Die Goldberg-Variationen gehören wahrscheinlich zu den am häufig- sten eingespielten Werken über- haupt. Der niederländische Orga- nist, Cembalist und Musikwissen- schaftler Pieter Dirksen hat sich mit Bachs Werk gründlichst be- schäftigt - und dann beschlossen, noch eine weitere Aufnahme vorzulegen. Denn mit dem, was Generationen von Pianisten aus den Goldberg-Variationen gemacht haben, ist er nicht zufrieden: "Ich kenne kein anderes Hauptwerk der westlichen Musikgeschichte, bei dem die Intentionen eines Komponisten heute so systematisch ignoriert werden."
Dirksen setzt sich nicht mit seinen Vorgängern auseinander; die berühmte Einspielung mit Glenn Gould sieht er als den ultimativen Beweis dafür, dass die Goldberg-Variationen auf dem Klavier nicht angemessen wiedergegeben werden können. Er selbst geht einen anderen Weg. "Diese Aufnahme versucht den Intentionen Bachs soweit wie möglich gerecht zu werden. Natürlich ist ein zweimanua- liges Cembalo das einzige infrage kommende Instrument, wie Bach deutlich auf seiner Titelseite bemerkt", schreibt Dirksen im Beiheft.
Er suchte nach einem Cembalo, das den Anforderungen des Werkes möglichst optimal entspricht - und entschied sich für die Kopie eines Instrumentes von Johannes Ruckers, eines berühmten flämischen Cembalobauers des 17. Jahrhunderts, aus der Werkstatt von Sebastián Nunez, Utrecht. Es bietet neben einem ausgewogenen Klangbild den gewünschten Umfang von viereinhalb Oktaven, und zwei gleich starke, zugleich aber etwas unterschiedlich intonierte Achtfuß-Register. "Und so ideal wie eine gute Stradivari für Bachs Musik für Solovioline sein mag, so scheint mir eine ausgezeichnete Kopie eines Instrumentes vom berühmtesten Cembalobauer der Geschichte gerade richtig, den Olymp des Cembalorepertoires zu besteigen", so der Musiker.
Auch bei der Wahl der Tempi bemüht sich Dirksen, Bach getreu zu folgen. Das bedeutet vor allem, Extreme zu meiden: "Zu schnelle Tempi tendieren bei den doppelmanualigen Variationen dazu, ihre reiche Polyphonie und Motivik zu verschleiern, während zu lang- same Tempi z.B. in der berühmten 25. Variation dazu tendieren, die geigerische Inspiration und Phrasierung in der Stimme der rechten Hand zu verhüllen." Wiederholungen spielt er so, wie sie Bach vorgegeben hat. Das hat den Vorteil, dass der Zuhörer die Musik ungekürzt und in voller ursprünglicher Länge genießen kann - und ein Genuss ist diese Aufnahme. Sie atmet, schwebt und lebt; sie zeigt die musikalische Substanz in ihrer ganzen Pracht und macht Strukturen durchhörbar.
Und als besonderes Bonbon enthält die Doppel-CD noch Bachs zweites großes Variationswerk - die Canonischen Veränderungen über das Weihnachtslied Vom Himmel hoch, da komm ich her, komponiert für die Orgel. Dirksen spielt sie auf einer Orgel von Albertus Anthoni Hinsz in der Petruskerk Leens aus dem Jahre 1733 - und auch hier überzeugt er durch tiefe Demut vor Bachs Werk: "Ich will es gar nicht besser wissen als Bach", meint der Musiker. Und damit weiß er es zumindest besser als viele seiner Zeitgenossen. Für mich gehört diese Aufnahme zu den musikalischen Ereignissen des Jahres - Dirksen musiziert historisch informiert, aber vom ersten bis zum letzten Ton lebendig und mit einem Engagement, das begeistert.
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