Weil man sie als "altmodisch" empfand, wurden irgendwann im letzten Drittel des 18. Jahrhun- derts Notenbestände der Dresdner Hofkapelle in einem Schrank in der Katholischen Hofkirche verstaut. Sie stammen wohl zum größten Teil aus dem Nachlass des Konzert- meisters Johann Georg Pisendel (1687 bis 1755). Hundert Jahre später wurden die Schätze im "Schranck No:II" wiederentdeckt und in Bestände integriert, die heute zur Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden gehören.
Auch manche Musikinstrumente sind aus der Mode geraten und aus dem Konzertleben verschwunden. Ein derartiges vergessenes Instru- ment ist die Viola d'amore. Bach hat sie eingesetzt; auch Leopold Mozart kannte sie: „Es ist eine besondere Art der Geigen, die, sonder- lich bey der Abendstille, recht lieblich klinget“, schrieb er in seiner Violinschule.
Der Hamburger Komponist und Musikschriftsteller Johann Matthe- son preist das Instrument in Das neu-eröffneten Orchestre (1713) mit den Worten: „Die verliebte Viola d’Amore, Gall. Viole d’Amour, führet den lieben Nahmen mit der That, und will viel languissantes und tendres ausdrücken (...) Ihr Klang ist argentin oder silbern, dabey überaus angenehm und lieblich.“ Sie ist länger und breiter als die Bratsche, ähnelt in ihrer Gestalt eher einer Gambe, und verfügt üblicherweise über fünf bis sieben Spielsaiten. Dazu kommen meist noch Resonanzsaiten.
Anne Schumann und Klaus Voigt, klassisch ausgebildet auf Violine und Viola, haben dieses historische Instrument für sich entdeckt. Anne Schumann gab eine Stelle im Gewandhausorchester Leipzig auf, um sich ganz der Barockgeige widmen zu können. Doch der Traum von den Silberklängen der Viola d'amore ließ sie nicht los. Und diese Faszination wollten die beiden mit anderen Menschen teilen: "Angefangen hat alles damit, dass zwei Viola d'amore-Spieler be- schlossen haben, in Standesamt und Kirche ihrer Verbundenheit mit einem lauten Ja Ausdruck zu verleihen. Heiraten normale Menschen, tauschen sie Ringe als Zeichen der Verbundenheit. Ist das Hobby eines Hochzeitspaares die Viola d'amore, muss man mit kapriziösen Ideen rechnen", witzelt Schumann. Und so haben die Musiker zu ihrer Hochzeit Geld für eine CD-Produktion gesammelt - und damit bringen sie nicht nur diese raren Instrumente, sondern - mit einer Ausnahme süddeutscher Provenienz - auch Raritäten aus dem besagten Schrank II wieder zum Klingen.
Im Beiheft zu dieser CD berichten sie von ihren Erfahrungen mit den spröden Schönheiten mit den Charakterköpfen. Eine Viola d'amore zu spielen, das scheint wohl gar nicht so einfach zu sein - was nicht nur an den geringen Abständen zwischen den Saiten liegt, sondern in erster Linie wohl an dem Labyrinth aus Resonanzen, das für dieses Instrument typisch ist. "Eine Viola d'amore vereint die wohl- klingende Tiefe einer Bratsche mit der virtuosen Höhe einer Geige. Die dicken, dunkel klingenden unteren Saiten eignen sich besonders für das Spielen einer Basslinie, die oberen dünnen für das Singen einer Melodie", begeistert sich Schumann. "Beim Spielen auf zwei Instrumenten entstehen reizvolle Abwechslungen zwischen Melodie und Bass. Außerdem kommt dabei das Phänomen der Resonanz besonders stark zur Wirkung. Die vielen Saiten beider Instrumente bringen sich gegensaitig zum Schwingen. Mich fasziniert Klang, dieses Suchen nach Harmonietönen und Resonanz. Für mich ist Klang die Seele der Musik."
Aus dem reichen Dresdner Notenfundus wählten Schumann und Voigt Werke, die es ihnen gestatten, die betörende Klangpracht der Viola d'amore in voller Breite zur Entfaltung zu bringen. Teilweise sind die Autoren der Werke nicht bekannt; teilweise sind sie so unbekannt, dass selbst Experten kaum mehr als ihren Namen kennen. Entdeckungen sind es durchweg, und sie werden hier mit Engagement und auch mit Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen vorgestellt. Das gilt nicht nur für die beiden Solisten, sondern ebenso für Alison McGillivray, Violoncello, Petra Burmann, Theorbe und Barockgitarre und Sebastian Knebel, Cembalo. Diese Einspielung ist grandios. Für mich gehört sie zu den Überraschungen des Jahres. Und sie wird hoffentlich mit Preisen überschüttet werden, und so auch außerhalb von Expertenkreisen die verdiente Aufmerksamkeit finden. Es ist allerdings ein Skandal, dass Musiker von solchem Format eine solche Produktion selbst finanzieren müssen.
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