Der dänische Flötist Carl Joachim Andersen (1847 bis 1909) muss ein Phänomen gewesen sein. Ausgebil- det von seinem Vater, trat er im Alter von 13 Jahren erstmals öffentlich auf. Er war zunächst Erster Flötist im Musikvereins-Orchester Kopenhagen unter Niels Gade, spielte ab1868 in der König- lichen Hofkapelle und ging dann erst nach St. Petersburg, später nach Berlin. Dort war er Soloflötist an der Königlichen Oper. 1882 ge- hörte er zu den Gründungsmitglie- dern des Berliner Philharmonischen Orchesters, die der Soloflötist mitunter auch dirigierte.
Nachdem er krankheitsbedingt seine Stellung bei den Berliner Phil- harmonikern aufgeben musste, kehrte Andersen nach Kopenhagen zurück. Dort war er als Dirigent tätig und gründete zudem eine Orchesterschule, um seine reichen Erfahrungen an den Musikernach- wuchs weiterzugeben.
Die Flötistin Kyle Dzapo hat sich intensiv mit Leben und Werk ihres berühmten Kollegen beschäftigt; sie ist nicht nur mit seiner Biogra- phie bestens vertraut, sondern auch mit seiner Musik. Sie spielt die schwierigen Werke - es sind immerhin die Glanznummern eines der besten Flötisten seiner Zeit - technisch rundweg überzeugend und mit schönem, silbrigen Ton. Bei einigen Stücken wird sie begleitet von Matthew Mazzoni am Klavier.
Andersen hat eine Vielzahl von Etüden geschrieben, die noch heute von wohl jedem angehenden Flötisten gespielt werden. In seinem nicht übermäßig umfangreichen Werk finden sich zudem diverse Virtuosenstücke, Salonmusik sowie Bearbeitungen, wie beispielsweise acht Opern-Transkriptionen op. 45.
Dzapo hat für diese CD Musikstücke ausgesucht, die einen repräsen- tativen Überblick über sein Schaffen geben. Sie beginnt mit Cesare Ciardis Le carnaval russe, mit den Kadenzen Andersens. Dieses Stück hatte der Soloflötist beim ersten Konzert der Berliner Philharmoniker am 17. Oktober 1892 gespielt. Seine Fähigkeit, zu einem eigentlich schlichten Thema ausgesprochen virtuose Variationen zu erfinden, zeigen auch zwei der Schwedischen Polska-Lieder op. 50 von Isidor Dannström, transkribiert von Andersen, sowie seine Fantasie zu Themen aus Mozarts Don Giovanni aus den Opern-Transkriptionen.
Die Mühle, Legende und Tarantella aus seinen Acht Vortragsstücken demonstrieren aber, dass er auch ein großer Meister der musikalischen Charakterstücke war; seine Miniaturen offenbaren Virtuosität und Witz. Die 24 Großen Etüden, op. 15, sind weit mehr als Fingerübungen. Es sind Kabinettstückchen für Profi-Flötisten, in der Tradition der Études brillantes - rasant, voller harmonischer Über- raschungen und gespickt mit technischen Schwierigkeiten. Ähnliches gilt auch für die Deuxième morceau de concert, op. 61, mit der Dzapo das Programm beendet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen