Freitag, 4. Juni 2010

Patricia Petibon: Rosso (Deutsche Grammophon)

Die französische Sopranistin Patricia Petibon singt Arien des italienischen Barock. Ihre Auswahl umfasst einige "Hits" des Genres, wie Händels Lascia ch'io pianga - aber auch eine ganze Reihe von Raritäten. Und es ist schön, dass Petibon nicht nur die bekannten Namen wie Händel, Vivaldi, Scarlatti und Stradella ins Spiel bringt, sondern auch Stücke von Komponisten ausgesucht hat, die ein wenig in Vergessenheit geraten sind, wie Antonio Sartorio, Nicola Porpora oder Benedetto Marcello. 
Ihre Auswahl ermöglicht es ihr zudem, ein breites Spektrum an Emotionen zu zeigen. Da finden sich Trauer und Verzweiflung neben Wut und Aggression, leidenschaftliche Liebe und laszive Verführung neben ordinärer Selbstdarstellung, Sehnsucht und Erfüllung neben Enttäuschung und mörderischer Rachsucht.
All diesen Gefühlen verleiht die Sängerin mit ihrer Stimme Ausdruck. Sie wird perfekt geführt, und erlaubt Petibon den Einsatz einer weiten Skala an Nuancen und Klangfarben. Sie verfügt über ein berückendes Pianissimo ebenso wie über ein enormes Stimmvolumen, so dass sie sogar nahezu ohne Vibrato und ohne zu forcieren im Bedarfsfalle gewaltig an Lautstärke zulegen kann. Sie kann geheimnisvoll-dunkel klingen, schlicht und gerade heraus, hell und strahlend oder metallisch-spitz, und sie bewegt sich dabei mit einer Sicherheit durch die Register, dass der Zuhörer nur staunen kann. 
Petibon gestaltet all ihre Partien mit großer Intelligenz und zugleich mit beeindruckender Empathie. Dabei ist es ihr vollkommen egal, ob ihre Töne "schön" sind, wenn sie nur stimmig sind. Selbst das Augen- zwinkern singt sie mit, immer im Wettstreit mit dem Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon, das bereits einige Stars glatt an die Wand gespielt hat. Was für ein Sinn für Theatralik! Auf der Bühne dürfte diese Sängerin eine furiose Erscheinung sein. Und dass der Deutschen Grammophon kein gescheiterer Titel als "Rosso" für diese CD eingefallen ist, das kann sie verkraften.

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