Mittwoch, 30. Juni 2010

The Greatest Russian Violists - Michael Kugel (Melodija)

Michail Benediktowitsch Kugel, Jahrgang 1946, studierte an der Musikhochschule in seiner Heimatstadt Charkov sowie am Rimski-Korsakow-Konservatorium in Leningrad. Er war Solist der Moskauer Konzertorganisation "Moskonzert", Violist des Staat- lichen Beethoven Quartetts und unterrichtete am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium. 
1990 ging er nach Jerusalem, wo er als Professor an der Rubin Academy of Music and Dance arbeitete. Seit 1996 lebt er in Belgien. Heute lehrt er als Professor an den Königlichen Konservatorien in Gent und in Maastricht.
Er hat mehr als 20 CD eingespielt und etliche Werke komponiert; auch im Konzertsaal ist er offenbar ziemlich präsent. Und dennoch ist er im Westen nach wie vor wenig bekannt, was ziemlich erstaunt, wenn man diese Aufnahmen hört. Denn da bleibt kein Zweifel: Hier musiziert einer der besten Virtuosen dieser Generation, und sein Repertoire ist erstaunlich vielgestaltig.
Da Stücke für die Bratsche nach wie vor rar sind, handelt es sich meistens um Bearbeitungen von Werken, die ursprünglich für andere Besetzungen geschrieben wurden. So komponierte Giovanni Battista Martini seine Sonate a-Moll op. 19 Nr. 3 für Violoncello und Cembalo, und Bachs Sonate Nr. 1 in G-Dur BWV 1027 entstand für Viola da Gamba und Cembalo. Michail Kugel wird bei dieser Aufzeichnung aus dem Jahre 1979 von Sergej Leschenko begleitet. Die beiden Musiker wählen frappierend langsame Tempi,  bauen dadurch aber auch eine enorme Spannung auf, was sehr interessant ist. 
Paganinis Sonate in C-Dur op. 35 hingegen nimmt Kugel als Virtuo-  senstück; diesen Eindruck unterstreichen noch seine extrem an- spruchsvollen Kadenzen. Als Referenz an die russische Heimat erscheint Michail Glinkas Sonate für Viola und Klavier, die leider unvollendet blieb. Kugel schließt mit der Carmen-Fantasie von Franz Waxman, einem der bedeutendsten Komponisten von Filmmusiken überhaupt. Am Klavier ist hier Elena Kusnetzowa zu hören; sie Aufnahmen stammen aus dem Jahre 1989.

Jack-in-the-Box (Naxos)

Dass klassische Musik nicht nur mit ernstem Gesicht und in Abend- mode gewandet genossen werden kann, beweist diese amüsante Doppel-CD. Denn sie zeigt, dass die Werke großer Komponisten auch eine heitere Angelegenheit sein können - und dass es in der langen Reihe der musikalischen Heroen durchaus hier und da auch einige gab, die von der etwas leichteren Muse geküsst worden sind. 
Schon Mozart, als Genie zweifels- frei anerkannt, hatte für musika- lische Späße viel übrig - sie durften auch gern etwas derber ausfallen. Und sein Zeitgenosse Haydn gönnte sich das Vergnügen, inmitten zartester Klänge kräftig auf die Pauke hauen zu lassen. Vermutlich hat er damit einige zartfühlende Ladies ebenso kräftig erschreckt - und so manchem schlummernden Kavalier ein abruptes Erwachen beschert. Das berühmte Andante aus dessen Symphony No. 94, Surprise bzw. Sinfonie mit dem Paukenschlag genannt, enthält diese CD ebenso wie einige Werke aus dem Schaffen von John Philip Sousa -  ziemlich knackige Blasmusik. Doch gegen die Wucht der beiden Jazz-Suiten von Dmitri Schostakowitsch, gespielt vom Staatlichen Russischen Sinfonieorchester unter Dmitri Jablonski, verblassen die meisten Stücke ringsum. Auch Camille Saint-Saens' Karneval der Tiere oder Dmitri Kabalewskis Suite Die Schauspieler erweisen sich als ziemlich starkes Stück. 
Und, übrigens: Jack-in-the-Box gibt es auf dieser CD wirklich; das ist kein Kommentar des Labels zur heutigen Bundespräsidentenwahl, sondern ein Klavierstück von Erik Satie.

Montag, 28. Juni 2010

Roman: Drottningholmsmusiken (BIS)

Am 28. August 1744 wurde im schwedischen Drottningholm ein gewaltiges Fest gefeiert: Die Ver- mählung von Luise Ulrike von Preußen, der Schwester Friedrichs des Großen, mit Kronprinz Adolf Fredrik - genauer gesagt, das "Bei- lager", also der Vollzug einer Ehe, die schon vor mehr als einem Monat in Berlin geschlossen wor- den war, allerdings in Abwesenheit des Bräutigams, der bei der Zere- monie durch Luises jüngeren Bruder repräsentiert wurde. Derartiges war bei den Hochzeiten des europäischen Hochadels nicht unüblich.
Doch nun waren sich die Eheleute begegnet, und dieses Treffen war offensichtlich zur beiderseitigen Zufriedenheit verlaufen. Nun galt es zu feiern - und die Musik für dieses höfische Fest schrieb Johan Helmich Roman, der Leiter der königliche Hofkapelle. Die "Beilager-Musik", sein bekanntestes und beliebtestes Werk, erweist sich als hübsche Suite aus 24 kurzen Sätzen - der längste davon dauert gut fünf Minuten. Sie sind wohl eher nicht dafür komponiert worden, zusammenhängend aufgeführt zu werden. 
Dennoch wechseln schnelle und ruhige Stücke; auf Moll folgt Dur, und auf einen Dreiertakt in der Regel ein Vierertakt - abwechslungs- und einfallsreich ist diese Musik. Und wenn sich doch einmal die Stimmung dieser überwiegend heiteren Werke eintrübt, dann zu einer dem Anlass sehr angemessenen, leichten Wehmut und Melancholie. Das Symphonieorchester Helsingborg, geleitet von seinem Chef- dirigenten Andrew Manze, spielt die "Beilager-Musik" mit hellem, klaren und lebendigen Ton. Das passt sehr gut zu Romans Werk; eine schöne CD, die ich gern empfehle.

Sonntag, 27. Juni 2010

Bach: Goldberg-Variationen (Raumklang)

Bachs berühmtes Schlaflied - be- arbeitet für Viola da gamba. Man staunt, und fragt sich: Dürfen die das? Die Antwort ist einfach. Denn zu Bachs Zeiten war es durchaus üblich, Werke auf den verschieden- sten Instrumenten zu spielen, zu bearbeiten, und dafür - Affekten- lehre hin, Tonarten her - notfalls auch zu transponieren. 
Die nächste und viel wichtigere Frage lautet also: Können die das?! Die Antwort lautet - und das schon nach ein paar Takten: Ganz eindeutig - ja! Silke Strauf und Claas Harders sind - hörbar - Barockspezialisten, die sich ganz der Viola da gamba verschrieben haben. Sie haben sich das Ziel gesetzt, Bachs Musik mit möglichst wenig Eingriffen in den Notentext für zwei Gamben spielbar zu machen. Dabei übernimmt grundsätzlich jeder Solist die Partie einer Hand; wo es erforderlich ist, werden aber mitunter auch Töne der anderen Stimme mit übernommen. Das ist insbesondere bei den drei- und vierstimmigen Variationen mitunter unausweichlich. Und auch der Tonumfang der Viola da Gamba erzwingt bestimmte Anpassungen.
Strauf und Harders nutzen zudem gewisse spieltechnische Eigen- heiten der Gambe. So entsteht eine vollgültige Gamben-Version der Goldberg-Variationen - und sie ist, zugegeben, auch klanglich sehr attraktiv. Denn die Instrumente haben durchaus ihre Stärken, und diese Besetzung erweist sich als interessante Alternative zum Cembalo. Eine spannende CD - und schon nach wenigen Takten ist ebenfalls klar: Einschlafen wird der Zuhörer bei dieser Musik garantiert nicht.

Mozart: Complete Church Sonatas (Pentatone Classics)

Hieronymus Graf Colloredo, Fürsterzbischof  von Salzburg, pflegte die Tradition, nach der Epistel anstelle des gesungenen Graduale eine Epistelsonate spielen zu lassen. Mozarts Dienstherr hatte zudem eine klare Vorstellung davon, wie diese Werke beschaffen zu sein hatten: Kurz sollten sie sein; denn die ganze Messe durfte nicht länger als eine Dreiviertelstunde dauern.
Mozart fand dafür außerordentlich kreative Lösungen - und Daniel Chorzempa hat sie 1972 mit den Deutschen Bachsolisten unter Helmut Winschermann für eine Gesamtaufnahme eingespielt. Was für eine zauberhafte Doppel-Super-Audio-CD! Glasklarer, durchhörbarer Klang, Charme und Witz. Und was für ein Instrument! Die Orgel der Zisterzienser Stiftskirche in Wilhering bei Linz an der Donau wurde 1746 von Nikolaus Rummel sen. erbaut und ist bis heute im Originalzustand erhalten. Ihr Klang ist hell, lebendig und frisch; was perfekt zu Mozarts Musik passt.
Der Komponist schuf neben seinen 17 Kirchensonaten übrigens nur noch drei weitere Werke für mechanische Orgel. Für die Königin der Instrumente hingegen schrieb der Hoforganist kein einziges Stück.

Brahms: Cello Sonatas (BIS)

"Ich habe zwar selbst mal ge- geigt", so Brahms, "aber mein Instrument war das Cello." Das freilich dürfte eine charmante Untertreibung gewesen sein - Brahms' Instrument war wohl in erster Linie das Klavier, wie man auch seinen Cellosonaten deutlich anhört. Womit ich aber nichts gegen diese beiden Werke gesagt haben will, die ohne Zweifel zur cellistischen Weltliteratur gehören. 
Die dreisätzige Sonate Nr. 1 e-Moll op. 38 schrieb der Komponist 1862/1865. Das Stück geriet ihm ziem- lich stürmisch; auf einen langsamen Satz verzichtete Brahms. Inmitten einer gehörigen Portion Leidenschaft plazierte er statt dessen ein graziös stilisiertes Menuett. Das hat so mancher bedauert. Clara Schumann beispielsweise meinte: "Wie schade - Cello und kein Adagio." 
Die Sonate Nr. 2 in F-Dur für Violoncello und Klavier op. 99, entstanden 1886, holt das nach - allerdings wird das musikalische Material zunächst vom Klavier vergestellt, und das Cello darf nur pizzicato mitspielen. Wenn es endlich übernehmen darf, dann freilich geschieht ein Klangwunder, und das Adagio erblüht zur Hymne. 
Die dritte Sonate schrieb Brahms 1878/79 für Violine und Klavier - es handelt sich dabei um die sogenannte Regenlied-Sonate G-Dur op. 78, zum Andenken an seinen Patensohn Felix Schumann, der an Tuberkulose starb. Sie ist deutlich weicher, sanfter und lyrischer als die beiden anderen, eher markanten Werke. Urheber der 1897 veröffentlichten Cello-Bearbeitung ist Paul Klengel, der Bruder des berühmten Cellisten Julius Klengel.
Die drei Cellosonaten werden auf dieser Super-Audio-CD brillant vorgetragen von Torleif Thedéen und Roland Pöntinen - zwei schwedischen Musikern, die wie aus einem Atem miteinander musizieren. Anders kann man die Werke sicherlich spielen - aber besser? Das wird schwierig...

Samstag, 26. Juni 2010

Telemann: Dolce e staccato (Tudor)

Georg Philipp Telemann war mit den unterschiedlichen Schulen, die die europäische Instrumental- musik zu Beginn des 18. Jahrhun- derts prägten, bestens vertraut. Von Kindesbeinen an interessierte er sich ebenso für die Werke italienischer Meister wie für jene der französischen Hofkomponi- sten. "Ich hatte damals das Glück", so erinnert sich der Meister in seiner Autobiographie aus dem Jahre 1718, "zum öfteren die Hannöverische und Wolfenbüttelische Capellen zu hören. Also bekam ich bey jener Licht im Frantzösischen, bey dieser im Italiä- nischen und theatralischen Gout, bey beyden aber lernete die diversen Naturen verschiedener  Instrumente kennen, welche nach möglichstem Fleisse selbst zu excolieren nicht unterließ. Wie nöthig und nützlich es sey, diese Arten in ihren wesentlichen  Stücken unterscheiden zu können, solches erfahre noch biß auf den heutigen Tag." 
Telemann schrieb sowohl Ouvertüren-Suiten nach französischem Vorbild als auch Konzerte und Sonaten im italienischen Stil. So wurde er mit seiner Musik zum Inbegriff dessen, was man schon zu seinen Lebzeiten als "vermischten Geschmack" bezeichnete. Der Komponist, dem die musikalischen Ideen offenkundig niemals ausgingen, kombinierte beispielsweise französische Ouvertüre und Stilmittel aus der italienischen Konzertpraxis - und schuf Werke in einer Menge, die ihm den Vorwurf der Vielschreiberei einbrachte. 
Wir freilich freuen uns über die Telemann-Flut. Denn seine Musik ist nicht nur von bestechender Eleganz; sie zeugt zudem von einer gehörigen Portion Esprit. Das Barockorchester Capriccio aus Basel hat für diese CD zwei Ouvertüren ausgewählt, die mit viel Witz und natürlich auch kräftiger Übertreibung menschliche Charakterzüge bzw. die unterschiedlichsten Völkerschaften musikalisch abbilden. Sie stehen wie ein Rahmen um Telemanns einziges Flöten-Konzert in E-Dur (TWV 51: E 1), das in manchen Details an Konzerte Vivaldis erinnert, die in ihrer Struktur höchst anspruchsvolle Sonata f-Moll (TWV 44: 32), sowie das Konzert für drei Violinen, Streicher und Basso continuo F-Dur (TWV 53: F 1). Hier schert sich der Komponist kein bisschen um einen ausbalancierten Konzertsatz; die drei Soloviolinen werden mitnichten gleichberechtigt eingesetzt. Drei Sätze müssen genügen, und sie wirken in ihrer Struktur wie mit der heißen Nadel gestrickt. Dem Publikum war das offenbar egal; die Musique de Table, zu der dieses Werk gehört, wurde Telemann von Subscribenten aus ganz Europa schier aus den Händen gerissen.
Das Ensemble Capriccio spielt versiert und mit hörbarer Spielfreude. Soviel Hingabe begeistert auch den Zuhörer; diese charmante CD sei daher wärmstens empfohlen.

Bach: Favourite Arias and Choruses (Naxos)

Diese CD aus dem Hause Naxos fasst verschiedene Bach-Einspie- lungen mit dem Kölner Kammer- orchester unter Helmut Müller- Brühl zusammen. Um es gleich zu schreiben: Diese Häppchen- sammlung macht Appetit auf mehr.
Das liegt nicht zuletzt am Dresdner Kammerchor, der, bestens präpa- riert von seinem Gründer und langjährigen Leiter Hans-Christoph Rademann, wirklich brillant singt. Die Ausschnitte jedenfalls lassen auf eine der besten h-Moll-Messen hoffen, die ich je gehört habe - und auf eine ebenfalls grandiose Matthäuspassion.
Vorgestellt werden zudem einige Arien aus Kantaten. Müller-Brühl nimmt die Tempi in aller Regel sportlich, was dem Ausdruck nicht immer gut tut. Aber das vergisst man schnell wieder, wenn man den jungen Solisten lauscht, die durchweg zumindest anständig, in einigen Fällen sogar exzellent singen. So erweist sich die klug gestaltete Kreuzstab-Arie mit Hanno Müller-Brachmann ebenso als Über- raschung wie die Vergnügte Ruh mit Marianne Beate Kielland, die hier mit einem herrlichen dunkel timbrierten Alt überzeugt. Außer- dem versteht man jedes Wort, was ja leider gar nicht selbstverständ- lich ist. Bravi! 

Donnerstag, 24. Juni 2010

Schirokkos Seereisen (Ambitus)

Das Schirokko Ensemble Hamburg lädt ein zu einer Expedition ganz besonderer Art. Denn diese See- reise beginnt keineswegs im Hafen, sondern vielmehr im Anfang aller Dinge, mit der Schöpfung. Dann bevölkert sich die Erde allmählich, wenn man den Musikern folgt - wobei erstaunlich viel geflattert und gezwitschert wird.
Das anfängliche Chaos lichtet sich zunehmend; der Zuhörer wird Zeuge eines Sturmes, der das Meer aufwühlt, doch letztendlich ästhetisch gebändigt und in zwar virtuose, aber dennoch sanfte Blockflötenklänge gewandelt wird. Die Seereise endet, was dann doch etwas verblüfft, mit Telemanns Ouvertüre in C-Dur Wassermusik. Hamburger Ebb' und Flut
Die CD hält für ihre Hörer zwei Überraschungen parat. Sie startet mit einem Cluster, der sämtliche Töne der Anfangstonart in sich vereint - Jean-Féry Rebel beginnt so sein Werk Les Éléments, speziell den ersten Satz, Le Chaos. Aus dieser Simphonie Nouvelle erklingen dann noch mehr Stücke, allerdings mehr oder minder wild vermischt mit einigen anderen Werken des Komponisten sowie mit einzelnen Sätzen aus Vivaldis Distelfink-Flötenkonzert.
Die zweite Überraschung ist Fransisco Valls Composición enarmóni- ca para instrumentos de arco, ein Stück aus seiner Mapa Armónico Práctico (1742), das mit Viertelton-Intervallen arbeitet. Sein sanfter, vierstimmiger Kontrapunkt  versetzt den Hörer in eine Art Schwebe- zustand; verblüfft stellt man fest, dass diese ungewohnten, aber durchaus harmonischen Klänge schwer zu fassen sind. Es bleibt der Eindruck, dass die Melodien ruhig, aber unaufhaltsam davonfließen. Faszinierend.
Leider hinterlassen die Musiker abseits dieser Entdeckungen wenig Eindruck. Die bekannten Werke hat man alle schon irgendwo besser gehört; hier bleibt vieles vage. Saubere Töne spielen heutzutage eigentlich alle. Aber wer Barockmusik vorträgt, der benötigt auch eine gewisse Portion Esprit, und Mut zur Theatralik.

Dienstag, 22. Juni 2010

Otto Nicolai: Il Templario (cpo)

Schon bei den ersten Takten reibt man sich verwundert die Augen: Das soll ein Otto Nicolai sein? Musik aus der Feder des Begrün- ders der Wiener Philharmoniker?? Von dem Komponisten, der Die lustigen Weiber von Windsor schrieb??? 
Ouvertüre, Eingangschor und auch die folgenden Arien hätte man vielleicht einem Bellini oder Donizetti zugestanden - aber nicht einem jungen Mann, geboren 1810 in Königsberg, ausgebildet am Königlichen Institut für Kirchenmusik zu Berlin bei Carl Friedrich Zelter. Woher also dieser unverkennbar italienische Opernklang?
Die Antwort gibt die Biographie des Komponisten: Als 23jähriger erhielt er eine Organistenstelle an der Preußischen Gesandtschafts- kapelle in Rom. Dass er dort nicht nur Klassiker wie Palestrina studiert hat, kann man sich vorstellen.
Denn den jungen Mann zog es ganz offensichtlich zur Bühne; die italienische Oper, von der deutschen Kritik seinerzeit nach Kräften geschmäht, faszinierte ihn. Er gab Klavierstunden, dirigierte, und  komponierte fleißig - und stellte bald erfolgreich seine ersten Opern vor. 1841 wurde Nicolai Kapellmeister an der Wiener Hofoper; er etablierte zudem die Philharmonischen Konzerte und rief dafür ein eigenes Orchester ins Leben: Die Wiener Philharmoniker.
Dennoch nutzte Otto Nicolai letztendlich die Chance zur Rückkehr nach Berlin. 1847 erhielt er eine Anstellung als Dirigent des König- lichen Domchores und als Kapellmeister der Königlichen Oper. Zwei Jahre später, acht Wochen nach der Premiere der Lustigen Weiber von Windsor, starb Otto Nicolai, gerade 39 Jahre alt, an einem Schlaganfall. 
Nicolais dritte Oper, Il Templario nach Scotts Roman Ivanhoe, uraufgeführt in Turin 1840, geriet zum Triumph. Doch außerhalb der italienischen Theaterprovinz kam sie nur in Wien und in Berlin auf die Bühne. Und nach kurzer Zeit war sie wieder vergessen. Dass sie niemals wieder aufgeführt wurde, lag vor allem daran, dass ihre Partitur als verschollen galt. 
Es ist das Verdienst des Chemnitzer Opernhauses, wenn sie nunmehr gleich in drei Fassungen verfügbar ist, die der Musikwissenschaftler Michael Wittmann aufgespürt und kritisch erschlossen hat. Il Templa- rio erscheint als reiner Belcanto, traumhaft schöne Musik, die von den Solisten und dem Chor der Oper Chemnitz sowie - und das nicht zuletzt - von der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann kraftvoll vorgestellt wird. Eine Entdeckung!

Friedrich Wührer plays Beethoven (Tahra)

Back from the Shadows nennt das Label Tahra eine neue Serie, die an berühmte Virtuosen erinnern und ihr Spiel dokumentieren soll. Die Reihe eröffnet Friedrich Wührer (1900 - 1975), ein österreichischer Pianist und Klavierpädagoge, der seine Karriere in den 20er Jahren begann.
Berühmt wurde er vor allem für seine Interpretationen von Werken der Klassik und Romantik. So spiel- te er die erste Gesamtaufnahme der Klavierwerke von Franz Schubert ein. 
Aber er engagierte sich auch für Neue Musik; mit Pfitzner, Reger und Schönberg war er befreundet. So widmete ihm Hans Pfitzner seine Sechs Studien für das Pianoforte op. 51. Wührer spielte auch Krenek, Bartók, Stravinsky, Prokofiev und Hindemith. Er unterrichtete in Wien, Mannheim, Kiel, München und Salzburg. 
Diese Box fasst auf vier CD wichtige Beethoven-Einspielungen des Pianisten zusammen. Sie enthalten alle fünf Klavierkonzerte, das Tripelkonzert op. 56 sowie die drei Sonaten Nr. 30, 31 und 32, op. 109, 110 und 111 - die letzten Klaviersonaten Beethovens. 
Wührers Spiel ist durchaus markant, doch es ist sehr erstaunlich, wie sehr die Qualität der jeweiligen Aufnahme auch vom Orchester und vor allem vom jeweiligen Kapellmeister abhängt. So hat das Klavier- konzert Nr. 1, aufgezeichnet mit dem Wiener Pro Musica Orchester unter Hans Swarowski, durchaus magische Momente. Das Klavier- konzert Nr. 2, begleitet vom selben Orchester, aber unter Walter Davisson, fällt dagegen ganz klar ab. Beim "Emperor"-Konzert hat Dirigent Heinrich Hollreiser offenbar ganz andere musikalische Vorstellungen als der Solist, so dass ebenfalls kein befriedigendes Zusammenspiel zustande kommt. Es geht aber auch noch schlimmer: Beim Tripelkonzert, gespielt vom Württembergischen Staatsorchester unter Davisson, fragt man sich, ob überhaupt am Pult jemand anwesend ist, oder nicht vielmehr der Mann am Flügel das Orchester führt. 
Die Sonaten wünscht man sich - bei aller technischer Brillanz des Pianisten - klarer strukturiert und durchhörbarer. Mein persönlicher Favorit ist daher das Konzert Nr. 4, eingespielt von Wührer mit den Bamberger Sinfonikern unter Jonel Perlea. Hier wird deutlich, wie diese Werke hätten klingen können, wenn der Pianist die Chance bekommen hätte, mit einem Orchester tatsächlich zu musizieren. Man schließt die Augen, und träumt sich einen Hermann Abendroth, einen Karl Böhm oder gar einen Wilhelm Furtwängler herbei. Da wäre das Potential Friedrich Wührers ganz sicher anders hörbar geworden.

Giro d'Italia (MDG)

Eine Rundreise durch Italien, mit den Stationen Venedig, Burano, Bergamo, Mailand, Lucca und Neapel - denn das sind die Geburts- orte jener Komponisten, deren Werke diese CD enthält. Somit erweist sich diese Silberscheibe auch als Reiseführer durch eine musikalische Landschaft, die sich als sehr abwechslungsreich erweist. 
Im 18. Jahrhundert war die italienische Musik zudem Vorbild für viele europäische Kompo- nisten, die musikalische Formen und Strukturen, die sie oftmals ebenfalls auf Reisen durch das Land kennenlernten, adaptierten und weiterentwickelten. Das Ensemble Musica Alta Ripa hat für diese CD einige ganz besondere Pretiosen ausgewählt - zumeist weniger be- kannte, aber nichtsdestotrotz sehr hübsche Werke von Giuseppe Sammartini, Baldassare Galuppi, Luigi Boccherini, Antonio Vivaldi, Pietro Antonio Locatelli und Francesco Mancini. Sie zeigen, wie die Italiener selber die Ideen eines Corelli oder auch Vivaldi weiter- entwickelt haben - und führen den Zuhörer bis an die Schwelle der Frühklassik. Das Konzept ist faszinierend, die Zusammenstellung ist sehr abwechslungsreich, und auch die Musik gefällt, denn sie wird mit leichter Hand, Schwung und Humor inszeniert.

Montag, 21. Juni 2010

"Gott! Welch Dunkel hier" - Die Stunde Null (Profil)

Dresden lag in Trümmern. Die Überlebenden der Staatskapelle, nach dem Bombenangriff ins Vogtland verbracht, kehrten im Juli 1945 an die Elbe zurück, und begannen mit dem Wiederaufbau des Musiklebens - in der zerstörten Stadt kein leichtes Beginnen.
Umso mehr erstaunt es, dass sich aus diesen Tagen nicht nur Programme und Notizen finden, sondern auch Mitschnitte. Mit einem "Dora-Tornister-Magneto- phon" startete der MDR im Dezember 1945 seinen Sendebetrieb; die Technik für die Aufzeichnungen war teilweise selbstgebaut. Waren die Besetzungen größer, mussten die Musiker nach Leipzig reisen, weil es zerbombten Dresden an geeigneten Räumlichkeiten und an Technik mangelte.
Ein großer Teil dieser frühen Bandaufzeichnungen ist heute, nach immerhin 65 Jahren, noch in verblüffend guter Qualität erhalten. Einige Aufnahmen allerdings, beispielsweise ein "Aida"-Mitschnitt aus dem Jahre 1947 - wurde vom Rundfunk als "nicht sendefähig" einge- stuft, und einige Bänder sind technisch mittlerweile so verschlissen, dass die Aufzeichnungen guten Gewissens nicht mehr veröffentlicht werden können.
Dennoch reicht das Material aus, um drei CD mit Musik zu füllen, die zwischen dem Kriegsende und dem Jahr 1951 aufgenommen wurde. Besonderer Wert wurde bei der Restauration darauf gelegt, das charakteristische Klangbild der Aufnahmeräume zu erhalten. Das ist auch gut gelungen; der Zuhörer kann den Steinsaal im Deutschen Hygienemuseum, den Saal im Kurhaus Bühlau mit seiner knochen- trockenen Akustik, das Dröhnen des Ball- und Theatersaales der Leipziger Lokalität "Deutsche Reichshallen" sowie den 1947 einge- weihten Sendesaal des Funkhauses in der Leipziger Springerstraße mit seinem enormen Raumhall problemlos unterscheiden.
Die Liste der Sänger, die dieses klingende Dokument vorstellt, ist lang und umfassend: Man hört Helena Rott, Kurt Böhme, Gottlob Frick, Christel Goltz, Elfriede Trötschel, Bernd Aldenhoff, Hans Hopf, Werner Faulhaber, Werner Liebing, Arno Schellenberg, Dora Zschille, Elfriede Weidlich, Karl Paul, Heinz Sauerbaum, Ruth Lange und Lisa Otto. Es ist absolut verblüffend, aber ihre Stimmen so unverkennbar, dass man jeweils nach wenigen Takten sagen kann, wer gerade singt. Und man versteht jedes Wort.
Technisch sind Sänger heute zwar wesentlich besser ausgebildet. Man wagt es kaum zu schreiben - aber die meisten von den Künstlern, die hier zu hören sind, würden heute beim Vorsingen wohl nach wenigen Takten unterbrochen und hinausgeschickt werden. Sänger sind aus- tauschbar geworden; selbst die "Stars" haben mit wenigen Ausnahmen ein sehr ähnliches Timbre, dem jeweiligen Fach entsprechend. Stimmen sollen verfügbar sein, wie eine Ware. Ist der Künstler klug (und hat er die Möglichkeiten dazu), investiert er in die Entwicklung seiner Stimme. Gesangskarrieren über Jahrzehnte waren früher normal - heute sind sie Ausnahmen.
Das gibt schon zu denken. Eine Christel Goltz mag gesangstechnisch durchaus Defizite haben - aber ihre Aida oder ihre Salome beein- drucken noch heute. In diesen Aufnahmen aus der Nachkriegszeit erlebt man so viel Charakter, Charme, Individualität; manchmal fragt man sich, ob nicht diese "Seele" das eigentliche Wesen des Gesanges ist. Und wenn die Sängerpersönlichkeit fehlt, dann kann diese Lücke möglicherweise auch eine grandiose Technik nicht füllen.
In jedem Falle sind die drei CD plus die DVD mit Filmaufnahmen aus jenen Jahren ein bewegendes  Dokument mit großartiger Musik - ein Muss für jeden, der sich für historische Aufnahmen interessiert.

Donnerstag, 17. Juni 2010

Handel: Sonatas for Flute (EPR Classic)

Welche Sonaten Händel eigens für Flöte komponiert hat, das lässt sich heute nur noch schwer fest- stellen. Das liegt zum einen daran, dass der Meister zeitweise enorm produktiv war. Zum anderen war es damals durchaus üblich, Musik "für Violine, Flöte oder Oboe" und Continuo oder gar gänzlich ohne Angaben zur Besetzung zu publi- zieren, oder aber auch Werke nachträglich für andere Instru- mente zu bearbeiten. 
Trotz der Vielzahl überlieferter Druckfassungen und Handschriften ist es daher nur in Ausnahme- fällen möglich, Originalkompositionen Händels für die "German Flute", die seinerzeit in England wohl neu und sehr beliebt war, zu identifizieren. Es sind nicht sehr viele, die  Jan De Winne schließlich auf dieser CD zusammengetragen hat. 
Obwohl zu Händels Lebzeiten auch in England die Traversflöte begann, die Blockflöten zu verdrängen, spielt das Instrument im Werk des großen Komponisten offenbar kaum eine Rolle. In seinen Opern und Oratorien jedenfalls bevorzugt Händel Oboe und Blockflöte. Über die Gründe dafür mag spekulieren, wer Lust hat - die Flötensonaten jedenfalls, die diese CD zusammenfasst, sind hübsche Stücke. Sie fol- gen in ihrer Struktur zumeist dem Muster der sonata da chiesa, das Händel in Italien kennengelernt hat, und das auch andere Kompo- nisten seiner Zeit verwendeten, so beispielsweise Arcangelo Corelli in seinen Violinsonaten. 
Jan De Winne musiziert mit schönem, fokussiertem Ton - die Travers- flöte klingt deutlich dunkler und weicher als die moderne Querflöte - und einer geradezu barocken Lust an der Auszierung und Variation. Lorenzo Ghielmi am Cembalo und Lorenzo Testori am Violoncello begleiten ihn temperamentvoll. So entsteht ein spannungsgeladener musikalischer Dialog, dem man mit Freude lauscht - und Langeweile wird dabei garantiert nicht aufkommen.

Mittwoch, 16. Juni 2010

Gatti: Chamber Music (MDG)

Luigi Gatti? Nie gehört! Das aber
ist eine Bildungslücke, denn der Sänger, Komponist, Dirigent und Priester war in Salzburg am Hofe des Fürsterzbischofs Colloredo Hofkapellmeister - und damit faktisch der Vorgesetzte von Leopold Mozart. 
Für diese CD hat Rainer Schott- städt, Fagottist und Mitbegründer des Calamus-Ensembles, zwei groß besetzte Kammermusik-Werke "ausgegraben". Er fand sie hand- schriftlich in der Bibliotheca Musicale Greggiati im italienischen Ostiglia. Und: Sie lassen auf- horchen. 
Die Serenata a più stromenti di Concerto für Oboe, Fagott, zwei Hörner und Streichquartett in D-Dur erweist sich als eine klassische Serenade mit etlichen schönen Details. So schrieb Gatti wundervolle Solopassagen nicht nur für Violinen und Violoncello, sondern auch für Oboe und Fagott. Die beiden Hörner hingegen haben vorrangig Harmoniefunktion; nur sehr selten ist das Instrument auch als Melodiestimme zu vernehmen. 
Das Sestetto für Englischhorn, Fagott, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass erinnert darin, wie Violine, Cello, Englischhorn und Fagott bei den Soli die Themen weiterreichen und fortspinnen, an Haydns Sinfonia concertante. Es ist ein freundliches und bildschönes Stück, das als eine echte Bereicherung des Repertoires gelten kann. Das Calamus-Ensemble musiziert die hübschen Neuentdeckungen mit Spiellust und Leidenschaft. Gattis geistreiche Musik sorgt dank der exzellenten Einspielung für ungetrübten Hörgenuss - und gute Laune.

Im Maien - Musik des 16. und 17. Jahrhunderts für Virginal und Zink (Cantate)

Was ein Zink ist? Ein Blasinstru- ment, das zur Familie der Hörner zählt. Es wird aus Holz, Horn oder Elfenbein gefertigt, und wie eine Trompete geblasen - hat aber zugleich Grifflöcher wie eine Blockflöte. 
Der Zink, auch Cornetto genannt, war bis weit ins 17. Jahrhundert sehr beliebt, weil sein Klang sehr modulationsfähig ist und exzellent mit der menschlichen Stimme har- moniert. Er wurde in der Kammer- musik ebenso eingesetzt wie in der Turmmusik der Stadtpfeifer - gemeinsam mit Posaunen, denn die Trompete war der höfischen Klangsphäre vorbehalten.
 Der Zink verlor seine Bedeutung schließlich an die Violine, und ver- schwand für gut 200 Jahre nahezu vollständig aus dem Musikleben. Das ist sehr schade, wie die vorliegende CD beweist. Christian Brem- beck, Virginal und Cembalo, und Thomas Hasselbeck, Zink, haben dafür, quer durch Europa, Musik aus der Blütezeit des Instrumentes zusammengetragen, die den Wonnemonat Mai preist - und die Heilige Jungfrau, denn der Mai galt seinerzeit auch als "Marienmond". 
So finden sich Palestrinas Hodie beata Virgo und Ave Maria neben Maria zart von edler Art von Arnolt Schlick , die Mock-Nightingale aus Elizabeth Rogers her Virginal Book neben Werken von Thomas Tallis, Giovanni Gabrieli und Girolamo Frescobaldi, und Hans Leo Hasslers Magnificat primi toni neben El Canto Llano de la Immacu- lada Concepción de la Virgen Maria y tres Glosas von Francisco Correa de Arauxo, und noch etliche andere mehr. 
Es ist erstaunlich, wie gut der sonore Klang des Zinken zu Cembalo und Virginal passt. Brembeck spielt die Tasteninstrumente, auch in einigen Solostücken, beeindruckend. Und auch Hasselbeck beherrscht die nicht ganz einfach zu spielenden Zinken wirklich exzellent, so dass er diese teilweise hochvirtuose Literatur ausdrucksstark und mit herrlichen Klangfarben präsentieren kann. Eine Entdeckung!

Montag, 14. Juni 2010

Sehnsuchtswalzer - Herbert Schuch (Oehms Classics)

Erst Schumann, dann Czerny, dann Schubert, abschließend Weber - was für eine Kombination! Im Beiheft begründet Herbert Schuch diese Zusammenstellung, und was er dazu sagt, erscheint sehr schlüssig: "Es ist erstaunlich, wie Weber hier den Typus des Chopin- schen Konzertwalzers vorweg- nimmt. Dieses Werk ist für mich ein Wunder! Zugleich gibt es Walzer von Schubert, in denen ich bereits Schumann zu hören meine. Mich hat also auch interessiert, woher Schumann und seine Idee des Tanzes kommen. In diesem Sinne ist die zweite CD als eine Art Anhang zu sehen."
1833 komponierte Schumann Variationen über einen Walzer Franz Schuberts, der als Trauer- oder auch als Sehnsuchtswalzer bekannt wurde. Der junge Komponist schwärmte für Schuberts Musik - was vielleicht auch mit an den jungen Damen gelegen haben könnte, die ihn auf die Werke des Wieners aufmerksam gemacht hatten. 
"Edelsteine ziehen Geistesfunken aus, sagt man; es haben sich unter ihm viel musikalische Namen begeben, die ich ‚Scenen’ nennen will", schrieb Schumann an Henriette Voigt. "Eigentlich sind’s Liebeslilien, die der Sehnsuchtswalzer zusammenhält. Die Zueignung verdient und schätzt nur eine Asdurseele, mithin eine, die Ihnen gliche, mithin Sie allein, meine theure Freundinn." 
Allein der Zyklus blieb unvollendet - Schumann gründete seine Neue Zeitschrift für Musik, verlobte sich mit  Ernestine von Fricken, und komponierte Carnaval op.9, dessen Scenen nicht ohne Grund im Marche des Davidsbündler contre les Philistins kulminieren. Wie ein Echo aus der Vergangenheit eröffnet die Einleitung des abgebroche- nen Versuches in Sachen Sehnsuchtswalzer nun diese Charakter- studien. 
Schuch spielt das Sehnsuchtswalzer-Fragment nach einer Edition von Andreas Boyde. "Ich habe mir erlaubt, die eine oder andere Wieder- holung einzufügen, weil ich den Eindruck hatte, dass diese Stücke (...) sonst allzu kurz geraten", meint der Pianist. Und zwischen die Variationen und Carnaval schiebt er die Papillons op.2 und die Intermezzi op.4, die im gleichen Zeitraum und aus demselben musi- kalischen Ideenfundus entstanden sind, wie Schumanns Skizzen- bücher belegen. 
Auf den Carnaval folgt dann Carl Czerny. Seine Variationen über den beliebten Wiener Trauer-Walzer von Franz Schubert op. 12 sind ein typisches Virtuosenstück. Schuch spielt es leicht und mit viel Charme, sehr differenziert und nicht nur auf Effekt bedacht. Dennoch bleibt der Kontrast zum Romantiker Schumann frappierend. "Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäbe ich ihnen zu hören, sie zu vernichten", ätzte Schumann einst gegen den gefeierten Pianisten, Komponisten und Musikpädagogen. Beim Publikum freilich kam Czerny ausgezeichnet an; als er 1857 starb, war er ein reicher Mann. 
Schuch setzt in seiner Interpretation durchaus eigene Akzente, die man jedoch gut nachvollziehen kann. Er spielt sehr überlegt, tech- nisch brillant, mit Geist und Witz und mit einem beeindruckenden Sinn für Klangfarben. Diese Doppel-CD gehört für mich daher zu den wenigen herausragenden Inseln aus dem großen Meer der Schumann-Veröffentlichungen im Jubiläumsjahr.

Mittwoch, 9. Juni 2010

William Byrd: Infelix ego (Hyperion)

Zur Zeit Königin Elisabeths erlebte England eine Blütezeit.  Katholiken freilich erging es im protestan- tischen Staat nicht besonders gut; viele Menschen, die bei ihrem Glauben bleiben wollten, wählten das Exil. Und obwohl William Byrd in England blieb, scheint auch er mit dem Katholizismus eng ver- bunden. Für den Großteil seiner Werke wählte er die lateinische Sprache. So auch für die Stücke der vorliegenden CD, die überwiegend den Cantiones sacrae von 1591 bzw. den Gradualia von 1605/07 entstammen. Die Werke wirken bei flüchtigem Anhören eher wie Madrigale als Motetten; doch sie vertonen nahezu durchweg Bibeltexte oder Verse aus dem Proprium.  Sie waren wohl für den liturgischen Gebrauch vorgesehen, und sind daher meist entsprechend kurz.
Eine Ausnahme in jeder Hinsicht ist Infelix ego - sowohl in seiner Länge als auch in seiner Intensität dürfte das Werk in Byrds Schaffen einzigartig sein. Der Text ist eine Meditation über Psalm 50, geschrieben einst von dem Dominikanermönch Girolamo Savonarola, der die Medici aus Florenz vertrieb und dann versuchte, in der Stadt einen "Gottesstaat" zu errichten. Der Papst exkommunizierte ihn; nach der Rückkehr der Medici wurde Savonarola wegen Häresie hingerichtet. Man muss diesen Fanatiker nicht mögen - aber sein Text ist grandios, und die emotionsgeladene Vertonung von Byrd erweist sich als eine exzellente gesungene Auslegung dieser Worte. Es ist beeindruckend, wie kreativ er die musikalischen Mittel einsetzte, die damals genutzt wurden, um seine Botschaft zu transportieren - die Musik der Renaissance- und der Barockzeit ist eine rhetorische Kunst, und ihr Zentrum ist das Wort.
Es singen Mitglieder des britischen Ensembles The Cardinall's Musick unter Leitung von Andrew Carwood, und das großartig. Es ist immer wieder eine Offenbarung, ihnen zuzuhören.

Montag, 7. Juni 2010

If I were a bird - Michael Lewin (Dorian)

"A piano aviary" nennt Michael Lewin diese nette Kompilation. "Es war ein großes Vergnügen, die Musik für diese Aufnahme auszu- wählen und einzuspielen, die ja nur einen Bruchteil der schönen Vogelmusik für das Klavier dar- stellt", meint der Pianist. Selbst das Beiheft, sagenhafte 22 Seiten stark, wimmelt geradezu von Vögeln aller Arten. 
Es ist ganz erstaunlich, aber Vögel haben offensichtlich ganze Heer- scharen von Komponisten fasziniert und inspiriert. Lewin eröffnet den gefiederten Reigen mit Barockmusik - aber er bleibt dort nicht. Die CD startet mit Rameaus Versammlung der Vögel. Das zwitschert in allen Tonlagen durcheinander; ein hübsches Stück voll Energie. Es folgen jede Menge Federwesen - Lerchen, ein Kuckuck, Messianens Taube, sogar ein weißer Pfau, der Schwan aus Saint-Saens Karneval der Tiere, bemerkenswerterweise in der Klavierversion von Alexan- der Siloti, ein Truthahn und natürlich auch Nachtigallen, sowie einige magische Vögel, wie Schumanns Vogel als Prophet oder Strawinskys Feuervogel in einer furiosen Transkription von Guido Agosti. Es ist unmöglich, an dieser Stelle alle Miniaturen und ihre Schöpfer aufzuzählen. Mein persönlicher Favorit ist Die zwei Lerchen von Theodor Leschetitzky. Doch das ist Geschmackssache; diese CD lädt zu Entdeckungen geradezu ein. 
Lewin spielt die 22 Stücke, die meist nur wenige Minuten dauern, mit hoher Virtuosität und Brillanz. Einzig beim abschließenden Strawinsky würde man sich mehr Präzision wünschen. Und auch der Klang des Instrumentes erscheint gewöhnungsbedürftig. Der Flügel aus dem Hause Steinway & Sons, New York, klingt extrem hell und offen. Das bekommt nicht allen Stücken gleichermaßen gut.

Handel: Arie italiane per basso; Ildebrando D'Arcangelo (Deutsche Grammophon)

Es ist doch immer wieder schockie- rend, wie viele Leute heute mit den Augen hören. Selbst Kritiker sind davor offensichtlich nicht gefeit: "Ildebrando D'Arcangelo is a complete knock-out ... charming, funny, sexy ... in touch with his emotions", zitiert die Deutsche Grammophon den Londoner Inde- pendent
Was hören wir, wenn wir den CD-Player anwerfen? Händels wunderschöne Arien. Ein Orchester, das solide, aber nicht übermäßig inspiriert spielt. Und einen Bariton, der dazu neigt, mini- mal unterm Ton zu bleiben. In manchen Stücken zeigt er eine schöne, samtweiche Mittellage. Doch sobald Höhe gefordert ist, kann er nicht mehr überzeugen. Und die Tiefe ist auch nicht unbedingt sein Fach, wie beispielsweise Fra l'ombre e gl'orrori zeigt. Eine Enttäuschung.

Kreuzchorvespern: Komm, Heiliger Geist (Berlin Classics)

Um den Pfingsthymnus Veni creator spiritus gruppieren sich die Chorwerke, die Kreuzkantor Roderich Kreile für diese zweite CD mit geistlicher Musik aus Dresden ausgewählt hat.
Diesmal erklingt Musik, wie sie von den Kruzianern seit Jahrhunderten im Zeitraum zwischen Himmel- fahrt, Pfingstfest und Trinitatis gesungen wird. Es verblüfft daher nicht, dass Kreile auch aus dem reichen geistigen wie musikali- schen Fundus geschöpft hat, als dessen Hüter der traditionsreiche Chor sich gerade in jüngster Vergangenheit erwiesen hat. Da steht Felix Mendelssohn Bartholdy neben Krysztof Penderecki, Heinrich Schütz neben Palestrina, und Bach neben Ernst Pepping. 
Die Kruzianer sind gut bei Stimme; unter Kreiles Führung hat ihr Gesang wieder jenes exzellente Niveau, das der Chor zu Zeiten Mauersbergers erreicht und unter Flämig, Stier und Jung mehr oder minder gehalten hat. Die CD kann daher hier empfohlen werden.

Sonntag, 6. Juni 2010

Benno Moiseiwitsch: Chopin Recordings 1939 - 1952 (Naxos)

Wer russische Klavierschule in ihrer ganzen Pracht kennenlernen will, der sollte zu dieser CD greifen. Benno Moissejewitsch, geboren 1890 in Odessa, gestorben 1963 in London, begann im Alter von sie- ben Jahren an der Musikakademie Odessa mit dem Klavierunterricht. Zwei Jahre später gewann er den Rubinstein-Preis; als 14jähriger ging er nach Wien, um bei Theodor Leschetitzky, einem der Begründer der großen russischen Klavier- tradition, seine Ausbildung zu vervollkommnen. 1909 gab der junge Pianist in London sein Debüt; dort blieb er, und 1937 nahm Moissejewitsch die britische Staats- bürgerschaft an. 
Die vorliegenden Aufnahmen wurden sämtlich im Studio 3, Abbey Road, London, eingespielt. Sie sind eine Offenbarung. Moissejewitsch spielt mit einer Leichtigkeit und einer Eleganz, die man heutzutage wohl nicht mehr findet. Seine Technik ist grandios; selbst die schwierigsten Passagen wirken verblüffend natürlich und mühelos. Unter Moissejewitschs Händen atmet und tanzt die Musik. Seinen Chopin könnte man stundenlang hören. Und als wäre das noch nicht genug, bringt der Anhang eine Überraschung: Mendelssohns Scherzo aus dem Mittsommernachtstraum in einer Bearbeitung durch Rachmaninoff.

Schumann: Die großen Chorwerke (EMI Classics)

Sie sind nicht eben häufig zu hören, die großen Chorwerke von Robert Schumann. In den 70er Jahren ging EMI Electrola gemeinsam mit dem Chor des Städtischen Musik- vereins zu Düsseldorf unter dem Chorleiter Hartmut Schmidt und mit freundlicher Begleitung durch die Stadt Düsseldorf daran, die teilweise vollkommen in Ver- gessenheit geratenen Werke für Chor, mitunter zudem ein großes Solistenaufgebot und Orchester aufzuzeichnen. Die "Düsseldorfer Schumann-Chor-Edition", entstanden über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, erregte damals enormes Aufsehen.
Jetzt hat EMI diese legendären, mehrfach preisgekrönten Aufnahmen in einer 9-CD-Box zusammengefasst. Sie enthält Werke wie Das Para- dies und die Peri, die Szenen aus Goethes Faust, Der Rose Pilgerfahrt, eine Vielzahl von Romanzen und Balladen, die Messe c-Moll op. 147, das Requiem Des-Dur op. 148 und das Requiem für Mignon op. 98b. 
An der Seite des von Hartmut Schmidt stets sorgfältig einstudierten Chores, der wirklich prachtvoll singt, sind Weltstars zu hören wie Edith Mathis, Edda Moser, Brigitte Fassbaender, Nicolai Gedda oder Dietrich Fischer-Dieskau. Bei der Missa sacra sind Chor und Solisten gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern unter Wolfgang Sawallisch zu hören. Ansonsten sind die Düsseldorfer Symphoniker der Partner der Wahl, geleitet von ihren Generalmusikdirektoren Henryk Czyz, Rafael Frühbeck de Burgos und Bernhard Klee, die sich liebevoll der Meisterwerke ihres Amtsvorgängers annehmen. 
Es ist kein Wunder, dass die Kritik diese Aufnahmen seinerzeit gefeiert hat. Denn hier wird tatsächlich auf höchstem Niveau musiziert. Diese Einspielungen, natürlich mittlerweile sorgfältig remastert, haben in den vergangenen Jahrzehnten kaum Staub angesetzt. EMI gebührt Dank dafür, dass diese Raritätensammlung nun zum 200. Geburtstag Schumanns wieder erhältlich ist.

Freitag, 4. Juni 2010

Patricia Petibon: Rosso (Deutsche Grammophon)

Die französische Sopranistin Patricia Petibon singt Arien des italienischen Barock. Ihre Auswahl umfasst einige "Hits" des Genres, wie Händels Lascia ch'io pianga - aber auch eine ganze Reihe von Raritäten. Und es ist schön, dass Petibon nicht nur die bekannten Namen wie Händel, Vivaldi, Scarlatti und Stradella ins Spiel bringt, sondern auch Stücke von Komponisten ausgesucht hat, die ein wenig in Vergessenheit geraten sind, wie Antonio Sartorio, Nicola Porpora oder Benedetto Marcello. 
Ihre Auswahl ermöglicht es ihr zudem, ein breites Spektrum an Emotionen zu zeigen. Da finden sich Trauer und Verzweiflung neben Wut und Aggression, leidenschaftliche Liebe und laszive Verführung neben ordinärer Selbstdarstellung, Sehnsucht und Erfüllung neben Enttäuschung und mörderischer Rachsucht.
All diesen Gefühlen verleiht die Sängerin mit ihrer Stimme Ausdruck. Sie wird perfekt geführt, und erlaubt Petibon den Einsatz einer weiten Skala an Nuancen und Klangfarben. Sie verfügt über ein berückendes Pianissimo ebenso wie über ein enormes Stimmvolumen, so dass sie sogar nahezu ohne Vibrato und ohne zu forcieren im Bedarfsfalle gewaltig an Lautstärke zulegen kann. Sie kann geheimnisvoll-dunkel klingen, schlicht und gerade heraus, hell und strahlend oder metallisch-spitz, und sie bewegt sich dabei mit einer Sicherheit durch die Register, dass der Zuhörer nur staunen kann. 
Petibon gestaltet all ihre Partien mit großer Intelligenz und zugleich mit beeindruckender Empathie. Dabei ist es ihr vollkommen egal, ob ihre Töne "schön" sind, wenn sie nur stimmig sind. Selbst das Augen- zwinkern singt sie mit, immer im Wettstreit mit dem Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon, das bereits einige Stars glatt an die Wand gespielt hat. Was für ein Sinn für Theatralik! Auf der Bühne dürfte diese Sängerin eine furiose Erscheinung sein. Und dass der Deutschen Grammophon kein gescheiterer Titel als "Rosso" für diese CD eingefallen ist, das kann sie verkraften.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Durón: Salir el Amor del Mundo (Dorian)

Spanische und italienische Musik- tradition verschmolz Sebastián Durón (1660 - 1716) zu einem Stück voll Charme und Witz:
"Salir el Amor del Mundo" be- richtet davon, wie der kecke Cupido mit seinen Liebespfeilen und dem Bogen einst im Wald der jungfräulichen Jägerin Diana erwischt wurde. Die fand den Streich gar nicht komisch, und diese Zarzuela verrät, wie sie sich rächte.
Hofmusikus Durón erfand dafür eine Musik, die Formen der italieni- schen Oper mit althergebrachten spanischen Bräuchen kombinierte. Das Ergebnis ist ziemlich überraschend, und einzigartig. Die CD wird komplettiert durch eine Reihe von Werken einiger Zeitgenossen des Komponisten - José Nebra, Juan Hidalgo, José Marin, und Santiago de Murcia. 
Das Ensemble El Mundo zelebriert diese Musik unter Leitung von Richard Savino mit Genuss und mit einem hörbaren Sinn für Theatralik. Das Solistenensemble agiert gut aufeinander abgestimmt; die einzelnen Stimmen haben Wiedererkennungswert, die Besetzung ist  sehr ordentlich, aber nicht herausragend.

Mendelssohn Bartholdy: Cellosonaten; Vogler (Berlin Classics)

Felix Mendelssohn Bartholdy hatte ein unglaubliches Gespür für Klangfarben. Seine Werke für Violoncello sind so perfekt auf das Instrument zugeschnitten, dass man kaum glauben mag, dass er es nicht selbst gespielt hat. Sie sind intime Dialoge zwischen Cello und Klavier, wobei jeder Dialogpartner eigene Gedanken und eine eigene Stimme einbringt. 
Die vorliegende CD enthält Men- delssohns Sonaten für Violoncello und Klavier Nr. 1 in B-Dur op. 45 und Nr. 2 in D-Dur op. 58 sowie die Variations concertantes D-Dur op. 17 und das Lied ohne Worte D-Dur op. 109. Jan Vogler und Louis Lortie erweisen sich als ideale Interpreten dieser Stücke. Denn sie beherrschen dieses Wechselspiel, dieses Balancieren zwischen Solo und Zwiegesang perfekt. 
Da wird jede Phrase sorgsam und mit Hingabe gestaltet. Vogler lässt sein Guarneri-Cello singen - mit dem charakteristischen dunklen, weichen Ton - und der kanadische Pianist führt den musikalischen Gedanken weiter. Oder aber das Klavier gibt eine Struktur vor, und das Cello greift die Idee auf und spinnt sie fort. Lortie und Vogler musizieren seit vielen Jahren gemeinsam; Mendelssohns Werken kommt dies offenbar sehr zugute. Ich jedenfalls halte diese Einspie- lung für eine von Voglers besten.

Mittwoch, 2. Juni 2010

Bach: Partitas for Solo Violin; Korhonen (Ondine)

Timo Korhonen spielt Bachs Partiten auf der Gitarre. Und wenn man nicht wüsste, dass diese Werke für Solo-Violine entstanden sind, müsste man annehmen, es handele sich hier um originäre Kompositionen für dieses Instrument. 
Denn die Stücke wirken in einem Maße "gitarristisch", das schon verblüfft. Das liegt daran, dass Korhonen die Partiten nicht einfach für die Gitarre "bearbeitet" hat, wie das beispielsweise die Romantiker getan hätten. "Mein Ziel war es, die Ausdrucksweise des Violinparts auf die Gitarre zu übertragen - nicht damit die Gitarre klingt wie eine Violine, eine Laute oder ein Cembalo, sondern um den musikalischen Inhalt auszuführen, als ob Bach ihn für die sechssaiti- ge Konzertgitarre geschrieben hätte, damals 1720", erläutert der finnische Musiker. Er sieht seine Musik als eine rhetorische Kunst, und nicht als Medium, um Gefühle auszudrücken. "Ein Komponist der Barockzeit beschreibt, der Romantiker hingegen spricht aus. Das ist ein gewaltiger Unterschied im Denkansatz."
Bach selbst hat seine Sonaten und Partiten durchaus auch auf anderen Instrumenten vorgetragen, berichtet beispielsweise sein Schüler Johann Friedrich Agricola: "Ihr Verfaßer spielte sie selbst oft auf dem Clavicorde, und fügte von Harmonie so viel dazu bey, als er für nöthig befand." Insofern hätte der Komponist Korhonens Annähe- rungsversuch mit einiger Sicherheit begrüßt, zumal sich der Gitarrist auch spieltechnisch jedem Anspruch gewachsen zeigt. Eine wunder- bare Einspielung, die ich nur empfehlen kann.

Dienstag, 1. Juni 2010

Bottesini: Fantasia on themes of Rossini (Naxos)

"Ich bedaure, meine Herren, so falsch gespielt zu haben - aber wenn ich erst einmal weiß, wohin ich meine Finger setzen muss, wird mir das nicht mehr passie- ren!" Diesen Satz, der in Sachen Kontrabass zum geflügelten Wort geworden ist, sprach der 13jährige Giovanni Bottesini bei seiner Aufnahmeprüfung am Mailänder Konservatorium.  
Dort wollte der Knabe studieren; doch Stipendien gab es nur für die Kontrabass- und die Fagottklasse. Bottesini war auf diese Beihilfe angewiesen - aber er war auf Geige und Bratsche ausgebildet worden. Aus diesem Grunde wechselte er in kürzester Zeit das Instrument, und wagte das Vorspiel auf dem Kontrabass. 
Die Prüfer konnte er überzeugen. Und das Publikum dann auch - für seine Kompositionen und Konzerte wurde der Paganini des Kontrabasses bis ins hohe Alter in der Alten und Neuen Welt gefeiert und verehrt.  Die Stücke für zwei Kontrabässe, die diese CD enthält, sind durchweg in Bottesinis Mailänder Studienjahren entstanden. 
Ein charmantes, aber auch hochvirtuoses Werk ist die Fantasie über Themen von Rossini, wo die beiden tiefen Streicher in Begleitung eines Klaviers musizieren. Sie beginnt rasant mit einer Tarantella; es folgen eine lyrische serenata, und ein stürmisches Finale im besten Rossinischen Witz und Temperament.  
Passioni amorose, ein dreisätziges Werk, ähnelt in seiner Struktur einem Konzert, und das Konzert für zwei Kontrabässe und Klavier erweist sich als ein sehr naher Verwandter. Das zweite von den Tre Grandi Duetti erklingt hier in der Originalversion für zwei dreiseitige Bässe. Bottesini hatte es seinem Lehrer Luigi Rossi gewidmet. Die Werke zeigen generell  eine gewisse Nähe zur italienischen Oper; sie sind technisch so anspruchsvoll, dass sie zu Beginn des 20. Jahr- hunderts als unspielbar galten.
Es musizieren zwei der besten Kontrabassisten der Welt. Thomas Martin war Solobassist der Academy of St Martin-in-the-Fields, des City of Birmingham Symphony Orchestra und des London Symphony Orchestra, und unterrichtet heute als Professor am London's Royal College of Music. Timothy Cobb ist Solobassist an der Met und unterrichtet an der legendären Juilliard School. Pianist Christopher Oldfather ist eigentlich ein ausgewiesener Spezialist für die Musik des 20. Jahrhunderts.