Montag, 7. Oktober 2013

Gesualdo: Sesto Libro di Madrigali 1611 (Glossa)

Noch vor hundert Jahren erregten die Kompositionen von Carlo Gesualdo (1566 bis 1613) eher Schauder denn Bewunderung. So schrieb Charles Burney, ein be- deutender englischer Musikexper- te des 18. Jahrhunderts, weitge- reist und welterfahren: And as to his modulation, it is so far from being the sweetest conceivable, that, to me, it seems forced, affected, and disgusting. Noch Werner Herzog porträtierte in seinem Film Gesualdo – Tod für fünf Stimmen den Fürsten von Venosa als einsamen Mann am Rande des Wahnsinns. 
Seine Zeitgenossen hingegen hielten die Werke Gesualdos mitnichten für exzentrisch. So lobte der Genueser Simone Molinaro (1565 bis 1615), der alle sechs Madrigalbücher des Komponisten in einem beeindruckenden Neudruck vorlegte, die Kompositionen, sie seien „canore perle stillate nella conca dell'eterna bellezza da'raggi del Prencipe di Venosa“
Hört man das sechste Madrigalbuch aufmerksam, so wird man feststellen, dass die scheinbare Modernität der Tonsprache Gesualdos in erster Linie ein Missverständnis ist – denn der Komponist setzt grundsätzlich auf die musikalischen Mittel seiner Zeit. Er konnte es sich jedoch leisten, Struktur und Ausdruck zu perfektionieren, und dabei die Regeln bis an die Grenzen auszuloten. 
Interpreten seiner Werke heute stellt dies vor Probleme. Denn die Aufführungstraditionen solcher Musik sind abgerissen; das Wissen und die Fertigkeiten sind verloren und müssen mühsam rekonstruiert werden. Das, was wir heute erreichen, ist lediglich eine Annäherung an jene längst entschwundenen Klänge. Und gar nicht selten erscheint uns das, was die alten Noten vorgeben, sehr ungewohnt und tech- nisch extrem anspruchsvoll. 
Das gilt nicht zuletzt auch für die Stimmbücher des legendären Libro Sesto Gesualdos. Es gibt nicht viele Sänger, die sich an diese kompli- zierte Materie wagen. Die Spezialisten von La Compagnia del Madri- gale haben sich damit gründlich beschäftigt, und eine Aufnahme für Glossa eingespielt. Man staunt ein wenig über den satten Sound – und freut sich dann über die Routine, mit denen die acht Sängerinnen und Sänger durch Gesualdos kühne Harmonien navigieren. Diese Auf- nahme setzt ohne Zweifel Maßstäbe. 

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