„Wenn ein angehender Clavier- spieler alle Schwierigkeiten überwunden hätte, die in Händels, Scarlattis, Schoberts, Eckharts und C.P.E. Bachs Clavierstücken anzutreffen sind“, so schrieb der englische Musikliebhaber Charles Burney in seinem Reisetagebuch 1773, „und, wie Alexander“ – gemeint ist hier Alexander der Große, jener makedonische König, der ein Reich eroberte, das bis nach Indien reichte – „bedauerte, daß er weiter nichts zu überwinden hätte, dem würde ich Müthels Kompositions vorschlagen, als ein Mittel, seine Geduld und Beharrlichkeit zu üben. Seine Arbeiten sind so voller neuer Gedanken, so voller Geschmack, Anmuth und Kunstfertig- keit, daß ich mich nicht scheuen würde, sie unter die grössesten Produkte unserer Zeit zu rechnen. So ausserordentlich das Genie und die Kunst dieses Tonkünstlers sind, so ist er doch in Deutschland nicht sehr bekannt.“
Johann Gottfried Müthel (1728 bis 1788) war der Sohn eines Organisten, und er kam in der Kleinstadt Mölln zur Welt. Seine musikalische Laufbahn begann er beim Vater, der ihn anschließend zur weiteren Ausbildung nach Lübeck zum Marienorganisten Johann Paul Kuntzen gab. Nach dessen Tode 1747 wurde Müthel Kammermusiker und Organist am Hof von Mecklenburg-Schwerin. Sein Dienstherr, Herzog Christian Ludwig II., schätzte den jungen Musiker sehr, und finanzierte ihm bald einen einjährigen Studienurlaub.
So reiste Müthel im Frühjahr 1750 nach Leipzig zu Johann Sebastian Bach, wo er dem erblindeten Meister auch als Notenkopist zur Hand ging, und in dessen Haushalt lebte – allerdings starb Bach drei Monate nach Ankunft dieses seines letzten Schülers. Müthel blieb dann einige Zeit bei Bachs Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol in Naumburg. Mit Abschriften zahlreicher Werke Bachs wohl versehen, reiste der junge Musiker nach Dresden weiter, wo er Johann Adolph Hasse begegnete, und den modernen italienischen Stil kennenlernte. Aufenthalte bei Carl Philipp Emanuel Bach in Potsdam und bei Georg Philipp Telemann in Hamburg folgten, bevor Müthel schließlich – die Jahresfrist war längst weit über- schritten – zu seinem Dienstherrn zurückkehrte.
Doch schon 1753 nahm der Musiker seine Abschied, und folgte einer Einladung seines Bruders nach Riga. Dort leitete er zunächst die Kapelle des Geheimrates Otto Hermann von Vietinghoff, der auch ein bedeutender Kunstmäzen war. 1767 erhielt Müthel schließlich die Stelle des Organisten der Petri-Kirche, wo er dann bis an sein Lebensende verblieb.
Leider sind von ihm nur wenige Orgelmusiken erhalten. Auf dieser CD präsentiert Léon Berben nahezu vollständig das zwar schmale, aber beeindruckende Werk. Die Aufnahme zeigt, dass Müthel ohne Zweifel zu den wichtigsten Komponisten jener Zeit zwischen Barock und Klassik gehört, die von der Musikgeschichtsschreibung gern als „Sturm und Drang“ beschrieben wird.
Das Instrument, an dem Müthel einst in Riga musizierte, ist nicht erhal- ten. Allerdings wird eine Rekonstruktion der dreimanualigen Orgel, die von Gottfried Kloosen 1734 fertiggestellt wurde, durch die Dresdner Firma Wegscheider derzeit vorbereitet.
Für diese Einspielung hat Léon Berben die Orgel der Lukaskirche im thüringischen Mühlberg ausgewählt. Es handelt sich dabei um ein zweimanualiges Instrument mit Pedal, das 1729 von dem Erfurter Orgelbauer Frantz Volckland errichtet und 1823 durch Ernst Friedrich Hesse sowie 1934 durch die Firma Walcker rigoros umgebaut. In den Jahren 1995-97 wurde das Instrument durch den Orgelbau Waltershausen restauriert, wobei weitgehend der Zustand von 1823 wiederhergestellt worden ist. Zu Müthels Musik passt der Klang dieser Orgel, und Berben spielt obendrein exzellent. Kurz und gut: Unbedingte Empfehlung – die Wiederentdeckung dieses Orgelmeisters lohnt sich.
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