Man möchte meinen, dass das Werk von Georg Friedrich Händel mittlerweile veröffentlicht ist. Doch das ist ganz offensichtlich noch immer nicht der Fall. Die Noten zu seiner Oper Giove in Argo beispielsweise galten lange als verschollen; die Original- partitur war nicht überliefert, bekannt waren nur das gedruckte Libretto und einige Manuskript- fragmente. Es fehlten nahezu komplett die Secco-Rezitative für den zweiten und dritten Akt, und auch zwei Arien waren nicht aufzufinden - bis sie John H. Roberts im Jahre 2000 schließlich in Cambridge entdeckte. Damit war der Weg frei für die Rekonstruktion der Oper; eine wissenschaftliche Edition wird demnächst als Bestandteil der Hallischen Händel-Ausgabe erscheinen.
"We should not expect Handel's Giove in Argo to conform to some modern ideal of musical drama, perfectly developed and peopled with subtle and distinctive characters. It was never intended to", schreibt Roberts in dem sehr informativen Beiheft. "Rather, it was conceived as a brilliant theatrical entertainment, and Handel filled it with arias an choruses of proven appeal, augmented by a goodly quantity of new music, as expressive and finely wrought as in his more fully original works. If it failed to please in May 1739, that was the result of a patchy cast and an audience increasingly indifferent to what Handel had to offer."
Giove in Argo wurde 1739 nur zweimal aufgeführt. Das Missfallen des Publikums könnte freilich auch die Handlung erregt haben: Die Liebeshändel des Jupiter, der sich in die irdische Politik einmischt, um gleich zwei junge Damen zu vernaschen, sind zwar amüsant - aber für das Londoner Opernpublikum war das Sujet vielleicht doch zu gewagt. Am Hofe Augusts des Starken in Dresden, wo das Libretto von Antonio Maria Lucchini durch Antonio Lotti vertont worden war, war sie anlässlich der Vermählung des Kurprinzen aufgeführt worden. Dort nahm niemand Anstoß an den Verstrickungen des liebestollen Herrschers über die Götter - andere Länder, andere Sitten.
Die Handlung aber ist in der Tat verwirrend. Denn die Helden dieser Oper sind zumeist inkognito unterwegs. Die Heldinnen sind Isis, die Tochter des Königs Inachus, und Calisto, die Tochter des Königs Lycaon. Er hat Inachus ermordet, um dessen Reich an sich zu bringen - und dafür hat ihm Isis Rache geschworen. Doch Lyacon ist selbst von Rebellen vertrieben worden, und irrt im Wald umher. Dort sucht ihn Calisto. Dabei begegnet sie Osiris, der wiederum seine geliebte Isis sucht - und sich als Hirte verkleidet hat. Als Hirte getarnt hat sich allerdings auch Jupiter an die beiden jungen Damen herangemacht, und versucht mit allerlei Intrigen, ihre Tugend zu bezwingen. Man kann sich vorstellen, welches Durcheinander er damit verursacht - zumal Calisto mittlerweile dem Gefolge Dianas angehört. Und die jungfräuliche Göttin schätzt es überhaupt nicht, wenn ihr Personal durch Affären abgelenkt ist.
Händel-Experte Alan Curtis hat Giove in Argo wieder zum Klingen gebracht; bei Virgin Classics ist nun die Weltersteinspielung erschienen. Und dieser lauscht man gern - kein Wunder, denn es singt ein brillantes Solistenensemble: Ann Hallenberg als Isis, Karina Gauvin als Calisto, Theodora Baka als Diana, Anicio Zorzi Giustiniani als Jupiter, Vito Priante als Osiris und Johannes Weisser als Lycaon, das ist eine beeindruckende Besetzung mit reicher Barockmusik-Erfahrung. Die Sänger musizieren gemeinsam mit Curtis' Orchester Il Complesso Barocco, das sie stilsicher und temperamentvoll begleitet. Die Aufnahme ist von Anfang bis Ende gelungen - unbedingte Empfehlung!
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