Sinfonie vor. Die zweite Sinfonie blieb unvollendet; Burgmüller er- trank 1836 während eines Kuraufenthaltes in Aachen im Quirinus- bad. 
Seine Lieder spiegeln dieses unstete Dasein; ihre Texte sind oftmals düster - doch man darf nicht vergessen, dass es sich dabei um Jugendwerke handelt. Auf dieser CD erklingen sie gemeinsam mit drei Kammermusikwerken, hingebungsvoll interpretiert von Künstlern aus dem mitteldeutschen Raum. 

Schumann: Fantasie, Davidsbündlertänze; Uchida (Decca)

Eine wahre Flut von Aufnahmen brachte das vergangene Jahr, in dem des 200. Geburtstages von Robert Schumann (1810 bis 1856) gedacht wurde. Diese hier gehört zu den wenigen, die man nicht sofort wieder vergessen wird: Mitsuko Uchida spielt die Davids- bündlertänze op. 6 und die Fantasie in C-Dur op.17, die Schumann 1836 komponierte, um einen Beitrag zur Finanzierung eines Beethovendenkmals in Bonn zu leisten, und dann bis zum Er- scheinen 1839 mehrfach überarbeitete. Auch die Davidsbündler- tänze hat er mehrmals revidiert. Das macht die Annäherung an diese Werke nicht einfacher. 
Uchida jedenfalls hat die Quellen sorgsam studiert. Sie spielt Schumann erstaunlich energisch und streng. Doch gerade durch den Verzicht auf jegliches Brimborium gelingt es ihr, die Tiefe - und auch die Abgründe - dieser Werke aufzuzeigen. So hat man das noch nicht gehört. 

Donnerstag, 13. Januar 2011

Clementi: Gradus ad Parnassum 1 (Naxos)

Er war Komponist, Pianist, Kla- vierbauer, Musikverleger und Musikpädagoge - und in all diesen Bereichen geschäftstüchtig und erfolgreich: Mutius Philippus Vincentius Franciscus Xaverius Clementi  (1752 bis 1832), der Sohn eines römischen Silber- schmiedes, begann seine musikali- sche Ausbildung im Alter von sechs Jahren. Er lernte nicht nur, Tasteninstrumente zu spielen, sondern er erhielt auch Unterricht in Komposition - und sein Kon- trapunkt-Lehrer Gaetano Carpani stand in dem Ruf, der strengste in ganz Rom zu sein. Bereits als Jugendlicher bekam Clementi seine erste Stelle als Organist. Ein vermögender Mann aus Großbritannien hör- te den jungen Musiker spielen - und nahm ihn 1766 mit nach England. Dort sorgte der Mäzen dafür, dass Clementi eine solide und umfassen- de Ausbildung zuteil wurde. 
1774 waren die Lehrjahre seines Schützlings beendet; Clementi gab sein Debüt in London, und machte sich bald einen Namen als Cemba- list, Dirigent und Komponist. Ging er zunächst auf Konzertreisen durch Europa, so wurden daraus bald Geschäftsreisen, auf denen er sich mit namhaften Kollegen traf - und viele davon dafür gewinnen konnte, in seinem Musikverlag zu publizieren. So erschienen Beet- hovens Werke für Großbritannien bei Clementi.
Das wird nicht verblüffen, denn die Klaviersonaten des Italieners beeindruckten Beethoven, und prägten für etliche Jahre seinen Klaviersatz hörbar. Clementi bildete zudem zahlreiche Klavierschüler aus; seine Klavierschule Introduction to the Art of Playing on the Piano Forte gehört noch heute zu den Standard-Unterrichtswerken. Einen festen Platz in der Ausbildung von Pianisten hat auch seine Etüdensammlung Gradus ad Parnassum op. 44, die insgesamt hundert Einzelstücke umfasst. Alessandro Marangoni hat für Naxos die ersten 24 dieser Werke eingespielt - und macht deutlich, dass Gradus ad Parnassum wesentlich mehr als Fingerakrobatik von einem Musiker verlangt. 
Zwar dienen diese Etüden auch dem Training der pianistischen Technik - aber sie sind kein stumpfes Geklimper, sie fordern von dem Eleven vielmehr auch gedankliche Arbeit und Gestaltung. Marangoni zeigt, wie geistreich diese Übungsstücke wirklich sind. Sie stecken voll Witz und Charme - und wer diese Aufnahme anhört, der wird mitunter schmunzeln. 

Mittwoch, 12. Januar 2011

Mozart: Piano Concertos Vol. 6; Zacharias (MDG)

Mozarts Klavierkonzerte in der Champagner-Version:  Christian Zacharias, der sie mit dem von ihm geleiteten Orchestre de Chambre de Lausanne für Da- bringhaus und Grimm eingespielt hat, setzt ganz auf Leichtigkeit und Esprit. Das bringt Schwung in die oft noch immer bräsig-romantisie- rend gespielten Werke, und tut die- ser Musik ganz eindeutig gut. 
Der Pianist spielt bei den Konzer- ten Nr. 14 KV 449  und Nr. 15 KV 450 Mozarts Kadenzen. Für das Konzert Nr. 21 KV 467 sind diese nicht überliefert; in diesem Falle hat Zacharias eigene Kadenzen geschrieben, die gut zu dem schönen Werk mit dem stimmungsvollen zweiten Satz passen. 
Zacharias' Interpretation verortet die Klavierkonzerte deutlich in der Nachbarschaft der großen Mozart-Opern. Er gestaltet farbig und abwechslungsreich, kostet theatralisch angelegte Szenen aus, und lässt Kontraste wirken. Das alles ist nicht wirklich neu, aber man kann es durchaus genießen - ohne Reue. 

Montag, 10. Januar 2011

Solomon - Beethoven, Schumann, Bach, Chopin, Brahms (Audite)

Solomon Cutner (1902 bis 1988) stammte aus einfachen Verhält- nissen. Sein Vater war Schneider; ursprünglich hieß die Familie Schneidermann, anglisierte aber ihren Namen dann auf Cutner - was nicht nur auf den Beruf anspielte, sondern auch auf das polnische Kutno, aus dem die Familie einst eingewandert war.
Die musikalische Begabung Solo- mons zeigte sich früh; im Alter von fünf Jahren erhielt der Knabe be- reits Klavierstunden, und 1910 trat er in die Privatmusikschule von Mathilde Verne ein. Diese Schülerin von Clara Schumann erwies sich nicht nur als versierte Pianistin, sondern auch als clevere Unternehmerin, die ihren Schüler als Wun- derkind vermarktete. Im Juni 1911 gab er sein Debüt mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 15 in B-Dur, KV 450, und dem langsamen Satz aus Tschaikowskis b-Moll-Klavierkonzert. "Solomon - aged 8 years", kündigte ihn Verne an, und diesen Künstlernamen behielt er bei, auch wenn seine glanzvolle Karriere zunächst abrupt endete. Denn dem Heranwachsenden wurde der Wunderkind-Bonus entzogen; und was das Publikum zuvor possierlich fand, das wurde schließlich als affektiert abgelehnt. Das stürzte Solomon in eine tiefe persönliche Krise. Als 14jähriger trennte er sich von seiner Lehrerin, und zog sich aus dem Musikbetrieb zurück.
Dass er 1921 erfolgreich ins Konzertleben zurückkehren konnte, verdankte Solomon vor allem Lazare Lévy, dem Nachfolger Cortots am Pariser Konservatorium - insbesondere jene exzellente Technik, die noch heute begeistert. Lèvy erinnerte seine Schüler immer wieder daran, dass ein Pianist nicht mit zwei Händen, sondern mit zehn Fingern spielt. Er legte größten Wert auf anatomisch korrekte Bewe- gungen, und auf einen sparsamen Gebrauch des Pedals. 
Das Ergebnis: Phänomenale Durchhörbarkeit der musikalischen Strukturen, überragende klangliche und dynamische Gestaltung - und immer wieder Phrasen, die wie eine gesungene Melodie wirken. Solo- mons Spiel wirkt so "natürlich", so ungekünstelt, und erzeugt eine Spannung, dass man schier den Atem anhalten möchte. Das gilt insbesondere für den ersten Satz von Beethovens legendärer Klavier- sonate Nr. 14 cis-Moll, op. 27 Nr. 2, die Mondschein-Sonate, die man kaum noch anhören möchte, weil sie oftmals derart gedankenlos heruntergeklimpert wird. Solomon spielt dieses Stück delikat - und unendlich langsam, aber ich finde seine Auffassung interessant, weil auch Dynamik und Klang darauf hervorragend abgestimmt sind. So entsteht eine spannungsgeladene musikalische Atmosphäre, die zugleich eine für uns heutzutage nur noch schwer erträgliche Ruhe ausstrahlt. Die furiose Entladung erfolgt im dritten und  letzten Satz. Das ist wirklich grandios, das ist große Klavierkunst.
Ähnliches gilt für Schumanns Carnaval, den Solomon so eng am Notentext interpretiert, dass man mitschreiben könnte. Doch durch die Strenge und die Präzision, mit der der Pianist Schumanns Werk spielt, tritt die Extravaganz dieser Komposition nur um so deutlicher zutage. Was Solomons Spiel so einzigartig macht, das ist sein Streben nach Werktreue, zugleich aber auch nach Klarheit, Eleganz - und Poesie. Das bekommt im übrigen auch den drei Werken Chopins, die hier zu hören sind, ganz fantastisch. 
Die Aufnahmen, die Audite erstmals von den Originalbändern re- mastert hat, gehören zu seinen letzten: Solomon erlitt 1956 einen schweren Schlaganfall, der ihn nachhaltig beeinträchtigte. Geistig hellwach, doch ohne die Aussicht, jemals wieder Klavier spielen zu können, verbrachte der Pianist den Rest seines Lebens in seinem Haus in London, wo ihn seine Frau liebevoll pflegte. Diese Doppel-CD wird hoffentlich dazu beitragen, die Erinnerung an diesen großartigen Pianisten auch außerhalb von Fachkreisen wachzuhalten.  

Samstag, 8. Januar 2011

Trough the mirror - Michael Seewann, Piano (Genuin)

Dies ist wirklich eine Spiegel-CD - und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen spiegelt der Klavierzyklus Bilder einer Aus- stellung von Modest Petro- witsch Mussorgski (1839 bis 1881) Reiseskizzen, Architektur- und Kostümentwürfe des Malers Viktor Hartmann. Einige dieser Stücke, insbesondere die Promenaden, die Emotionen beim Gang durch die imaginäre Ausstellung hörbar machen, oder die russisch-tradi- tionellen Sujets spiegeln darüber hinaus die ästhetischen Ansichten des Mächtigen Häufleins, dem Mussorgski angehörte. 
Die Werke, die sich auf Motive aus Frankreich beziehen, verweisen aber auf den engen Kontakt zum "Westen", den die russischen Musiker durchaus hatten. Sie verfolgten insbesondere das Schaffen ihrer französischen Kollegen - und eine ähnliche Gruppe junger Künstler in Paris um Maurice Ravel (1875 bis 1937), die sogenannten Apachen, interessierte sich wiederum sehr für die Werke des Mächtigen Häufleins
Ravel schuf 1922 eine Orchesterversion der Bilder einer Ausstellung, die noch immer wesentlich bekannter ist als das Original. Das liegt sicher nicht zuletzt daran, dass Mussorgkis ursprüngliches Werk klanglich deutlich karger ist als die vergleichsweise opulente Orchestrierung. Auf dieser CD zeigt der Münchner Pianist Michael Seewann, dass diese Kargheit aber dennoch eine erstaunliche Vielfalt von Klangfarben zulässt. Mit seinem präzisen, disziplinierten Spiel zeigt er das Werk in einer Klarheit, die verblüfft und begeistert. 
Von Ravel stammt noch ein anderes Werk, das aufgrund seiner ungewöhnlichen Struktur an Mussorgskis Zyklus erinnert: In den Miroirs, 1904/05 entstanden, charakterisiert der Komponist jeden seiner Mit-Apachen in einem Satz, der diesem gewidmet ist. Die fünf Stücke tragen sprechende Namen, wie Noctuelles, Oiseaux tristes oder Une barque sur l'océan, und gleichen musikalischen Bildbe- schreibungen - was wiederum Maler animiert hat, diese Spiegel in Bildern zu spiegeln. 

Boccherini: Six Sonatas for Cello and Piano (Naxos)

„Wollte Gott zu den Menschen in Musik sprechen, so täte Er es mit den Werken Haydns; doch wenn Er selbst Musik hören wollte, würde Er sich für Boccherini ent- scheiden", schrieb ein französi- scher Musiker 1798. 
Luigi Boccherini (1743 bis 1805), Cellist und Komponist, wirkte viele Jahre in Spanien. Er war composi- tor y virtuoso de cámara beim spanischen Infanten  Don Luís Antonio de Borbón y Farnesio, wurde aber auch an anderen euro- päischen Höfen sehr geschätzt. So ernannte ihn Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, der spätere König Friedrich Wilhelm II.,  1786 zum compositeur de notre chambre. Der Preußenkönig spielte selbst ausgezeichnet Cello, und Boccherini schrieb Musik für ihn. 
So sind unter den mehr als 460 Werken Boccherinis, die überliefert sind, mehr als 30 Sonaten für Cello und Basso continuo. Sechs davon, publiziert 1771 in London, hat der Cellovirtuose Alfredo Piatti hundert Jahre später für Cello und Klavier arrangiert. Sie werden auf dieser CD von zwei jungen Musikern vorgestellt.
Fjodor Amosow, Jahrgang 1988, hat seine Grundausbildung an der Gnessin-Musikschule und am Moskauer Konservatorium absolviert, und ist bereits seit einiger Zeit solistisch tätig. Er spielt mit schönem Ton, aber die schnellen Passagen neigen leider dazu, zu verwischen statt zu perlen. Das hat man schon besser gehört. Am Klavier beglei- tet ihn Jen-Ru Sun aus Taiwan - souverän, makellos; so wünscht man sich einen Kammermusik-Partner. 

O solitude - Songs and Arias by Henry Purcell (Decca)

Über die Vorgeschichte dieser CD sagt Andreas Scholl, "dass die Musik Purcells neben der John Dowlands und Händels in der solistischen Arbeit eines Counter- tenors das tägliche Brot darstellt." Eine Aufnahme davon hatte der erfolgreiche Sänger bislang noch nicht eingespielt - nun ist sie da, und man muss schmunzeln, weil sie bis in die Auswahl der Stücke hinein an eine sehr ähnliche CD mit Drew Minter erinnert. Der aller- dings nahm selbst die Arien als Lautenlieder, und ließ sich nur vom Basso Continuo begleiten. Scholl hingegen musiziert erneut mit der Accademia Bizantina, die bei dieser Aufnahme von ihrem ersten Geiger Stefano Montanari geleitet wird, und die CD klanglich stark prägt.
Scholl singt noch immer exzellent, und er gestaltet klug. Das gilt sowohl für die Dramaturgie des einzelnen Stückes, als auch für die gesamte CD. Kleiner Scherz für Insider: Einer ihrer musikalischen Höhepunkte ist das Lamento der Dido - was den an Theatern weithin geübten Brauch auf den Kopf stellt, aus barocken Heldenpartien Hosenrollen für Sängerinnen zu machen. Zwei Stücke singt Scholl zudem gemeinsam mit dem französischen Countertenor Christophe Dumaux. "Ich stellte mir immer vor, dass es schön wäre, das be- rühmte 'Sound the trumpet' im Album zu haben. Christophe ist ein cooler Typ und ein toller Sänger", meint Scholl. "Wir haben gemein- sam an der Met debütiert, und wir haben auch in Kopenhagen, Lausanne und Paris gemeinsam auf der Bühne gestanden. Ich dachte, es wäre lustig, ihn für ein paar Duette einzuladen." 

Dienstag, 4. Januar 2011

Pupils of Chopin (Naxos)

"Wenn dieser Kleine reisen wird, kann ich meine Bude schließen", soll Franz Liszt einst über Carl Filtsch gesagt haben. Der Sohn eines Pfarrers aus Siebenbürgen erhielt schon mit drei Jahren Klavierunterricht von seinem Vater. 
Als er sieben Jahre alt war, kam er zur weiteren Ausbildung nach Wien, wo ihn u.a. Friedrich Wieck unterrichtete. Drei Jahre später gab er sein Debüt bei Hofe, und ging alsdann gemeinsam mit seinem Bruder nach Paris, um bei Frédéric Chopin weiter zu lernen; auch Liszt gab ihm zeitweise Unterricht.
Die Presse feierte den jungen Musiker, er wurde mit Mozart vergli- chen. Doch die geplanten Konzertreisen musste er absagen - Filtsch erkrankte an Tuberkulose, und starb 1845 im Alter von fünfzehn Jahren in Venedig. Er hinterließ einige eigene Kompositionen; sechs davon sind auf dieser CD zu hören.
Sie enthält zudem Werke von drei weiteren Schülern des berühmten Pianisten. Adolf Gutmann (1819 bis 1882) stammte aus Heidelberg; er ging 1834 nach Paris, um Stunden bei Chopin zu nehmen, und wurde dessen Freund und Vertrauter. Er war einer der wichtigsten Kopisten von Chopins Werken, und wachte auch bei ihm, als er krank wurde und starb. Die drei Stücke auf dieser CD sind interessant, aber vom Vorbild Chopins hörbar beeinflusst.
Das gilt auch für die Werke von Karol Mikuli (1819 bis 1897). Er stammte aus der Bukowina, und kam eigentlich 1839 nach Wien, um Medizin zu studieren. 1844 ging er nach Paris, und blieb vier Jahre, um als Schüler und bald auch Freund Chopins seine pianistischen Fertigkeiten zu verbessern. 1847 begann er, Konzerte zu geben - und er war so erfolgreich, dass er 1858 zum Direktor des Galizischen Musikvereins in Lemberg gewählt wurde. Er veröffentlichte die erste Gesamtausgabe der Werke Chopins.
Thomas Dyke Ackland Tellefsen (1823 bis 1874) kam 1842 aus Norwegen nach Paris, wo er zunächst durch Friedrich Kalkbrenner unterrichtet wurde. Im November 1844 lernte er Chopin kennen, und nahm daraufhin bei ihm bis Mai 1847 regelmäßig Stunden. Nach Chopins Tod übernahm er einige seiner Schüler, und erwarb sich einen guten Ruf als Klavierlehrer und als Virtuose. Wie Chopin die Musik seiner polnischen Heimat, so integrierte Tellefsen Melodien und Motive aus der norwegischen Volksmusik in seine Werke. Man bemerkt zudem, dass er mit Barockmusik ziemlich vertraut gewesen sein muss. Von den vier Chopin-Schülern, deren Werke auf der vor- liegenden CD zusammengetragen wurden, zeigt er die eigenständigste Handschrift.
Der Pianist Hubert Rutkowski hat bereits mehrfach Musik aus dem Umfeld Chopins eingespielt. Und selbst, wenn manches, was hier zu hören ist, "nur" das Format eines reizenden Salonstückes hat, so gestaltet er dennoch jedes einzelne dieser Werke sorgsam - und sein Spiel ist in der Tat brillant. Ausgebildet an der Uniwersytet Muzyczny Fryderyka Chopina in Warschau, lehrt Rutkowski mittlerweile selber an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Und man darf sehr gespannt darauf sein, was er, nach Julian Fontana und Theodor Leschetitzky, in Zukunft vorstellen wird.

Sonntag, 2. Januar 2011

Mozart: Piano Concertos 22 & 25; Fray (Virgin Classics)

"Lange habe ich mich an Mozart nicht so recht getraut. Zu einfach, zu kompliziert. Zu klar, zu rätsel- haft. Wie bei Bach habe ich immer wieder einmal Anlauf genommen", berichtet David Fray. Und nun hat er sich doch an zwei der Klavier- konzerte gewagt - KV 482 und KV 503, entstanden 1785 und 1786.
Im Beiheft psychologisiert der Pianist, dass sein Text fast schon wieder Poesie ist. Mozart freilich entschwindet in dieser Wortwolke - und mir will scheinen, er schmun- zelt dabei. Die CD lässt aufhorchen: Frays Werkauffassung? Peinlich romantisierend; sein Spiel ist eine einzige Spekulation - und bei den Kadenzen wählt er beim Klavierkonzert Nr. 22 in Es-Dur jene von Edwin Fischer, beim Klavierkonzert Nr. 25 in C-Dur die von Friedrich Gulda. Da staunt der Hörer, denn die sind ja doch von Grund auf unterschiedlich.
Sie werden allerdings in eine watteweiche Soundkulisse eingebettet, in der alles versackt. Es spielt das Philharmonia Orchestra unter Jaap van Zweden - und zu hören bekommt man eine Sammlung schöner Stellen. Das ist ja alles sehr nett, wirkt jedoch ziemlich unverbindlich und beliebig. Irgendwie fehlt diesem Mozart die Linie; man vermisst Geist und Witz, statt dessen gibt's den Versuch musikalischer Selbst- findung. Für eine CD ist mir das zu wenig.