Noch ein Nachtrag zum Telemann-Jubiläumsjahr 2017 – und zwar ein bedeutender. Denn auf dieser CD spürt das Orkiestra Czasów Zarazy, geleitet von Paweł Iwaszkiewicz, musikalischen Einflüssen nach, die zwar immer wieder benannt werden, aber bislang noch nie mit einer entsprechenden Einspielung dokumentiert wurden.
Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) widmete 1739 in seiner Autobiographie, die er für Johann Matthesons „Grundlage einer Ehrenpforte“ (Hamburg 1740) zu Papier brachte, einen ganzen Abschnitt den Jahren 1705 bis 1708, die er als Kapellmeister im Dienste des Reichsgrafen Erdmann II. von Promnitz in Sorau verbrachte. „Als der Hof sich ein halbes Jahr lang nach Plesse, einer oberschlesischen, promnitzischen Standesherrschafft, begab, lernete ich so wohl daselbst, als in Krakau, die polnische und hanakische Musik, in ihrer wahren barbarischen Schönheit kennen“, berichtet Telemann. „Sie bestund, in gemeinen Wirtshäusern, aus einer um den Leib geschnalleten Geige, die eine Terzie höher gestimmet war, als sonst gewöhnlich, und also ein halbes dutzend andre überschreien konnte; aus einem polnischen Bocke; aus einer Quintposaune, und aus einem Regal. An ansehnlichen Oertern aber blieb das Regal weg; die beiden erstern hingegen wurden verstärckt: wie ich denn einst 36. Böcke und 8. Geigen beisammen gefunden habe.
Man sollte kaum glauben, was dergleichen Bockpfeiffer oder Geiger für wunderbare Einfälle haben, wenn sie, so offt die Tantzenden ruhen, fantaisiren. Ein Aufmerckender könnte von ihnen, in 8. Tagen, Gedancken für ein gantzes Leben erschnappen. Gnug, in dieser Musik steckt überaus viel gutes; wenn behörig damit umgegangen wird. Ich habe, nach der Zeit, verschiedene große Concerte und Trii in dieser Art geschrieben, die ich in einen italiänischen Rock, mit abgewechselten Adagi und Allegri, eingekleidet.“
Zitiert wird dies gern, aber konkret im Notenbestand auf die Spurensuche gegangen ist bislang niemand. Wie sehr die Inspiration durch die polnischen Klänge Telemanns Musik tatsächlich beeinflusst hat, zeigt nun dieses CD-Projekt. Seine Grundlage ist ein Manuskript, das 1987 in der Rostocker Universitätsbibliothek entdeckt wurde. Es besteht aus zwei Stimmbüchern, für Violine und Fagott, und trägt den Titel Danse Polonié de Tellemann. Die Handschrift wurde unter TWV 45 in das Werkver- zeichnis des Komponisten aufgenommen. Und das war es dann auch schon, weil das musikalische Material zunächst keinen attraktiven Eindruck machte.
„Neugierig auf die bislang unbekannte Quelle der polnischen Musik sind wir zum Schluss gekommen, der Sache nachzugehen und die Musikidee zu rekonstruieren, die dieser Handschrift zugrunde gelegt wurde“, schreibt Maciej Kaziński im Beiheft. Die Musiker lesen Telemanns Noten als Skizze, als Notat von Tanzthemen – und sie entschieden sich für eine Besetzung, wie sie Telemann beschrieben hat.
Zu hören sind Paweł Iwaszkiewicz, Dudelsack („Bock“), Olena Yeremienko, Violine, Witold Broda, Fiedel, Piotr Wawreniuk, Posaune, Maciej Kaziński, Violone, und Mirosław Feldgebel, Regal: Die klassisch ausgebildeten Musiker spielen zusammen mit Musikanten, die wiederum ihre traditionellen Instrumenten ebenfalls virtuos beherrschen, und dazu sehr lebendig und witzig improvisieren.
Das Ergebnis ist einzigartig und wirklich hinreißend. Es sind nicht nur die Klangeffekte, die nachvollziehen lassen, warum Telemann einst von dem, was er da in den polnischen Wirtshäusern und auf den Tanzböden erlauschte, derart fasziniert war. Großartig! Dies ist ohne Zweifel eine der interessantesten und auch der schönsten Einspielungen zum Telemann-Jubiläum – unbedingt anhören!
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