Diese Aufnahme habe ich etliche Male angehört – und ich verstehe immer noch nicht, warum Patricia Kopatchinskaja das Violinkonzert von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840 bis 1893) spielt.
„You know, for a long time the Tchaikovsky Concerto was alien to me. To my ears it didn't have any music relevant to our time. Need- lessly masticated by anyone no too lazy to practice, misappropriated for exercises in digital dexterity, spat out in competitions. Moronic violinism, that's what I thought of it“, schreibt die Geigerin im Beiheft zu dieser CD.
Zur Erinnerung: Es ist dieses Konzert, das den Wiener Kritiker Eduard Hanslick einst bescheinigte, es bewege sich eine Weile „maßvoll, musi- kalisch und nicht ohne Geist, bald aber gewinnt die Rohheit Oberhand und behauptet sich bis ans Ende des ersten Satzes. Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebläut.“ Genau so spielt Kopatchinskaja dieses Konzert; sie vermeidet scheu romantische Kantilene und große Bögen, um statt dessen zu zerfetzen, zu schaben und zu kratzen, was der Bogen hergibt. Natürlich kann man Tschaikowski dekonstruieren; man kann ihn musikhistorisch befragen, zergliedern, und spielen, wie man zeitgenössische Musik zu spielen geneigt ist – aber wird das diesem Konzert gerecht?
Im Beiheft liest man einen langen Aufsatz von Patricia Kopatchinskaja in Briefform, in dem sie dieser Musik nachsinnt. Doch die Bilder, die sie hier schildert – man hört sie leider nicht. Auch Teodor Currentzis schreibt einen solchen Brief, viele Worte, sehr blumig und poetisch. Der griechische Dirigent agiert seit einigen Jahren im russischen Perm, und hat diese Aufnahme mit seinem Ensemble Musica Aeterna mitgestaltet. Bislang sind großartige Klänge aus der sibirischen Provinz zu hören gewesen. Das Mozart-Requiem beispielsweise war grandios. Doch mit diesem Tschaikowski-Violinkonzert, eingepackt in soviel Texte, kann ich nichts anfangen.
Warum machen diese Musiker nicht einfach Musik – und akzeptieren dabei, dass Romantik schlicht Romantik ist? Dieses Konzert ist nun einmal Vergangenheit, und wenn man sie in die Zukunft holt, dann sollte man das doch bitte behutsam tun und sehr aufmerksam; vielleicht so, wie man eine wertvolle alte Vase aufstellt, um sie respektvoll zu bewundern. Stellt man sie allzu derb in die Zugluft, dann reisst sie der Wind möglicherweise herunter. Man hat dann die Scherben – aber befriedigt das?
Hanslicks Kritik gipfelte einst in der Feststellung: „Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört.“ Wenn man dem künstlerisch nichts hinzuzufügen hat, dann sollte man es vielleicht einfach lassen.
Für den zweiten Teil der CD wählte Currentzis Les Noces, ein selten zu hörendes Werk von Igor Strawinsky. Das Stück ist besetzt mit einem Sängerquartett, Chor, vier Pianisten und sieben (!) Schlagzeugern. Es schildert eine russische Bauernhochzeit, und wurde als Tanzkantate komponiert, als Ballettmusik. Gewidmet ist es Serge Diaghilev, der es 1923 in Paris mit seinen Ballets Russes uraufgeführt hat. Und dieser Teil der CD ist dann wirklich gelungen.
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