Montag, 30. November 2020

White Christmas - Calmus Ensemble (Carus)

 


Mit dem stimmungsvollen Weihnachtsprogramm von Calmus startet das Klassikblog in die Adventszeit. Das renommierte Leipziger Ensemble hat dafür eine Liedauswahl zusammengestellt, die die verschiedensten Himmelsrichtungen ebenso einschließt wie die unterschiedlichsten Musiktraditionen. Dennoch wirkt diese Liedfolge sehr harmonisch. Schaut man ins Beiheft, wird man allerdings feststellen, dass nur ein einziges Stück in diesem Jahr aufgenommen worden ist – alles andere war in anderem Kontext schon einmal zu hören. Macht nichts. Calmus erfreut alle Jahre wieder mit kreativen Arrangements und perfektem Ensemblegesang. Bravi! 

Dienstag, 24. November 2020

Care Pupille - Samuel Marino (Orfeo)

 


Ein neuer Star betritt die Opernbühne: Samuel Mariño ist ein Stimmphänomen. Auf dieser CD präsentiert der junge venezolanische Sopranist Arien von Georg Friedrich Händel und dem frühen Christoph Willibald Gluck. Und sein Gesang lässt erahnen, wieso die Stimmakrobatik der Kastraten einst das Publikum derart fasziniert hat. 

Mariño beeindruckt durch technische Perfektion, eine unglaubliche Atemführung, absolut mühelos wirkende Koloraturen, eine sagenhafte Höhe und eine Ausdrucksstärke, die selbst den Hörer am Lautsprecher mitreißt. Mariños Gesang ist berückend. Seine Stimme hat, ganz besonders im Mezza voce und im Piano, eine Klarheit, Reinheit und auch Zartheit, der man sich nicht entziehen kann. Dennoch hat sein Vortrag Biss und wirkt ausgesprochen maskulin. 

In der mittlerweile langen Riege der Herren, die sich für die hohe Stimmlage entschieden haben, ist Mariños Stimmklang einzigartig. In seinem Programm auf dieser CD zeigt der junge Sopranist sowohl Virtuosität, Leidenschaft und Kraft als auch seine Fähigkeit zu Pathos und Kantilene. 

Mit seinem Gesang gestaltet er die unterschiedlichsten Figuren eindrücklich, und das Händelfestspielorchester Halle/Saale unter Leitung von Michael Hofstetter bietet dem Solisten dafür einen wunderbar farbigen orchestralen Rahmen. Hingewiesen sei zudem darauf, dass die Gluck-Arien durchweg in Weltersteinspielung erklingen. Phänomenal! 


Concertos 4 Violins (Berlin Classics)

 


Violinkonzerte von Antonio Vivaldi gehören zu den Allzeit-Lieblingsstücken sowohl des Publikums als auch der Virtuosen. Neben den populären „Vier Jahreszeiten“ schuf der Komponist allerdings auch Werke, die weit seltener zu hören sind. Die Konzerte für vier Violinen aus der Sammlung L’ Estro Armonico gehören zu diesen Raritäten. Auf dieser CD aus dem Hause Berlin Classics haben die Konzertmeister des renommierten Alte-Musik-Ensembles Concerto Köln noch einige weitere Musikstücke hinzugefügt, die ähnlich hohe Ansprüche an die Kunstfertigkeit der Virtuosen stellen. 

Evgeny Sviridov ist Solist im Concerto E-Dur op.11 Nr. 9 von Francesco Antonio Bonporti, der junge spanische Geiger Jesús Merino Ruiz interpretiert das Concerto in g-Moll op. 3 Nr. 6 von Pietro Castrucci. Das komplette Solistenquartett spielt zudem im Concerto in a-Moll op. 7 Nr. 11 von Giuseppe Valentini, und im Concerto in F-Dur op. 4 Nr. 12 von Pietro Antonio Locatelli. Letzteres erweist sich als ein funkensprühend brillantes Stück, in dem die „quattro violini obbligati“ so raffiniert miteinander konzertieren, dass der Zuhörer mitunter glaubt, nur ein Instrument zu hören. 

Es ist ohnehin faszinierend, wie harmonisch Mayumi Hirasaki, Shunske Sato, Evgeny Sviridov, Jesús Merino Ruiz als Gast und die anderen Mitglieder des Ensembles Concerto Köln miteinander musizieren. Aufgewachsen und ausgebildet rund um den Globus, bringen die Musiker hier all ihr Können und ihre Leidenschaft zusammen, um mit sehr viel Musizierlust ihr Publikum zu begeistern. Das Ergebnis ist ein Album der Extraklasse, und es vermag auch klanglich-technisch rundum zu überzeugen. 


Freitag, 20. November 2020

Nunc dimittis - Music from the Düben Collection (Passacaille)

 

Sammlungen zusammenzutragen, das war einstmals nicht nur repräsentatives Hobby gekrönter Häupter, sondern auch für Musiker eine Notwendigkeit. Denn über Jahrhunderte wurden Noten ausschließlich in Form von Abschriften weitergegeben. Wer also die Aufgabe hatte, einer Kapelle vorzustehen, der wurde damit fast automatisch notgedrungen auch zu einem Knotenpunkt in einem europäischen Netzwerk, in dem Kompositionen weiterverbreitet worden sind. 

Besonders sichtbar wird dies am Beispiel von Gustav Düben (1628 bis 1690). Er war der Sohn eines Organisten, der aus Deutschland stammte, bei Jan Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam studiert hatte und dann in schwedische Dienste getreten war. Nach einer Studienreise durch Norddeutschland konnte auch Gustav Düben Mitglied der königlichen Hofkapelle werden. 1663 wurde er als Organist der deutschen Kirche von Stockholm sowie als Hofkapellmeister Amtsnachfolger seines Vaters. 

Die Musikaliensammlung, die Gustav Düben im Verlaufe seiner Amtszeit zusammengetragen hat, ist erhalten geblieben. Sie wurde von der Familie 1732 als Schenkung an die Universitätsbibliothek Uppsala übergeben, und sie gilt heute als in Qualität und Umfang einzigartiges Zeugnis europäischer Musikgeschichte. Knapp 2.000 Manuskripte und Notendrucke umfasst die Sammlung Düben. Die Musikstücke stammten dabei nicht nur von Musikerkollegen aus dem Osterseeraum, sondern auch aus wichtigen europäischen Musikmetropolen wie Paris, Wien oder Rom. 

Die Noten kann man sich im Internet anschauen; ediert ist nur ein kleiner Teil davon. Dass die Beschäftigung mit dieser musikalischen Schatzkammer aber lohnt, beweist die vorliegende CD, veröffentlicht bei Passacaille durch Dominik Wörner und das Kirchheimer Dübenconsort. Das mit namhaften „Alte-Musik“-Spezialisten erstklassig besetzte Ensemble lädt unter der Leitung von Jörg-Andreas Bötticher zu Entdeckungen ein – und davon gibt es eine ganze Menge. 

Denn für diese Aufnahme haben die Musiker gemeinsam mit dem Bassbariton zwölf Stücke aus der Düben-Sammlung ausgewählt; die meisten davon erklingen in Weltersteinspielung. In dem Programm stehen Solo-Kantaten von Samuel Capricornius (1628 bis 1665), Johann Krieger (1651 bis 1735), Kaspar Förster (1616 bis 1673) und Carlo Pallavicino (1630 bis 1688) neben anspruchsvoller Instrumentalmusik beispielsweise von Johann Michael Nicolai (1629 bis 1685) oder Sebastian Knüpfer (1633 bis 1735). Zu hören ist auch die Vertonung des Nunc dimittis durch Heinrich Schütz (1585 bis 1672), allerdings in einer Version mit drei zusätzlichen Mittelstimmen, die Gustav Düben hinzugefügt hat.


Joseph Haydn and his London Disciples (Genuin)


Als Joseph Haydn (1732 bis 1809) einst aus der ungarischen Provinz nach London kam, wurde er dort von der Gesellschaft begeistert gefeiert. Die Kompositionen des Musikers waren in Großbritannien bekannt und beliebt; unter den Neugierigen, die versuchten, den maestro persönlich zu treffen, waren auch etliche Kollegen. Viele behaupteten, Haydns Schüler gewesen zu sein – Rebecca Maurer hat für diese CD zwei Musiker aufgespürt, die wohl tatsächlich eine Verbindung zu dem Hochgeehrten hatten. 
Thomas Haigh, ein Geiger und Pianist aus Manchester, über den sonst nicht viel bekannt ist, hat neben eigenen Werken auch eine große Anzahl von Klavierarrangements populärer Musikstücke geschaffen. Mit Haydns Kompositionen hat er sich gründlich auseinandergesetzt, denn er hat etliche seiner Sinfonien und Ouvertüren für das Klavier bearbeitet. 
Rebecca Maurer stellt allerdings Werke vor, in denen Haigh in origineller Weise Vorbild und eigene musikalische Gedanken verbindet: Three Canzonetta’s of Dr. Haydn’s Arranged as Rondos for the Piano Forte sind kurz nach Haydns English Canzonettas um 1796 publiziert worden. Eine Fantaisie, veröffentlicht 1817, kombiniert muntere Tanzmelodien, Zitate aus Haydns Paukenwirbel-Sinfonie und Variationen über Gott erhalte Franz den Kaiser. Haydn war bekanntermaßen ein Mann von Humor; diese skurrile Zusammenstellung reicht aber weit über das hinaus, was er selbst in seinen Werken an musikalischen Scherzen versteckt hat. 
Christian Ignatius Latrobe (1758 bis 1836) traf Joseph Haydn 1791, und er widmete seinem Idol noch im gleichen Jahr die Three Sonatas for the Pianoforte op. 3. Rebecca Maurer hat für diese Einspielung daraus einen langsamen Satz der Sonata I in A Dur ausgewählt. Im Kontrast zu diesen Werken, die durchweg wohl eher für das häusliche Musizieren entstanden sind, interpretiert die Pianistin aber auch Haydns für den Konzertsaal bestimmte Sonaten in Es-Dur Hob. XVI:52 und C-Dur Hob. XVI:50. Es sind dies virtuose Werke, perfekt auf die damaligen Bedürfnisse der besten Pianisten Londons und auch auf die Möglichkeiten der englischen Instrumente abgestimmt. 
Wie faszinierend diese Musik einstmals geklungen hat, das demonstriert Rebecca Maurer mit dieser CD. Denn die international gefragte Hammerklavier-Virtuosin konnte für die Aufnahme ein originales Londoner Fortepiano von 1816 aus der Werkstatt von John Broadwood & Sons nutzen. Es befindet sich heute in Salzburg, in der Sammlung von Thomas Albertus Irnberger. Dort ist die Einspielung auch aufgezeichnet worden. 
Zuvor hatte sich Maurer mit dem Instrument ausgiebig vertraut gemacht, und seine Klangmöglichkeiten und Spieleigenschaften sorgsam erkundet. Das Ergebnis ist eine faszinierende, bis ins letzte Detail stilsichere und zudem mitunter augenzwinkernde Interpretation. Rebecca Maurer präsentiert sowohl die Musikstücke – überwiegend in Weltersteinspielungen – als auch das historische Instrument wunderbar. Hinreißend! 

Telemann (Accent)


Einmal mehr widmet sich Dorothee Mields dem Werk Georg Philipp Telemanns. Gemeinsam mit dem Blockflötisten Stefan Temmingh, Domen Marinčič, Viola da gamba, Daniel Rosin, Barock-Violoncello, und Wiebke Weidanz, Cembalo, hat die Sopranistin für diese Aufnahme bei Accent ein höchst ansprechendes Programm zusammengestellt. Neben drei Solo-Kantaten aus dem Jahrgang 1725/26, im Druck erschienen unter dem Titel Harmonischer Gottesdienst, haben die Musiker dafür auch eine Sonatine sowie drei Triosonaten ausgewählt. Diese musikalisch sehr abwechslungsreichen Stücke, von den Instrumentalisten virtuos prädentiert, erweisen sich als hochkarätige Fassung für die bewusst kurz und prägnant gehaltenen Kirchenkantaten, die dennoch bis zum heutigen Tage als Juwelen des Repertoires gelten können. Bravi!