Wilhelm Backhaus (1884 bis 1969) debütierte als Zwölfjähriger im Leipziger Gewandhaus. Sein letztes Konzert gab er mit 85 Jahren, wenige Tage vor seinem Tod, in der Stiftskirche von Ossiach in Kärn- ten. Seine Lieblingskomponisten waren Bach, Beethoven, Brahms, Chopin, Haydn, Liszt, Mozart, Schubert und Schumann; vor allem ihre Werke liebte, erkundete und spielte er.
Vom demonstrativen Virtuosen- tum einiger Pianisten, die er als junger Mann erlebte, distanzierte er sich ganz ausdrücklich: Backhaus stellte die Musik in den Mittelpunkt, und nicht den Solisten. Ihm ging es um eine möglichst authentische Wiedergabe des Notentextes. Mit dieser Auffassung, für die er mitunter von der Kritik heftig angegriffen wurde, beeindruckte er nicht nur das Publikum, sondern auch etliche junge Kollegen.
Das Label Audite legt nun die Aufnahme eines seiner letzten Konzerte vor, das er am 18. April 1969 in Berlin gab. Diese CD basiert auf den Originalbändern des Rundfunkmitschnittes, die einem sorgfältigen Remastering unterzogen wurden. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht verblüffend. Denn der Klang ist glasklar, und dass hier ein Greis spielt, ist an keiner Stelle zu spüren.
Das Programm beginnt mit Beethovens Klaviersonate Nr. 15 D-Dur op. 28 "Pastorale", die Backhaus mit großem Engagement, zugleich jedoch mit einer gewissen Nervosität spielt. Das hat Auswirkungen auf die Dynamik, und auch auf die Treffsicherheit. Hier wird musiziert ohne Netz und doppelten Boden, und wo derart schwungvoll gehobelt wird, da fliegen mitunter nicht nur ein paar Späne. Das aber macht ein "richtiges" Konzert ja so spannend. Und an Spannung fehlt es hier wahrlich nicht.
Es folgen die Klaviersonaten Nr. 18 Es-Dur op. 31 Nr. 3 und Nr. 21 C-Dur op. 53 "Waldstein". Diese Sonate spielt Backhaus mit einem unglaublichen Tempo; da ist kein Raum für Melancholie und für Reflexion. Nach 24 Minuten ist dieser Wirbelsturm vorbei - doch ihn zu beobachten, das war unglaublich faszinierend. Zum Abschluss erklingt die Sonate Nr. 30 E-Dur op. 109. Auch hier behält der Pianist seinen zupackenden Stil bei; er lässt die Sätze nahezu ohne Pause aufeinander folgen, und macht insbesondere auch aus dem letzten Satz beileibe kein klingendes Rätsel.
Man muss diesen Zugriff nicht mögen. Es gibt sicherlich inzwischen differenziertere Einspielungen, die mehr Wert auf dynamische Finessen und auf Details der musikalischen Struktur legen. Aber mit Blick auf den Zeitpunkt der Entstehung wird man dieser Interpreta- tion von Wilhelm Backhaus den gebührenden Respekt nicht versagen - sie gehört zu den raren Aufnahmen, die nicht nur als musikalisches Dokument über ihre Zeit hinaus Bestand haben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen