Und gleich noch einmal Musik aus der Zeit der Renaissance. Sie sollte ebenfalls beeindrucken – wenn auch in einem gänzlich anderen Umfeld: Vom 27. Juni bis zum 16. Juli 1519 trafen im Leipzig die führenden Vertreter der Reformation – Martin Luther, Andreas Karlstadt und Philipp Melanchton – auf Johannes Eck, einen ganz entschieden papsttreuen Theologen. Ihr mit aller Vehemenz geführtes Streitgespräch, bei dem wesentliche Unterschiede zwischen katholischer und reformatorischer Lehre offenbar wurden, ist als „Leipziger Disputation“ in die Geschichte eingegangen.
Das von der Universität Leipzig organisierte Ereignis fand in Anwesenheit Herzogs Georg von Sachsen – ein entschiedener Gegner Luthers – in der Hofstube der Leipziger Pleißenburg statt. Nach der Begrüßung gingen alle Beteiligten zunächst gemeinsam zur Messe in die Thomaskirche, wo natürlich auch der Thomanerchor unter der Leitung des damaligen Thomaskantors Georg Rhau zu hören war.
Welche Musik damals erklungen ist, mit dieser Frage haben sich nun zwei renommierte A-Cappella-Formationen aus Leipzig beschäftigt: Sowohl Amarcord als auch das Calmus Ensemble haben ihre Ursprünge im Thomanerchor. Miteinander gesungen hatten sie zuvor noch nie. Doch dieses Aufnahmeprojekt haben sie nun gemeinsam verwirklicht – und sie mussten sich zusätzlich Verstärkung dazuholen.
Denn im Mittelpunkt des Programmes steht die Messe Et ecce terrae motus von Antoine Brumel (um 1460 bis nach 1513). Sie beruht auf den ersten sieben Tönen der gleichnamigen Oster-Antiphon, und gibt auch musikalisch einen Eindruck von diesem Erdbeben. Dieses Werk ist unglaublich kunstvoll, ebenso unglaublich in seiner Wirkung – und es ist zwölfstimmig, hohe Stimmen inklusive, so dass die beiden jeweils fünfköpfigen Ensembles noch die Sopranistinnen Anja Kellnhofer und Isabel Schicketanz mit vor die Mikrophone gebeten haben.
Komplettiert wird die Messe auf der Carus-CD durch das ebenfalls zwölfstimmige Agnus Dei aus der Missa Tempore Paschali von Nicolas Gombert, sowie Werken von Johann Walter Thomas Stoltzer, Cipriano de Rore, Josquin des Préz und gregorianischen Gesängen. Mehr als eine Stunde lang lauscht man gebannt dem Gesang, und die beiden Leipziger Vokalensembles geben dazu auch allen Anlass. Ob meditativ-schlichte Gregorianik oder die enorm komplexen Kompositionen von Brumel und Gombert – die Sängerinnen und Sänger beeindrucken durch ihren stets homogenen, traumhaft ausgewogenen Gesang, individuelles Gestaltungsvermögen und sagenhafte Präzision. Ein musikalisches Ereignis!
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