Dienstag, 31. März 2015

Spohr: Die letzten Dinge (Oehms Classics)

 Louis Spohr (1784 bis 1859) war zu Lebzeiten eine Berühmtheit. Als Geiger war er ebenso prominent wie sein Zeitgenosse Paganini, und als Komponist war der Kasseler Hofkapellmeister ebenfalls sehr geschätzt. Dennoch geriet er nach seinem Tode recht schnell in Vergessenheit – überstrahlt von Beethoven, den Romantikern sowie Liszt und Wagner. Das Label Oehms Classics hat nun eines der Erfolgs- werke Spohrs auf CD veröffentlicht: In seinem Oratorium Die letzten Dinge geht es in den drastischen und rätselhaften Bildern der Johannes-Apokalypse um Grundfragen der Menschheit: Gerechtigkeit, Verantwortung und Erlösung. Das Libretto erstellt hat Friedrich Rochlitz, ein bekannter Leipziger Schriftsteller, der auch recht konkrete Vorstellungen äußerte, wie die Texte vertont werden sollten. 
Durch das Spohr-Jahr 2009 ist dieses eingängige Werk wieder zu etwas mehr Beachtung gelangt; hin und wieder wird es sogar aufgeführt. So erklang es am 6. Juni 2013 im Salzburger Mozarteum. Oehms Classics präsentiert einen Live-Mitschnitt dieses Konzertes mit einem nicht übermäßig beeindruckenden Solistenquartett, dem kraftvoll singenden Salzburger Bachchor und dem Mozarteumorchester Salzburg unter Ivor Bolton.

Zelenka - Tuma (Supraphon)

Auch wenn Johann Joseph Fux (um 1660 bis 1741) uns heute vor allem als Musiktheoretiker ein Begriff ist – zu Lebzeiten hatte der kaiserliche Hof- kapellmeister eine Vielzahl höchst praktischer Aufgaben. So war er für die Hofmusiker zuständig, und entschied über die Besetzung von Vakanzen. Mit seiner Musik reprä- sentierte er das Habsburgerreich – und er bildete ganze Scharen von Schülern aus, die ähnliche Aufgaben an all den vielen anderen Höfen Europas übernehmen wollten. 
Diese CD stellt drei dieser Musiker mit Werken vor. František Ignác Antonín Tuma (1704 bis 1774) beispielsweise, Sohn eines böhmischen Organisten, studierte bei den Jesuiten in Prag, und stand zunächst in Wien bei Franz Ferdinand Graf Kinsky im Dienst. Später wurde er Kapellmeister der Kaiserinwitwe Elisabeth Christine. Tumas Werk ist umfangreich, aber zum größten Teil editorisch bislang unerschlossen. Eine der wenigen Ausnahmen ist sein Stabat mater, das auch hier zu hören ist. Dieses Werk, das lediglich mit einem vierstimmigen Chor nebst Basso continuo besetzt ist, beeindruckt durch die geschmeidige Verbindung des stile antico mit der Frühklassik. Das ist wirklich großartige Musik, die es wert wäre, viel öfter aufgeführt zu werden. 
Zwei Sonaten des aus Breslau stammenden Geigers und Komponisten Johann Georg Orschler (1698 bis zwischen 1767 und 1770) hat der Dresdner Konzertmeister Johann Georg Pisendel eigenhändig kopiert. Sie befinden sich in den Notenbeständen der Dresdner Hofkapelle. Schon diese Tatsache macht deutlich, dass es sich bei Orschler nicht um ein künstlerisches Leichtgewicht handelte. Auch er hat bei Fux studiert, musizierte dann für diverse adelige Herrschaften und war zuletzt Mitglied der Wiener Hofmusikkapelle. Die Triosonate, die hier erklingt, erscheint ebenso originell wie klangschön. 
Dass Jan Dismas Zelenka (1679 bis 1745) ebenfalls zu Fux' Schülern gehörte, das wurde in diesem Blog bereits mehrfach berichtet. Dem Dresdner Hof-Kirchenkomponisten verdanken wir zudem einen Einblick in die Unterrichtspraxis des Wiener Musikpädagogen: In Zelenkas Nachlass, so berichtet Václav Kapsa in dem sehr informativen Beiheft zu dieser CD, fand sich ein Notenband mit Übungen zum Kontrapunkt sowie Abschriften diverser Meisterwerke mit Modellcharakter. Zelenka selbst hat Palestrinas Missa Nigra sum, von der in Dresden wohl nur Kyrie, Gloria und Credo vorhanden waren, dem Vorbild entsprechend um Sanctus und Agnus Dei ergänzt. Analog dazu schrieb er Ergänzungen für Palestrinas Missa sine nomine. Im stile antico gestaltete der Komponist auch seine Vertonungen des Gebetes Sub tuum praesidium, das in Wien sehr gebräuchlich war. Maria Josefa, Ehefrau des sächsischen Kronprinzen und Tochter des Kaisers Joseph I., ließ die Kirchenmusik offenbar auch in Dresden nach dem vertrauten Vorbild gestalten. 
Das Collegium 1704 stellt unter Vaclav Luks diese wenig bekannten Werke vor, einige sogar in Weltersteinspielung. Die Sänger und Musiker des Ensembles präsentieren sich ausgesprochen versiert, sie sind mit derartigen Repertoire bestens vertraut. Klanglich stets ausgewogen, stets sehr durchdacht und souverän musiziert diese kleine Besetzung, und bringt den Zauber dieser musikalischen Traditionslinie bestens zur Geltung. Sehr hörenswert! 

Montag, 30. März 2015

A Festival of English Organ Music Vol. 1 (MDG)

Der niederländische Organist Ben van Oosten hat sich eingehend mit spätromantischer Orgelmusik be- schäftigt. Für seine Gesamteinspie- lungen der Orgelwerke von Charles-Marie Widor, Camille Saint-Saens, Louis Vierne, Marcel Dupré und Alexandre Guilmant erhielt er zahl- reiche Auszeichnungen. Auch ein Festival französischer Orgelmusik hat der Organist bereits veröffent- licht. 
Auf der vorliegenden CD wendet er sich der spätromantischen Orgel- kunst Englands zu. Und da gibt es einiges zu entdecken – angefangen bei dem Instrument, das Ben van Oosten für die Aufnahmen ausgewählt hat. Die Orgel in der Kathedrale von Salisbury wurde 1876/77 von „Father“ Henry Willis (1821 bis 1901), dem renommiertesten englischen Orgelbauer der viktorianischen Zeit, errichtet. Sie ist nicht nur ziemlich groß, sie gilt auch als eine der klangschönsten Orgeln überhaupt; Willis selbst soll erklärt haben, sie sei sein bestes Instrument. 
Faszinierend erscheint insbesondere der Farbenreichtum dieser Orgel – wie auch die französischen Instrumente jener Zeit folgten auch die englischen einem orchestralen Konzept mit vielfältigen Klangmöglich- keiten. Van Oosten stellt Orgelwerke vor, die dazu sehr gut passen. Von einem eleganten Divertimento aus der Feder von Percy William Whitlock (1903 bis 1946) bis hin zur hochvirtuosen Concert Ouverture des blinden Organisten Alfred Hollins (1865 bis 1942) reicht das Programm. Sir George Thomas Thalben-Ball (1896 bis 1924) hatte seine Elegy ursprünglich als Zeitfüller während einer Rundfunksendung improvisiert. Fantasia and Tocccata op. 57 von Sir Charles Villiers Stanford (1852 bis 1924) verweisen unüberhörbar auf seine Studienjahre in Leipzig und Berlin. William Thomas Best (1826 bis 1897), einer der weltbesten Organisten seiner Zeit, der lange Jahre als Stadtorganist die Father-Willis-Orgel der St. Georges Hall in Liverpool spielte, erweist van Oosten mit dessen Scherzo Referenz. Effektvoll ist auch das Rondo Capriccioso von Edwin Henry Lemare (1865 bis 1934). Es trägt den Untertitel A Study in Accents, weil mit Hilfe des Schwellers Sforzandi erzeugt werden. Sir Edward William Elgar (1844 bis 1925) hat lediglich zwei Originalkompositionen für die Orgel geschaffen. Van Oosten spielt die Sonata for Organ in G major op. 28, ein Werk von monumentalem Ausmaß. Doch bevor die CD mit dieser Herausforderung endet, erklingt Nimrod, die neunte Enigma-Variation Elgars, in einer Bearbeitung für Orgel von Sir William Harris (1883 bis 1973) – insgesamt wahrlich ein Orgel-Festival, und ein Hörgenuss nicht nur für Kenner und Liebhaber. 

Gorczycki (NFM)

Grzegorz Gerwazy Gorczycki (um 1665 bis 1734) gilt als wichtigster Komponist des Spätbarock in Polen. Er studierte in Prag und in Wien, wo er eine ebenso umfassende wie gründliche Ausbildung erhielt. Anschließend besuchte er das geistliche Seminar in Krakau, wo er auch die Priesterweihen empfing. Nach einer zweijährigen Abordnung als Pädagoge an die Academia Chelminska wurde Gorczycki dann zunächst Mitglied der Kapelle an der Wawel-Kathedrale, und 1698 dann Magister Capellae Ecclesiae Cathedra- lis Cracoviensis. Er war hoch angesehen, und wurde sehr geehrt. 1734, während der Krönungsfeierlichkeiten für August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, erkrankte der Musiker schwer, und starb wenig später. 
Gorczyckis Kompositionen waren außerordentlich beliebt, obwohl zu seinen Lebzeiten keine einzige im Druck erschienen ist. Gut 50 Werke sind überliefert, die er nachweislich geschaffen hat; 32 weitere werden ihm zugeschrieben. Er beherrschte sowohl den stile antico als auch die modernere seconda prattica außerordentlich souverän, wie eine Auswahl seiner Werke zeigt, die das Narodowe Forum Muzyki auf mittlerweile zwei CD veröffentlicht hat. Ein internationales Sängerensemble musiziert gemeinsam mit ausgewiesenen Spezialisten für historische Aufführungs- praxis unter der Leitung von Andrzej Kosendiak, Generaldirektor der Breslauer Philharmonie und des Internationalen Festivals Wratislavia Cantans. Der Kapellmeister setzt sich mit großem Engagement für die Integration von Musik in den Alltag ein. Das reicht vom Singen in der Familie bis hin zur Wiederbelebung musikalischer Traditionen. Möge er mit all seinen Projekten so erfolgreich sein wie mit den beiden Gorczycki-Einspielungen – diese sind ganz hervorragend, bravi! und, bitte, mehr davon. 

Samstag, 28. März 2015

Molitor: Motetten (Pan Classics)

Eine kostbare Rarität haben die Basler Madrigalisten gemeinsam mit Musica Fiorita unter Daniela Dolci auf dieser CD zugänglich gemacht: Nur in einem einzigen Exemplar erhalten ist das Epinicion Marianum pro solemnioribus festivitatibus magnae Matris Virginis Mariae, ein Sammelband mit 18 Motetten von Valentin Molitor (1637 bis 1713), erschienen 1683 in St. Gallen. Es wird heute in der Musikbibliothek des Klosters Einsiedeln in der Schweiz aufbewahrt. Eine Auswahl aus diesem Sammelband wird auf der CD vorgestellt – vorgetragen in jener herausragenden Qualität, wie man sie von den Projekten aus dem Umkreis der Schola Cantorum Basiliensis mittlerweile erwartet. 
Valentin Müller – latinisiert Molitor – stammt aus Rapperswil, und trat beizeiten in die Fürstabtei St. Gallen ein. 1656 legte er dort seine Profess ab, 1662 erhielt er die Priesterweihe. Aus dem Jahr 1660 datieren erste Belege über seine Tätigkeit als Komponist. 1666 wurde Molitor Organist an der Benediktiner-Stiftskirche des Fürststifts Kempten. 
1672 kehrte der Mönch in sein Kloster zurück, wo er ebenfalls als Organist sowie als Orgellehrer tätig wurde. 1683 erhielt er das Amt des ersten Kantors der Kapelle von St. Gallen; später wurde der Pater dann zum Kapellmeister ernannt. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in der Abtei Weingarten in Württemberg. 
Epinicion Marianum enthält Musik für Marienfeste – jeweils zwei fünf- stimmige Motetten und eine Solo-Motette, stets mit zwei obligaten Violinen, und ad libitum durch weitere Instrumente zu begleiten. Das erscheint insofern spannend, als es seinerzeit im Kloster St. Gallen nur zu außergewöhnlichen Feierlichkeiten gestattet war, derartige Musik aufzu- führen. 
Noch 1681 hatte Fürstabt Gallus Alt verfügt, die Verspergottesdienste zu den liturgischen Festen seien in falsobordone zu singen, und eben nicht in canto figurato. Molitors Komposition erscheint so als ein Versuch, den Abt umzustimmen. Gelungen ist das wohl nicht; 1686 wiederholte der Fürstabt seine Anweisung. 

Mozart: Requiem (Hänssler Profil)

Karl Richter (1926 bis 1981), der Sohn eines Pfarrers, begann seine musikalische Ausbildung als Kruzianer in Dresden. Nach dem Krieg studierte er in Leipzig bei Karl Straube und Günther Ramin. Schon früh galt er als überragender Bach-Interpret; 1949 wurde er Organist an der Leipziger Thomaskirche, 1951 ging er als Kantor nach München an die Markuskirche. Im gleichen Jahr übernahm er die Leitung des Hein- rich-Schütz-Kreises, 1954 umbenannt in Münchener Bach-Chor; 1953 gründete Richter dazu das Münchener Bach-Orchester. Mit den beiden Ensembles hat Karl Richter legendäre Konzerte, insbesondere auch mit Werken von Johann Sebastian Bach, gegeben. Dabei zeigte er sich von Musizier-Moden ziemlich unbeeindruckt – Richter orientierte sich strikt am Notentext, und das macht auch die Aufnahmen bis heute interessant, die unter seiner Leitung entstanden sind. In der Edition Günter Hänssler ist jüngst eine hörenswerte Einspielung aus dem Jahre 1961 erschienen – ausnahmsweise dirigierte Richter einmal nicht Bach, sonndern Mozarts berühmtes Requiem

Freitag, 27. März 2015

Pater noster (Oehms Classics)

Vertonungen des Vaterunsers aus unterschiedlichen Jahrhunderten, Musiktraditionen und Himmels- richtungen hat der Salzburger Bachchor unter seinem Leiter Alois Glaßner bei Oehms Classics zusammengetragen. Ergänzt wird das Programm durch einige Vertonungen von Gebeten, die sich an die Gottes- mutter Maria wenden. Die Auswahl war nicht ganz einfach: „Das Vaterunser ist ein sehr persönliches Gebet“, erläutert Glaßner im Beiheft zu dieser CD. „Es nimmt zudem die zentrale Stellung in der Liturgie ein. Es ist dem Volk, der Kirchengemeinde übertragen, daher nicht so oft extra vertont worden. Und wenn, dann fast nur a cappella.“ 
Auf die Ursprünge der geistlichen Chormusik, die man sicherlich im Chorgesang der Nonnen und Mönche vermuten darf, verweisen die jüngsten Werke, insbesondere die umfangreiche Pater-noster-Vertonung aus der Feder des österreichischen Komponisten Wolfram Wagner (*1962). Er beginnt mit der gregorianischen Melodie, und schafft durch Wieder- holungen Eindringlichkeit. Das älteste Stück auf der CD stammt von Jacobus Gallus (1550 bis 1591). Auch sonst findet sich zwischen Heinrich Schütz und Gustav Holst, Franz Liszt und Alfred Schnittke, oder Giuseppe Verdi und Maurice Duruflé so manche Entdeckung auf diesem interessan- ten Konzept-Album. 
Der Salzburger Bachchor singt versiert und sehr hörenswert. Zum Abschluss gönnt sich das Ensemble übrigens das Ybbstaler Vaterunser, ein stimmungsvolles mehrstrophiges Lied aus Niederösterreich, das noch heute dort auf Wallfahrten gesungen wird. Und die ganze Zeit zwitschern im Hintergrund leise Vögel. Die gefiederten Sänger erinnern uns beständig an den Himmel. Was für ein cooler Fingerzeig! 

Haydn: The seven last words of Christ (Zig-Zag Territoires)

Über Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, jene berühmte Meditationsmusik, die Joseph Haydn (1732 bis 1809) im Winter 1786/87 für einen Domherrn aus dem spanischen Cádiz komponiert hat, wurde in diesem Blog bereits mehrfach geschrieben. Dieses Werk, im Original entstanden für Orchester, besteht aus sieben langsamen Sätzen zuzüglich einer ziemlich dramatischen Einleitung sowie einem abschließenden Presto, welches das Erdbeben hörbar macht, das nach Christi Tod die Erde erschütterte. Es erklang zum ersten Male zum Karfreitag 1787 – mit Voraufführungen im Palais Auersperg in Wien sowie in Bonn. Und weil diese Musik weithin gefragt war, fertigte Haydn anschließend noch eine Bearbeitung für Streichquartett an, sowie eine Oratorienversion, für die einmal mehr Baron Gottfried van Swieten den Text lieferte. Innerhalb weniger Jahre erschienen zudem in vier (!) europäischen Musikverlagen Klavierfassungen – nicht von Haydn, aber von ihm geprüft und für gut befunden. 
Dieser Variante hat sich nun Alexej Ljubimow zugewandt: „The Seven Last Words occupies a unique place in Haydn's output“, erläutert der russische Pianist im Beiheft zu seiner CD. „This cycle of slow pieces concluded by a violent Presto calls for great variety of sonorities, strong emotional projection of contrasts with dramatic power, and, finally, judicious balance between tempo and expression.“ Aus diesem Grunde hat sich Ljubimow entschlossen, Haydns Musik auf einem historischen Instrument zu spielen. Ausgewählt hat er dafür den Nachbau eines Tangentenflügels von Späth & Schmahl, Regensburg 1794, angefertigt in der Werkstatt des westflandrischen Spezialisten Chris Maene. Diese Instrumente ähneln äußerlich noch einem Cembalo, aber sie klingen ausdrucksstärker und auch lauter. Mozart beispielsweise kannte und schätzte das „Späthische Clavier“. 
Ljubimow nutzt den Farbenreichtum und die klanglich durchaus unterschiedlichen Register des Tangentenflügels, um Ausdrucksnuancen zu erreichen, die mit einem modernen Konzertflügel so nicht zu erzielen wären. Er spielt grandios, gestaltet souverän und bringt die ganz eigenen Qualitäten der Klavier-Version hervorragend zur Geltung. Diese Einspielung hat sich umgehend einen Platz unter meinen persönlichen Haydn-Lieblingsaufnahmen erobert – und sie wird ihren Referenzstatus ganz ohne Zweifel lange behalten. Unbedingt anhören! 

Donnerstag, 26. März 2015

Brahms: Choral Music (Naxos)

Es sind keine Nichtigkeiten, keine Tändeleien, die Johannes Brahms (1833 bis 1897) zu seinen Werken für Chor und Orchester inspirierten. Das zeigt eine Gesamteinspielung, die Chor und Orchester der polnischen Nationalphilharmonie Warschau unter Antoni Wit bei Naxos vorgelegt haben. Das Programm wurde chronologisch gestaltet. Es beginnt mit dem innigen Ave Maria op. 12, das Brahms im September 1858 in Göttingen geschrieben und im darauffolgenden Jahr mit seinem Hamburger Frauenchor nebst Orgelbegleitung in der Michaeliskirche aufgeführt hat. Hier erklingt dieses ebenso schlichte wie berückende Werk in einer Version für gemischten Chor und Orchester. 
In demselben Jahr komponierte Brahms den Begräbnisgesang op. 13 nach einem Text („Nun laßt uns den Leib begraben“) von Michael Weiße (um 1488 bis 1534). Er war zunächst Franziskanermönch in Breslau, später wurde er Priester der Böhmischen Brüder, für die er auch Kirchenlieder schrieb. 
1869, nachdem er das Deutsche Requiem vollendet hatte, schuf Brahms die Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester op. 53. Der Text dazu stammt aus Goethes Harzreise im Winter – es sind düstere Zeilen, einen Wanderer schildernd, der „sich Menschenhass aus der Fülle der Liebe trank“. Entsprechend dramatisch ist auch die Musik, die erst im dritten Teil, wo auch der Männerchor hinzutritt, versöhnlich ausklingt. Das Solo singt Ewa Wolak – und das recht beeindruckend. Diese CD ist auch ansonsten sehr gelungen. Die Chöre haben Wucht, wo es erforderlich ist, aber die Sänger können auch sensibel gestalten, von Wit klug geführt und fein austariert im Zusammenspiel mit der Nationalphilharmonie. 
Auch die drei letzten Stücke auf der CD befassen sich mit den großen Konflikten des Lebens, und sind als Vertonung bedeutender Texte großer Dichter entstanden – das Schicksalslied op. 54 nach einem Text aus Friedrich Hölderlins Hyperion, Nänie op. 82 vertont den gleichnamigen Klagegesang von Friedrich Schiller. Geschaffen hat Brahms dieses Werk 1880 im Gedenken an einen verstorbenen Freund, den Maler Anselm Feuerbach. Am Schluss steht, als letztes der großen Chorwerke des Komponisten, der Gesang der Parzen op. 89, vollendet 1882, nach Versen aus Goethes Schauspiel Iphigenia in Tauris

Dienstag, 24. März 2015

Zelenka: Missa Dei Patris (Brilliant Classics)

Dass das Werk von Jan Dismas Zelenka (1679 bis 1745) zunehmend wiederentdeckt wird, liegt nicht zuletzt an dem großen Engagement, mit dem Ludwig Güttler und seine Ensembles Musik aus langjährigem Archivschlaf erweckt haben, die einst am Dresdner Hof erklungen ist. Auch die Zelenka-Renaissance, die in jüngster Vergangenheit eine Vielzahl beeindruckender CD-Veröffentli- chungen hervorgebracht hat, hat letzten Endes ihre Wurzeln in der Initiative des rührigen Dresdner Trompeters. 
Zelenka gehört zu den bedeutenden Komponisten des 18. Jahrhunderts. Er kam als Kontrabassist an den Dresdner Hof, und wurde durch seinen Dienstherrn sehr gefördert. So erhielt er Unterricht in Wien beim kaiser- lichen Hofkapellmeister Johann Joseph Fux. Zuständig war Zelenka in erster Linie für die Kirchenmusik; 1735 erhielt er dann auch den Titel des Kirchencompositeurs. Zelenka erweist sich als Individualist, der musi- kalisch sehr eigene Wege fand. So sind seine Werke höchst unkonven- tionell, originell und faszinierend. 
Das vorliegende Album stellt einige geistliche und weltliche Werke Zelenkas in Einspielungen aus den 80er und 90er Jahren vor. So erklingt die Missa Dei Patris, gesungen von Venceslava Hruba-Freiberger, René Jacobs, Reinhart Ginzel, Olaf Bär und dem leider mitunter etwas schwächelnden Thüringischen Akademischen Singkreis. Zu hören sind zudem das Laudate pueri, gesungen von Peter Schreier, und das Confitebor tibi Domine, gesungen von Olaf Bär. Auch drei der eigenwilligen Capricci Zelenkas erfreuen den Zuhörer. Es musizieren die Virtuosi Saxoniae unter Leitung und zumeist auch mit Ludwig Güttler. 

Bach - Händel - Werke in romantischen Orgelbearbeitungen (MDG)

Nachdem die Werke Johann Se- bastian Bachs durch die Romantiker einmal wiederentdeckt waren, spielten Organisten in ganz Europa begeistert seine Musik. Doch im
19. Jahrhundert klangen die Instrumente bereits ganz anders als zu Bachs Zeiten. Wie Organisten die barocken Musikstücke an die neuen Möglichkeiten anpassten, das demonstriert Professsor Wolfgang Baumgratz an der Sauer-Orgel des Bremer Doms auf dieser CD. So hat Arno Landmann (1887 bis 1966), als Organist an der Christuskirche in Mannheim mit einem wirklich großen Instrument bestens vertraut, eine Bearbeitung von Bachs Chaconne für Violine allein geschaffen, die buchstäblich alle Register einer spätromantischen Konzertorgel ausreizt – und vom Organisten ebenfalls enorme Kunstfertigkeit einfordert. „Daß bei der vollendeten Kunst, mit der Bach den Violinpart seiner Sonaten durchführt, eine Ergänzung nicht notwendig ist, steht außer Frage“, schrieb Landmann seinerzeit im Vorwort dazu. „Wenn die vorliegende Bearbeitung der Chaconne für Orgel trotzdem erfolgte, so geschah es lediglich im Hinblick auf den außerordentlichen Inhalt und die über die Grenzen der Violine hinausgehenden machtvollen Steigerungen des Werkes. Bezüglich des Stils der Bearbeitung war der Herausgeber bestrebt, dem Beispiel zu folgen, das J. S. Bach in seinen eigenen Orgel- bearbeitungen von Violincompositionen (..) gibt.“ 

Alexandre Guilmant (1837 bis 1911) spielte in den Concerts du Trocadéro eine Orgel von Aristide Cavaillé-Coll. Dieses Instrument aus dem Jahre 1878 war die erste große Konzertsaalorgel in Frankreich. Auch Guilmant hat bekannte Musikstücke speziell dafür arrangiert. Baumgratz stellt hier eine sehr phantasievolle Version des Konzerts für Orgel und Orchester
d-Moll
von Georg Friedrich Händel für Orgel allein vor, und eine ebenso schlichte Bearbeitung der Sonatina aus der Bach-Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit. William Thomas Best (1826 bis 1897) war Organist an der St. George's Hall in Liverpool. Dort stand ihm die erste große englische Konzertsaalorgel des 19. Jahrhunderts zur Verfügung. Er hat die Passa- caille aus Händels Cembalo-Suite in g-Moll eher zurückhaltend für dieses Instrument bearbeitet. 

Max Reger (1873 bis 1916) hat sich mit Bachs Musik lebenslang ausein- andergesetzt. So hat er Stücke aus dem Wohltemperierten Clavier für Orgel eingerichtet, ohne Bachs Notentext anzutasten. Präludium und Fuge
g-Moll
BWV 885 geben dafür ein gutes Beispiel. Der Leipziger Komponist Sigfrid Karg-Elert (1877 bis 1933) hat Bachs Werke ebenfalls sehr respektvoll behandelt. Doch auch wenn seine Bearbeitung von Teilen der Motette Singet dem Herrn ein neues Lied das Original fast notengetreu auf die Orgel überträgt, beeindruckt sein Umgang mit der Doppelchörigkeit sehr. Freier gestaltet Karg-Elert seine Fassung des berühmten Air aus Bachs D-Dur-Orchestersuite. Für die moderne Orgel „wie geschaffen“ fand er zudem das Air und die fünf Variationen Händels aus der E-Dur-Suite, besser bekannt als The harmonius blacksmith. Auch hier orientierte er sich wieder eng an Händels Notentext – aber nicht zu eng, denn sein Anliegen war es, das Instrument so recht zur Geltung zu bringen, bestätigt er in einer Anmerkung zu diesem Stück: „Die eigenmächtigen Änderungen wurden vorgenommen, um der Eigenart und der Wesenheit der farbenreichen und ausdrucksreichen modernen Orgel mehr Spielraum zu gewähren, figura- tive Profilierung der einzelnen Variationen schärfer auszuprägen und die Klimax in größerer Kurve zu erreichen, als es für das monochrome und dynamisch erheblich bescheidenere Klavier Notwendigkeit ist.“ 

Baumgratz hat dafür mit der Sauer-Orgel im Dom zu Bremen ein spannen- des Instrument zur Verfügung. 1894 errichtet, 1905 erweitert und dann mehrfach umgebaut, wurde diese Orgel Mitte der 90er Jahre durch die Orgelwerkstatt Christian Scheffler aus Sieversdorf bei Frankfurt/Oder erfolgreich restauriert und klanglich auf den Stand von 1905 zurück gebracht, wobei zusätzlich einige Register aus den orgelbewegten 30er Jahren übernommen wurden. Der Domorganist spielt ein abwechslungs- reiches Programm, das auch die Sauer-Orgel wunderbar präsentiert. 

Montag, 23. März 2015

Carissimi: Complete motets of Arion Romanus (Brilliant Classics)

Giacomo Carissimi (1605 bis 1674) wirkte viele Jahre als Kapellmeister am Collegium Germanicum in Rom. In dieser Position war er für die musikalische Ausbildung an dieser bedeutenden Ausbildungstätte verantwortlich, wo die Jesuiten Priester speziell zur Abwehr der Reformation heranzogen. Darüber hinaus gestaltete er die Kirchenmusik in der Basilica di Sant'Apollinare. 
Carissimi war dieser Aufgabe so verbunden, dass er ein Angebot, der Nachfolger Monteverdis als Kapell- meister am Markusdom in Venedig zu werden, ablehnte. Doch diese Einladung macht deutlich, wie hoch seine Zeitgenossen den Musiker schätzten. Carissimi hatte zahlreiche Schüler aus ganz Europa; so beispielsweise Alessandro Stradella, Alessandro Scarlatti, Johann Caspar von Kerll und Marc-Antoine Charpentier. Mit seinen Werken schrieb er Musikgeschichte, insbesondere mit seinen Oratorien und Kantaten. 
Carissimi prägte sowohl als Lehrer wie auch als Komponist, vor allem im Bereich der Vokalmusik, nachfolgende Musikergenerationen. Trotzdem ist er heute weitgehend vergessen. Um dies zu ändern, stellt das Ensemble Seicentonovecento unter der Leitung von Flavio Colusso nun auf insgesamt drei CD wichtige Werke Carissimis vor: Es erklingen die 28 Motetten aus dem Arion Romanus. Diese Sammlung wurde 1670 von Carissimis Schüler Giovanni Battista Mocchi veröffentlicht, der selbst als Kapellmeister in Düsseldorf, Mannheim und Neuburg/Donau tätig war. Die Aufnahmen entstanden zwischen 2008 und 2013 am historischen Ort – in der Basilica di Sant’Apollinare in Rom. Das Ensemble Seicentonovecento hatte zuvor bereits die Oratorien des Komponisten in einer Gesamtaufnahme vorgelegt und dafür viel Beifall erhalten. 

Sonntag, 22. März 2015

Bach: Motets (Alpha)

Es gibt nicht viele Ensembles, die sich tatsächlich daran wagen können, die Kantaten und Motetten von Johann Sebastian Bach in solistischer Besetzung vorzutragen. Man benötigt dazu nicht nur extrem versierte Sänger, sondern auch sensible Instrumentalisten, die sich der kleinen Sängerschar geschmeidig anpassen, und einen musikalischen Leiter, der dazu in der Lage ist, auch kompliziertere Sätze gescheit zu strukturieren. 
Ein gutes Beispiel dafür, wie es nicht funktioniert, gibt die Capella Craco- viensis mit ihrer Einspielung der Bach-Motetten bei Alpha. Wenn man diese Musik überzeugend vortragen will, genügt es leider nicht, atem- beraubend schnelle Koloraturen irgendwie singen zu können. Bachs geistliche Musik ist eben niemals nur Gesang, sie ist immer zugleich Textauslegung, sozusagen Predigt, in der Sprache der Musik formuliert. Dazu freilich wäre es schön, wenn man den Text auch verstehen könnte. 
Das mitunter sehr komplexe kontrapunktische Stimmengeflecht sinnvoll zu ordnen, wäre die Aufgabe von Fabio Bonizzoni gewesen, der hier als Dirigent und künstlerischer Leiter grandios scheitert. Dirigieren heißt, Entscheidungen zu treffen – und nicht nur, das Tempo vorzugeben. Auch Klangfarben und dynamische Differenzierung beispielsweise könnten erfreuen; man könnte Stimmen hervor- und zurücktreten lassen, Akzente setzen, oder schlicht Forte und Piano singen und spielen lassen. Doch wer Struktur und Gestaltung erwartet, der wird bei dieser Aufnahme enttäuscht. Der Sopran ist zudem ganz klar die dominierende Stimme, jedenfalls dann, wenn er mitsingt – und wenn er mal nicht mitsingt, dann vermisst man ihn mitunter, schmerzlich. Danke, nein, das geht so gar nicht. 

Freitag, 20. März 2015

Praetorius: Organ Works (cpo)

Schon seit geraumer Zeit engagiert sich KMD Friedhelm Flamme, Orgelwerke des norddeutschen Barock auf historischen Instrumenten vorzustellen. Für diese CD hat er gleich zwei Raritäten miteinander verknüpft – er spielt an der Scherer-Orgel der St. Stephanskirche Tangermünde Orgelmusik von Hieronymus Praetorius (1560 bis 1629). 
Dabei handelt es sich um einen der wichtigsten Hamburger Musiker seiner Zeit. Er wirkte, nach einigen Lehr- und Wanderjahren, die ihn unter anderem nach Köln und nach Erfurt führten, wie schon sein Vater als Organist an St. Jacobi. Praetorius war hoch angesehen; seine Vokal- kompositionen erschienen bereits zu Lebzeiten im Druck. Auch als Orgel- sachverständiger war er gefragt, so reiste er 1596 nach Gröningen bei Halberstadt zu einem legendären Treffen der führenden Organisten, die dort die neue Schlosskirchenorgel begutachteten. Der Musiker hatte sieben Kinder – drei seiner Söhne wurden ebenfalls Organisten, einer Theologe. 
Etliche Werke von Hieronymus Praetorius sind durch einen Schüler seines Sohnes Jakob überliefert worden; die Tabulatur befindet sich heute in Visby auf der Insel Gotland. Friedhelm Flamme stellt auf den beiden CD Praetorius' Magnificat-Zyklen komplett in den acht Kirchentönen vor. Zu hören sind zudem drei der insgesamt 19 Hymnus-Kompositionen aus der Visby-Tabulatur, sowie einige liturgische Stücke und die beiden Choral- fantasien Wenn mein Stündlein vorhanden ist (1624) und Christ, unser Herr, zum Jordan kam (1625). 
Ein passendes Instrument aus jener Zeit fand Flamme in Tangermünde: Die Orgel in der dortigen St. Stephanskirche wurde 1623/24 durch den Hamburger Orgelbauer Hans Scherer d. J. errichtet. Er war damals der bedeutendste Orgelbauer Norddeutschlands. Zwar wurde dieses Instrument in späteren Jahrhunderten mehrfach umgebaut, doch dabei blieben sowohl das prachtvolle Gehäuse mit seinen Schnitzereien als auch gut die Hälfte der Orgelpfeifen, darunter sämtliche Prospektpfeifen, erhalten. In den 90er Jahren wurde die Orgel daher durch die Firma Alexander Schuke Orgelbau aus Potsdam restauriert und dabei das fehlende Pfeifenwerk originalgetreu ergänzt, so dass dieses kostbare Instrument heute wieder als eine Scherer-Orgel im Originalzustand gespielt werden kann. 
Friedhelm Flamme präsentiert nicht nur die Musik eines Komponisten, der für die Entwicklung des norddeutschen Orgelbarock bedeutende Impulse gegeben hat. Er nutzt diese Werke zugleich, um auch das Instrument umfassend vorzustellen. Diese Aufnahmen zeichnen sich darüber hinaus durch eine hervorragende technische Qualität aus, so dass der Zuhörer den Klang geradezu räumlich um sich hat. Rundum beeindruckend! 

Sonntag, 15. März 2015

Schein: Ich will schweigen (Ramée)

„Violin, Viola d'amore, Viola da gamba, Viola da Spala, Englische Violet, Alto Viola, Violoncello, der grosse Contraviolon, Trompetten, Waldhorn, Flautten, Flauto Traverso, Oboe, Fagotto, Dolcian, Bombardo, Englische Horn, Clarinetten, Cembalo, Barydon, Zinken, Cornetto, und alle drey Posaunen“ – so zählte 1763 Ignaz Franz Xaver Kürzinger die Instrumente auf, die ein Stadtpfeifer nach seiner fünfjährigen Lehrzeit sämtlich zu beherrschen hatte. Zeitgenossen beklagten, im Ergebnis spielten die auf Lebenszeit angestellten städtischen Musiker letzten Endes keines dieser vielen Instrumente wirklich gut. 
Von Johann Gottfried Reiche (1667 bis 1734) lässt sich dies nicht sagen. Der Sohn eines Weißenfelser Schusters, ausgebildet im Clarinblasen, wirkte in Leipzig als Stadtpfeifer. Wie gut er sein Instrument beherrschte, das wissen wir ziemlich genau, weil Johann Sebastian Bach seine Trompetensoli für diesen Virtuosen geschaffen hat. Reiche ist auf dieser CD mit zwei eigenen Kompositionen vertreten. 
Wie die Stadtpfeifer einst geklungen haben, das demonstriert In Alto auf Nachbauten historischer Instrumente, vom Dulcian über Cornetti und diverse Posaunen bis hin zu Erzlaute und Barockgitarre sowie historischen Schlaginstrumenten. Die Auswahl einer geeigneten Orgel erwies sich als schwierig: „Considérant qu'il n'existe plus d'orgue Renaissance en Saxe et en Thuringe, nous avons dû chercher plus au Nord“, berichtet Lambert Colson, der Leiter des Ensembles. „Outre sa date de construction (1567/1625), la charactéristique décisive pour le choix de cet orgue est qu'il s'agit d'un véritable instrument de cour.“ Die Orgel von Schloss Gottorf befindet sich in der Schlosskapelle, direkt neben dem Ballsaal. Wollte der Organist nicht zur Andacht, sondern zum Tanz aufspielen, dann musste nur eine große Tür geöffnet werden. 
Es ist ein klangschönes Instrument, ohne Frage – aber was diese Aufführungssituation mit den Leipziger Stadtpfeifern zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Als Alibi jedenfalls, um neben geistlicher Musik auch Instrumentalmusik aus der Messestadt spielen zu können, wäre es nicht nötig, denn nicht nur der Adel, auch das vermögende Bürgertum wusste durchaus zu leben. Um ein lebendiges Klangbild aus jener Zeit geben zu können, hat das Ensemble In Alto ausgewählte Werke des Thomaskantors Johann Hermann Schein (1586 bis 1630) durch ansprechende Musik seiner Zeitgenossen sowie der nachfolgenden Musikergeneration ergänzt. Dabei wechseln Werke mit Singstimmen – zu hören sind in wechselnder Besetzung Alice Foccroulle und Béatrice Mayo-Felip, Sopran sowie Reinoud Van Mechelen, Tenor – mit farbenreichen Instrumentalstücken. Ergänzt wird das Programm durch Orgelmusik, wobei natürlich mit Blick auf Leipzig auch ein Werk von Johann Sebastian Bach erklingt. Insofern ist „Ich will schweigen“ als Motto dieser CD, die mit der Ramée-typischen Sorgfalt ediert worden ist, glücklicherweise nicht ganz ernst zu nehmen. 

Mozart: The Flute Quartets (Delos)

Raffaele Trevisani hat gemeinsam mit Martin Kos, Violine, Karel Unter- müller, Viola und David Havelík, Violoncello, für Delos die Flöten- quartette von Wolfgang Amadeus Mozart eingespielt. Es ist eine sehr hörenswerte, brillante Aufnahme. Der Flötist, ein Schüler von Sir James Galway, trifft den leichtfüßigen, eleganten Ton perfekt, den man sich für Mozart wünscht. Die drei tschechischen Streicher stehen ihm dabei bestens zur Seite. Und weil das so schön ist, gibts zum Abschluss noch ein weiteres Quattro, komponiert eigentlich für Oboe, in einer sehr gelungenen Transkription für  die Querflöte. Bravi! 

Schumann: Kinderszenen, Klavierkonzert (Sony Classical)

Martin Stadtfeld spielt Musik von Robert Schumann – und zwar die Kinderszenen op. 15 sowie das Klavierkonzert op. 54, das bekann- teste und beliebteste romantische Klavierkonzert überhaupt. Dass er dabei eine eigene Lesart sucht, wird schon bei den Kinderszenen erkennbar. Stadtfeld liest sie nicht als biedermeierliches Idyll; er sucht vielmehr nach den Brüchen und jähen Umschwüngen. Ihm ist aufgefallen, dass „sehr häufig der äußerlich virtuose Charakter von Schumanns Musik hervorgekehrt wird und die poetischen Seiten darüber vergessen werden.“ Seine Musikästhetik, so der Pianist, sei aber „auf die Innigkeit angelegt.“ 
In der Auseinandersetzung mit Schumanns Klaviermusik ist Stadtfeld aufgefallen, dass es „sehr oft eine Art Subtext (gibt), der etwas Choral- artiges hat. Da kann noch so viel Gestrüpp von Noten drumherum wuchern, irgendwo schimmert immer eine Choral-Linie durch.“ Dieser Erkenntnis will Stadtfeld mit seiner Interpretation Rechnung tragen. So arbeitet er das musikalische Gefüge sorgfältig heraus, und dazu wählt er oftmals ungewöhnliche Tempi. Die Träumerei beispielsweise serviert er ganz ohne Puderzucker. Allerdings vermisst man über diesem stark analytisch geprägten Zugang ein wenig die Romantik, die ja doch mehr auf das Gefühl aus war als auf Struktur und Verstand. Insofern geht Stadtfeld für mein Empfinden mit seiner Nüchternheit am Kern dieser Stücke vorbei. 
Auch beim Klavierkonzert gestaltet er sorgsam, mitunter geradezu kammermusikalisch. Stadtfeld musiziert hier gemeinsam mit dem Hallé Orchestra unter Leitung von Sir Mark Elder. Die Musiker haben Schu- manns Werk offenbar gründlich studiert, und überraschen durch viele Details, die man bisher so nicht im Ohr hatte. Das ist sehr spannend. Das Orchester sorgt zudem dafür, dass diese Schumann-CD nicht so leiden- schaftslos endet, wie sie begonnen hat. 

Samstag, 14. März 2015

Albert Schweitzer - Der Organist (ifo Classics)

Albert Schweitzer (1875 bis 1965) war ein Mann von Überzeugung. Aus einem Pfarrhaus im Elsass stammend, studierte er Theologie und Philosophie (und parallel dazu Orgel bei Charles-Marie Widor). Er promovierte gleich doppelt, in Philosophie und Theologie; 1902 erfolgte seine Habilitation. So hätte Schweitzer zweifellos eine grandiose akademische Karriere offengestanden – doch statt dessen entschloss er sich, noch Medizin zu studieren, um dann als Missionsarzt nach Afrika zu gehen. 1913 grün- dete Schweitzer in Gabun das Urwaldhospital Lambaréné. Doch schon 1917 wurde das Ehepaar Schweitzer festgenommen und als Deutsche in Frankreich interniert. Nach dem Kriegsende unternahm Schweitzer alles denkbare, um Geld zu sammeln und nach Afrika zurückkehren zu können, was ihm 1924 dann auch gelang. Er sah das Heil für die Welt im Pazifismus, und wurde 1952 mit dem Friedens- nobelpreis geehrt. 
Ebenso entschieden, wie er in seinen theologischen und politischen Schriften auftrat, engagierte sich Schweitzer auch im Bereich der Musik. Mit großer Leidenschaft setzte er sich für historische Orgeln ein. Er liebte den Klang der alten Silbermannorgeln im Elsass ebenso wie jenen der spätromantischen französischen Orgeln, und trat dafür ein, die Tugenden der französischen und der deutschen Orgelbaukunst miteinander zu verknüpfen. 
Insbesondere mit der Musik Johann Sebastian Bachs beschäftigte er sich sehr intensiv. Bachs Orgelwerke publizierte er gemeinsam mit Widor in einer Urtextedition. Historische Aufnahmen geben Zeugnis davon, wie Schweitzer „seinen“ Bach gespielt haben wollte. Wer da spätromantisches Pathos erwartet, der wird seinen Ohren nicht trauen – der Arzt hat Bachs Noten sehr genau gelesen, und sorgsam darüber nachgedacht. Das Ergeb- nis wirkt geradezu spartanisch und darin sehr modern. 
Eine Auswahl dieser alten Einspielungen ist bei Ifo Classics erschienen. Auf sechs CD sind zudem einige Vorträge und Reden des großen Humani- sten zu hören, sowie einige seiner Lieblingsstücke von Felix Mendelssohn Bartholdy, César Franck und seinem Lehrer Widor. Die Auswahl hat Dr. Wolf Kalipp mit Unterstützung durch viele Sammler und Institutionen zusammengetragen. Die alten Aufnahmen, teilweise noch auf Schellack-Platten, wurden zudem durch den Tonmeister und Restaurator Holger Siedler unglaublich perfekt remastert – kein Knistern und Rauschen, kein schwankender Ton, ja, sogar die Raumakustik hat Siedler mit berücksich- tigt und so auf digitalem Wege ein Wunderwerk erschaffen, das man auf einer modernen Stereoanlage mit Freude anhört. Phantastisch!

Carl Philipp Emanuel Bach: Die Israeliten in der Wüste (Carus)

Das Oratorium Die Israeliten in der Wüste erklang erstmals 1769 zur Einweihung der neu errichteten Lazarett-Kirche vor den Toren der Stadt Hamburg. Seit anderthalb Jahren wirkte Carl Philipp Emanuel Bach (1714 bis 1788) damals als Nachfolger seines Paten Georg Philipp Telemann als Kantor am Johanneum und Musikdirektor der fünf Hauptkirchen in der Hansestadt. Anders als sein Vater seinerzeit in Leipzig, betrieb der junge Bach keinen Aufwand, um die gut 120 kirchenmusikalischen Anlässe jährlich möglichst rasch mit eigenen Werken zu bestreiten. So gibt es von Bach filius keine Kantatenjahrgänge. Desto mehr Beachtung fand seinerzeit dieses Oratorium, das schildert, wie die Israeliten bei ihrem Zug durch die Wüste nach Wasser seufzen. Sie fangen an, zu zweifeln, zu murren und sich gar zurück nach Ägypten zu sehnen – all dies natürlich in schönstem Operngesang. Das Volk klagt und mault in wohlgeordneten, harmoni- schen Chören – ebenso wohlsortiert wird es dann jubeln, nachdem Moses dafür gesorgt hat, dass Wasser aus dem Felsen fließt. Die Zeitgenossen waren davon sehr angetan: „Ein Meisterstück des Herrn Capellm. Bachs, denn es herrscht ein solcher fliessender, angenehmer und natürlicher Gesang darinnen, wie in Kayser (Keiser) und Graun nur jemals gehabt haben“, lobte beispielsweise Johann Friedrich Reichardt, königlich-preus- sischer Hofkapellmeister. Bei Carus ist anlässlich des 300. Geburtstages von Carl Philipp Emanuel Bach, nach der hauseigenen Notenedition, auch eine Einspielung des Werkes erschienen. Damit ehren Frieder Bernius und der Kammerchor Stuttgart gemeinsam mit dem Barockorchester Stuttgart den Jubilar. Erwähnenswert ist hier zudem noch Bassist Tobias Berndt, ein wirklich charismatischer Moses. 

Freitag, 13. März 2015

Brahms: Ein deutsches Requiem (Berlin Classics)

„Tiefer Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie“, so urteilte Clara Schumann einst über das Brahms-Requiem. Es sei „ein ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen in einer Weise wie wenig Anderes.“ Als Johannes Brahms (1833 bis 1897) dieses Werk schrieb, vermied er bewusst den üblichen liturgischen Rahmen. Er entschied sich anstatt des althergebrachten lateinischen Textes für bestimmte Verse aus der Lutherbibel – nicht das Officium defunctorum, sondern der Trost für die Trauernden rückt hier in den Mittelpunkt. Mit seiner Vertonung verlagerte der Komponist zudem das Requiem aus dem (katholischen) kirchlichen Rahmen in den Konzertsaal. 
Der Dresdner Kreuzchor wiederum bringt diese Musik zurück in den Kirchenraum: Brahms' Meisterwerk in der Kreuzkirche aufzuführen, das gehört zur Tradition des berühmten Knabenchors. Bei den „Jungs“, verrät Kreuzkantor Roderich Kreile, gehört Ein deutsches Requiem „zu den beliebtesten und in jeder Hinsicht am meisten geschätzten Werken“. Ein Live-Mitschnitt eines solchen Konzertes – zum Zeitpunkt finden sich leider keinerlei Angaben – ist im vergangenen Jahr bei Berlin Classics erschie- nen. 
Die Aufnahme ist beeindruckend, und das liegt nicht nur an den beiden vorzüglichen Solisten Sibylla Rubens und Daniel Ochoa. Die Knaben- und jungen Männerstimmen des Kreuzchors, verstärkt durch die Männer- stimmen des renommierten Kammerchores Vocal Concert Dresden, bewirken ein außerordentlich interessantes, sehr homogenes Klangbild. Die Kruzianer sind in exzellenter Form, sie singen blitzsauber und stimm- lich absolut solide. Damit sind sie auch jederzeit in der Lage, Brahms' anspruchsvolle Musik dynamisch perfekt umzusetzen. Gemeinsam mit der Dresdner Philharmonie gestalten die jungen Sänger eine Aufführung voll Spannung und emotionaler Strahlkraft. Bravi! 

Mayr: Il sogno di Partenope (Naxos)

Das Label Naxos engagiert sich seit Jahren für die Wiederentdeckung des Werkes von Johann Simon Mayr (1763 bis 1845). Mit dem Simon-Mayr-Chor & Ensemble Ingolstadt, gegründet und geleitet von Franz Hauk, und wechselnden Solisten hat Naxos mittlerweile eine Vielzahl der Opern des Komponisten sowie einige seiner Kantaten und Oratorien veröffentlicht. So ist jüngst Il sogno di Partenope erschienen. 
Mayr komponierte dieses melodram- ma allegorico nach einem Libretto, das ein renommierter Altphilologe und Autor eigens erstellt hatte, für die Einweihung des nach einem Brand wieder aufgebauten Teatro San Carlo in Neapel. Gewidmet ist es König Ferdinand I. zum Geburtstag, und wie bei einer derartigen Huldigungs- kantate üblich, wird ein beträchtlicher mythologischer wie musikalischer Aufwand betrieben, um den Herrscher angemessen zu feiern. Dummer- weise ist nur der zweite Akt überliefert – doch was da zu hören ist, das lässt den Verlust des ersten Teiles erst recht sehr bedauerlich erscheinen.  

Das ist meine Freude (cpo)

Kleine Orte haben mitunter ein groß- artiges Erbe. Das gilt beispielsweise für das Dorf Großfahner im schönen Thüringen, gelegen auf halbem Wege zwischen Erfurt und Bad Langen- salza. Die kleine Gemeinde besitzt
mit über 600 Kompositionen von etwa 50 thüringischen und sächsi- schen Kantoren, Organisten sowie einigen Hofkapellmeistern die größte Handschriftensammlung aus dem
17. und 18. Jahrhundert im mittel- deutschen Raum. 

Zusammengetragen wurde dieser Schatz von zwei Kantoren, die eifrig all diese „Kirchenstücke“ kopiert oder im Tausch erworben haben. Dieser reichhaltige Fundus geistlicher Kompositionen zeigt uns, welch immense Bedeutung im Zeitraum von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Tode Johann Sebastian Bachs in Mitteldeutschland Figuralmusik auch auf dem Lande hatte. 
Acht Kantaten aus dieser Kollektion hat die Sopranistin Maria Jonas für diese Einspielung ausgesucht. Sie belegen eindrucksvoll, dass damals nicht nur bei Hofe anspruchsvoll musiziert wurde. Es sind Raritäten dabei, die aus der Region stammen, wie die Kantaten von Johann Heinrich Buttstedt (1666 bis 1727), seinem Lehrer Johann Pachelbel (1653 bis 1706) oder Johann Topf, einem Thüringer Kirchenmusiker,von dem man nicht viel mehr weiß als den Namen. Auch drei Kantaten von Georg Philipp Tele- mann erklingen in diesem Rahmen. Dieser Komponist von europäischen Rang war von 1707 bis 1712 in Eisenach tätig, und hat danach noch bis 1630 als „Capellmeister von Haus aus“ den Hof mit Kantaten und Serenaden beliefert. 
Maria Jonas singt mit einer Stimme, die deutlich am Ideal der „Alten“ Musik geschult ist – schlank, nahezu vibratofrei und beweglich. Leider ist sie nicht allzu farbenreich, sie klingt fast wie eine Knabenstimme – doch bei den Koloraturen und den großen Bögen könnten die Jungs dann so nicht mithalten. Insofern darf man rätseln, wer da seinerzeit auf dem Dorfe diese Werke gesungen haben soll. Denn ländlich-schlicht sind diese Kantaten nicht zu nennen. Und so bekommt auch die Chursächsische Capelle Leipzig gut zu tun; die Musiker spielen gekonnt und mit Hingabe. Sehr schön! 

Mittwoch, 11. März 2015

Vienna 1709 (Accent)

Die Viola da gamba eignet sich wie kaum ein anderes Instrument dazu, mit musikalischen Mitteln Emotionen auszudrücken. Auf dieser CD stellen die Sopranistin Hana Blažíková und der Gambenvirtuose Petr Wagner mit seinem Ensemble Tourbillon zahl- reiche Arien vor, die dies in schönster Weise belegen. Obwohl die Gambe am Hof in Wien nur relativ kurze Zeit als obligates Begleitinstrument gefragt war, ist es erstaunlich, wie viele delikate Partien die Komponi- sten dort für dieses Instrument geschaffen haben. Die kaiserliche Familie interessierte sich für Musik, und die Gambe galt als Instrument des Adels – auch deshalb erklang sie, quasi als musikalische Huldigung, bevorzugt in Opern und Oratorien, die Mitgliedern des Herrscherhauses oder Adligen gewidmet waren. 
Zu hören sind Arien von Pietro Baldassari (vor 1690 bis nach 1768), Attilio Ariosti (1666 bis 1729), Giovanni Battista Bononcini (1670 bis 1747) und dem trefflichen Johann Joseph Fux (um 1660 bis 1741), dessen Musik leider bislang weitgehend noch der Erweckung aus dem Archivschlaf harrt. Das lohnt sich, wie die wundervollen Werke beweisen, die für diese CD ausgewählt wurden. Ob hochvirtuos oder sanglich schlicht – wie er die Gambe einsetzt, um Affekte zu gestalten, das beeindruckt noch heute. Petr Wagner geben diese Partien reichlich Gelegenheit, zu brillieren. Besonders schön erklingt die Gambe allerdings im Duett mit dem lichten und klaren Sopran von Hana Blažíková, meiner Meinung nach eine der derzeit schönsten Stimmen Europas. Bravi! 

Dienstag, 10. März 2015

Krebs: Clavier-Übung III (MDG)

Johann Ludwig Krebs (1713 bis 1780) war ein Schüler von Johann Sebastian Bach – ein besonders geschätzter wohlgemerkt; der Meister selbst soll über ihn gesagt haben, er sei „der beste Krebs in meinem Bach“. Krebs war der Sohn eines Kantors aus Buttelstedt bei Weimar. 1726 wurde er Schüler an der Leipziger Thomas- schule, und dazu Bachs Hausgenos- se, Freund und Notenkopist. Krebs studierte nach seinem Schulabschluss in Leipzig noch zwei Jahre Philoso- phie und ging dann als Domorganist nach Zwickau. 1742 bewarb sich der junge Musiker um die Stelle an der Dresdner Frauenkirche mit ihrer phantastischen Silbermann-Orgel. Er erhielt auch die Zusage, aber er nahm sie nicht an – man darf vermuten, dass wohl die Besoldung gar zu schmal bemessen war. 1743 wechselte Krebs schließlich nach Zeitz als Schlossorganist. Dort musste er sich allerdings mit einem maladen Instrument herumplagen. 
Nach Bachs Tod bewarb sich Krebs vergebens um seine Nachfolge als Thomaskantor. Auch eine Bewerbung in Zittau hatte keinen Erfolg. Schließlich erhielt der Organist eine Anstellung am Hofe Friedrichs III., Herzog von Sachsen-Gotha und Altenburg. Und in Altenburg, wo Krebs bis an sein Lebensende wirkte, hatte Tobias Heinrich Gottfried Trost in der Schlosskirche erst 1739 eine wirklich prachtvolle Orgel fertiggestellt. 
Warum die Werke dieses wohl wichtigsten Orgelvirtuosen nach Bach heute so wenig bekannt sind, das gehört zu den Rätseln der Musikgeschichte. Der Hamburger Organist Jan von Busch stellt auf dieser CD einige seiner Kompositionen vor: Die Sonatinen WV 801 bis 806 – Krebs veröffentlichte diese Werke als dritten Teil seiner Clavier-Übung – und die Sonaten WV 832 bis 837. Eigentlich sind sie für Cembalo geschrieben; aber im 18. Jahrhundert bezeichnete das Wort Clavier alles, was über Tasten gespielt wurde. Insofern ist es legitim, auszuprobieren, wie diese Musik auf der Orgel klingt. 
Ausgesucht hat Jan von Busch dafür ein Instrument des Thüringer Orgelbauers Johann Georg Stein. Er kam 1712 in Berlstedt bei Weimar zur Welt, und hat nach 1745 in Norddeutschland einige Orgeln errichtet. So hat man vor einigen Jahren erkannt, dass eine kleine, einmanualige Orgel mit neun Registern ohne Pedal im mecklenburgischen Warlitz von diesem Orgelbauer stammt. Als dieses Instrument 2004 durch die Dresdner Firmen Jehmlich und Wegscheider restauriert wurde, stellte sich heraus, dass der innere Pfeifenbestand komplett erhalten geblieben ist – und zudem nie auf ein „moderneres“ Klangbild umintoniert worden ist. Damit vermittelt nun auch diese CD ein authentisches Klangbild aus dem späten 18. Jahrhundert. „Gerade angesichts der Tatsache, dass besonders Thüringen noch heute reich an erhaltenen Barockorgeln ist,wirkt es fast wie Ironie, dass die in Mecklenburg erhaltene Stein-Orgel besser erhalten ist als fast jede andere thüringische Barockorgel“, meint der Organist im Beiheft. „Auch innerhalb der an historischen Orgelinstrumenten ebenfalls reich gesegneten mecklenburgischen Orgellandschaft steht das Warlitzer Instrument einzig da: Hier liegt wohl der einzige erhaltene barocke Dulcian wie auch mit der Saliciena das einzige erhaltene barocke Streichregister Mecklenburgs vor. Beide Register sind zudem in Bass und Diskant geteilt: Dies ermöglicht es, bei passendem Tonumfang der Musik eine zweimanualige Anlage vorzutäuschen.“ Jan von Busch nutzt Krebs' Musik nicht zuletzt, um dem Hörer diese Orgel vorzustellen, die viele Jahre verstummt war, um nun umso schöner wieder zu erklingen. Eine muster- gültige Einspielung, die ich ringsum erfreulich finde.

Grigory Sokolov (Melodija)

Aufnahmen mit dem russischen Pianisten Grigory Sokolov sind Raritäten. Der Musiker, der als derzeit weltbester Pianist gilt, hat schon sehr lange keine Studio- aufnahmen mehr gemacht, und auch Live-Mitschnitte sind nicht besonders viele verfügbar. Das russische Label Melodija hat nun seine Schatz- kammern geöffnet – und einige dieser Aufzeichnungen aus den Archiven geholt. Darunter befindet sich auch ein ganz besonderes Tondokument: Aufnahmen jenes Konzerts, mit dem Sokolov seinerzeit 1966 im Alter von nur 16 Jahren die Goldmedaille des Tschaikowski-Wettbewerbs gewann. Er spielte damals die Etüde op. 25, Nr. 11 von Frédéric Chopin und die Etüde op. 8, Nr. 10 von Alexander Skrjabin. Die beiden CD enthalten zudem einen Mitschnitt von Schumanns Carnaval op. 9 aus dem Jahre 1967, Schuberts a-Moll-Klaviersonate D784 sowie eine weitere Chopin-Etüde und eine Mazurka, aufgezeichnet 1969, dazu Skrjabins Sonate Nr. 9, op. 68, Fragmente aus dem Ballett Petruschka von Igor Strawinsky, sowie die Klaviersonaten Nr. 7 und 8 von Sergej Prokofjew. 
Auch wenn Sokolov heute noch wesentlich klarer strukturiert – seine unentwegte Suche nach dem Kern eines jeden Werkes, nach der ange- messenen Interpretation ist bei diesen frühen Aufnahmen bereits zu spüren. Es ist sehr erfreulich, dass man diesem grandiosen Pianisten in Zukunft (hoffentlich!) öfters zuhören kann. Einige seiner Konzertauftritte von seiner Studienzeit bis hinein in die 80er Jahre jedenfalls sind nun auf diesen beiden CD zu erleben.

Freitag, 6. März 2015

Lost and Found - Albrecht Mayer (Deutsche Grammophon)

Die Oboe war zur Zeit der Wiener Klassik als Musikinstrument allgegenwärtig. Sie erklang sowohl im Freien, wenn beispielsweise eine Serenade gespielt wurde, als auch in der Kirche und im Konzertsaal. Entsprechend viele Musiker spielten Oboe, und natürlich schrieben sie ebenso viele Konzerte für „ihr“ Instrument. Das befand sich seiner- zeit noch in der Entwicklung, und so dokumentieren diese Musikstücke nicht zuletzt auch die jeweiligen technischen Möglichkeiten der Oboenvirtuosen. Um so verblüffender erscheint allerdings die Tatsache, dass davon heute kaum noch etwas im Konzert zu hören ist. 
Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, hat sich darüber ebenfalls gewundert. Und so ging der Musiker auf die Suche nach Alterna- tiven zu Mozarts berühmtem Oboenkonzert. Dabei durchstöberte er zunächst das Internet und anschließend jene Archive und Bibliotheken, die aufgrund der digitalen Fundstellen Erfolg versprachen. Bei der Recherche unterstützte ihn tatkräftig Adelheid Schloemann, beim Sichten der Manu- skripte Albert Breier. Das Projekt war von Erfolg gekrönt: Mayer hat mit seinem kleinen Team sagenhafte 120 Konzerte aufgespürt. Einige davon sind mittlerweile bereits als Notenedition verfügbar. 
Die vier schönsten präsentiert der Oboist nun, begleitet von der Kammer- akademie Potsdam, auf seinem neuen Album Lost and Found. Es sind drei Oboenkonzerte von Franz Anton Hoffmeister (1754 bis 1812), Jan Antonín Koželuch (1738 bis 1814)– dem älteren Vetter des Klaviervirtuosen Leopold Anton Koželuch, mit dem er oftmals verwechselt wird (das ist kurioser- weise auch im Beiheft zu dieser CD passiert) – und Ludwig August Lebrun (1752 bis 1790), der allerdings nicht in Wien, sondern in Mannheim wirkte. Sein g-Moll-Oboenkonzert ist wirklich sehr schön, und auch wenn es keineswegs „verloren“ war, so ist doch nachvollziehbar, dass Mayer dieses Werk seines berühmten Kollegen hier mit einspielen wollte. 
Aus Böhmen stammte Joseph Fiala (1748 bis 1816). Nach seiner Flucht aus der Leibeigenschaft musizierte er zunächst am Hof von Oettingen-Wallerstein, dann in München, und schließlich in Salzburg, wo er allerdings entlassen wurde, als er aufgrund eines Lungenleidens nicht mehr Oboe spielen konnte. Und so war Fiala dann den Rest seiner Tage als Cellist sehr erfolgreich. „Trotz aller Recherche wissen wir leider immer noch nicht, ob es sich bei dem Konzert von Joseph Fiala auf diesem Album tatsächlich um das Konzert für Englischhorn handelt, von dem Wolfgang Amadeus Mozart seinem Vater in einem Brief vorschwärmte; auch kennen wir das Instrument nicht, für das dieses Konzert in extrem hoher Lage geschrieben wurde“, teilt Mayer im Beiheft mit. „Durch die Transponierung nach C-Dur liegt es aber nun perfekt für das heutige Englischhorn und wird sicher spätestens jetzt seinen wohlverdienten Stammplatz im Repertoire erobern.“ 
Die von Mayer ausgewählten Konzerte begeistern nicht nur durch ihre zauberhaften Oboen-Soli, sondern auch durch einen zumeist wohlausge- wogenen Dialog zwischen dem Solisten und dem Orchester. So liefert die Kammerakademie Potsdam dem Oboisten, der auch selbst dirigiert, nicht nur die Klangkulisse, vor der sich die Solostimme präsentiert. Man höre nur die Hörner im Hoffmeister-Konzert – wirklich exzellent! Diese CD ist wirklich rundum erfreulich und sehr hörenswert.

Mittwoch, 4. März 2015

Rotem: Rappresentatione di Giuseppe e i suoi fratelli (Pan Classics)

Dieses Musical drama in three acts ist ein Kuriosum. Es klingt, als hätte es Claudio Monteverdi gemeinsam mit Salamone Rossi geschrieben. Warum der Titel dieses Werkes in italienischer Sprache steht, bleibt ein Rätsel. Denn die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern wird in biblischem Hebräisch erzählt. Das wiederum ist kein Zufall – die Profeti della Quinta wurden von Elam Rotem in Galiläa gegründet. Derzeit studieren aber laut Beiheft alle Mitglieder des israelischen Ensembles in der Schweiz, an der Schola Cantorum Basiliensis. 
Rotem beschäftigt sich dort intensiv sowohl mit Generalbass als auch mit der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Für die fünf Sänger sowie eine Handvoll Instrumentalisten hat er nun dieses Musikdrama im Geiste der frühen Oper komponiert. Er kehrt damit den Prozess, den man gemeinhin mit dem Stichwort „historische Aufführungspraxis“ beschreibt, um. Denn in diesem Falle ist kein in uralter Notation mehr oder minder flüchtig skizziertes Werk zu erkunden; es galt vielmehr, neue Musik so zu kompo- nieren und so aufzuführen, dass sie klingt, als wäre sie Jahrhunderte alt. Das ist ein spannendes Experiment, allerdings bin ich nicht Experte genug, um einschätzen zu können, ob dieses 16.-Jahrhundert-Mimikry wirklich bis in die letzte Wendung perfekt ist. Es klingt erstaunlich gut, auch wenn die hohen Männerstimmen seinerzeit garantiert von Kastraten gesungen worden wären, und nicht von Countertenören.

Bruckner: Pange lingua - Motetten (Fra Bernardo)

Wie klingt es, wenn man die Motetten von Anton Bruckner (1824 bis 1896) nicht, wie weit verbreitet, mit einem möglichst großen Haufen, sondern mit einem Kammerchor aufführt? Philipp von Steinaecker hat es mit seinem Ensemble Musica Saeculorum ausprobiert. Für jede Stimmlage stehen genau vier Sängerinnen bzw. Sänger zur Verfügung, die die Werke im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis interpretieren.
Bei der Zusammenstellung des Programmes für diese CD folgt von Steinaecker chronologisch dem Lebenweg Bruckners, vom ersten Pange lingua des Elfjährigen bis hin zum Vexilla Regis, das der Komponist 1892 als private Meditation zur Karwoche schrieb.
Musica Saeculorum singt diese Chorwerke nicht als Solitäre, sondern aus der Perspektive kirchenmusikalischer Traditionen heraus. Dadurch gewinnen die altbekannten Werke ganz erstaunlich an Tiefe und Innerlichkeit. Nicht Inbrunst und Lautstärke, sondern ein sachkundiger Blick in die Noten, blitzsauberer Gesang und die perfekte Klangbalance offenbaren die einzigartige Qualität von Bruckners Motetten. Bravi!

Dienstag, 3. März 2015

Donaufahrt (Genuin)

An der schönen blauen Donau, da lebte einst so mancher talentierte Komponist. Rie Koyama, eine exzellente Fagottistin, hat für ihre zweite Genuin-CD gemeinsam mit dem Pianisten Clemens Müller das musikalische Idiom der ehemaligen k.u.k.-Staaten erkundet. 
Die beiden Musiker haben dabei einige faszinierende Werke entdeckt. Nicht alle davon sind, zugegebener- weise, im Original für das Fagott entstanden. Doch warum soll man nicht aus einer Sonate für Horn und Klavier in F-Dur, die Ludwig van Beethoven seinerzeit für den brillanten böhmischen Hornisten Johann Wenzel Stich – bekannter unter seinem Künstlernamen Giovanni Punto – geschrieben hat, ein Werk für Fagott und Klavier machen? Schließlich hat Beethoven selbst seine Sonate auch für das Violoncello bearbeitet. 
Das Andante e Rondo ongarese hat Carl Maria von Weber seinerzeit selbst für Fagott bearbeitet. Entstanden ist die charmante, theatralische Musik allerdings nicht an der Donau, sondern in Stuttgart. Weber schrieb es für seinen Bruder, der im nahen Ludwigsburg seine Brötchen als Bratscher verdiente. 
In Ersteinspielung erklingt das Morceau de Salon für Fagott und Klavier op. 230 von Johann Wenzel Kalliwoda. Der Prager Geiger spielte zunächst im Orchester des Prager Opernhauses. 1822 wurde er Hofkapellmeister in Donaueschingen, dort, wo aus Brigach und Breg die Donau entsteht. Kalliwodas Salonstück wirkt wie eine Kreuzung aus böhmischem Volkstanz und Mendelssohns Liedern ohne Worte; angerichtet wird es von Koyama mit einer Prise virtuosem Spielvergnügen, man höre nur das Finale. 
Glaubt man einem Brief Wolfgang Amadeus Mozarts an seinen Vater, dann hat der 25jährige eines seiner schönsten Kammermusikwerke in einer knappen Stunde zu Papier gebracht. Und weil die Sonate für Violine und Klavier G-Dur KV 379 so effektvoll und rundum gelungen ist, wagen sich Koyama und Müller an eine Fagott-Version. Hier können sich die Musiker bestens präsentieren. Das gilt nicht nur für die rasanten Passagen. Die Kantilene von Rie Koyama hat Schmelz und mitunter einen derart hell eingefärbten Ton, dass man beinahe vergisst, dass hier ein Instrument zu hören ist, das oftmals nur den Continuo-Part mitspielen darf.  
Den Abschluss dieses mitreißenden Programmes bildet die Fantaisie Pastorale Hongroise op. 26 von Franz Doppler, ursprünglich entstanden für Flöte und Orchester. Der Komponist, der zu den Mitbegründern der ungarischen Musikkultur des 19. Jahrhunderts gehörte, zündet in diesem Werk ein wahres Feuerwerk. Das lässt sich erstaunlicherweise auch auf dem Fagott spielen, wie Koyama beweist. Was für ein Temperament! Und ein Bravo auch an Clemens Müller, der die junge Musikerin sehr versiert begleitet.

Kalkbrenner: 3 Piano Sonatas op. 1 (Dynamic)

Friedrich Kalkbrenner (1785 bis 1849) war ein gefeierter Klavier- virtuose. Sein Vater, selbst ein renommierter Kapellmeister, sorgte dafür, dass der junge Musiker eine sorgfältige Ausbildung erhielt. So lernte Kalkbrenner ab 1798 am Pariser Konservatorium bei Louis Adam, 1802 zog er nach Wien um, wo er unter anderem ein Schüler von Johann Georg Albrechtsberger war. Drei Jahre später begann er mit solistischen Auftritten; er ging nach Paris und war dort als Klavierlehrer und Pianist erfolgreich. Von 1814 bis 1823 lebte Kalkbrenner in England; nach Konzerten in Deutschland und Österreich kehrte er dann 1825 nach Paris zurück. Auch in den 1830er Jahren ging er mehrfach auf Konzertreisen durch Europa. Er galt als größter Pianist seiner Zeit; allerdings hatte er offenbar wenig Lust, mit Nachwuchsmusikern wie Franz Liszt oder Sigismund Thalberg um die Wette zu spielen. Und so verabschiedete sich Kalkbrenner, der reich geheiratet hatte, beizeiten sehr weitgehend aus dem Konzertleben. 1849 fiel er dann einer Cholera-Epidemie zum Opfer. 
Kalkbrenner war auch als Komponist produktiv, sein Werkverzeichnis umfasst knapp 200 Opusnummmern. Dabei handelt es sich zumeist um Stücke für das Klavier. Auf dieser CD ist sein Opus 1 zu hören – drei Klaviersonaten, entstanden wohl um 1807. Es sind Jugendwerke des Musikers, die etliche schöne Momente haben, aber auch Längen. Mitunter sind sie von unglaublicher Bravheit, wirken fast wie Etüden. Luigi Gerosa spielt sie leider auch so. Musikhistorisch mag das ja interessant sein. Aber wer diese Sonaten nicht kennt, der hat nichts verpasst; es hat in diesem Falle schon seinen Grund, dass diese Musik bisher noch niemand auf CD eingespielt hatte. 

Telemann: Virtuoso (Brilliant Classics)

Wie man diesen Komponisten einen seelenlosen Vielschreiber schimpfen konnte, das ist mir immer noch unklar. Denn an den Werken von Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) kann ich mich einfach nicht satt hören. Die Vielfalt seiner musikalischen Ideen ist ebenso berückend wie die Breite der Anregungen, die er aufgegriffen hat – von der französischen Suite bis hin zur polnischen Volksmusik und vom italienischen Konzert bis hin zum deutschen Choralgesang. All dieses hat Telemann in seinen eigenen Kompositionen verarbeitet, und dabei zugleich für Sänger wie Instrumen- talisten dankbare Partien erschaffen. Beispiele dafür erklingen auf dieser CD, eingespielt vom italienischen Ensemble Il Rossignolo auf Original- instrumenten. Wie bereits der Name verrät, den sich die Musiker gegeben haben, stehen die Bläser hier im Vordergrund, und so finden sich bezau- bernde Soli, Konzerte und Sonaten für Blockflöte, Traversflöte, Oboe und Streicher in allen denkbaren Varianten, auch ein hübsches Quartett ist dabei. Sehr gelungen! 

Tchaikovsky: Iolanta (Deutsche Grammophon)

Iolanta ist ein Märchen mit einem positiven Ende: Die blinde Prinzessin kann plötzlich sehen. Der Graf bekommt diese Frau, in die er sich soeben verliebt hat, weil sein Freund, der Herzog, verzichtet – nicht ganz uneigennützig, denn eigentlich liebt er längst eine andere. Der maurische Arzt ist mit seiner Kur erfolgreich, und der König freut sich über diesen Ausweg aus einem Idyll, in das er seine Tochter eingeschlossen hatte, in dem sie aber nicht endlos bleiben kann; schließlich sind Prinzessinnen zum Verheiraten auf der Welt. Und dieses Exemplar ist obendrein ein Muster an Schönheit, Tugend und Demut. 
All das erzählt Peter Iljitsch Tschaikowski in seinem Einakter, der in einem verborgenen Garten spielt. „Es ist eine wunderschöne Oper, in Russland kennt jeder dieses Stück“, schwärmte Anna Netrebko schon vor Jahren in einem Interview. Doch den Weg auf die Bühnen der Welt hat Tschaikowskis letzte Oper nie gefunden: „Ich war sehr erstaunt, dass niemand außerhalb Russlands diese Oper kennt“, meinte die Sängerin – und beschloss, das zu ändern. So hat sie dafür gesorgt, dass Iolanta 2011 konzertant bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wurde. In den beiden darauffolgenden Jahren ging sie mit der Oper auf Tournee. Und im Januar und Februar 2015 hat sie die Titelrolle an der Metropolitan Opera in New York gesungen. Außerdem sind im Sommer erneut konzertante Aufführungen in London und Luzern geplant. 
Iolanta ist eine Oper fast ohne Handlung, ohne akrobatische Arien und dramatische Verwicklungen. Alle Konflikte lösen sich umgehend in Harmonie auf – und Tschaikowskis Musik leuchtet dazu, spätromantisch üppig, farbenreich und tiefsinnig. „Die Musik macht glücklich“, so bringt es Anna Netrebko auf den Punkt. Und damit auch diejenigen daran teilhaben können, die keine Aufführung besuchen können, ist nun bei der Deutschen Grammophon ein Live-Mitschnitt erschienen. Er wurde bei einer konzertanten Aufführung der Oper in Essen während der Tournee aufgezeichnet. Neben Anna Netrebko in der Titelrolle sind unter anderem zu hören Sergej Schkorochodow als Graf Vaudémont, Vitali Kowaljow als König René, Alexej Markow als Herzog von Burgund, Lucas Meachem als maurischer Arzt Ibn-Hakia, Monika Bohinec als Amme und Theresa Plut sowie Nuska Rojko als Freundinnen der Prinzessin, dazu der Slovenische Kammerchor und das Orchester der Slowenischen Nationalphilharmonie unter Emmanuel Villaume. Eine Entdeckung, nicht nur für Netrebko-Fans.