Sonntag, 19. September 2021

Bach: Dritter Theil der Clavier Übung (MDG)

 

Die große Orgel in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen gehörte einst zu den beeindruckenden Erbstücken des hanseatischen Orgelbarock. Ein Instrument gab es dort wohl bereits um 1400; über Jahrhunderte haben Organisten wie David und Heinrich Scheidemann oder Jan Adam Reincken immer wieder Umbauten und Erweiterungen veranlasst. Bereits Hans Scherer d.J., der 1605/06 ein neues Gehäuse mit Hamburger Prospekt anfertigte, hat Pfeifenbestände seiner Vorgänger übernommen und erweitert. Ab 1631 ergänzte Gottfried Fritzsche ein Brustwerk und jeweils ein Register im Pedal und im Hauptwerk; dessen Schüler Friedrich Stellwagen zeichnete in den Jahren 1644 bis 1647 für einen Umbau verantwortlich, und unter Reincken fügte Friedrich Besser ab 1671 unter anderem die Pedalregister Groß-Posaune und Principal 32‘ hinzu. 

An diesem Instrument hat Johann Sebastian Bach 1720 musiziert, als er sich um die Organistenstelle an St. Jacobi bewarb. Er zeigte sich begeistert von der „Schönheit und Verschiedenheit des Klanges“ der 16 (!) Zungenregister „dieses in allen Stücken vortrefflichen Werkes“, und er spielte mehr als zwei Stunden. Auch die Zuhörer waren sehr beeindruckt: „Ich dachte, diese Kunst wäre ausgestorben, ich sehe aber, dass sie in Ihnen noch lebet“, soll der betagte und von Bach verehrte Reincken nach dem Probespiel gesagt haben. 

Dennoch bewarb sich der Thüringer damals vergebens. Die Stelle erhielt ein Kollege, der bereit war, dafür eine Spende von 4.000 Mark – seinerzeit eine immense Summe – aufzuwenden. Bach wurde später Thomaskantor, und noch später schrieb er die Orgelchoräle, die auf dieser CD zu hören sind. Doch noch einmal zurück zur Geschichte der Orgel in St. Katharinen. Denn dieses Instrument, mittlerweile eine Großorgel, wurde auch in den darauffolgenden Jahrhunderten immer wieder verändert. 1943 veranlasste schließlich der Organist Friedrich Brinkmann, dass 17 Register demontiert und im Kellergewölbe von St. Michaelis eingelagert wurden. 

Bei einem Luftangriff wenig später, am 30. Juli 1943, wurden Kirche und Orgel zerstört. Nach dem Wiederaufbau errichtete die Firma Kemper in den Jahren 1960 bis 62 eine neue Orgel. Sie wurde aber zunehmend als unbefriedigend empfunden, und schließlich 2007 an eine polnische Gemeinde verkauft – mit Ausnahme jener Pfeifen, die einst Bestandteil der historischen Orgel waren. 

Sie wurden zum Schlüsselmaterial für einen rekonstruktiven Neubau, der auf der Grundlage aller Informationen erfolgte, die man über das Instrument im Jahre 1720 hatte. Die „Orgel für Bach“ wurde in den Jahren 2007 bis 2013 durch die Orgelbaufirma Flentrop (Zaandam/Niederlande) errichtet. Der Initiator dieses Projektes, Andreas Fischer, Kantor und Organist an St. Katharinen, hat nun Bachs exemplarischen Zyklus von Orgelchorälen an diesem Instrument eingespielt: Der berühmte Dritte Theil der Clavier Übung – 21 Choralvorspiele, quasi eingerahmt zwischen einem großen Präludium und einer ebenso gewichtigen Tripelfuge. In dieser Kollektion zeigt Bach an repräsentativen Beispielen die vielfältigen Möglichkeiten der Choralbearbeitung. 

Fischers Interpretation ist exzellent, und die Aufnahme macht zudem deutlich, dass die Flentrop-Orgel mit ihren vielfältigen Klangfarben und der norddeutschen Wucht ihrer Pedalregister bestens zu Bachs Musik passt. Zu loben ist außerdem, dass die Aufnahme einen ausgezeichneten akustischen Eindruck vom Kirchenraum vermittelt. Eine grandiose Einspielung, vom ersten bis zum letzten Ton rundum gelungen. Unbedingte Empfehlung! 


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