Carl Seemann, Jahrgang 1910, studierte Kirchenmusik in Leipzig; er war ein Schüler von Karl Straube und Günther Ramin. Nach dem Examen arbeitete er zunächst als Organist, bevor er seine Karriere als Konzertpianist startete. Seemann war berühmt für die Sachlichkeit seiner Inter- pretationen. Im Zentrum seines Klavierspiels stand stets die musikalische Syntax. Sein Bach klingt wie gemeißelt, was freilich den kleinen Stücken aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach jeglichen Charme nimmt. Und auch die Sechs kleinen Präludien BWV 933-938 stehen im Raum, wie aus Beton gegossen. Die Chromatische Fantasie und Fuge hingegen verortet der Pianist kühn im romantischen Stürmen und Drängen. Da dominiert, ganz entgegen Seemanns sonstigem Brauch, das Pedal, und es tauchen sogar Oktavgriffe auf, die so bei Bach nicht stehen. Man staunt: Das ist ganz 19. Jahrhundert; es klingt fast, als würde Liszt Bach spielen - das würde heute wohl keiner mehr so wagen.
Eine weitere CD zeigt, wie sich Seemann der Moderne näherte. Sie enthält das Konzert für Klavier und Bläser sowie die Serenade in A und das Duo concertant von Igor Stravinsky, sowie eine bislang unveröffentlichte Aufnahme der Sonate für Violine und Klavier in g-Moll von Claude Debussy - die letztgenannten beiden Stücke spielt Seemann mit seinem langjährigen Kammermusik-Partner Wolfgang Schneiderhan. Auch dies sind interessante musikhistorische Dokumente, Aufnahmen für Sammler, Kenner und Liebhaber.
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