Hugo Distler (1908 bis 1942) musste sein Leben lang um künstlerischen Freiraum ringen. Der Junge, von seiner Mutter im Alter von vier Jahren verlassen, wuchs bei seinen Groß- eltern auf. Sie kauften ihm ein Klavier und finanzierten ihm den Musik- unterricht sowie eine gute schulische Ausbildung. Durch die Inflation verarmten sie aber, so dass Distler 1925 nicht nur den Tod seiner Großmutter betrauern musste, sondern sich obendrein die private Musikschule nicht länger leisten konnte. Schließlich unterrichtete ihn sein Lehrer unentgeltlich. Nach dem Abitur studierte Distler am Leipziger Konservatorium. Als 1930 auch sein Großvater starb, der ihn trotz großer Armut finanziell unterstützt hatte, musste der junge Musiker aber seine Ausbildung abbrechen und sich eine Arbeit suchen – was zur Zeit der Weltwirtschaftkrise kein leichtes Unterfangen war.
In dieser Situation half Distler sein Orgellehrer Günther Ramin; auf seine Vermittlung hin wurde Distler Organist derJakobikirche in Lübeck. Dort wirkte er gemeinsam mit Pastor Axel Werner Kühl, einem der führenden Köpfe der Bekennenden Kirche, und Kantor Bruno Grusnick, der mit seinem Lübecker Sing- und Spielkreis etliche Werke Distlers uraufführte. 1937 flüchtete der Musiker, nachdem es Ärger mit der Gestapo gegeben hatte, nach Stuttgart, wo er an der Musikhochschule unterrichtete und zudem Chor und Hochschulkantorei leitete. 1940 wurde er Professor an der Berliner Musikhochschule; im April 1942 übernahm er die Leitung des Berliner Staats- und Domchores.
In seiner Arbeit erlebte er beständige Behinderungen und Zumutungen durch die Machthaber – vom HJ-Führer, der die Chorbuben zum Dienst befahl, sobald Chorproben angesetzt waren, bis hin zur vaterländischen „Thingspiel-Kantate“, die er in kürzester Frist mit Musik versehen sollte; ein Ansinnen, das Distler nicht abzuweisen wagte. Als er jedoch im Oktober 1942 zum sechsten Male einen Gestellungsbefehl erhielt, der sich diesmal auch nicht abwenden ließ, war es genug: Am 1. November 1942 nahm sich Hugo Distler das Leben.
Seine Werke geben Zeugnis von Distlers tiefem Glauben. Eine Auswahl seiner Motetten sowie Die Weihnachtsgeschichte op. 10 aus dem Jahre 1933 hat das Athesinus Consort Berlin jetzt bei Carus veröffentlicht. Dort ist übrigens auch die Notenedition dazu verfügbar.
Das Athesinus Consort Berlin, 1992 von Klaus-Martin Bresgott gegründet, besteht aus professionellen Sängern. Das Ensemble widmet sich mit großer Hingabe anspruchsvollen Projekten, von Musik der Spätrenaissance bis hin zur Uraufführung von Werken zeitgenössischer Komponisten.
Aus dieser Erfahrung heraus hat sich das Athesinus Consort nun Distlers Werk zugewandt. Diese Musik klingt vertraut, aber die Stimmen sind nur scheinbar simpel geschichtet. Schon bald bemerkt man Bezüge zu großen Vorbildern – beispielsweise in der Motette Also hat Gott die Welt geliebet, die an eine Vertonung des gleichen Textes durch Heinrich Schütz (SWV 380) denken lässt, oder in ganz erstaunlichen Bicinien und Fugen, die alte Formen mit neuem musikalischem Inhalt präsentieren.
Nicht ohne Grund gehörte Die Weihnachtsgeschichte schon zu Lebzeiten von Hugo Distler zu seinen beliebtesten Kompositionen. Sie ist eines der schönsten A-cappella-Werke des 20. Jahrhunderts für die Advents- und Weihnachtszeit und wird vom Athesinus Consort Berlin ausdrucksstark und engagiert vorgetragen. Und vielleicht trägt diese CD ja dazu bei, dass sich Chöre wieder öfter an Distlers Werke wagen – es lohnt, ganz ohne Zweifel.
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