Dienstag, 31. Juli 2018

Brass Hommage - German Brass (Berlin Classics)

Ihr letztes Album – das war barocke Klangpracht pur, mit Werken von Bach, Telemann und Händel. Mit Brass Hommage zeigen die Musiker von German Brass nun, dass sie auch ganz anders können. 
Am Anfang stehen Klänge aus der viel strapazierten und oft zitierten symphonischen Dichtung Also sprach Zarathustra von Richard Strauss. Dies wird dann gleich aufgegriffen in Odyssee in Brass – und darauf folgt El Tango la Cumparsita. Kurz und gut: Es wird temperamentvoll, es wird bunt, und es wird auch enorm rhythmisch. Gleich zwei CD benötigten die Bläser, die ihren Ausflug in die Welt der Unterhaltungsmusik offenbar gehörig auskosten. 
Es erklingen jede Menge bekannte Melodien, von Tico Tico über Bésame Mucho bis hin zu As Time Goes By. Mambo, Samba, Tango, Jazz, Blues und Spirituals – German Brass, verstärkt durch Gäste und ehemalige Mitglieder, lässt es so richtig krachen. Die Reise führt durch die USA, wobei New Orleans eine wichtige Zwischenstation ist, über Mexiko und diverse andere lateinamerikanische Staaten bis nach Brasilien – Sonnenbrille nicht vergesssen! Und viel Spaß mit dieser bunten Mischung cooler Rhythmen, witziger Arrangements und fein abgestimmter Blech- bläser-Klangfarben. Als Zugabe gibt es übrigens sogar mehrstimmigen Gesang. 

Rosetti: Symphonies & Concertos (MDG)

Zeitgenossen rühmten sein Talent für lyrische Melodik, seine phantasie- volle Instrumentation und seinen Sinn für dynamische Nuancen. Hört man die Musik Antonio Rosettis (um 1750 bis 1792), so erscheint es unbegreiflich, wie dieser vortreffliche Komponist in Vergessenheit geraten konnte. 
Über seinen Werdegang wurde in diesem Blog bereits an anderer Stelle berichtet. Vorzustellen ist heute eine Sonderedition, in der MDG zwei Einspielungen von Orchesterwerken des Meisters, der aus Böhmen stammt und eigentlich Anton Rösler oder Rössler hieß, zusammengefasst und neu veröffentlicht hat. 
Aufgezeichnet wurden sie bereits 2001 und 2002; es musizieren die Hamburger Symphoniker, dirigiert vom Rosetti-Spezialisten Johannes Moesus. Neben fünf Sinfonien, darunter die bekannte „La Chasse“ mit deutlich erkennbaren Jagdszenen, erklingen auch je ein Konzert für Flöte und Oboe und Orchester, und eine faszinierende „Simphonie Concertan- te“, in der zwei Soloviolinen wetteifern, bevor dann im abschließenden Rondo Oboen und Hörner mit jagdlichen Klängen aufwarten. Die Solisten sind Susanne Barner, Flöte, Christian Specht, Oboe, sowie Stefan Czermak und Akiko Tanaka, Violine. 

Monteverdi: La dolce vita (Deutsche Harmonia Mundi)

„Der göttliche Claudio Monteverdi, der einzigartige Meister der Harmonien, pflegte zu sagen, (..) dass die Noten, mit denen er die Worte einkleidet, alle aus jenem harmonischen Geist entstehen, der dem Text selbst innewohnt, und dass Jeder im Innern der Worte schon schweigend den Gesang vernehmen kann, wenn er nur mit der Aufmerksamkeit der Seele gut zuhört.“ 
So zitiert das Beiheft zu dieser CD Michelangelo Torcigliani, der einst den Text geschrieben hat zu einer heute verlorenen Oper von Claudio Monteverdi (1567 bis 1643). 
Diese Aufmerksamkeit der Seele richten Dorothee Mields und die Lautten Compagney unter Leitung von Wolfgang Katschner auf das Schaffen des einstigen Kapellmeisters am Markusdom in Venedig. Diese CD bietet eine wunderbare Best-of-Auswahl, wobei es den Musikern um Katschner eher darum geht, das Wesen dieser damals so kühnen Musik zu erfassen, als diese bis ins Detail korrekt historisierend vorzutragen. 
Die Lautten Compagney präsentiert Monteverdis Kompositionen schwungvoll und höchst lebendig. In Dorothee Mields fand das renommierte Ensemble dafür auch die perfekte Sängerin. Mit ihrer ausdrucksstarken, schlanken und beweglichen Stimme erweist sie sich als ideale Interpretin der berühmten Madrigale, Canzonetten, Lamenti und Psalmvertonungen. Hinreißend! 

Montag, 30. Juli 2018

Gabrieli for Brass (Linn Records)

An wohl keinem anderen Ort der Welt wurde im 16. Jahrhundert so prächtig musiziert wie in Venedig. Andrea und Giovanni Gabrieli, Organisten am Markusdom, nutzten die Architektur dazu geschickt aus, indem sie Chöre von Sängern und Musikern im Gebäude verteilten. Damit erzielten sie Klangeffekte, die das Publikum sehr beeindruckten.  
Dass das mehrchörige Musizieren noch immer attraktiv ist, beweist diese CD, die Studierende der Royal Academy of Music und der Juilliard School gemeinsam eingespielt haben. Es ist erstaunlich, wie viele Blechbläser diese beiden renommierten Musikhochschulen aufzubieten haben; dass die angehenden Musiker auf höchstem Niveau agieren, darf man voraussetzen. 
Unter Leitung von Reinhold Friedrich, Visiting Professor of Trumpet an der Royal Academy of Music, haben die Trompeter und Posaunisten, unterstützt durch Benedict Williams an der Orgel, die Werke Gabrielis und seiner Zeitgenossen sorgsam studiert. Mit ihren modernen Instrumenten können sie zwar den Klang der Renaissance-Originale nicht imitieren. Aber sie können die musikalische Rhetorik und die Verzierungspraxis jener Zeit nachvollziehen, und sie können mitteltönig statt temperiert spielen. Das Ergebnis hätte auch den Venezianern gefallen. Was für ein Glanz! Ein derart leistungsstarkes Blechbläserensemble war seinerzeit wohl nicht einmal am Kaiserhof zu hören. 

Kozeluch: Complete Keyboard Sonatas 12 (Grand Piano)

Und da wir gerade bei Leopold Koželuch (1747 bis 1818) waren: Christopher Hogwood hat gemeinsam mit Ryan Mark in mühevoller, jahrlanger Arbeit eine Gesamtedition der Klaviersonaten des Komponisten erstellt. Sie ist bei Bärenreiter erschienen. Der neuseeländische Pianist Kemp English hat diese Edition seit 2010 mit dem kritischen Blick des Praktikers begleitet, und parallel die Weltersteinspielung übernommen. Die zwölfte und letzte CD ist nun bei Grand Piano erschienen. 
Hört man diese Aufnahmen, so wird verständlich, dass der Komponist, heute nahezu vergessen, von seinen Zeitgenossen sehr geschätzt wurde – sogar mehr als Mozart. Seine Klaviersonaten reichen von gefälligen Stücken, die gut klingen, aber ebenfalls gut in der Hand liegen, bis hin zu Werken, die man eher Schubert und Beethoven zutrauen würde. Das ganze Wiener Klavier-Universum jener Zeit findet seinen Widerhall in diesen Stücken. 
Kemp English hat zudem für jedes dieser Werke ein passendes Instrument ausgewählt. Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen, denn auch der Klavierbau entwickelte sich damals rasant. „I play two reproduction fortepianos after the foremost Viennese builder Anton Walter c. 1795 (..)“, erläutert der Pianist im Beiheft. „For the pre 1780 sonatas I use an original harpsichord by Longman and Broderip (built by Thomas Culliford) dating from 1785. (..) As many of Koželuch's sonatas were published in London by Longman and Broderip this seemed an ideal choice. The other two instruments used are a pianoforte by Joseph Kirkmann (c. 1789) (..) and a Viennese fortepiano by Johann Fritz (c. 1815).“ 
Auf dieser CD sind drei dieser Instrumente zu hören – op. 47 spielt English am Cembalo, op. 48 und 49 am Kirkmann-Piano, und bei op. 50 erklingt das Pianoforte von Johann Fritz. 
So bietet die CD, neben stilistisch höchst unterschiedlichen Stücken, auch ein beeindruckendes Kaleidoskop an Klangfarben. Die historischen Instrumente sind doch immer wieder für eine Überraschung gut – und das Klavierwerk von Koželuch ist schon an sich eine Entdeckung. Sehr hörenswert! 

Samstag, 28. Juli 2018

Kozeluch: Cantata for the Coronation of Leopold II (Naxos)

Als Kaiser braucht man starke Nerven. Das wird bestätigen, wer die Huldi- gungskantate Heil dem Monarchen angehört hat, die Leopold Anton Koželuch (1747 bis 1818) anlässlich der Krönung von Leopold II. 1791 in Prag geschaffen hat. Sie hat ohne Zweifel ihre Längen, aber was tut man nicht alles zum Zwecke der Repräsen- tation. Außerdem war übrigens im Rahmen der Feierlichkeiten Mozarts Oper La clemenza di Tito erklungen. 
Koželuch war 1778 aus Prag nach Wien gegangen, wo er als Pianist sehr erfolgreich war, und bald als Musiklehrer der Prinzessin Elisabeth am kaiserlichen Hofe ein und aus ging. 1792 wurde er durch Kaiser Franz II., den Nachfolger Leopolds II., zum Kammerkapellmeister und Hofkomponisten ernannt. 
Die „Krönungs-Cantate“ hatte Koželuch auf Ersuchen der böhmischen Stände komponiert. Den Text schrieb August Gottlieb Meißner (1753 bis 1807), Professsor an der Prager Universität, Insidern vielleicht bekannt als Librettist, oder aber als Erfinder des Genres Kriminalgeschichte. Das Opus wurde dann von 200 Sängern und Musikern feierlich im Prager National-Theater aufgeführt. 
Wer also sollte berufener sein, diese Kantate wiederzuentdecken, als das Prager Sinfonieorchester FOK unter Leitung von Marek Štilec und ein handverlesenes Sängerensemble aus der Goldenen Stadt. Solisten sind Kristýna Vylíčová, Sopran, sowie Tomáš Kořínek und Josef Moravec, Tenor. Am Cembalo zu hören ist Filip Dvořák. Insgesamt ist die Besetzung freilich heute bescheidener als einst 1791; man staunt aber, welche Wucht die Chöre haben, obwohl die Martinů Voices in Kammerchorbesetzung agieren. 

Freitag, 27. Juli 2018

Rheinberger: Organ Music (Brilliant Classics)

Orgelmusik von Joseph Gabriel Rheinberger (1839 bis 1901) präsentiert der italienische Organist Carlo Guandalino auf dieser Doppel-CD. Geboren wurde Rheinberger in Liechtenstein. Schon als Sieben- jähriger soll er in Vaduz Organisten- dienste übernommen haben; mit zwölf Jahren ging er nach München, wo er am Konservatorium studierte. Er wurde Organist, bald auch Hoforganist, und begann, selbst zu unterrichten; 1867 wurde er zum Professor für Orgel und Komposition an der Königlich bayerischen Musikschule berufen, einem Vorläufer der heutigen Musikhochschule. 
Er schuf eine große Anzahl an Werken, von Opern über Lieder, auch für Chöre, bis hin zu Sinfonien, Solokonzerten und Kammermusik. Bekannt ist Joseph Rheinberger heute insbesondere für seine Orgelmusik; er gilt für dieses Instrument als der wichtigste Komponist seiner Zeit. 
Aus dem ebenso umfang- wie facettenreichen Werk hat Guandalino vier Kompositionen ausgesucht, die exemplarisch die Vielfalt von Rheinbergers Schaffen zeigen: Die Orgelsonate Nr. 4 op. 98 mit ihrem Rückgriff auf den mittelalterlichen tonus peregrinus, die Zehn Trios op. 49, die Passacaglia in e-Moll aus der Orgelsonate Nr. 8 op. 132 und die 12 Charakterstücke op. 156. Sie zeigen den Komponisten als einen Musiker, der sich von Moden wenig beeindrucken ließ. 
Für seine Einspielung hat Carlo Guandalino eine moderne Orgel von Alessio Lucato ausgewählt, die sich in der Pfarrkirche in San Michele delle Badesse befindet, unweit von Padua. Dieses Instrument verfügt über insgesamt 30 Register auf zwei Manualen und Pedal, und Lucato selbst schreibt, sie sei „ispirato alla musica sinfonica per organo“. Insofern eignet sie sich gut für Rheinbergers farbenreiche Musik. 

Dienstag, 24. Juli 2018

Porpora: Opera Arias (Decca)

Sein neues Album hat Countertenor Max Emanuel Cencic komplett dem Schaffen von Nicola Antonio Porpora (1686 bis 1768) gewidmet. Der Musiker, dessen 250. Todestag 2018 ansteht, gehörte zu den ganz großen Stars seiner Zeit. Er kam in Neapel zur Welt, wo er von 1696 bis 1706 seine Ausbildung an einem Konser- vatorium absolvierte. Danach wirkte er als Kapellmeister beim Prinzen Philipp von Hessen-Darmstadt, dem Kommandanten der kaiserlichen Truppen in Neapel. 1708 stellte Porpora seine erste Oper Agrippina vor – viele weitere sollten folgen. Nur Leonardo Vinci, Antonio Scarlatti und Johann Adolph Hasse waren seinerzeit in Italien als Opernkompo- nisten ähnlich populär wie Porpora, der mit dem Textdichter Metastasio ein echtes „Dreamteam“ bildete. 
Und auch die Sänger strömten in Scharen herbei. 1715 hatte Porpora begonnen, am Conservatorio Sant'Onofrio Gesangsschüler zu unterrichten. Dabei war er unglaublich erfolgreich; schon bald galt er als bester Gesangslehrer Europas. Zu seinen Schülern gehörten Kastraten wie Farinelli und Caffarelli. 
Ab 1725 lehrte er in Venedig. 1733 ging Porpora nach London, wo er die Opera of the Nobility leitete, das Konkurrenzunternehmen zu Händels legendärer Operntruppe. Nach vier Spielzeiten waren beide pleite, und so musste sich Porpora neue Gönner suchen. Er versuchte sein Glück in Wien, wo er aber keine Anstellung erhielt, so dass er nach Italien zurückkehrte. 
1745 reiste er dann im Gefolge des venezianischen Botschafters nach Dresden. Dort wurde er 1748 Gesangslehrer der Prinzessin Maria Antonia Walpurgis von Bayern, der kunstsinnigen Ehefrau des sächsischen Kurprinzen Friedrich Christian, und Hofkapellmeister. Allerdings wurde er damit zum Rivalen Hasses – der sich letztendlich behaupten konnte. 
Porpora ging 1752 in Pension und zurück nach Wien, wo er Gesangsunterricht gab. Er wohnte im Michaelerhaus, wo auch Metastasio eine Wohnung hatte – und wo der junge Joseph Haydn lebte, der von Porpora lernte, indem er dessen Schüler auf dem Klavier begleitete. Ab 1759 allerdings blieben die Zahlungen des sächsischen Hofes aus, eine Folge des Siebenjährigen Krieges. 
1760 erhielt Porpora die Stelle eines maestro di capella am Conservatorio di Santa Maria di Loreto in Neapel. Er versuchte sich auch noch einmal als Opernkomponist, aber die Zeit der opera seria war wohl vorbei. 1761 gab er alle seine Anstellungen auf; über den Rest seiner Tage, die der einstmals gefeierte Gesangslehrer unter vergleichsweise armseligen Bedingungen verbracht haben dürfte, schweigen die Archive. 
Die Arien, die Porpora geschrieben hat, waren für die besten Sänger jener Zeit bestimmt. Wie es damals Brauch war, hat der Komponist sie so auf den Solisten zugeschnitten, dass sie seine Stärken und Vorzüge betonten, und Schwächen kaschierten. Die Sänger konnten damit ihre Virtuosität effektvoll unter Beweis stellen. 
Wer diese Werke heute singen will, der hat es schwer. Zum einen sind sie für eine andere Stimme maßgeschneidert. Zum anderen unterscheidet sich die Ausbildung eines Sängers heute deutlich von jener, die es vor 300 Jahren bei Gesangslehrern wie Porpora gab. Schier endlose Koloraturen, die in rasantem Tempo, aber trotzdem mit der Präzision eines Uhrwerkes gesungen werden müssen, und raffinierte, improvisierte Auszierungen stehen heute eher nicht mehr im Mittelpunkt des Studiums. 
Max Emanuel Cencic hat, begleitet von der Armonia Atenea unter George Petrou, das Abenteuer dennoch gewagt, und ein komplettes Album mit Arien Porporas veröffentlicht, sieben davon sind in Weltersteinspielung zu hören. Die Oper Germanico in Germania hatte er zuvor bereits aus der Mottenkiste der Musikgeschichte – wohin Irrtum und Beckmesserei den gesamten Kastratengesang einst entsorgt wissen wollten – zurück an die frische Luft geholt. 
Nun also folgen vierzehn handverlesene Arien, wobei sich in seinem Programm eher besinnliche Stücke ebenso finden wie höchst virtuose. Insider werden schnell feststellen, dass Cencic sein Recital mit exakt derselben Arie beginnt, die Franco Fagioli 2014 bei seinem Porpora-Album an den Anfang gesetzt hatte. (Und bei diesem musikalischen Kräftemessen hat der Kollege eindeutig das Nachsehen.) 
„Wie können wir die großen Kastraten nachahmen? Das lässt sich kaum festlegen, aber diese Stimmen waren die Seele von Porporas Musik“, wird Cencic im Beiheft zitiert. „Ich habe die Arien für diese Aufnahme fast instinktiv nach meinem Gefühl für das Richtige ausgewählt. Man kann einen Komponisten dieser Qualität nicht in einem Album erfassen, und jedes Stück ist ein Juwel für sich. Auch wenn die Technik überall herausgestellt wird – Sprünge, schnelle Skalen, Triller, lange Phrasen – scheint doch Porporas besondere und äußerst fesselnde melodische Begabung überall durch.“ 
Zum Teil sind die Koloraturen und Verzierungen aberwitzig anspruchsvoll; mir persönlich gefällt Cencics Gesang allerdings am besten, wo er große Bögen gestalten kann, mit betörender Süße oder ergreifendem Lamento. Der Farbenreichtum dieser Produktion ist ohnehin hinreißend – auch das Viril-Metallische, umtost von Pauken und Trompeten, hat darin seinen Platz. Das Athener Barockorchester ist immer präsent, und geleitet den Sänger sicher auch durch die schwierigsten Passagen. 

Montag, 23. Juli 2018

Live from Taipei (Oehms Classics)

Der Cellist Wen-Sinn Yang war in der Saison 2016/17 Artist in Residence beim Taiwan Philharmonic in Taipei. Das Nationale Symphonieorchester (NSO) – unter diesem Namen ist es ebenfalls bekannt – gehört zu den besten Orchestern im asiatischen Raum. Es wird seit 2010 von dem Dirigenten Shao-Chia Lü geleitet. 
Er ist ein Meister der filigranen Gestaltung, mit einem ausgeprägten Sinn für Klangfarben und subtile Nuancen. Auf dieser CD sind drei Live-Mitschnitte von Cellokonzerten zu hören, die Wen-Sinn Yang mit dem NSO gespielt hat. Die Aufführungen wurden vom Publikum derart gefeiert, dass sich das Label Oehms Classics entschloss, sie zu veröffent- lichen.
Das lohnt sich durchaus. Insbesondere die Interpretation des Cellokon- zertes e-Moll op. 85 von Edward Elgar (1857 bis 1934) ist hochspannend; Yang und Lü setzen dabei in erster Linie auf Schönklang statt auf Drama. Das verleiht dem Stück eine erstaunliche Leichtigkeit, ohne jedoch oberflächlich zu wirken. Yang musiziert mit hellem, singenden Ton, schwungvoll, aber eher lyrisch und innig. Beim Cellokonzert von Robert Schumann (1810 bis 1856) ist mir das dann fast schon etwas zu viel Kantilene, und zu wenig dramatischer Kontrast. 
Das Cellokonzert von Erich Korngold (1897 bis 1957) ist kurz, aber rundum faszinierend. Es wird sowohl vom Solisten als auch vom Orchester hinreißend gespielt – man höre nur den Dialog zwischen Soloflöte und Solo-Cello, so ziemlich in der Mitte. Schon allein deswegen lohnt sich diese CD. Unbedingte Empfehlung! 

Summer Night (Genuin)

Für seine zweite CD bei dem Label Genuin hat das Kammerorchester I Tempi aus Basel Musik von Othmar Schoeck (1886 bis 1957) ausgewählt. Ursprünglich wollte der Schweizer Komponist Kunstmaler werden, wie sein Vater. Doch dann entschied sich Schoeck, der schon vom Kindesalter an das Klavierspiel erlernt und seine Fähigkeiten am Zürcher Konservatorium perfektioniert hatte, für die Musik. Auf Einladung von Max Reger studierte er 1907/08 ein Jahr lang in Leipzig. Danach kehrte er nach Zürich zurück. 
Schoeck wirkte in erster Linie als Dirigent und als Klavierbegleiter, und er komponierte. Sein Werk umfasst einige Opern, ein wenig Klaviermusik, eine Handvoll Konzerte, einige Stücke für Orchester, und viele, viele Lieder. Auch wenn sein Name eigentlich nur Experten ein Begriff ist – Schoeck gilt als einer der bedeutendsten Liedkomponisten des 20. Jahr- hunderts. 
Auf diesem Album präsentieren die Musiker um Gevorg Gharabekyan aber ausgewählte Instrumentalmusik: Zu hören sind die Suite As-Dur für Streichorchester op. 59, das Violoncellokonzert op. 61 und Sommernacht op. 58, eine kleine Tondichtung nach einem Gedicht von Gottfried Keller. 
Als Schoeck das Werk 1945 schrieb, für die Bernische Musikgesellschaft, konnte er nicht ahnen, dass diese pastorale Intermezzo sein erfolg- reichstes Musikstück werden sollte. Wie es Kellers Gedicht berichtet – wer es nicht kennt, der findet es im Beiheft – sind in der Musik, umfasst vom Ein- und Auszug der jungen Burschen, die leuchtenden Glühwürmchen, das Zirpen der Grillen, das Blinken der Sicheln, das fröhliche Treiben der Landleute und das Zwitschern der Vögel am frühen Morgen deutlich zu hören. 
Das Kammerorchester I Tempi spürt sensibel den Details dieser Programmmusik nach. Es findet dabei einen ganz eigenen Ton, der sich von jenem der ersten CD mit Werken von Antoine de Lhoyer, Antonin Dvořák und Edward Elgar deutlich unterscheidet. Schoeck wirkt herber, rauer; Kontrapunktik, Harmonik und Instrumentierung kombiniert er in einzigartiger Weise. Und die Streicher von I Tempi lassen uns seine Musik wie unter der Lupe erleben. Auch die Suite und das Cellokonzert spielen die Musiker ausdrucksstark, wobei Solist Christoph Croisé dort einen ganz besonderen Glanzpunkt setzt. Unbedingt anhören, diese Aufnahme hat Referenzstatus. 

Sonntag, 22. Juli 2018

à la francaise - Duos der französischen Romantik für Kunstharmonium & Klavier (Christophorus)

Als „Orgue à Double-Expression“, „Harmonium d'Artiste“ oder auch „Harmonium d'Art“ erlebte das Kunstharmonium in Frankreich um die Jahrhundertwende eine kurze Blütezeit. Um 1900 wurden dort doppelt so viele Harmonien wie Klaviere verkauft. Zu den führenden Instrumentenbauern in diesem Markt gehörten Victor Mustel (1815 bis 1890) sowie seine Söhne Charles und Auguste. 
Ihrem Vermächtnis ist diese CD gewidmet; Jan Hennig und Ernst Breidenbach musizieren auf Kunst- harmonium und Piano. Die Instrumente sind Originale – der Konzert- flügel ist ein klangschöner Erard aus dem Jahre 1858, mit sommier de bronze, und das Harmonium aus dem Jahre 1902 verfügt im oberen Bereich zusätzlich über ein Celesta, übrigens ebenfalls eine Erfindung von Victor Mustel. Das Instrument wurde seinerzeit nach Deutschland verkauft, und erklingt nun wieder nach sorgfältiger Restauration. 
Für diese Einspielung haben die beiden Musiker Werke ausgewählt, wie man sie damals auch im Konzertsaal des Pariser Harmoniumbauers hätte hören können. Und so reicht das Programm von kleinen Salonstücken bis hin zu wirklich großer Musik, wie der Sonate op. 55 von Adolphe Blanc (1828 bis 1885) oder Prélude et Fugue op. 28 von Marie Prestat. Durchweg handelt es sich um Raritäten, die man sonst wahrscheinlich nirgends hören kann. 
Mit großem Engagement machen Jan Hennig und Ernst Breidenbach auf ein Kapitel der europäischen Musikgeschichte aufmerksam, das wieder- zuentdecken sich durchaus lohnt. Denn die Klangkombination Konzert- flügel – Kunstharmonium ist eine sehr aparte, die außerordentlich viele Klangfarben zu bieten hat, und hinreißende Effekte ermöglicht. Meine unbedingte Empfehlung! 

Molter: Orchestral Music & Cantatas (Brilliant Classics)

Das Leipziger Ensemble Camerata Bachiensis hat sich auf dieser CD der Musik von Johann Melchior Molter (1696 bis 1765) zugewandt. Über den Lebensweg des Thüringer Kompo- nisten, der als Hofkapellmeister in Karlsruhe sowie in Eisenach wirkte, wurde in diesem Blog bereits an anderer Stelle berichtet. 
Seine Musik verbindet deutsche Kontrapunktik mit italienischen und französischen Stilelementen - „vermischter Stil“, nennt das die Musikwissenschaft. Molter freilich dürfte einfach versucht haben, die Erwartungen seiner Auftraggeber zu erfüllen. Und diese wünschten sich musikalische Unterhaltung; galante Klänge, zu denen man seinerzeit durchaus geplaudert oder aber Karten gespielt hat. 
So etwas muss nicht unbedingt musikalisch von minderem Wert sein, wie diese Aufnahme beweist. Die Camerata Bachiensis hat aus den Handschriften, die sich in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe befinden, ein hörenswertes Programm zusammengestellt. Die CD bietet eine Sinfonia, eine Ouvertüre, ein Concerto, eine Sonata à quadro für Oboe, Violine, Viola und Continuo sowie zwei weltliche Kantaten – allesamt in Weltersteinspielung. Musiziert wird gekonnt, und auch technisch ist die Aufnahme rundum bestens gelungen. Besonders hervorzuheben sind Roberto De Franceschi, der als Solist sowohl im Flötenkonzert als auch an der Oboe überzeugt, und die Sopranistin Julia Kirchner, die die beiden Kammerkantaten souverän gestaltet. 

A Matter of Heart (Challenge Classics)

Tenor, Horn und Klavier – das war eine Kombination, wie geschaffen für die Romantiker! Aus der großen Anzahl von Liedern mit obligatem Horn – allein im 19. Jahrhundert sind etwa 200 derartige Werke entstanden, ist in einem sehr informativen Text im Beiheft nachzulesen – stellt die vorliegende CD eine kleine, aber attraktive Auswahl vor. 
Tenor Christoph Prégardien hat gemeinsam mit dem Hornisten Olivier Darbellay und mit seinem Klavierbegleiter Michael Gees allerdings einen Zyklus aus dem 20. Jahrhundert zum zentralen Werk dieser Einspielung erkoren: The Heart of the Matter von Benjamin Britten (1913 bis 1976) spielt sowohl vom Text als auch von den musikalischen Mitteln her in einer ganz anderen Liga als die eher vom ländlichen Idyll geprägten Lieder der Romantiker Franz Lachner (1803 bis 1890), Konradin Kreutzer (1780 bis 1849), Henry Hugo Pierson (1815 bis 1873) und Carl Kossmaly (1812 bis 1893). Und natürlich darf auch das berühmte Auf dem Strom von Franz Schubert (1797 bis 1828) nicht fehlen. Das ist ein gelungenes Finale; allerdings zerfällt die Aufnahme für mein Empfinden in zwei Teile, die nicht so ganz zusammenpassen wollen. Trotz des schönen Wortspiels im Titel. 

Freitag, 20. Juli 2018

Rosenmüller: In te Domine speravi (cpo)

Johann Rosenmüller (1617 bis 1684) gehört zu jenen Komponisten, die italienische Musizierkunst und protestantische Musizierkultur auf höchstem Niveau kombinierten. Über den Lebensweg des Musikers, der als Sohn eines Müllers in Oelsnitz im Vogtland zur Welt kam, wurde in diesem Blog bereits an anderer Stelle ausführlich berichtet. 
Nach Italien reiste Rosenmüller zum ersten Mal im Jahre 1645; da hatte er bereits einen ersten Band mit Paduanen, Alemanden, Couranten, Balleten, Sarabanden veröffentlicht – und Heinrich Schütz höchstpersönlich hatte ihm ein Lobgedicht hinzu- gefügt. Nach Leipzig zurückgekehrt, wurde Rosenmüller 1651 Organist an der Nikolaikirche, dazu Universitätsmusikdirektor, und Stellvertreter des kränklichen Thomaskantors Tobias Michael. Dessen Nachfolge allerdings konnte er dann doch nicht antreten: Als er 1655 „grober Excesse bezüch- tiget“ wurde, ergriff Rosenmüller die Flucht. 
Und er ging erneut nach Italien, wo er ab 1658 in Venedig als Posaunist in der Kapelle des Markusdomes sowie als maestro della coro am Ospedale della Pietà wirkte. Zugleich pflegte er aber auch seine Kontakte zum deutschen Adel, der seinerzeit gern nach Süden reiste, um Karneval zu feiern und Opern anzuhören. Auch die Gottesdienste, die von den figli der ospedali gestaltet wurden, waren eine Attraktion, die sich Besucher nicht entgehen ließen. 
Letzten Endes holte Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel – der mehrfach in Venedig gewesen war – Rosenmüller im Jahre 1682 zurück nach Deutschland. So befinden sich zahlreiche Noten, insbesondere von Vokalwerken, heute in der Berliner Staatsbibliothek. Dort wird auch die Handschrift aufbewahrt, die dieser Einspielung zugrunde liegt – mit sieben Vertonungen der ersten Verse von Psalm 31. 
Jede von ihnen verwendet eine andere Besetzung; sie sind kleine Wunder an Textausdeutung, und jede dieser Kompositionen beruht auf gänzlich eigenständigen musikalischen Ideen. Durch das Ensemble Weser-Renaissance Bremen, mit exzellenten Musikern und einer phantastischen Sängerriege, werden diese geistlichen Konzerte in einer geradezu exemplarischen Interpretation vorgestellt. Unter der Leitung von Manfred Cordes zeigen die erfahrenen Solisten, welcher Nuancenreichtum, trotz aller Klangpracht, in diesen Werken zu finden ist. Hinreißend! 

Mittwoch, 18. Juli 2018

Frommel: Symphony No. 1 (Capriccio)

Gerhard Frommel (1906 bis 1984) gehört zu jenen Komponisten, deren Schaffen nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet. Frommel studierte bei Hermann Grabner und dann als Meisterschüler bei Hans Pfitzner. Ab 1929 unter- richtete er an verschiedenen Hochschulen; 1933 wurde er Mitglied der NSDAP. Doch er gründete auch einen „Arbeitskreis für neue Musik“, in dem etliche Werke von Komponisten vorgestellt und diskutiert wurden, die nach offizieller Lesart eher zur „Entarteten Kunst“ gehörten. Und er verdankte es nur wohlwollenden Kollegen, dass er nicht selbst in den Kreis der Unerwünschten geriet. 
Die Jenaer Philharmonie unter Jürgen Bruns stellt bei Capriccio zwei seiner Werke vor: Die 1. Sinfonie op. 13 aus dem Jahre 1938 wurde 1942 immerhin von Wilhelm Furtwängler mit den Wiener Philharmonikern uraufgeführt. Man fühlt sich an Bruckner erinnert, an Mahler auch und an Wagner. Das Sinfonische Vorspiel für Orchester op. 23, entstanden 1943, erklang erstmals 1948 in Frankfurt/Main. Dieses Stück ist geprägt durch die Tragödie von Stalingrad – Klagegesänge aber wollte im Nachkriegs- deutschland niemand mehr hören. So ging es Frommel wie etlichen seiner Kollegen: Mit seiner Musik war er, wie andere Komponisten jener Jahre auch, für das „normale“ Publikum zu modern, und für Anhänger der zeitgenössischen Musik wiederum nicht avantgardistisch genug. 
Frommel entwickelt spätromantische Klänge und Formen weiter; an allzu kühnen Experimenten war er nicht interessiert. Auch in späteren Jahren blieb er der Tonalität treu, und irgendwann gab er das Komponieren schließlich auf. 
Jürgen Bruns und der Jenaer Philharmonie muss man für ihre Neugier danken; sie haben diese Musik wiederentdeckt und 2017 im Konzert gespielt. Dieser Live-Mitschnitt füllt eine Lücke im Repertoire, und rückt jene Komponisten der Nachkriegszeit wieder stärker in den Blick, die sich nicht an Trends und musikalischen Moden orientieren wollten – sehr verdienstvoll! 

Montag, 16. Juli 2018

C.P.E. Bach: Organ Sonatas (Naxos)

Carl Philipp Emanuel Bach (1714 bis 1788) hat, anders als sein berühmter Vater, nur sehr wenige Werke für die Orgel hinterlassen. 
Im Mittelpunkt stehen dabei die Orgelsonaten, die er für Anna Amalia von Preußen geschrieben hat, die Schwester seines Dienstherren Friedrich II. 
Zwar schreibt Bach-Biograph Forkel: „Diese Orgel-Solos sind für eine Prinzessin gemacht, die kein Pedal und keine Schwierigkeiten spielen konnte, ob sie sich gleich eine schöne Orgel mit zwei Clavieren und Pedal machen ließ und gerne darauf spielte.“ 
Doch dies darf man wohl ins Reich der Legenden verweisen – denn wenn man sich die Clavier-Sonaten anschaut, die der Cembalist für Anna Amalia geschrieben hat, wird deutlich, dass die Prinzessin, was die Musik betrifft, durchaus zu den Kennern und Liebhabern gehörte. 
Man darf also davon ausgehen, dass Bach auf den Gebrauch des Pedals aus anderen Gründen verzichtete. Der Kammermusikus Friedrichs des Großen bevorzugte ohnehin, auch später in seinen Hamburger Jahren, Cembalo und Pianoforte. Die Orgel, bis auf wenige Ausnahmen an Kirchenraum und Gottesdienst gebunden, scheint ihn wenig interessiert zu haben. 
Dennoch sind seine Orgelsonaten keine leichte Kost; sie sind, bei aller Empfindsamkeit, reizvoll und erstaunlich kontrastreich. Auf dieser CD werden sie von Iain Quinn sehr hörenswert an der Orgel des Theologischen Seminars Princeton, New Jersey/USA, gespielt. Dieses Instrument ist ein wenig größer als die Amalienorgel, die sich heute in der Kirche Zur frohen Botschaft in Berlin-Karlshorst befindet. Es wurde im Jahre 2000 von Paul Fritts erbaut. 

French Sonatas for Harpsichord and Violin (Audax)

Mit dieser Aufnahme laden Philippe Grisvard und Johannes Pramsohler ein, sie auf einer Reise in die Musikgeschichte zu begleiten. Sie führt nach Frankreich, wo im Jahre 1740 der Geiger Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville (1711 bis 1772), königlicher Konzertmeister, eine Innovation vorstellte, die nicht nur Musiker überraschte: In seinen Pièces de clavecin en sonates avec accompagnement de violon op. 4 macht er das Cembalo vom Continuo-Instrument zum Solisten; es erklingt nicht mehr als Begleiter, sondern als Partner der Violine. 
Zum ersten Male hatte Johann Sebastian Bach dieses Modell gewählt; schon vor 1725 entstanden die Sei Suonate à Cembalo certato è Violino Solo – dass diese Sonaten in Abschriften bis nach Frankreich gelangt sind, erscheint allerdings nicht sehr wahrscheinlich. 
Vermutlich lag es einfach nahe, diese Möglichkeit des Musizierens auszuprobieren; sie ist der Triosonate verwandt, wobei die Violine und die rechte Hand der Cembalostimme konzertieren, während die linke Hand dazu den Bass spielt. Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville scheint ohnehin recht experimentierfreudig gewesen zu sein, denn er setzt ganz auf italienische Vorbilder, was in Frankreich lange verpönt war. Aber letztendlich begeisterten die Konzerte von Corelli und Vivaldi auch das Pariser Publikum. 
Mit seinem kühnen Wurf beeindruckte der Violinvirtuose die Zuhörer ebenso wie seine Kollegen. Pramsohler und Grisvard zeigen mit ihrer Einspielung, wie Zeitgenossen sich von dem neuen Modell inspirieren ließen und wie sie es weiterentwickelt haben. Auf ihrer Doppel-CD präsentieren sie zahlreiche Werke, die in Vergessenheit geraten waren, und daher oftmals in Weltersteinspielungen erklingen. 
Zu hören ist anspruchsvolle Musik von Claude Balbastre (1724 bis 1799), Charles-François Clément (um 1720 bis 1782), Michel Corette (1707 bis 1795), Jacques Duphly (1715 bis 1789), Louis-Gabriel Guillemain (1705 bis 1770) und Luc Marchand (1709 bis 1799). Sie alle finden ihre eigenen Wege, Violine und Cembalo attraktiv miteinander zu kombinieren. 
Philippe Grisvard und Johannes Pramsohler zünden ein prächtiges Klangfeuerwerk, das mit einer Vielzahl unterschiedlicher Farben und Effekte begeistert. Sowohl der Cembalist als auch der Geiger sind Virtuosen, und sie musizieren mit Leidenschaft und bestens aufeinander abgestimmt. 

Montag, 9. Juli 2018

Clair de lune - Menahem Pressler (Deutsche Grammophon)

Klaviermusik von Maurice Ravel, Gabriel Fauré und vor allem von Claude Debussy hat Menahem Pressler für die erste Soloaufnahme ausgewählt, die er bei dem Label Deutsche Grammophon veröffent- licht. Der Pianist, geboren 1923 in Magdeburg, musizierte mehr als 50 Jahre lang im Beaux Arts Trio. Seine Solo-Karriere startete Pressler erst nach der Auflösung des legendären Kammermusik-Ensembles im Jahre 2008; diese CD hat er 2017 eingespielt. Da war der Musiker also 94 Jahre alt. Und er reist immer noch um die Welt und gibt Konzerte, die begeistern. 
Der französischen Klaviermusik ist er zutiefst verbunden; sie faszinierte ihn schon, bevor er 1946 in San Francisco den Debussy-Wettbewerb gewann – „despite the fact that my repertoire only included Clair de lune and the two Arabesques“, erinnert sich der Pianist. Diese Stücke spielt er noch heute, aber auch viele andere, und seine Interpretation ist unglaublich: Wie er Spannungsbögen aufbaut, wie er Melodielinien nachspürt und mit welcher Präzision er selbst feinste Nuancen gestaltet, das ist unbeschreiblich, das muss man gehört haben. Man lauscht wie gebannt, vom ersten bis zum letzten Ton. Die reinste Magie! 

Richter: Te Deum 1781 (Supraphon)

Franz Xaver Richter (1709 bis 1789) wird von der Musikwissenschaft der Mannheimer Schule zugerechnet. Der Komponist stammte aus Holešov, Holleschau, und hat dort möglicher- weise in seiner Kindheit die Hofkapelle des Grafen Franz Anton Rottal gehört, in der seinerzeit einige vorzügliche Musiker wirkten. 
Nach Stationen in Schlitz bei Fulda, Ettal und in Kempten, wo er Vizekapellmeister beim Fürstabt war, wurde der Musiker 1747 Mitglied der berühmten Mannheimer Hofkapelle. Richter war ein exzellenter Sänger und als Bassist der Hofoper des Kurfürsten Karl Theodor ebenso gefragt wie als Violinist und als Komponist. 1769 ging er dann als Kapellmeister an das Straßburger Münster. 
Die beiden Instrumentalwerke, die auf dieser CD zu hören sind, entstan- den in Mannheim. Die Sinfonia Nr. 52 in D, geprägt vom strahlenden Klang der Trompete, gibt ein Musterbeispiel für den neuen Stil, der in diesem Laboratorium der Klassik entwickelt wurde. Wunderschön ist auch das Oboenkonzert in F-Dur, den Solopart auf der Barockoboe hat Luise Haugk übernommen. 
Komplettiert wird die CD durch ein Te Deum aus dem Jahre 1781 sowie durch die Motette Exsultate Deo, ebenfalls aus den Straßburger Jahren Richters. Zu hören sind Chor und Orchester des Czech Ensemble Baroque unter Leitung von Roman Válek. 

Freitag, 6. Juli 2018

Scheidt: Cantiones Sacrae (Carus)

Man staunt – doch bei den Werken von Samuel Scheidt (1587 bis 1654) sind offenbar noch immer Welt- ersteinspielungen möglich. Auf dieser CD jedenfalls sind etliche zu finden; und wer die Cantiones Sacrae selbst singen möchte: Die Notenausgaben sind ebenfalls bei Carus verfügbar. 
Ganz einfach allerdings dürfte das nicht werden. Scheidt lässt durchweg doppelchörig musizieren, mit zwei vierstimmigen Chören, die Stimmen gern auch auf einen hohen und einen tieferen Chor verteilt. Musiziert wird prachtvoll nach italienischem Vor- bild, und die Stimmumfänge, vor allem im Sopran und im Bass, werden dabei gehörig ausgereizt. 
Das Athesinus Consort Berlin, geleitet von Klaus-Martin Bresgott, hat damit keine Schwierigkeiten. Die Chorsänger, die vorzugsweise als Doppelquartett agieren, sind Profis, und sie bringen die notwendige Technik mit, um diese Motetten aufs Schönste zu präsentieren. Ergänzend erklingt zudem Die Stimme meines Freudes, eine zweiteilige Motette nach Texten des Hoheliedes und der Sprüche Salomos für zehn Stimmen und Violoncello von Frank Schwemmer (*1961). Dabei handelt es sich um ein Auftragswerk, das eigens für diese CD entstanden ist. Klangflächen und Rhythmisierung zeichnen dieses Werk aus, das einen spannungsvollen zeitgenössischen Kontrast zu Scheidts vom Kontrapunkt getragenen Kompositionen ergibt. 

Dienstag, 3. Juli 2018

Bach Gulda Clavichord (Berlin Classics)

Friedrich Gulda schätzte das Clavichord. Er setzte es bereits in den 70er Jahren im Konzert ein, und er nutzte es oft auch zum Üben – weil diese Tasteninstrumente so leise sind, kann man darauf beispielsweise im Hotelzimmer spielen, ohne Nachbarn zu stören. 
Zur Selbstkontrolle nahm Gulda seine musikalischen Trainings- einheiten gern auf Band auf. Und eines Tages hielt er seinem Schüler Thomas Knapp solche Bänder hin und fragte: „Mogst die hab’n?“ Natürlich wollte Knapp. Und nun erhalten auch wir die Möglichkeit, den Pianisten bei der Arbeit zu belauschen: In einem aufwendigen Prozess hat der renommierte Mastering Engineer Christoph Stickel die mittlerweile 40 Jahre alten Bänder, die leider in ziemlich schlechtem Zustand sind, restauriert und versucht, die Tonaufnahmen digital so zu bearbeiten, dass man sie wieder anhören kann. 
Das Ergebnis ist dennoch gewöhnungsbedürftig. Diese Aufnahmen waren ja nie für eine Veröffentlichung bestimmt, und so ist die Tonqualität, bedingt durch die einfache Aufnahmetechnik, nicht gerade überragend. Wer über diese technischen Schwächen hinweghören kann, den überrascht diese CD jedoch mit einem faszinierenden Ausflug in Guldas Bach-Universum. Man beachte: Diese Mitschnitte stammen aus den Jahren 1978/79; über diese Zeit aber reichen sie weit hinaus. 
Der Pianist wählte oftmals erstaunlich rasante Tempi. Dennoch ist sein Spiel stets differenziert und absolut präzise, so dass man Bachs Musik erleben kann wie unter einem Mikroskop – klar, wohldurchdacht und transparent. Guldas Interpretationen nutzen die Freiheiten, die Barockmusik bietet; sie sind dabei aber musikalisch stets stimmig, und von großem Feingefühl. Und sie wirken ungemein persönlich, fast als wäre der Meister noch gegenwärtig. Eine wichtige CD, ganz ohne Frage.