In Wien wurde er gefeiert, in Berlin mit Argwohn beäugt: Niccolò Pa- ganini, jener Virtuose, der einst Schubert zu der Bemerkung hin- riss, er habe einen Engel singen hören, galt den Deutschen als Teufelsgeiger. Und während einige Musiker wie Schumann oder Liszt in einen wahren Paganini-Taumel gerieten, sahen andere Kollegen seine Konzerte durchaus kritisch: "Seine linke Hand, die immer reine Intonation und seine G-Saite sind bewunderungswürdig", berichtet beispielsweise Louis Spohr 1830 in einem Brief. "In seinen Komposi- tionen und seinem Vortrag ist aber eine so sonderbare Mischung von höchst Genialem und Kindischem und Geschmacklosem, weshalb man sich abwechselnd angezogen und abgestoßen fühlt." Diese Meinung erscheint nicht ganz abwegig; das wird der geneigte Hörer bestätigen, wenn er die vorliegende Einspielung von Paganinis Violinkonzerten I bis IV durch Ingolf Turban und das WDR Rundfunk- orchester Köln unter Lior Shambadal kennengelernt hat.
Der Solist spielt virtuos und zudem mit Verstand. So entdeckt er manches Detail, das andere gern übersehen. Das Konzert Nr. 1 op. 6, üblicherweise vorgetragen in D-Dur, beispielsweise belässt Turban in jener Tonart, in der die Orchesterstimmen ursprünglich notiert waren - in Es-Dur. Es ist bekannt, dass Paganini gern zu einem Trick griff, der seinem Instrument zu einem besonders strahlenden und erhabenen Klang verhalf. Das Phänomen beruht auf der sogenannten scordatura - und in diesem Falle wird die Violine um einen halben Ton höher gestimmt. Der Violinist aber benutzt Noten, in denen seine Partie einen halben Ton tiefer notiert ist, hier also in D-Dur. So löst Turban ein musikalisches Rätsel - und der Hörer wird sich über den enormen Zugewinn an klanglicher Brillanz freuen.
Ingolf Turban wagt sich zudem an eigene Kadenzen, die - bei aller Freude an artistischen Effekten - in erster Linie den dramatischen Gestus des musikalischen Materials nachvollziehen und sich so nicht in Zirkusmätzchen erschöpfen. Natürlich "geht" eine Phrase auch immer noch schneller, noch rasanter, mit noch mehr Doppelgriffen, Flageolett, Pizzicato und ähnlichem; allerdings geht ein olympischer Wettstreit um Komplexität und Geschwindigkeit am Wesen der Musik vorbei. Virtuosität ist eine Voraussetzung, aber nicht der Endzweck des Musizierens.
Paganini wusste offenbar beide Seiten zu verbinden. Enorme Finger- fertigkeit, clevere Ideen für immer neue Effekte, um ein nach Virtuo- sen süchtiges Publikum zu verblüffen - und ab und an, besonders in den langsamen Sätzen, ahnt man auch jene Tiefe der Empfindung, die Schubert seinerzeit so beeindruckt hat. Doch bevor man allzusehr ins Schwärmen gerät, setzt wieder das Orchester ein - oftmals leider unsensibel, brachial und viel zu laut. Natürlich hat Paganini den Rahmen um die funkelnden Soli mitunter ziemlich grob geschmiedet. Aber muss man den Kontrast gleich derart übertreiben?
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