Der Geiger Robin Peter Müller hat sich mit dem La Folia Barock- orchester an ein außergewöhnliches Projekt gewagt: Die Musiker haben eine komplette CD mit Konzerten veröffentlicht, deren Komponisten unbekannt sind. Chapeau! Denn dieses Album ist wirklich sehr interessant und hörenswert. Die ausgewählte Musik hat durchaus Qualität, auch wenn der Komponist anonym bleibt.
Was? Man weiß nicht, wer diese Musik komponiert hat?? Aber wie soll man sie dann würdigen – gilt doch seit der Romantik der Künstler als zwar begnadete, aber zumeist auch tragische Figur. Denn der faire Ausgleich für überdurchschnittliche Begabung ist beständiges Leiden. Wer daran zweifelt, der lese nur, was die Zeitung mit den vier Buchstaben tagtäglich über Stars und Sternchen berichtet.
Das Genie, so das romantische Konzept, ringt seine Werke seiner Seele und auch seiner Biograpie ab, und bei einem großen Künstler wird daher traditionell auch irgend ein großes Defizit vermutet. So entstehen Legenden; man denke nur an die Geschichte vom ewig notleidenden Mozart, der zum Schluss an unbekannter Stelle in einem Armengrab verscharrt worden sei.
Dass Musiker noch im Barock mitunter ziemlich umfangreich aus Werken von Kollegen zitierten, oder bestimmte Stücke immer wieder neu verwendeten – man denke beispielsweise an Händels Arien oder an Bachs Kantaten – passt aber nicht so recht in dieses Konzept vom Originalgenie. Auch Anonymität verstört, denn in diesem Falle fehlt die enge Verknüp- fung von Urheber und Werk.
Bei der Erschließung von Archivbeständen sind Werke, die sich nicht einem Komponisten zuordnen lassen, daher ein wenig benachteiligt. Das gilt auch für die Notenbibliothek, die einst in dem berühmten „Schranck No:2“ gefunden wurde und sich heute in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden befindet. Sie stammt zum großen Teil aus dem Nachlass des Konzertmeisters Johann Georg Pisendel (1687 bis 1755), und enthält eine gewaltige Anzahl von Notenhand- schriften.
In den Fächern 1 bis 28 befanden sich Werke von Adam bis Zipoli, sorg- sam alphabetisch geordnet. Es folgen drei Fächer mit Sammelhandschrif- ten, ein Fach, dessen Inhalt leider verloren gegangen ist, und dann, in den Fächern 33 bis 40, folgen die Anonyma. Einiges davon konnte die Musikwissenschaft mittlerweile Komponisten zuordnen. Doch es warten noch immer genug Rätsel in diesem Notenbestand – und wer sich damit befassen will, der muss heute auch nicht mehr nach Dresden reisen, über dicken Findbüchern grübeln, und dann darauf warten, im Lesesaal in den Originalen blättern zu dürfen, unter dem wachen Blick des Aufsichts- personals. Heute sind all diese Handschriften im Internet zugänglich, jederzeit und für jedermann.
Ein wenig wundert man sich da schon, dass nicht mehr Musiker daran gehen, diese Schätze zu heben. Dass sich die Mühe lohnt, zeigt diese CD, die übrigens durchweg Weltersteinspielungen enthält. Bei der Auswahl habe man „zwei Tage lang sämtliche Concerti aus den Handschriften mit dem ganzen Ensemble“ einfach durchgespielt, berichtet Müller. Für fünf Konzerte haben sich die Musiker dann entschieden.
Das La Folia Barockorchester musiziert mit Präzision und Temperament. Mein persönlicher Favorit ist das Concerto à 5 obligati in F-Dur. Es ist sehr wahrscheinlich zur Zeit August des Starken entstanden. Konzertmeister war damals der Flame Jean Baptiste Woulmyer. Der Amtsvorgänger Pisendels orientierte sich am französischen Vorbild – nachfolgende Generationen schauten eher nach Italien.
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