Sigismund Thalberg kam 1812 in Pâquis bei Genf zur Welt; er war das uneheliche Kind von Baronin Maria Julia Wetzlar von Plankenstern und Fürst Franz Joseph von Dietrichstein, der neben anderen Titeln auch den eines Freiherrn von Thalberg führte. Er wuchs in Wien im Palais seines Vaters auf; seine Mutter soll eine exzellente Pianistin gewesen sein, und man darf auch vermuten, dass sie ihn unterrichtet hat. 1830 konzer- tierte er bereits in Berlin und in Leipzig; dort lernte er unter anderem Chopin, Felix Mendelssohn Barthol- dy und die zehnjährige Clara Wieck kennen. 1836 gab Thalberg sein erstes Solo-Konzert in Paris, wo er sehr gefeiert wurde.
1841 berichtete die Pianistin, mittlerweile Clara Schumann, in einer Tagebucheintragung: „Montags besuchte uns Thalberg, und spielte zum Entzücken schön auf meinem Pianoforte. Eine vollendetere Mechanik giebt es nicht, und seine Claviereffekte müssen oft die Kenner hinreißen. Ihm mißglückt kein Ton, seine Läufe kann man mit Perlenreihen ver- gleichen, seine Octaven sind die schönsten, die ich je gehört.“
Bereits 1828 veröffentlichte Thalberg sein Opus 1, eine Fantasie mit Variationen über Motive aus Webers Oper Euryanthe. Wie seinerzeit üblich, hat der Pianist auch komponiert – nicht zuletzt für seine eigenen Konzertprogramme – und dabei im romantischen Wettstreit um Virtuosität und Kreativität so manchen extravaganten Beitrag geleistet: Thalberg gilt als der Schöpfer des sogenannten Dritte-Hand-Effektes, bei dem eine Melodie von beiden Händen entwickelt wird, während gleichzeitig im Diskant Arpeggio-Figurationen erklingen, und im Bass Begleitakkorde. Dadurch entsteht der Eindruck, dass drei Hände gleichzeitig spielen – nichts für langsame Hirne und steife Finger! Nicht wenige Zeitgenossen Thalbergs hielten solche Werke für unspielbar.
Mark Viner hat diese Musik für sein Debütalbum ausgewählt. Der Pianist gilt als eines der größten britischen Klaviertalente. Er hat eine besondere Leidenschaft für ungewöhnliches Repertoire, was ihm 2012 den ersten Preis des Alkan-Zimmermann-Wettbewerbs einbrachte. Auf dieser CD ist er zu hören mit der Fantaisie sur des thèmes de l'opéra Moise de G. Rossini op. 33, der Grande Fantaisie sur La Sérénade et Le Menuet de Don Juan op. 42, dem Andante final de Lucia de Lammermoor op. 43, dem Grand Caprice sur des motifs de La Sonnambula de Bellini op. 46 und der Grande Fantaisie sur Don Pasquale op. 67 – sämtlich entstanden zwischen 1839 und 1844.
Viner präsentiert Thalbergs brillante Musik sehr ansprechend; die Oper als Gattung ist ohnehin eine ausgesprochen dankbare Fundgrube, wenn es darum geht, bekannte Melodien mit der gebotenen Theatralik zu insze- nieren, und dabei pianistische Höchstschwierigkeiten ebenso dezent wie wirkungsvoll unterzubringen. Viners Spiel merkt man aber an keiner Stelle an, welch enorme Anforderungen diese Werke an den Pianisten stellen. Der vielversprechende junge Pianist setzt ganz auf Ausdruck, und er macht mit dieser Aufnahme neugierig – nicht zuletzt auf mehr Thalberg.
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