Mittwoch, 29. Juli 2020

Weber: Der Freischütz (Oehms Classics)

Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz zählt an jedem deutschen Stadttheater, das auf sich hält, zum Kernrepertoire. Die wichtigste Rolle in diesem Stück hat, die Solisten mögen mir verzeihen, ohne Zweifel der Chor. Vom fröhlichen Treiben beim Schützenfest über den Spuk in der Wolfsschlucht, wo der Schurke Kaspar den Jägerburschen Max dazu verführt, Freikugeln zu gießen, über den berühmten Jägerchor bis hin zum großen Finale – fast immer ist das Volk präsent. 
Regisseurin Tatjana Gürbaca, die dieses Stück 2018/19 auf die Bühne des Aalto-Musiktheaters Essen gebracht hat, treibt dies auf die Spitze, und ersetzt auch den Teufel Samiel durch das Gewisper und Gezischel der Menge: Das Böse ist in uns allen, und es ist quasi als Kopfkino immer dabei. Die Bilder lassen vermuten, dass sie die Oper keineswegs, wie vorgesehen, in einem böhmischen Dorf, "kurz nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges", spielen lässt. 
Für diese Aufnahme ist das egal. Denn ansonsten ist alles wie üblich. Heiko Trinsinger ist ein ebenso stimmgewaltiger wie grimmiger Kaspar, Maximilian Schmitt singt den Max so weinerlich, dass man dem Burschen mitunter am liebsten ein Taschentuch reichen würde. Albrecht Kludszuweit gestaltet mit seinem Gesang den reichen Bauern Kilian so plastisch, dass man die Figur geradezu vor sich sieht. Das lässt sich auch für Karel Martin Ludvik sagen, dessen Erbförster Kuno so beharrlich für die Tradition steht wie eine deutsche Eiche. Seine Tochter Agathe, mit dem strahlenden Sopran von Jessica Muirhead, ist natürlich wohlerzogen, fromm und, in Maßen, naturverbunden. 
In dieser ländlich-sittlichen Idylle wirkt das Ännchen, gesungen von Tamara Banješević, wie die zugereiste Cousine aus der Stadt – wirklich sehr nett und sehr bemüht, aber auch sehr fremd. Das Tableau komplettieren Uta Schwarzkopf und Helga Wachter als Brautjungfern, Martijn Cornet als Fürst Ottokar und Tijl Faveyts als Eremit. 
Viel Farbe und Flair bringen die Essener Philharmoniker unter Leitung von Tomáš Netopil. Doch Chor und Extrachor des Aalto-Theaters erweisen sich letztendlich als Dominante des Geschehens. Ohne Frage: Die Chöre haben Wucht. 

Keine Kommentare: