Mittwoch, 29. Juni 2011

Mozart: Complete Fortepiano Concertos; Sofronitsky (Etcetera)

Elf CD umfasst diese beeindruckende Box, die alle Konzerte enthält, die Mozart jemals für Fortepiano und Cembalo komponiert oder arrangiert hat. In den Jahren nach 1773 scheint das Hammerklavier Mozarts Lieb- lingsinstrument geworden zu sein. Denn sämtliche Arrangements für Cembalo stammen aus der Zeit da- vor. 
Das Fortepiano war damals noch neu und relativ wenig verbreitet, doch der Komponist erkannte seine Bedeutung sofort und widmete sich ihm mit Begeisterung. 1782 erwarb Mozart ein Hammerklavier des Wiener Klavierbauers Gabriel Anton Walter. Sein Sohn Carl, der dieses Instrument dem Mozarteum Salzburg stiftete, schrieb einmal, sein Vater habe dieses Fortepiano derart geschätzt, dass er auf keinem anderen mehr spielen wollte, und es auch bei allen Konzerten benutzte. So wird auch auf den vorliegenden CD einzig dort, wo es um die (frühen) Werke für Cembalo geht, ein solches Instrument gespielt. Es stammt aus der Werkstatt von Yves Beaupré; ansonsten erklingt durchweg ein  Fortepiano von Paul McNulty,  einem renommierten Klavierbauer, der für exzellente Nachbauten unter anderem von Instrumenten Anton Walters bekannt ist. 
Meines Wissens ist dies das erste Mozart-Gesamteinspielung, die konsequent auf die sogenannte historische Aufführungspraxis setzt. Das hat Vorteile - so kommen interessante Klangfarben zum Vor- schein, und an Mozarts Werken werden mitunter Details hörbar, die moderne Instrumente eher verdecken. Denn die frühen Fortepianos waren klanglich noch mehr dem Cembalo verwandt als unserem heutigen Konzertflügel. Allerdings gilt das auch für ihre Lautstärke, was zur Folge hat, dass das Musicae Antiquae Collegium Varsoviense, dirigiert von Tadeusz Karolak, die Aufnahme unangenehm massiv dominiert. Und was insbesondere von den Bläsern zu hören ist, das ist auch nicht durchweg erfreulich. 
An den Tasteninstrumenten zu erleben ist Viviana Sofronitzkaja, Tochter des russisschen Pianisten Wladimir Sofronitzki. Sie hat in Moskau und Den Haag studiert, und zahlreiche Wettbewerbe ge- wonnen. Ihre Technik ist zweifellos brillant. Das ändert aber nichts daran, dass ihre Mozart-Interpretation ziemlich geist- und witzlos ist; da knistert nichts. So bringt die "historische" Spielweise keinen Mehr- wert. Schade.

Telemann and the Leipzig Opera (Pan Classics)

Als Bach nach Leipzig kam, war die Leipziger Oper schon Geschichte. Sie begann 1692 in einem Hinter- hof am Leipziger Brühl, und zwar auf Initiative von  Nicolaus Adam Strungk (1640 bis 1700), der dafür ein Privileg von seinem Dienst- herrn, dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg III., erhielt. Musiziert wurde ausschließlich während der dreimal jährlich stattfindenden Messen; so konnte Strungk auch seinen Dienstpflichten als Hofkapellmeister in Dresden nachkommen. Allerdings scheint die Leipziger Oper finanziell nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein; Strungks Biographen berich- ten, der Maestro habe kräftig Geld zusetzen müssen.  
Nach Strungks Tod wurde das Unternehmen zwar von seinen Nach- kommen weitergeführt, lebte aber künstlerisch vom Engagement der Leipziger Studenten. So saßen auch Johann Friedrich Fasch, Johann Georg Pisendel, Christoph Graupner und Gottfried Heinrich Stölzel zeitweise dort im Orchestergraben. Georg Philipp Telemann und Johann David Heinichen, die damals ebenfalls in der Messestadt studierten,  schrieben fleißig Stücke dafür. 
Doch auch die Intrigen rings um den Spielbetrieb müssen erhebliches Format gehabt haben. Streitereien unter den Nachkommen Strungks – er hatte fünf Töchter, die wohl teilweise selbst als Sängerinnen auf der Bühne standen, und obendrein überwiegend mit Musikern ver- heiratet waren – führten endgültig 1720 zum Bankrott der Oper und zur Einstellung des Spielbetriebes. 
Michael Maul, der eine Monographie über die Barockoper in Leipzig geschrieben hat, zählte immerhin 74 Opern, die zwischen Gründung und Untergang dort aufgeführt wurden. Doch die Musik, die seinerzeit erklang, galt lange als verloren. Zwar waren einige Textbücher vor- handen. Doch lediglich von einigen wenigen Arien waren auch Noten überliefert. Dann aber rückte eine Handschrift in den Blickpunkt der Forscher, die sich in der Musikbibliothek Leipzig befindet und auch seit langem bekannt war. Ihr Titel: Musicalische RüstKammer: / auff der Harffe aus allerhand schönen und lustigen / Arien, Menuetten, Sarabanden, Gigven / und Märschen, bestehend aus / allen Thonen. / 1719. 
In dem Buch sind hundert kleine Musikstücke notiert, bei den meisten steht zudem Text, aber kein Urheber. Deshalb wurde lange vermutet, es handele sich um eine Sammlung von Modetänzen, denen ein Harfenspieler willkürlich deutsche Texte unterlegt hat. Jetzt haben Musikwissenschaftler genauer hingesehen - und festgestellt, dass die Texte aus den Libretti der Leipziger Opern stammen. So darf man davon ausgehen, dass jener unbekannte Harfenspieler seinerzeit in seinem Buch die beliebtesten Stücke zusammengetragen hat, die damals in Leipzig gesungen wurden - viele davon stammten von der Opernbühne. Der Tenor Jan Kobow und das United Continuo En- semble haben einige davon auf dieser CD wieder zum Klingen ge- bracht.
Sie sind amüsant bis frech, musikalisch nicht ohne Anspruch, und komödiantisch oftmals wahre Leckerbissen. Bachpreisträger Kobow lässt sich das nicht entgehen. Mit seiner unbändigen (und unüber- hörbaren) Spiellust gleicht  er aus, dass das Continuo nur begrenzt Farbe und Abwechslung bringen kann. Jörg Meder, Viola da gamba und Violone, Axel Wolf, Theorbe, Dennis Götte, Erzlaute und Ba- rockgitarre, Bernward Jaime Rudolph, Barockgitarre, Zita Miki- janska, Cembalo und Margit Schultheiß, Harfe, musizieren routiniert. Doch die originalen Stimmen sind nun einmal verloren. Wie das Opernorchester zu Telemanns Zeiten tatsächlich besetzt war, und wie es geklungen hat, das wird sich über Vergleiche nur annähernd erkunden lassen. Insofern ist diese Rekonstruktion, gerade weil sie diese Leerstelle hörbar macht, durchaus gelungen. 

Montag, 27. Juni 2011

Beethoven: Piano Sonatas vol. 4; Gieseking (Idis)

Walter Wilhelm Gieseking (1895 bis 1965) gehört zu den Pianistenle- genden des vergangenen Jahrhun- derts. Unterwiesen wurde er am Städtischen Konservatorium Hannover durch Karl Leimer. Seine einzigartige Technik gab er später auch selbst als Professor an der Hochschule für Musik Saar an seine Meisterschüler weiter. 
Giesekings Klavierspiel zeichnete sich durch eine stupende Technik, einen außerordentlich nuancierten Anschlag und ein überaus reiches Spektrum an Klangfarben aus. Das machte ihn zu einem legendären Interpreten insbesondere impressionistischer Musik. Sein Repertoire war jedoch sehr umfangreich; Gieseking soll über grandiose Fertig- keiten im Blattspiel  verfügt haben, und über ein phänomenales Ge- dächtnis.
Seine Beethoven-Interpretationen sind eher umstritten; so soll Claudio Arrau gesagt haben, Giesekings Ton passe nicht zu den Sona- ten des Komponisten. In jedem Falle beeindrucken die Mitschnitte aus dem Jahre 1949, die hier auf zwei CD vorliegen, durch die unge- heure Leichtigkeit, mit der der Pianist Beethovens Werke spielt.

Das Lieben bringt groß Freud! German Folk Songs (MDG)

Dem deutschen Volkslied galt die besondere Liebe und Fürsorge der Romantiker. Dabei sahen sie diesen Begriff mitnichten museal-histo- risch. Wenn ein Lied überall gegen- wärtig ist, so dass der Name des Urhebers bedeutungslos werde, dann sei es ein Volkslied, befand Anton Wilhelm von Zuccalmaglio: "Wenn die ganze Zauberflöte ein- mal vom Volk gesungen würde, hätte selbst Mozart sein Recht daran verloren." 
Zugleich rückte die Musik von Kirche und Hof in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. Überall wurden Gesangsvereine gegründet, und all diese Liedertafeln be- nötigten Repertoire. Komponisten wie Friedrich Silcher (1789 bis 1860) lieferten diesen Chören gut klingende, einfach zu singende Chorsätze - und wenn gerade keine Volkslieder parat waren, wurden welche geschaffen; Texte fanden sich im Schaffen von Lyrikern wie Eichendorff, Uhland oder Heine, und da bis zum heutigen Tage buchstäblich jeder Männerchor diese Lieder singt, wurden sie bald ebenfalls als Volkslieder angesehen. 
Auch Max Reger (1873 bis 1916) erlebte solche Männergesangs- vereine; und er schrieb selbst etliche Chorsätze, die er dem Münchner Lehrergesangverein, dem Regensburger Liederkranz und dem Wiener Männergesangverein widmete. Allerdings schreibt er nicht "aus dem Volk für das Volk"; seine Bearbeitungen machen das Lied kompro- misslos zum Kunstlied. Moritz Kässmeyer (1831 bis 1884) schließlich, seit 1854 Konzertmeister bei den Wiener Philharmonikern, macht aus den schlichten Volksliedern einen virtuosen musikalischen Spaß für Instrumentalisten. 
In diesem Spannungsfeld agiert die vorliegende CD. Die Sänger des Leipziger Vokalensembles Amarcord teilen sie sich mit dem ebenfalls renommierten Leipziger Streichquartett. Die fünf Sänger beein- drucken durch ihren blitzsauberen, perfekt abgestimmten Vortrag. Der Sieg in diesem musikalischen Wettstreit freilich geht an die Instrumentalisten, denn der eher schlichte Satzgesang der Silcher-Arrangements und die raffinierten harmonischen Experimente Regers haben es neben den Wiener Scherzen Kässmeyers ausge- sprochen schwer - zumal, wenn sie so charmant vorgetragen werden. 

Sonntag, 26. Juni 2011

Schirokkos Telemann (Ambitus)

„Neuentdeckte Geistliche Arien“, steht als Untertitel wie ein Motto über dieser CD. Sie befinden sich in dem Manuskript Etliche Geistliche Arien, TWV 10:13 bis 10:20, aus der Staatsbibliothek Hamburg – acht Stück sind es also, und sie sind sämtlich auf dieser CD zu finden. Die Musiker des Ensembles Schirokko um Rachel Harris haben sie um Telemanns Violinkonzert in a-Moll sowie durch passende Cho- ralstrophen ergänzt, die instru- mentaliter vorgetragen werden. An einer Stelle grüßt mit der großartigen Arp-Schnitger-Orgel, gespielt durch Martin Böcker, sogar der Ort, an dem diese Aufnahme aufge- zeichnet wurde – die Kirche Ss. Cosmae et Damiani Stade. Diese Werke Telemanns  waren lang verschollen; sie lagen als "Beute- kunst" in St. Petersburg, und wurden erst 1992 in die Bestände der Staatsbibliothek Hamburg zurückgeführt. Die Texte der Arien sind im Beiheft – anders als auf der CD, die einer musikalischen Logik folgt – in ihrer korrekten Reihenfolge abgedruckt. Sie mahnen, ganz im Stile der Zeit ihrer Entstehung, zu einem Gott gefälligen Leben und drohen Sündern die entsprechenden Strafen an. 
Das liest sich heute gewöhnungsbedürftig; und so fühlte sich Rachel Harris, die Gründerin und Leiterin des Ensembles Schirokko Hamburg, dazu herausgefordert, sie im Beiheft durch einen Essay über das Glück und den Müßiggang zu begleiten. Ob dieser Aufsatz tiefer geht als Telemanns Texte, das freilich mag jeder selbst ent- scheiden.
Die Arien jedenfalls sind hörenswert, und Sopranistin Tanya Aspelmeier singt mit geschmeidiger, fokussierter, schlanker Stimme, was man ebenfalls mit Vergnügen anhört. Ihre Textverständlichkeit freilich könnte besser sein, was jedoch bei diesen Stücken wenig ins Gewicht fällt. Die Musiker des Ensembles Schirokko zeigen sich engagiert, und sie überzeugen mit Witz  und Spielfreude. Bravi!

Karlowicz: Serenade - Violin Concerto (Naxos)

Mieczyslaw Karlowicz (1876 bis 1909) gehört zu den polnischen Patrioten, die sich um die Jahr- hundertwende unter dem Banner des "Jungen Polen" formierten. Dabei hatte er den größten Teil seiner Kindheit und Jugend mit- nichten in Polen verbracht. Als der Knabe sechs Jahre alt war, ver- kauften seine Eltern ihr Gut in Wiszniew - heute gehört die Region zu Litauen - und lebten zunächst in Heidelberg, Prag und Dresden, um dann nach Warschau zu ziehen. 
Karlowicz erhielt bereits als Siebenjähriger in Dresden Violinstunden; später studierte er an der Musikakademie Warschau sowie in Berlin und Leipzig. Er komponierte seine ersten Werke, und wirkte als Vor- sitzender der Musikgesellschaft Warschau. Die Serenade in C, op. 2, war sein erstes Werk für Orchester. Sie entstand im Rahmen seines Studiums bei Hendryk Urban, und wurde 1897 bei einem Konzert speziell mit Werken von Studierenden in Berlin uraufgeführt. Sie zeigt einen Komponisten, der die Klangmöglichkeiten eines Streich- orchesters bereits routiniert einsetzt, und die Zuhörer immer wieder durch unerwartete harmonische Wendungen überrascht. Leider ist das Werk Karlowicz' im Umfang eher bescheiden; der Musiker begeisterte sich für das Leben in der Hohen Tatra, insbesondere auch für das Bergsteigen und Skifahren. 1909 kam er in einer Lawine ums Leben. Obendrein ging ein Teil seiner Manuskripte während des Zweiten Weltkrieges in Warschau verloren.  
Desto verdienstvoller ist die Gesamtaufnahme seiner Werke, die Naxos derzeit schrittweise erarbeitet. Auf der vorliegenden CD musiziert die Filharmonia Narodowa, das Warschauer Philharmo- nische Orchester. Antoni Wit, der das Orchester seit 2002 leitet, zaubert mit seinen Musikern Klangfarben, und platziert die Serenade auf der Schwelle zwischen Romantik und Moderne. Ilja Kaler ist der Solist des Violinkonzertes. Der Geiger stammt aus einer russischen Musikerfamilie, und studierte am Moskauer Konservatorium bei Viktor Tretjakow, Leonid Kogan, Sinaida Gilels und Abram Stern. Er gewann Goldmedaillen beim Paganini-, Sibelius- und Tschaikowski-Wettbewerb, drei bedeutenden Violinwettbewerben, und musiziert weltweit mit führenden Orchestern. Kaler ist zudem ein gefragter Musikpädagoge; er unterrichtet als Professor an Musikhochschulen in den USA, wo er auch lebt. Kaler spielt brillant; da wird jede Phrase mit Sorgfalt gestaltet, und jeder Bogenstrich erfolgt wohlüberlegt. 
Karlowicz' Violinkonzert  in A-Dur, op. 8, entstand 1902 für den polnischen Geiger Stanislaw Bacewicz, einem Studienkameraden aus Warschauer Tagen. Man merkt es dem Konzert durchaus an, dass sein Komponist das Instrument exzellent beherrscht hat; es steht durch- aus in der Tradition der großen Virtuosenkonzerte des 19. Jahrhun- derts, aber es erschöpft sich darin nicht. Insofern ist es erstaunlich, dass dieses ausdrucksstarke Konzert so selten im Konzert erklingt. Auf dieser CD zeigt Ilja Kaler, dass es nicht nur ein anspruchsvolles, sondern auch ein attraktives Werk ist, dem man einen festen Platz im Repertoire wünscht. 

Samstag, 25. Juni 2011

Smetana: Má vlast (fok)

Inspiriert durch das Vorbild Liszts, schuf der tschechische Komponist Bedrich Smetana (1824 bis 1884) eine Reihe sinfonischer Dichtun- gen. Dabei verarbeitete er sowohl Anregungen durch literarische Werke, als auch Sagen und Reise- erlebnisse aus seiner Heimat. Das berühmteste Werk Smetanas ist Má vlast, Mein Vaterland, ein Zyklus, der aus sechs Symphonischen Dichtungen für großes Orchester besteht, und die Schönheiten und die Mythen Tschechiens schildert. Der erste Teil, Vysehrad, berichtet von der gleichnamigen Prager Burg. Das Werk beginnt mit den Harfenklängen des Sänger Lumír, es zeigt die Burg in ihrer ganzen Pracht, umkämpft, und als Ruine, über die noch einmal der Gesang Lumírs schallt - und das Murmeln der Moldau.
Vltava, Die Moldau, beschreibt musikalisch den Lauf des Flusses von seiner Quelle bis zur Mündung in die Elbe. Es ist das bekannteste und auch beliebteste Stück aus diesem Zyklus.  Sárka erzählt vom soge- nannten Mägdekrieg: Die schöne Amazone lockt einen Prinzen in eine raffinierte Falle, heiratet ihn sogar. Doch als er mit seinem Gefolge eingeschlafen ist, ruft sie mit dem vereinbarten Hornsignal ihre Ge- fährtinnen herbei - zum finalen Blutbad.
Z ceskych luhu a háju, Aus Böhmens Hain und Flur, fasst die Gedan- ken und Gefühle des Komponisten beim Anblick der heimatlichen Landschaft in Musik. Tábor war einst ein Hauptlager der Hussiten. Im 19. Jahrhundert wurde es ein wichtiges Zentrum und ein Symbol für die Bewegung, die sich für eine Loslösung von Österreich und die Wiedergeburt der tschechischen Nation einsetzte. Das Stück beruht auf dem alten Hussitenchoral Die ihr Gotteskämpfer seid.
Diesen Gedanken führt Blaník weiter. Dieses Werk zitiert eine Sage, der zufolge in dem gleichnamigen Berg ein tschechisches Ritterheer, geführt vom Heiligen Wenzel, schlummert. Es wird dem Lande in schlechtesten Zeiten zu Hilfe eilen.
Seine Uraufführung erlebte das Werk 1882, und es wurde von den Tschechen, die für die Loslösung von Österreich eintraten, begeistert gefeiert. Noch heute wird mit Má Vlast alljährlich am 12. Mai, dem Todestag des Komponisten, das Musikfestival Prager Frühling eröffnet. 
Und wer könnte berufener sein, das Poem zu interpretieren, als das Symfonicky orchestr hl. m. Prahy FOK, das Prager Sinfonieorchester? Bei diesem Konzertmitschnitt vom Oktober 2008, aufgezeichnet im Smetana-Saal des berühmten Prager Gemeindehauses, dirigierte Tomás Netopil.

Pleyel: Piano Trios (cpo)

„Ich arbeite gegenwärtig für Salo- mons Concert“, schrieb Joseph Haydn im Januar 1792 in einem Brief aus London nach Wien, „und bin bemüssigt mir all erdenckliche mühe zu geben, weil unsere geg- ner die Professional versamlung meinen schüller Pleyel von Strass- burg haben anhero kommen lassen, um Ihre Concerte zu Diri- giren. Es wird also einen blutig Harmonischen Krieg absezen zwi- schen dem Meister und schüller“. Doch der Skandal, auf den die beiden Konzertveranstalter Johann Peter Salomon und Wilhelm Cramer möglicherweise spekulierten, bleibt aus. Statt dessen ver- bringen Haydn, der alte Lehrer, und Pleyel, ganz der bescheidene Schüler, viel Zeit gemeinsam – und man einigt sich darauf, dass die Veranstalter sich in die Werke der beiden Stars teilen.
Gerade 15 Jahre alt war Ignaz Pleyel (1757 bis 1831), als ihn Graf Ladislaus Erdödy nach Eisenstadt schickt. Der Graf bezahlte ihm den Aufenthalt am Hofe Esterházy, wo Pleyel immerhin fünf Jahre lang Haydns Schüler und Kostgänger war. Anschließend trat Pleyel seine erste Stelle an – als Kapellmeister seines Mäzens. Nach einer Italien-Reise wurde er erst Assistent und dann Kapellmeister am Straßburger Münster. Doch dann kam die Französische Revolution, und damit war die Kirchenmusik vorerst zu Ende. Da nahm Pleyel das Angebot Cramers gern an – zumal er in London genug Geld verdiente, um sich nach seiner Rückkehr das Chateau d’Ittenwiller unweit von Straßburg zu kaufen. Und auch später erwies sich Pleyel als ein geschäftstüch- tiger Mann, der Chancen erkannte und mit Geschick nutzte.
Diese CD enthält vier seiner Klaviertrios. Es sind durchweg abwechs- lungsreiche Stücke, die so manche hübsche Idee aufweisen, und alle drei beteiligten Instrumente gleichermaßen zur Geltung kommen lassen. Das Trio 1790, spezialisiert auf die Zeitspanne zwischen der Entstehung der Gattung Klaviertrio um 1760 und dem Ausklang der Wiener Klassik um 1820, serviert Pleyels Musik gefällig und auch ein bisschen pikant. Annette Wehnert, Violine, Imola Gombos/Jennifer Morsches, Violoncello und Harald Hoeren, Fortepiano/Cembalo, musizieren schwungvoll und sehr harmonisch. Eine gelungene Einspielung, die hier empfohlen werden kann.

Bach: Cello Suites; Rostropovich (Supraphon)

Mstislaw Leopoldowitsch Rostro- powitsch (1927 bis 2007) hat sich, ähnlich wie Pablo Casals, sein Leben lang mit Bachs Cello-Suiten auseinandergesetzt. 1991 spielte er in der Basilika Sainte-Madelaine in der burgundischen Benediktiner-Abtei Vézelay die sechs berühmten Werke hintereinander ein. Diese Aufnahme ist  bei EMI erschienen  und gilt als Referenzaufnahme.
Im Archiv des tschechischen Rundfunks fand sich eine weitere Gesamtaufnahme. Sie ist ein Mit- schnitt vom zehnten Musikfestival Prager Frühling aus dem Jahre 1955. Das war für Rostropowitsch eine schicksalhafte Veranstaltung – denn beim Essen in dem Hotel, in dem die sowjetische Delegation wohnte, lernte er eine junge Dame kennen, die ihn faszinierte: Galina Wischnewskaja vom Bolschoi-Theater, damals 28 Jahre alt, gab mit der Tatjana in Tschaikowskis Oper Eugen Onegin ihr Auslandsdebüt. Rostropowitsch war Zweiter Vorsitzender der Jury des Violoncello-Wettbewerbs, und trat zudem an drei Abenden auf. Dennoch fanden der Cellist und die Sängerin Gelegenheit, ihren Aufpassern auszu- büchsen, und durch Prag zu schlendern. Zurück in Moskau, heirate- ten sie.
Der Stadt Prag blieb Rostropowitsch zeitlebens verbunden. Allerdings hielt der Künstler ziemlich wenig von der politischen Führung seines Landes, und er trat stets entschieden für Menschenrechte und Demo- kratie ein. So weigerte er sich nach dem Einmarsch russischer Trup- pen in die damalige Tschechoslowakei 1968 strikt, dort aufzutreten, solange seine Landsleute als Besatzer im Lande sind. 1974 ging der Cellist mit seiner Familie für lange Jahre ins Exil. Auch wenn er in Moskau gestorben ist - der Musiker blieb bis ans Ende seines Lebens ohne Staatsangehörigkeit.
Fünfzehn Tage nach dem Abzug der russischen Armee reiste Rostro- powitsch zu einem außerordentlichen Konzert des Prager Frühlings an, eingeladen durch Präsident Václav Havel. Prag liebte den Cellisten: 1998 war er zum letzten Mal in der Stadt an der Moldau, um dort den Karlspreis entgegenzunehmen. In dem Mitschnitt aus dem Jahr 1955 ist etwas von dem Zauber dieser besonderen Beziehung zwischen dem Musiker und der Goldenen Stadt zu spüren. Die Auf- nahme ist zwar nur Mono, aber sie wurde liebevoll remastert, und vermittelt einen exzellenten Eindruck von dem klangschönen, emotional ergreifenden Spiel Rostropowitschs. Der Ausnahmecellist spielt Bachs Suiten eher meditiativ als betont artistisch – das ist nicht Barock, aber es ist in sich stimmig, und wunderschön.

Freitag, 24. Juni 2011

Simon O’Neill, Father and Son – Wagner Scenes and Arias (EMI Classics)

Kaum zu glauben, aber dieser Te- nor hat auch den Tamino gesungen – als Debüt bei den Salzburger Festspielen. 1971 in Neuseeland geboren, studierte Simon O’Neill an verschiedenen Musikhochschu- len, zuletzt am Juilliard Opera Center. Seit 2001 erarbeitet der Sänger unter Anleitung von Sir Donald McIntyre die Tenor-Par- tien Richard Wagners. Er gewann den Wettbewerb der britischen Wagner Society, und übernahm an der Metropolitan Opera die Partie des Siegmund von Placido Domingo – kein schlechter Start in eine Karriere als Wagner-Sänger. Mittlerweile hat O’Neill am Royal Opera House, in Wien, Berlin, München und Hamburg sowie in Bayreuth und in Mailand gesungen.
Seine Stimme ist, obzwar nicht immer unangestrengt, kraftvoll und tragfähig. Sie klingt männlich und strahlend; O’Neill ist zudem in der Lage, sie stark einzufärben, was zu den Helden Wagners besser passt als ein allzu helles, glattes Timbre. „Im Mittelpunkt dieser CD stehen Siegmund und Siegfried, die beiden großen Tenöre im Ring“, sagt O’Neill. „Ich bin geradezu verrückt nach diesen Rollen, und zwar nicht nur allein wegen ihrer Musik, sondern auch aufgrund der Gesamtwerke, zu denen sie gehören.“
Siegmund, der Sohn des Göttervaters Wotan mit einer Menschin, findet im Hause Hundings nicht nur das ihm verheißene Schwert, sondern auch seine Schwester Sieglinde. Siegfried, der Sohn des inzestuösen Paares, aufgewachsen bei Ziehvater Mime, muss sich später den Weg zu jener Braut freikämpfen, die ihm das Waldvöglein verheißen hat: Brünnhilde, die in Waffen und Rüstung im Feuerring schläft. Und natürlich ist auf dieser CD auch Siegfrieds Sterbeszene zu finden, flankiert von Rheinfahrt und Trauermarsch. Es musiziert das New Zealand Symphony Orchestra unter Leitung des jungen finni- schen Dirigenten Pietari Inkinen – und das gar nicht mal schlecht.
Das zweite Vater-Sohn-Paar , dem diese CD gilt, sind Parsifal und Lohengrin. Durch Elsas Neugier sieht sich Lohengrin gezwungen, seine Herkunft preiszugeben – und zum Gral zurückzukehren, wie es den Gralsrittern vorgeschrieben ist: „Erkennt ihr ihn, dann muß er von euch ziehn.“
Damit beginnt die CD; Lohengrin lässt ein Schwert, ein Horn und einen Ring zurück, die schließlich mit Siegfried wieder auf die Bühne gelangen.
„Das Album endet mit meinem persönlichen Favoriten dieses Repertoirebereichs“, so O’Neill, „mit Parsifals atemberaubendem ,Nur eine Waffe taugt’.“ So schließt sich der Kreis, und auch das Porträt des Sängers erhält eine weitere Facette. O’Neill gestaltet die Abgründe und die diversen Schrammen von Wagners Figuren mit Intelligenz; man darf gespannt sein, welche Opern er noch für sich entdeckt.

Vivaldi: The Best of La Cetra II (Dynamic)

Eine ganze Reihe von Violin- konzerten hat Vivaldi Kaiser Karl VI. gewidmet; er nannte die Sammlung La Cetra, "die Zither", als ein Symbol für die Musikliebe des Hauses Habsburg. Einige dieser Werke wurden 1727 in Amsterdam als op. 9 gedruckt. Ein zweiter Teil, noch einmal 12 Konzerte, befindet sich als Handschrift in Wien; sie tragen ebenfalls den Titel La Cetra, und wurden durch die Hand des Schreibers auf das Jahr 1728 da- tiert – in jenem Jahr traf der Kaiser Vivaldi. Nur ein Konzert ist in beiden Sammlungen identisch. 
Dieses Phänomen wird möglicherweise unerklärlich bleiben; doch das Wiener Manuskript enthält einige der schönsten Konzerte des Vene- zianers, meint Giovanni Guglielmo und hat mit den Musikern seines Ensembles L’Arte dell’Arco sechs Violinkonzerte aus La Cetra II ausgewählt, und auf dieser CD eingespielt. Wer die eher klassische Vivaldi-Interpretation liebt, der wird mit dieser Aufnahme hoch- zufrieden sein.

Rode: 12 Etudes for Violin Solo, Duos for 2 Violins (Naxos)

Jacques Pierre Joseph Rode (1774 bis 1830) war ein Schüler von Gio- vanni Battista Viotti, der wiederum als Begründer der legendären französischen Violintradition gilt. Rode war zunächst sehr erfolgreich als Virtuose, und hat sich auch als Violinpädagoge gemeinsam mit seinen Kollegen Pierre Baillot und Rodolphe Kreutzer große Verdien- ste erworben. Er zog auf seinen Konzertreisen durch ganz Europa, wirkte von 1800 bis 1803 als Violinsolist in der Privatkapelle Napoleons und  von 1804 bis 1808 als Hofgeiger des russischen Zaren. Beethoven schrieb für ihn seine letzte Violinsonate in G-Dur op. 96. 1814 ließ er sich in Berlin nieder. Er heiratete und verkehrte unter anderem im Hause Mendelssohn, wo er ein gern gesehener Gast war. Fünf Jahre später ging er mit seiner Familie zurück nach Frank- reich.
Rode schuf etliche Werke für die Violine, darunter die 12 Etüden für Violine solo, die sich in seinem Nachlass fanden, und die technisch wie interpretatorisch höchste Ansprüche stellen. Seine Violinduos hingegen sind gehobene Hausmusik, mit vielen schönen Ideen und auch melodisch sehr reizvoll.
Es musiziert der junge Geiger Nicolas Koeckert. Er hat an der Musik- hochschule in Köln studiert, und zahlreiche internationale Preise gewonnen. So war er 2005 der erste deutsche Preisträger bei dem renommierten Internationalen Tschaikowski-Violinwettbewerb in Moskau überhaupt. Koeckert spielt mit schlankem, konzentrierten Ton. Die Etüden geben ihm Gelegenheit, ein Feuerwerk der Virtuosi- tät abzubrennen – wobei aber, um im Bild zu bleiben, nicht jede Rakete gleichermaßen zündet. Die Duette spielt er gemeinsam mit seinem Vater Rudolf Joachim Koeckert, der ebenfalls ein erfolg- reicher und sehr erfahrener Geiger ist. Es ist beeindruckend, wie die beiden Musiker diese „simplen“ Stücke durch Phrasierung, Bogen- strich, Klangfärbung etc. gestalten. Mit großer Sorgfalt machen sie so auch aus scheinbar einfachen Duetten ein Musikerlebnis. Das ist Professionalität.

Graun: Concerti (cpo)

Die Cappella Academica Frankfurt ist ein Ensemble, das aus der Hoch- schule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main, insbeson- dere aus dem Institut für Histori- sche Interpretationspraxis, hervorgegangen ist. Dort lehren Musiker, die durchweg lange Jahre in führenden europäischen Barock- orchestern gewirkt haben. Sie bringen ihre Erfahrungen in das Zusammenspiel mit ihren fortge- schrittenen Studenten ein, die in der Cappella Academica Frankfurt gemeinsam mit ihren Professoren und mit Alumni der Hochschule musizieren.
Für diese CD haben die Musikerinnen und Musiker um Konzertmeiste- rin und Solo-Bratschistin Petra Müllejans, Swantje Hoffmann, Solo-Violine, Michael Schneider, Blockflöte, Karl Kaiser, Traversflöte und Christian Beuse, Fagott, ein Programm mit Werken der Brüder Graun zusammengestellt. Natürlich haben sie versucht, die Urheberfrage zu klären. Doch das ist nicht so einfach, erläutert Michael Schneider in dem sehr informativen Beiheft. Denn erstens werden ihnen oftmals Werke zugeschrieben, die von ganz anderen Komponisten stammen. Und, zweitens, bleibt selbst bei Prüfung der Quellen oft unklar, ob ein Werk nun von Johann Gottlieb Graun oder von Carl Heinrich Graun stammt. Denn dort steht Del Signor Graun oder di Graun – und nicht einmal mit den Mitteln der Stilanalyse lässt sich genaueres heraus- finden.
Allerdings passt das Fagottkonzert auf dieser CD stilistisch überhaupt nicht zu den anderen Werken. Und in der Tat – die Handschrift ver- weist eher auf Christoph Graupner, und auch die Musik klingt nach dem Darmstädter Hofkapellmeister, der eine ganze Reihe von Fagott- konzerten geschaffen hat. Das Beiheft teilt mit, man habe dieses Kon- zert dennoch mit aufgenommen, weil es „die instrumentale Farbigkeit und das stilistische Spektrum unseres Programms noch in den Barock hinein erweitert“. Die Werke der Gebrüder Graun hingegen sind wohl eher der Empfindsamkeit zuzuordnen, und insbesondere die beiden Flötenkonzerte sind in der Tat von geradezu Telemann- scher Pfiffigkeit. All das macht diese CD zu einem Hörvergnügen. Wer neugierig ist auf die eine oder andere Entdeckung, der sollte sie durchaus anhören.

Vivaldi: Concerti op. 10 per flauto e archi (Stradivarius)

Eine gänzlich andere Auffassung der Vivaldi-Konzerte vertritt (Block-)Flötist Stefano Bagliano mit dem Collegium Pro Musica, ebenfalls ein Spezialist für „Alte“ Musik, der aber in einer etwas anderen Tradition steht. So folgen auf dieser CD die Konzerte Vivaldis brav wie im Werkverzeichnis auf- einander. Es gibt keine Klangexpe- rimente, und es wird virtuos, aber auch sehr klassisch musiziert. Wer das mag, der wird mit dieser Ein- spielung ziemlich glücklich sein.

René Pape – Wagner (Deutsche Grammophon)

Der Sänger René Pape, geboren und herangewachsen in der Musik- stadt Dresden, gehört heute zu den weltweit besten Bassisten. So wird es nicht verwundern, dass auch die Helden Wagners zu seinen Lieb- lingspartien gehören. Doch darauf reduzieren möchte sich der Sänger nicht. Er folgt der Auffassung der Sopranistin Lilli Lehmann, die zwar mit Wagner gearbeitet hat, aber seiner Suche nach dem „vaterlän- dischen Belcanto“ eher verständ- nislos begegnete. Sie meinte, nur wer Mozart zu singen verstehe, der könne auch Wagner singen.
Pape teilt diese Auffassung. In den sehr informativen Beiheft erläutert er: „In Interviews habe ich oft gesagt, dass das Wagner-Singen auf der gesangstechnischen Erfahrung mit Mozart beruhen sollte – na- türlich auch umgekehrt. Wagner muss nicht durchgehend fortissimo und con tutta forza gesungen und Mozart nicht gesäuselt werden. Die Balance zu halten, ist meiner Meinung nach der Schlüssel.“ Pape meint, für ihn sei der Text genauso wichtig wie die Musik: „Eine Oper besteht nicht nur aus Vokalisen, sondern es gibt ein Libretto, das auf Worten basiert. Dieses Drama dem Zuhörer zu vermitteln, halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben des Sängers auf der Bühne, erst recht im Plattenstudio.“
Wagners anspruchsvolle Partien, wie den Holländer oder Hans Sachs, müsse man sich zudem mit Bedacht einteilen, „und zwar so, dass man am Ende noch genügend Kraft für die in exponierter Lage geschrie- bene Schlussansprache hat“, sagt der Sänger. „Das ist leichter gesagt als getan, da wird mir jeder Kollege zustimmen. Ein entscheidender Punkt ist die Stimmung der Orchester, die immer höher wird. Somit wird es für einen Basso cantante auch immer schwieriger, diese Partien zu bewältigen. Zu Wagners Zeiten wäre dies, glaube ich, einfacher gewesen.“
Begleitet werden die Sänger bei der hier vorliegenden Einspielung durch die Staatskapelle Berlin sowie den Chor der Staatsoper Unter den Linden unter der Leitung von Daniel Barenboim. Sein Wagner ist mir zu pastös, zu massig und nicht delikat genug. Das habe ich schon besser gehört, selbst in Dresden.
Diese CD zeigt uns den Sänger zunächst mit Wotans Abschied von der Walküre Brünnhilde, die er aus den Reihen der Götter verstößt und inmitten eines Flammenringes zum Schlaf bettet, den nur ein Held von Format durchschreiten kann. Der Fliedermonolog sowie das große Finale aus den Meistersingern, augenzwinkernd (und wunder- voll gesungen) ergänzt um die Strophe des Nachtwächters folgen, danach erklingt die Ansprache König Heinrichs an die Sachsen und Thüringer aus dem Lohengrin. Gemeinsam mit Plácido Domingo singt Pape anschließend die Szene aus dem dritten Akt des Parsifal, in der Gurnemanz den heimgekehrten und durch Mitleid klug gewordenen Toren empfängt, und ihm vom Elend der Gralsrunde berichtet. Es ist eine starke Szene, in der Pape sängerisch zu hoher Form aufläuft. Die abschließende Arie des Wolfram an den Abendstern aus Tannhäuser erreicht erstaunlicherweise nicht ganz diese Intensität und Innigkeit.

Bach: Sonaten; Maximilian Mangold, Gitarre (Musicaphon)

„Die Gitarre in ihrer heutigen Form gab es zu Bachs Zeiten noch nicht. Die Sonaten und Partiten für Violine solo eignen sich jedoch für eine Ausführung auf der Gitarre viel besser als die sogenannten Lautensuiten“, begründet Maxi- milian Mangold im Beiheft seine Entscheidung für die Sonaten BWV 1001, 1003 und 1005. „Ein Werk für ein Instrument mit vier Saiten wie die Violine ist auf die sechs- saitige Gitarre viel einfacher zu übertragen als Originalwerke für die 13-chörige Barocklaute. Während bei Bachs Lautenwerken zahlreiche Oktavierungen der tiefen Basstöne vorngenommen und nicht selten auch Töne weggelassen werden müssen, kann der Notentext der Solowerke für Violine ohne Einschränkungen auf der Gitarre ausgeführt werden.“ 
Der Gitarrist erläutert, er habe lediglich einige zusätzliche Basstöne aus klanglichen Gründen hinzugefügt – und bezeichnet seiner Version daher auch bescheiden als Einrichtung, und nicht als Bearbeitung. Sensibel und sehr klar strukturiert spielt Mangold Bachs Werke. Er nutzt insbesondere die Chance, durch Weiterklingen einzelner Töne die latente Polyphonie der Sonaten deutlich werden zu lassen. Der Gitarrist ist derzeit weltweit einer der besten seines Faches – er spielt technisch perfekt, sagenhaft flink und dabei stets sauber, durchdacht und klar akzentuiert. Zugleich kündet seine Interpretation davon, dass sein Interesse weit über die Auseinandersetzung mit dem Instru- ment hinausreicht.
 

Hertel: Con spirito. Concerti & Sinfonie (Tudor)

Johann Wilhelm Hertel (1727 bis 1789) war der Sohn eines Violini- sten und Konzertmeisters der Eisenacher Hofkapelle. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er von einem Schüler Bachs; sein Vater dürfte ihn auf Violine und Gambe unterwiesen haben. 1742 zog die Familie um nach Neustre- litz, wo Johann Christian Hertel eine Stelle als Konzertmeister angenommen hatte. 1744 wurde auch der 17jährige Johann Wil- helm in der Hofkapelle von Mecklenburg-Strelitz als Violinist und Clavierist angestellt.
Bei Aufenthalten in Berlin lernte er die Musiker der Hofkapelle Friedrichs II. kennen, und nahm bei Franz Benda Violinunterricht. Als sein Vater 1751 erkrankte, übernahm er die Leitung der Strelitzer Hofkapelle. Nach deren Auflösung ging er als Hof-Kapellkomponist und Clavierist nach Schwerin. Dort stand er zeitweise auch in Diensten der Prinzessin Ulrike Sophie von Mecklenburg-Schwerin, und pflegte enge Beziehungen nach Hamburg. 1767 komponierte Hertel für das erste deutsche Nationaltheater in Hamburg Intermezzi für zwei Stücke Lessings, die dieser damals als „Muster von Schau- spielmusiken“ lobte.
Hertel hinterließ eine umfangreiche Bibliothek. Er gilt als vielseitig interessierter und versierter Musiker, der als Publizist auch seinen Zeitgenossen gern Einblick in aktuelle Probleme bei der Weiterent- wicklung der Musik gab. Hertel schrieb eine Vielzahl von Oratorien, Kantaten und Liedern – doch präsent blieben eher seine Sinfonien und Konzerte. Das Barockorchester Capriccio Basel stellt hier einige dieser Werke vor.
Ganz offensichtlich verfügte die Hofkapelle von Mecklenburg-Schwerin über eine Vielzahl exzellenter Bläser. Denn Hertel findet immer wieder neue, überraschende Lösungen dafür, sie in seinen Konzerten wirkungsvoll zur Geltung zu bringen. Unerwartete harmo- nische Wendungen, wunderschöne Melodien und farbenreiche Bläsersätze scheinen geradezu sein Markenzeichen gewesen zu sein. Auch der Dialog zwischen den Solisten und dem Orchester wartet mit so mancher Überraschung auf. Die Musiker von Capriccio, unterstützt von dem renommierten Barockfagottisten Sergio Azzolini, haben hörbar Vergnügen an diesen Kabinettstückchen. Wo findet sich schon ein Konzert für Fagott, zwei Oboen, zwei Hörner, Streicher und Basso continuo? Meine Empfehlung!

Concerti per Flauto del Signor Vivaldi „Giorno e Notte“ (Divox)

Conrad Steinmann, ohne Zweifel einer der besten Blockflötisten der Welt, hat gemeinsam mit Chiara Banchini und Stefanie Pfister, Violine, David Courvoisier, Viola, Gaetano Nasillo, Violoncello, Michael Chanu, Kontrabass, Karl-Ernst Schröder, Theorbe und Jörg-Adreas Bötticher, Cembalo, einige Konzerte Vivaldis eingespielt. Schon bei den ersten Tönen wird man überrascht feststellen, dass hier keineswegs eine beliebige weitere Vivaldi-Super-Audio-CD beginnt. Denn einerseits spielen die Musiker faszinierend frisch und beschwingt. Andererseits bemüht sich Steinmann, das Geheimnis dieser Werke zu ergründen: „,Concerti per flauto’ sind zweifelsohne Konzerte für Blockflöte“, meint der Solist. „Aber was ist denn Vival- dis ,flauto’ für eine Flöte?“ 
Im Beiheft berichtet Steinmann von seiner Suche nach dem richtigen Instrument, und erläutert seine Entscheidungen. Das Resultat: „Soviel ist sicher: die Schatten, wie auch die Flöten, verkürzen sich während des Vormittages, und werden, wie die Flöten, nach der Siesta und bis in die Nacht hinein wieder länger, um sich in Schlaf und Traum ganz zu verlieren.“ Auch die Einspielung ist pure Poesie, gegründet freilich auf grundsolidem Handwerk – außergewöhnlich, klangschön, und reich an Nuancen, Schattierungen und Klangfarben. Bravi!

Mozart: Così fan tutte (Opus Arte)


Von Mozarts Da-Ponte-Opern war einzig diese erstaunlich lange aus dem Spielbetrieb verschwunden. Das skandalöse Geschehen und die mitunter allzu beredte Musik moch- ten die Opernhäuser, die üblicher- weise ja nicht gerade in dem Ruf stehen, ein Hort der Prüderie zu sein, dem zahlenden Publikum offenbar nicht zumuten. Als Così fan tutte dann doch auf die Bühne zurückkehrte, wurde gestrichen, was der Bleistift hergab. Selbst diese Aufnahme enthält noch Kürzungen, die nur aus dieser Tradition heraus verständlich sind.
Es handelt sich dabei um den Mitschnitt einer Vorstellung am Royal Opera House, Covent Garden, vom 27. Januar 1981 durch die BBC. Die Besetzung ist ganz erstaunlich – weniger deshalb, weil die beiden Schwestern Fiordiligi und Dorabella durch die Opernstars Kiri Te Kanawa und Agnes Baltsa gesungen werden, als vielmehr deshalb, weil alle Sänger derart gut und lebendig gemeinsam musizieren. Auch das Zusammenwirken mit dem Orchester klappt nahezu perfekt. Man spürt, dass Dirigent Sir Colin Davis sehr viel Sorgfalt auf Vorbereitung und Einstudierung verwendet hat. 
Seine Hand hat die gesamte Einspielung geprägt. So erscheinen viele Details der musikalischen Gestaltung erstaunlich modern, auch wenn einige der Tempi, die Davis gewählt hat, uns heute inakzeptabel lang- sam vorkommen mögen. Ein wichtiges Dokument, das nicht nur musikhistorisch spannend, sondern auch sehr anhörenswert ist.

Telemannia (Proprius)

„This recording was unusual in several ways. The aim was to produce a full length CD contai- ning partially highly virtuosic and complex music in only two days. Such a limited time frame is tradi- tion only among punk bands, and would be considering unacceptab- ly hectic in other genres. 
Hard rock bands, in particular, tend to spend months in the studio perfecting the recordings to a state of impersonality. Without limits on time and budget such meticulous polishing is perfectly possible. However, is this ever the best choice?“, fragt Producer Anders Eriksson. „In our case, the time window presents a possibility rather than a problem. It guarantees a spontaneous and straight performance without too much conside- ration. In order to create a vivid recording I have preferred capti- vating takes with character to those with just fewer defects.“ 
ReBaroque, gegründet 1998 als Stockholms Barockorkester, gehört zu den führenden derartigen Ensembles in Schweden. Es wird von Konzertmeisterin Maria Lindal geleitet. Dass diese Aufnahme beinahe einem Konzertmitschnitt gleicht, das kommt diesem Orchester ent- gegen, denn seine Stärken könnte eine auf Hochglanz polierte Einspie- lung ohnehin nicht vermitteln: Es profitiert von der ausgeprägten Individualität seiner Musiker, die hier bestens zur Geltung kommt. So klingen die Concertos, das Quartett in d-Moll für zwei Traversflöten, Fagott und Basso continuo aus dem zweiten Teil der Taffelmusik und die Triosonate in B flat-Dur für Violine, Fagott und Basso continuo zwar gelegentlich etwas ruppig und versträubt, aber auch sehr spontan und frisch.

Bach: Cello Suites; Rummel (Paladino Music)


„1890 streifte Pablo Casals, Student im zweiten Jahr an der Musikschule und noch keine
14 Jahre alt, mit seinem Vater durch das Hafengebiet von Bar- celona, als sie zufällig eine kleine Musikalienhandlung entdeckten. Casals suchte eigentlich nach Literatur, die er bei seiner Arbeit im Café spielen könnte, womit er seine Ausbildung finanzierte. Da- bei stieß er auf eine verschlissene Grützmacher-Ausgabe der Bach-Suiten. Als er sie zuhause probierte, packte ihn diese Musik dermaßen, daß er sie in den folgenden drei- undachtzig Jahren täglich spielte und unermüdlich in die Welt hinaustrug.“
Diese Geschichte erfährt der Leser aus dem Beiheft zu der vorliegenden CD.
„Es ist ein erstaunlicher Gedanke, daß die Cellosuiten von Bach vor etwa hundert Jahren so wenig bekannt waren, daß ein junger Cellist, dem es bestimmt war, der größte seiner Zeit zu werden, sie nur durch Zufall entdeckte. Diese Musik war bereits seit mehr als einem Jahrhundert in Vergessenheit geraten, als Robert Schumann versuchte, die Dinge richtigzustellen, indem er eine Version mit Klavierbegleitung veröffentlichte, obwohl Anna Magdalena Bachs Manuskript, das in der Preußischen Staatsbibliothek aufbewahrt wird, eindeutig den Titel ,6 Suiten à Violoncello senza basso’ trägt. Julius Klengel hatte die Sonaten zwar in Leipzig in seinem Unter- richtsprogramm, aber man konnte sie nicht im Konzert hören, da sie mehr als technische Übungen angesehen wurden.“
Der Text von Graham Whettam stammt aus dem Jahre 1997, und weist auch in den Erläuterungen zu den einzelnen Stücken einige Merkwürdigkeiten auf. So meint der Autor, das Cello biete nur wenig Möglichkeiten zum Kontrast: „Die Größe des Instruments bedingt eine begrenzte Spannweite der Hand, was durch die damalige Spieltechnik noch größere Hürden darstellte. Fugen, wie in den Violinsonaten, standen nicht zur Debatte, und sogar heute kenne ich nur zwei Fugen für Cello solo, beides Werke des 20. Jahrhunderts.“
Cellist Martin Rummel nutzte ohnehin als Arbeitsgrundlage in erster Linie eine Abschrift von Johann Peter Kellner. Der Organist, Lehrer und Kantor wirkte im thüringischen Gräfenroda, und interessierte sich offenbar sehr für die Werke Bachs. In seinem Nachlass fanden sich Abschriften mit einem Umfang von mehr als hundert Seiten – darunter auch eine Kopie der Cellosuiten, datiert auf das Jahr 1726. Musikwissenschaftler vermuten, dass sie direkt von Bachs verlorener Urfassung abgeschrieben wurden. Doch die Sechs Suonaten pour le Viola de Basso, wie Kellner das Werk überschrieb, sind offenbar nicht frei von Fehlern, so dass sich jeder Cellist letzten Endes nicht nur seine eigenen Phrasierungen und Fingersätze, sondern auch seine eigene Version des Notentextes erarbeiten muss.
Rummel vertritt eine ausgesprochen romantische Werkauffassung; mit Barockmusik hat diese Einspielung nicht viel zu tun. Und ein flottes Tempo geht zwar grundsätzlich in Ordnung, allerdings sollte der Solist auch dann noch in der Lage sein, Läufe sicher, sauber und mit einer gewissen Eleganz zu spielen. Auf dieser CD wird, bei allem Anspruch, vieles verwischt und vertuscht. Mein Fall ist das nicht.

Donnerstag, 23. Juni 2011

String Quartets by Felix & Fanny Mendelssohn (Genuin)

Das Streichquartett f-Moll op. 80 von Felix Mendelssohn Bartholdy ist eine Trauermusik: Im Mai 1847 war Fanny, die geliebte Schwester,  gestorben. Wenige Monate später folgte der Bruder ihr nach. Das Streichquartett vollendete er im September. Es ist voll Unrast, Aufruhr und Erschütterung. Gänzlich anders ist der Charakter der Vier Sätze für Streichquartett op. 81, die erst nach Mendelssohns Tod in dieser Form zusammenge- stellt worden sind. Sie sind grazil, elegant, und beeindrucken durch ihre auch formale Souveränität. So mitreißend wie in dem Capriccio e-Moll aus dem Jahre 1834 muss eine Spiegelfuge erst einmal gelingen!
Als Verbeugung vor Fanny Hensel hat das Merel Quartett auch ihr Streichquartett Es- Dur aus dem Jahre 1834 mit eingespielt. Es ist unüberhörbar vom Spätstil Beethovens inspiriert; doch eine Sonatenhauptsatzform enthält das Werk nicht. Deshalb wurde dieses Streichquartett gern als minderwertig angesehen. Der Zuhörer möge selbst urteilen, ob dieses kühne, inspirierte Werk das verdient.
Das Merel Quartett spielt die Werke der Geschwister Mendelssohn bezaubernd – romantisch, geheimnisvoll, schwebend. Eine Offen- barung! Es ist kaum zu glauben, dass man so sensibel, wie aus einem Gedanken, gemeinsam musizieren kann. Mary Ellen Woodside, Meesun Hong, Alexander Besa und Rafael Rosenfeld bilden ein exzellentes Ensemble, von dem hoffentlich noch viel zu hören sein wird. Diese CD gehört für mich zu den besten Neuerscheinungen des Jahres. 

Bach: Cello Suites; Badiarov (Ramée)

Diese Aufnahme dokumentiert ein musikhistorisches Experiment. Es soll die Frage klären, wie das Instrument aussah, für das Johann Sebastian Bach seine Cello-Suiten einst geschrieben hat. Verschiede- ne Kandidaten sind in der Diskus- sion: Entstanden die berühmten Werke für Viola pomposa? Für Violoncello? Oder für Violoncello piccolo?
„Violoncello ist ein Italiänisches einer Violadigamba nicht un- gleiches Bass-Instrument, wird fast tractiret wie eine Violin, neml. es wird mit der lincken Hand theils gehalten, und die Griffe formiret, theils aber wird es wegen der Schwere an des Rockes Knopff ge- hänget“, schreibt Gottfried Walther 1708 in seinen Praecepta der musicalischen Composition. Johann Mattheson berichtet in seinem Das neu-eröffnete Orchestre 1713: „Der hervorragende Violoncello, die Bassa Viola und Viola di Spala, sind kleine Bass-Geigen / in Vergleichung der grössern, mit 5 auch wol 6. Sayten / worauff man mit leichterer Arbeit als auff den großen Machinen allerhand geschwinde Sachen / Variationes und Mannieren machen kann; insonderheit hat die Viola di Spala, oder Schulter-Viole einen grossen Effect beim Accompagnement, weil sie starck durch- schneiden und die Thone rein exprimiren kan. Ein Bass kann nimmer distincter und deutlicher herausgebracht werden als auf diesem Instrument.“
Zeitgenössische Quellen berichten, Bach habe die Viola pomposa erfunden. Doch er selbst schreibt in allen Partituren „Violoncello piccolo“; auch war dieses Instrument ganz offenbar im Cello-Register gestimmt – die Viola pomposa hingegen, für die Telemann, Pisendel und Graun komponierten, wie eine Bratsche. Bach aber hat die Stimme für sein rätselhaftes Instrument aber obendrein im Violin- schlüssel notiert; so findet sich das in diversen Kantaten. Das Noten- material zeigt, dass das Violoncello piccolo offenbar vom ersten Geiger gespielt wurde. Was für ein Durcheinander!
Und obendrein ergab sich da noch ein physikalisches Problem: Die schwingenden Saiten jener Instrumente, die als Viola pomposa oder Violoncello piccolo überliefert sind, sind nur etwa halb so lang wie die eines modernen Cellos. Wie also soll man ihnen die notwendige Masse geben, damit sie so tief klingen können? Originalsaiten, die als Vorbild dienen könnten, sind nicht erhalten.
Unterstützt durch Fachleute aus ganz Europa, hat der Geiger und Geigenbauer Dmitry Badiarov den Versuch gewagt, Violoncelli da spalla nachzubauen, wie sie einst der Leipziger Instrumentenbauer Johann Christian Hoffmann angefertigt hat, ein Zeitgenosse Bachs. Die meisten dieser Miniatur-Celli sind verloren; man hat später Bratschen und Kindercelli daraus gemacht. Lediglich etwa 40 Violoncelli piccoli sind noch in Museen und Sammlungen weltweit erhalten. In Brüssel und Leipzig fand Badiarov Instrumente, an denen er sich orientierte. Einige Spezialisten halfen ihm bei der Suche nach einer geeigneten Besaitung.
Das Ergebnis ist nun auf dieser CD zu hören – und das ist wahrlich eine Offenbarung. Denn Badiarovs Violoncello piccolo da spalla spricht trotz seiner dicken Saiten erstaunlich gut an; es reagiert schnell und präzise, und klingt mitunter wie eine Singstimme, manchmal auch wie ein Barockfagott, und in der hohen Lage eher wie eine Bratsche. Gerade im Spiel von Akkkorden erweist sich die enorme Klangschön- heit dieses Instrumentes; und zu Bachs Cello-Suiten passt das Klangbild wirklich perfekt. Badiarov spielt gelassen und zugleich sehr elegant. Diese beiden CD sind ein Muss für jeden, der sich für das originale Klangbild barocker Musik interessiert – und in jedem Falle gehört diese zu den Bach-Referenzaufnahmen. 

Mozart: The Violin Concertos; Fischer (Pentatone)

Die Geige ist das Instrument des jungen Wolfgang Amadeus Mozart. Der Sechzehnjährige wurde 1772 vom Salzburger Erzbischof Collo- redo als Konzertmeister engagiert. Ein Blick auf diese Box macht deutlich, wie viele Werke er in den darauffolgenden Jahren für dieses Instrument schuf.
Doch nach seiner Paris-Reise 1777/78 wird aus diesem Schaf- fensstrom ein Rinnsal. Mozart hat die Geige an den Nagel gehängt. Er erkundete statt dessen lieber das Hammerklavier, das sein neues Medium wird. Der Grund dafür wird uns unbekannt bleiben; Mozarts Vater, der ein berühmter Geigen- lehrer war, mahnte den Sohn jedenfalls vergebens.
Julia Fischer hat gemeinsam mit dem Netherlands Chamber Orchestra unter Yakov Kreizberg sämtliche Violinkonzerte Mozarts nebst Sinfonia concertante, Adagio, Rondo und Concertone ein- gespielt. Die junge Solistin – Jahrgang 1983, seit 2006 lehrt sie als Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main – setzt ganz auf einen schlanken, konzentrierten Ton. Sie spielt Mozarts Violinkonzerte beinahe, als wären es Opernarien, und stellt die Virtuosität ganz in den Dienst der Melodie. Man hört ihr gern zu, denn sie absolviert selbst die schwierigsten Passagen mit spielerischer Leichtigkeit, und lässt ihre Guadagnini von 1742 singen. So schön kann Mozart sein.

Sonntag, 5. Juni 2011

Bellini: I Puritani (Glyndebourne)

Glyndebourne, 1960: Joan Suther- land sang zum ersten Male Bellini. Bei dem legendären Opernfestival gab sie ihr Rollendebüt als Elvira in I Puritani. Diese Oper war in Groß- britannien seit 1887 nicht mehr aufgeführt worden; die Organisato- ren des Opernfestivals engagierten sich stark für das italienische Repertoire, und sorgten auch für die Wiederentdeckung einiger anderer Werke. 
Sutherland, von ihren Fans gefeiert als la stupenda, war in Glynde- bourne in insgesamt fünf Inszenierungen zu erleben - vier davon aber waren Mozart-Opern. Umso bedeutsamer ist dieses Dokument, das sie in der Rolle der jungen Elvira zeigt, die mit einem Mann verheiratet werden soll, den sie nicht liebt, und dann auf einmal doch denjenigen bekommen soll, dem sie zugetan ist. Doch dann verhilft ihr Arturo der Gefangenen Enrichetta - Königin Henrietta von Frankreich - zur Flucht, und wird dafür zum Tode verurteilt. Dieses Wechselbad der Gefühle überfordert die Braut, die dem Wahn anheim fällt - immer wieder gern genommen, weil eine exzellente Gelegenheit für den Koloratursopran zu ganz besonders rasanten Arien. Am Ende dieser Oper steht dann ein Happy End. Und wenn man sich anhört, welche Leistungen dieses Ensemble zeigt, und welche Stimmung selbst die Konserve bewahrt hat, dann dürfte das Publikum in Glyndebourne damals auch ziemlich happy gewesen sein - auch wenn eine andere Aufnahme der Sutherland mit Pavarotti zur Referenzaufnahme ge- worden ist. 

Chopin: 4 Ballades - 4 Scherzi; Glemser (Oehms Classics)

Als Bernd Glemser 1989 durch die Hochschule für Musik Saar zum damals jüngsten Professor Deutschlands berufen wurde, war der Pianist selbst noch als Student bei Vitali Margulis in Freiburg immatrikuliert. Inzwischen hat er seine Examina abgeschlossen, und seit 1996 unterrichtet er an der Hochschule für Musik Würzburg. Glemser hat zahllose Wettbewerbe gewonnen, und das Bundes- verdienstkreuz erhalten. 
Trotzdem finde ich seine Chopin-CD, die vier Balladen und vier Scherzi kombiniert, seltsam schwach und blass. Mir fehlt hier Eleganz, und mir erscheint sein Chopin-Spiel generell zu schwerfällig, zu massiv, zu unbeweglich. Diese CD hat mich daher nicht begeistert. 

Scarlatti: Serenate a Filli (Glossa)

"Zur Zerstreuung an einem Abend in edler Gesellschaft", schrieb Alessandro Scarlatti (1660 bis 1725) einst an Großherzog Ferdi- nando de' Medici, habe er die beiliegende Serenata komponiert. Die hübschen Stücke, die bald wie eine kleine Oper erscheinen, aber typischerweise auf Handlung und Szenenwechsel verzichten, ent- standen seinerzeit anlässlich von Festlichkeiten wie Hochzeiten, Geburtstage, Siegesfeiern oder für Besuche bedeutender Persönlich- keiten. 
Die beiden Serenaden auf dieser CD hat Scarlatti 1706 in Rom ge- schaffen. Sie sind beide der arkadischen Figur Filli gewidmet - einer Römerin von Stand, deren Identität wohl nicht abschließend zu klä- ren ist. In Le Muse Urania e Clio Londano le bellezze di Filli preisen die Sonne sowie ihre beiden Töchter Urania und Clio die Vorzüge der Filli. Die ebenfalls dreistimmige Serenata à Filli beklagt die Liebes- qualen, die Fileno, Niso und Doralbo leiden, weil sie jener Nymphe zugetan sind. Die Verse sind schlicht und zugleich elegant, ganz wie es die Accademia dell'Arcadia gefordert hatte. 
Scarlattis Vertonung erfreut durch ihre schönen Melodien, ein raffi- niertes Spiel mit Klangfarben, und durch die hübschen Soli, mit denen er unter anderem das Violoncello bedacht hat. Seine Serenaden sind ebenso komplexe wie wohlklingende Werke, die ihre Zuhörer mit Sicherheit gut unterhalten haben. Das Ensemble La Risonanza unter Fabio Bonizzoni  jedenfalls sorgt dafür, dass keine Langeweile auf- kommt. Emanuela Galli und Yetzabel Arias Fernández, Sopran, und Martín Oro, Alt, singen mit schlank und sicher geführten, angenehm timbrierten Stimmen. Beim Anhören dieser CD fragt man sich aller- dings, warum das Genre generell bislang so stiefmütterlich behandelt wurde. 

Samstag, 4. Juni 2011

Beethoven (Onyx)

Nicht alles, was im Studio machbar ist, lässt sich auch im Konzert ver- wirklichen: "Wenn das Klavier während der Sitzungen mit einer zu geringen Luftfeuchtigkeit kämpfte und alle fünfzehn Minuten gestimmt werden musste, konnte man sich ab und zu schon nach der Stabilität eines neu gestimmten Steinway sehnen", meint Kristian Bezuidenhout. "Doch jetzt, wo alles getan ist, sind wir zuversicht- lich, dass die Farbe, die Dynamik und die Flüchtigkeit dieser instru- mentalen Klangwelt mit all ihren Unzulänglichkeiten dazu beitra- gen, die Spannung und das Aufsehen zurückzubringen, die diese phänomenalen Stücke in ihrer Zeit ausgelöst haben." 
Zur Erinnerung: Als Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827) seine zehn Violinsonaten schuf - die ersten neun entstanden innerhalb we- niger Jahre, zwischen 1797 und 1803, die letzte folgte 1812 - waren solche Stücke üblicherweise Sonaten für Tasteninstrument mit optionaler Violine, die üblicherweise die Melodiestimme des Klaviers mitspielte. Schon Mozart machte daraus Sonaten mit obligatem Violinpart, der zudem deutlich eigenständiger wurde. Beethoven machte die Geige zum Kammermusikpartner; was seine Zeitgenossen nicht besonders begeisterte. Der große französische Virtuose Rodolphe Kreutzer, dem er die Violinsonate Nr. 9 op. 47 widmete, hat diese niemals öffentlich gespielt. 
Viktoria Mullova und Kristian Bezuidenhout ist es ein besonderes Anliegen, das Unerhörte, Innovative von Beethovens Violinsonaten auszuzeigen. Für diese CD wählten sie daher neben der dämonisch-intensiven Kreutzer-Sonate die freundliche, heitere Violinsonate
Nr. 3 Es-Dur
, op. 12 Nr. 3, und entschieden sich für ein historisches Instrumentarium. "Wir haben uns für ein Instrument der Firma Anton Walter & Sohn von 1822 aus der Sammlung Edwin Beunk entschieden, eine 'Maschine', sie die Sprache des frühen 19. Jahr- hunderts mit einem weit weniger starken Akzent als unsere modernen Klaviere spricht", erläutert der Pianist. "Die schmalen, lederbezogenen Hämmerchen sorgen für ein rasches Verklingen des Tones und führen somit zu einer größeren Transparenz, durch die nicht nur die Violinstimme mit größerer Leichtigkeit und Natürlich- keit hervortritt, sondern der Pianist sich überdies zum Experiment mit langen, nahezu impressionistischen Pedalwirkungen veranlasst sieht. Zudem führen die uneinheitlichen Anschlagspunkte zu Registern von deutlich unterschiedlicher Eigenart: Die knurrigen Basstöne, die pflaumenweiche Tenorstimme und der schlanke, harfenartige Klang im extremen Spitzenregister waren Merkmale, an denen sich sowohl die Spieler wie auch die Klavierbauer erfreuten. Überdies verführen diese Instrumente den Musiker dazu, bislang unbekannte Regionen des Pianissimo-Spiels zu erforschen (nament- lich durch das Dämpfungspedal, mit dem ein Filztuch zwischen Hämmer und Saiten geschoben wird)." 

Den Kammerton wählten die beiden Musiker bei 430 Hertz, was insbesondere der Guadagnini von Viktoria Mullova zu einem sonoren, dunkleren Klang und zu einer größeren Resonanz verhilft. Das Instrument, das hier mit dicken Darmsaiten und einem Barock- bogen von Walter Barbiero gespielt wird, lässt sich eine breite Palette an Klangfarben und Nuancen entlocken, reagiert aber mitunter auch sehr direkt und mit einer gewissen Ruppigkeit. Liebhaber historischer Klaviere werden viel Freude an dieser Einspielung haben; die Inter- pretation ist ansonsten Geschmackssache. 

Past Future - Magnus Rosén (Naxos)

From Heavy Metal to Symphony Orchestra, lautet das Motto dieser CD. Magnus Rosén, ehemaliger Bassist der schwedischen Power-Metal-Band Hammerfall, hat hier ein Projekt dokumentiert, das ihm offenbar sehr am Herzen liegt: Das gemeinsame Konzertieren mit "klassischen" Besetzungen, insbe- sondere mit dem Hvila Quartet und den Göteborgs Symfonikern. 
Diese Besetzung ist, zugegebener- weise, etwas ungewöhnlich. Doch im Cross-Over-Zeitalter wird die Kombination aus Bassgitarre und Sinfonieorchester ganz sicher nie- manden mehr verschrecken - zumal dann nicht, wenn der Bassist derart versiert spielt, wie Rosén.
Dass er sein Handwerk versteht, beweist er spätestens mit Bachs berühmter Badinerie, die übrigens auch mit E-Bass gut klingt. Rosén spielt zudem die Sonata in g-Moll für Violoncello und Basso conti- nuo. Sie stammt wahrscheinlich von Henry Eccles, und wird in einer Bearbeitung für Kontrabass und Klavier wohl von jedem angehenden "klassischen" Bassisten im Zuge seiner Ausbildung erarbeitet. Und noch ein weiterer Klassiker findet sich auf der CD: Purple Haze von Jimi Hendrix. Die restlichen Werke sind Eigenkompositionen von Magnus Rosén und Jan Alm. 
Wer diese Stücke anhört, der kann einigermaßen verstehen, warum dieser Bassist irgendwann beschlossen hat, dass er noch etwas ande- res spielen möchte als Heavy Metal. Auch wenn ihre musikalische Substanz sehr unterschiedlich ist - mir persönlich klingt einiges zu sehr nach New Age - und der Bass häufig ausgesprochen dezent hinter dem Orchester agiert. Spannend! 

Salieri: La Veneziana (Capriccio)

Antonio Salieri (1750 bis 1825) hat nur sehr wenig Instrumentalmusik komponiert. So schuf er fünf Kon- zerte und zwei Sinfonien, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als Opern-Ouvertüren erweisen. Die Budapest Strings, ein exzellentes ungarisches Kammerorchester, haben auf dieser CD sein Konzert für Violine, Oboe, Violoncello und Orchester D-Dur, das Konzert für Flöte, Oboe und Orchester C-Dur sowie die Sinfonie D-Dur "La Vene- ziana" eingespielt. Letztere ist zu- gleich die Ouvertüre zu seiner Oper La scuola de'gelosi - was über- setzt Die Schule der Eifersucht bedeutet, und die einer opera buffa angemessenen Temperamentsausbrüche mit sich bringt. Auch die beiden Konzerte verraten den Opernkomponisten, der "seinen" Solisten schöne Melodien, klangvolle Ensembles und hier und dort sogar einen musikalischen Scherz aufgeschrieben hat. Eine hübsche CD, die man mit Vergnügen anhört. 

Vivaldi: Ercole sul Termodonte (Virgin Classics)

Man schreibt das 17. Jahrhundert. Ganz Italien ist vom Opernfieber befallen. Die soeben neu entstan- dene Gattung wird überall gefeiert. Überall? Nicht ganz. Denn in Rom durften Opern jahrzehntelang ausschließlich in geschlossener Gesellschaft erklingen. Der Kirchenstaat, der zumindest nach außen hin gern tugendhaft er- scheinen wollte, fand all diese Geschichten um Liebe, Lust, Leidenschaften und all die antiken Helden und Götter moralisch ziemlich bedenklich. Und dass Frauen singen, war in Rom damals gänzlich undenkbar. 
"Die kirchliche Dekadenz", so spottete seinerzeit ein Franzose, "lässt im Theater in Frauenrollen nur hübsche junge Burschen auftreten, für die teuflische Kesselflicker das Geheimnis gefunden haben, wie sich ihre hohen Stimmen erhalten lassen. Als Mädchen gekleidet, mit ihren Hüften, dem breiten Hintern, der weiblichen Brust, dem runden und fülligen Hals kann man sie tatsächlich für Mädchen halten." Doch auch die männlichen Helden wurden zumeist von Kastraten gesungen; für Tenöre und Bässe wurden nur selten bedeutende Partien geschrieben. 
Das sorgte in späteren Jahrhunderten für Verwirrung, denn mit dem Ende der grausigen Kastrationen verschwanden natürlich auch die Sopranisten und Altisten von den Bühnen; die Heldenpartien wurden nun durch Frauen gesungen, was mitunter ziemlich komisch wirkt, oder für "richtige" Männerstimmen transponiert, was auch gewisse Probleme mit sich bringt. 
Auch Vivaldis Oper Ercole sul Termodonte, die die bekannte Ge- schichte der Auseinandersetzung des Herkules mit den Amazonen erzählt, stellt heutzutage mit den teilweise extrem schwierigen Kastratenpartien die Frage nach der Besetzung. In diesem Falle wurde sie nach Stimmfach gelöst - und das ganz achtbar. Für diese Einspie- lung mit dem Orchester Europa Galante und dem Coro da Camera Santa Cecilia di Borgo San Lorenzo unter Fabio Biondi hat Virgin Classics ein wahres Star-Ensemble aufgeboten: Vivica Genaux, Joyce DiDonato, Patrizia Ciofi und Diana Damrau sind als Amazonen zu hören, Rolando Villazón ist als Ercole zu erleben, und Romina Basso, Philippe Jaroussky  und Topi Lehtipuu singen die Griechen in seiner Begleitung. Das hat sich durchaus gelohnt, denn mit einigen wenigen Einschränkungen ist die Aufnahme sehr gelungen. Selbst Villazón kommt mit den Anforderungen der "Alten" Musik erstaunlich gut zurecht. Und Diana Damrau ist eine ganz entzückende Martesia. 
Auch für die Rekonstruktion der Partitur war ein erheblicher Auf- wand erforderlich. Denn das Werk, das Vivaldi seinerzeit in Rom den Durchbruch als Opernkomponist brachte, war nur in Fragmenten erhalten. Glücklicherweise hatte der Maestro seinerzeit nicht jede Arie für jede Oper neu geschrieben. So stellten die Musiker, die versuchten, die Überreste zu ergänzen, bald fest, dass Vivaldi nahezu alle Arien auch anderweitig eingesetzt hat. Um sie erneut zu ver- wenden, wurden damals allerdings erhebliche Anpassungen vorge- nommen - einerseits im Hinblick auf dramaturgische Zusammen- hänge, andererseits mit Blick auf die Möglichkeiten der beteiligten Sänger. 
"Zwei wichtigen Faktoren haben wir zu verdanken, dass Vivaldis Ercole sul Termodonte in fast voller Länge wieder zugänglich gemacht werden kann", schreibt Fabio Biondi im Beiheft: "Zum einen ist das vollständige und authetische Libretto vorhanden, das 1723 für die Aufführung am Teatro Capranica in Rom benutzt wurde, zum anderen sind, verteilt auf Bibliotheken in Paris, Münster, Turin und anderen Orten, fast alle Arien in unterschiedlichen Quellen erhalten." Ein kritischer Apparat beschreibt die jeweiligen Funde und den Umgang mit diesem Material. Selbst den Text kann in dem sorgsam erstellten Beiheft mitlesen, wer möchte. Meine Empfehlung!  

Freitag, 3. Juni 2011

The Kingdoms of Castille (Sono Luminus)

Das heutige Spanien war im Mittelalter, wie wohl sonst keine andere Region Europas, ein Viel- völkerstaat mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen. In der Musik auf der iberischen Halbinsel klingen noch heute Einflüsse der arabischen und der jüdischen Be- völkerung mit - und der Zigeuner; man denke nur an den Flamenco, der hierzulande wahrscheinlich als der spanischste aller Tänze gilt. 
Zu Zeiten der Habsburger und der Bourbonen aber war nicht der Flamenco, sondern die Ciaconna für Europas Musiker der Inbegriff des Spanischen. Zu dem Reich, in dem die Sonne niemals unterging, gehörten neben zahllosen Kolonien in Übersee zeitweise auch euro- päische Gebiete wie Teile der Niederlande oder Italiens. So ist es wenig verwunderlich, dass insbesondere italienische und spanische Musiker voneinander lernten und Ideen austauschten. 
Der Klang der Gitarre inspirierte, so wird man beim Anhören dieser CD erstaunt feststellen, selbst Georg Friedrich Händel zu einer Canta- ta a voce solo con chitarra Espagnola. Zu finden sind weiter Werke von Domenico Scarlatti, Domenico Mazzochi, Franceso Manelli, Andrea Falconiero und Domenico Zipoli, aber auch das berühmte Coracon que en prisión von José Marín, sowie Musik von Juan Hidal- go, Rafael Castellanos, Juan Aranes und José de Orejón y Aparicio. Damit zeichnet das Ensemble El Mundo unter seinem Leiter Richard Savino ein ausgesprochen buntes, facettenreiches Bild der Musik am spanischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert. Die geschickte Auswahl sorgt zudem für Abwechslung. Die Instrumentalisten sind exzellent, was man von den Vokalisten, insbesondere den Sängerinnen, leider nicht durchweg sagen kann. Dennoch ist The Kingdoms of Castille ein spannendes Konzeptalbum, das man gern anhört. 

Donnerstag, 2. Juni 2011

Mozart: Piano Concertos No. 24 & 25; Tryon (APR)

Eine unspektakuläre Aufnahme der Mozart-Klavierkonzerte Nr. 24 in c-Moll KV 491, und Nr. 25 in C-Dur KV 503, ergänzt um das Rondo in A-Dur KV 386 in einer rekonstru- ierten Version von Alan Tyson und Charles Mackerras - ein schönes Stück, das aber nach Mozarts Tod zerpflückt und, buchstäblich in Einzelteilen, in alle Winde zerstreut wurde. 
Der Zauber dieser Einspielung mit Valerie Tryon und dem London Symphony Orchestra unter Robert Trory erschließt sich erst bei mehrmaligem aufmerksamen Hören. Die britisch-kanadische Pianistin musiziert sehr dezent, gänzlich ohne Starallüren, und spielt sehr harmonisch mit dem Orchester zusam- men. So ergeben sich wunderschöne Passagen, insbesondere im Dialog zwischen den Bläsern und dem Klavier. 
Außerordentlich interessant aber ist die Kadenz, die Tryon im c-Moll-Konzert spielt. Sie stammt von Leopold Godowsky (1870 bis 1938), einem der führenden Klaviervirtuosen jener Tage, die heute gern als das "Goldene Zeitalter" des Klavierspiels bezeichnet werden. Dieser "Pianist der Pianisten", dessen Werke durch ihre Komplexität ebenso berücken wie durch ihre reiche, farbige Harmonik, schuf für Mozarts Konzert eine Kadenz, die wie ein postromantischer Kommentar zu diesem Lieblingskonzert der Romantiker wirkt. Man meint, neben der Bewunderung für Mozarts Werk hier und dort auch Ironie wahrzu- nehmen, die wohl der zeitgenössischen Rezeption galt. 
Die Pianisten können damit offenbar wenig anfangen; deshalb ist dies die Ersteinspielung von Godowskys Kadenz. Bei aller Modernität ist sie spannend genug, und kann mit der gern gespielten von Mozarts Schüler Johann Nepomuk Hummel mehr als nur mithalten. Wem sie zu kühn ist, der kann aber auch Hummels Kadenz wählen - sie ist als Anhang auf dieser CD ebenfalls zu finden.