Samstag, 6. Februar 2016

Josef Bulva plays Franz Liszt (RCA Red Seal)

Josef Bulva, geboren 1943 in Brünn, galt bereits früh als Ausnahme- virtuose. Er begeisterte durch seine exzellente Technik, und seinen wachen Kunstverstand. Denn die Virtuosität ist für Bulva nie Selbst- zweck, sondern stets eine Voraus- setzung für musikalischen Ausdruck. Eine weitere Vorbedingung, die den Pianisten besonders interessierte, ist das Wissen um die Strukturen und die Entstehung eines Werkes: Interpreten seien das Dienstpersonal der Kompo- nisten, das betonte der Musiker mehr- fach. 
Mit sieben Jahren begann Josef Bulva, Klavier zu lernen. Als Teenager spielte er seine ersten Mozart-Klavierkonzerte und Brahms' Paganini-Variationen, und mit 21 Jahren wurde er Staatssolist der Tschechoslo- wakei. 1972, auf seiner ersten Auslandstournee nach dem Prager Frühling, blieb der Pianist dann in Luxemburg, was in seiner Heimat erhebliche Aufregung verursachte und ihm sogar einen Prozess wegen Hochverrats einbrachte. Seine Musikerkarriere allerdings hätte beinahe ein sehr viel banalerer Vorgang beendet: 1996 stürzte Bulva, und fiel mit der linken Hand in Glasscherben. Dabei verletzte er sich so schwer, dass nicht nur die Ärzte der Meinung waren, er werde wohl nie wieder Klavier spielen können.  
Auch Bulva selbst schien diese Auffassung zunächst zu teilen. Er verkaufte seine Instrumente, und ging nach Monaco, wo er viel Geld an der Börse verdiente. Doch am Ende war der Drang zum Klavier stärker. Der Musiker ließ seine Hand mehrfach operieren, und er begann, wieder zu üben, um Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer zu trainieren. Das Wunder gelang: Der Pianist spielt wieder Konzerte; 2010 gab er seine Börsenmakler-Lizenz zurück. 
Im vergangenen Jahr ehrte sein langjähriges Label RCA Josef Bulva mit einem Doppelalbum, das ausgewählte Liszt-Einspielungen aus dem Jahren 1960 bis 2014 zusammenfasst. Daran könnte man die Entwicklung einer großartigen Künstlerpersönlichkeit verfolgen – wenn sie denn chronolo- gisch geordnet wären. Allerdings erklärt Bulva im Beiheft recht ausführ- lich, warum die jeweilige Aufnahme ausgewählt wurde, und wie er sie aus heutiger Sicht bewertet. 
Die Musik von Franz Liszt hat den Pianisten ein Leben lang begleitet. Sie war es, die ihn in jungen Jahren zum Üben motivierte, so dass er schon als Jugendlicher die ersten Etüden spielen konnte. Liszt ist für Bulva aber kein Idol; er äußert sich zu etlichen Werken des Komponisten durchaus kritisch, und hat auch längst nicht alles gespielt, was Liszt zu Papier gebracht hat. So wird er im Beiheft zu dieser CD mit dem Bonmot zitiert: „Ein anderer Komponist hätte Die Legende der Heiligen Elisabeth wahrscheinlich zum Anzünden des Kaminfeuers verwendet. Liszt aber hat es drucken lassen.“ 
Zu hören sind neben dem Klavierkonzert Nr. 1 mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Daniel Nazareth und der berühmten h-Moll Sonate auch zwei der Grandes Études de Paganini, darunter eine legendäre Aufnahme von La Campanella, die der 17jährige Pianist einst im Supraphon-Studio eingespielt hat, sowie vier der Études d'exécution transcendante. Die Spanische Rhapsodie erklingt in einer Supraphon-Einspielung aus dem Jahre 1970, die seinerzeit wegen der „Republikflucht“ des Interpreten nicht veröffentlicht worden ist. Ausgewählt wurden für diese Edition zudem die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 in cis-Moll, die
E-Dur-Polonaise und der Mephistowalzer

Bulva beeindruckt mit seinem beständigen Ringen um eine Interpretation, die einerseits möglicht dicht am Notentext bleibt, andererseits aber die Essenz eines Werkes ins Hier und Jetzt transferiert. „So stellt man sich z.B. die Frage: Was hätte der Komponist anders instrumentiert, wenn er für ein Klavier der heutigen Zeit hätte schreiben müssen?“, erläutert der Pianist im Beiheft. „Die Antworten auf solche Fragen erfordern Entschei- dungen, die man im Sinne des Komponisten treffen muss, die aber nicht im Notentext stehen. Die Notenschrift enthält maximal 70 % von dem, was der Komponist im Sinn hat. 30 % kann man nicht notieren. Das gibt einen gewissen Spielraum, den man benutzen kann, ohne sich der Untreue gegenüber dem Notentext schuldig zu machen.“ Mit Virtuosität allein kommt man da nicht weit – aber natürlich kommt sie in sämtlichen Liszt-Einspielungen auf den beiden CD hinreißend zur Geltung. Auch wenn Josef Bulva möglicherweise weniger bekannt sein mag als so mancher Kollege – aber meiner Meinung nach ist er noch immer einer der besten Pianisten der Welt. Unbedingt anhören! 

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