Schon seit längerem setzt sich Matthias Kirschnereit intensiv mit dem Werk von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 bis 1847) aus- einander. „Es ist überfällig, diesem genialen Tonschöpfer vorurteilsfrei zu begegnen und seine ureigene Klangsprache angemessen zu würdigen“, fordert der Pianist. „Die Beschäftigung mit Mendelssohns Musik hat für mich stets etwas Klärendes, Reinigendes, Erhebendes: Schumanns Aussage, Mendelssohn sei der ,Mozart des 19. Jahrhunderts' trifft es auf den Punkt.“
Denn ebenso wie Mozart schuf Mendelssohn schon in jungen Jahren „Werke von bleibendem Rang“, erläutert Kirschnereit. Die Lieder ohne Worte sieht der Pianist als musikalische Momentaufnahmen; der Komponist habe sie bis auf wenige Ausnahmen nach der Niederschrift nicht noch einmal überarbeitet: „Hier spricht er ungefiltert!“
Die Gesamtschau dieser Werke, die Kirschnereit mit seiner Einspielung ermöglicht, zeigt zudem, dass die Lieder ohne Worte deutlich mehr sind als biedermeierselige Albumblätter. Die gern gespielten Werke sind alles andere als ein musikalisches Idyll für klavierspielende höhere Töchter. „Die Lieder ohne Worte ziehen sich wie Tagebuchaufzeichnungen durch Mendelssohns kompositorisches Leben: Heiteres, Poetisches, Natur- haftes, Erhabenes Kokettes, Dramatisches, Verzweifeltes lösen sich in scheinbar loser Folge ab“, so Kirschnereit.
Oftmals wurde zudem ignoriert, dass der Komponist – auch wenn er seiner Schwester jahrelang den brüderlichen „Handwerkssegen“ verweigerte – im beständigen Dialog mit Fanny Hensel arbeitete. Ebenso wie beispielsweise bei den Liedvertonungen gibt es auch bei den Liedern ohne Worte ausgesprochen qualitätvolle Beiträge dieser Musikerin, die Kirschnereit in seiner Gesamteinspielung erstmals den Werken des berühmten Bruders zur Seite stellt. Man wird schnell feststellen: Die Werke von Fanny Hensel sind wesentlich kühner, freier und technisch mitunter auch anspruchsvoller als die von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Matthias Kirschnereit, ausgebildet der Tradition der deutschen Klavier- schule entsprechend, die von seiner Lehrerin Renate Kretschmar-Fischer über Conrad Hansen, Edwin Fischer und Martin Krause bis zu Franz Liszt zurückreicht, hat in der deutsch-österreichischen Romantik seine musikalische Heimat. Mit fein ausdifferenziertem Anschlag und hoher Sensibilität entlockt er jedem Lied seine Besonderheiten, und entführt den Zuhörer in eine wunderbare Welt en miniature. Mendelssohns Werke, schrieb einst der Kritiker August Kahlert über das erste Heft der Lieder ohne Worte, seien „sämmtlich nur von solchen zu spielen, die poetische Zustände zu erfassen Lust und Geschick haben“. Kirschnereit hat; nicht umsonst erhielt der Pianist für seine Einspielung der Mendelssohn-Konzerte bereits den Echo Klassik.
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