"Es geht mir nicht darum, der erste Countertenor zu sein, der irgend- ein Lied singt. Ich will nur die Lieder vortragen, die mich per- sönlich berühren", beteuert Andreas Scholl. "Und das kann ebenso ein Lied von Schubert, Mozart oder Haydn sein wie eines von Dowland."
Text mit Klangfarben untersetzen, Geschichten erzählen - diese Herausforderungen begleiten jeden Sänger ein Musikerleben lang. Scholl fand nicht gleich Zugang zu den Kunstliedern der Romantik, berichtet er im Beiheft zu dieser CD: "Erst als ich mit einem lettischen Studenten, einem Bari- ton, an der Winterreise arbeitet, erkannte ich, dass diesem Repertoire Schlichtheit zugutekommt", erinnert sich der Sänger. "Viele Interpreten vergessen das bei ihrem Bestreben, ein Lied gleichsam neu zu erfinden. Der Ausdruck ist jedoch in der Musik bereits mitkomponiert. Bei Liedern, wie bei allem, was ich singe, geht es mir vorrangig um Schlichtheit und Aufrichtigkeit."
Das prägt sowohl die drei Kanzonetten von Joseph Haydn als auch die fünf Lieder, die Scholl aus den 49 Deutschen Volksliedern von Johan- nes Brahms ausgewählt hat. An den beiden Liedern von Wolfgang Amadeus Mozart interessierten den Sänger wohl vor allem die Geschichten, die sie mit musikalischen Mitteln erzählen. So wird Das Veilchen, Generationen von Gesangsschülern bestens vertraut, fast zu einem Kurzkrimi. Scholl macht die Hoffnung des Blümchens nachvollziehbar, und lässt uns sein schmähliches Ende miterleben.
Bei den Liedern von Franz Schubert hingegen wird der Zuhörer feststellen, dass die Musik fast immer klüger ist als der Text. Insbesondere das Klavier übernimmt hier einen Part, der weit über die Begleitung des Sängers hinausreicht. Tamar Halperin zeichnet Landschaftsbilder, gibt Stimmungen vor oder antwortet auf Phrasen des Sängers. Sie spielt zudem einen Walzer von Schubert und das A-Dur-Intermezzo aus Brahms' 1893 veröffentlichten Sechs Klavier- stücken. Sie präsentiert sich auf dieser CD als versierte, aber (noch) nicht überragende Partnerin des Sängers.
Andreas Scholl, Jahrgang 1967, zeigt sich noch immer gut bei Stimme. Vielleicht klingt seine Höhe nicht mehr ganz so weich wie früher, doch dank seiner überragenden Technik und seiner intelli- genten Gestaltung hört man ihn immer wieder gern. Ohne Zweifel ist er noch immer einer der besten Countertenöre, die derzeit weltweit zu erleben sind. Insofern ist diese CD unbedingt zu empfehlen - auch wenn sich Schubert und Brahms vermutlich gewundert hätten, ihre Lieder in dieser Stimmlage zu hören. Derart hohe Männerstimmen erklangen zu ihren Lebzeiten nämlich ausschließlich in der Kirche.
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