Wer vor 200 Jahren die aktuellen Hits anhören wollte, der musste selbst musizieren. Instrumental- unterricht gehörte daher zur Stan- dard-Ausbildung der besseren Stände. Im London der Händel- Zeit galt beispielsweise das Cemba- lo als Instrument der Damen. "Ein wahrer Gentleman sollte niemals ohne seine Blockflöte ausgehen", schrieb John Hawkins 1776. Dass sich beides perfekt ergänzte, war ganz gewiss kein Zufall.
Und die Herren spielten dieses Instrument ziemlich gut, meint Blockflötist Stefan Temmingh: "Der Tonumfang der Blockflötenstimmen in Händelsonaten übersteigt fast nie anderthalb Oktaven. Sie sind leicht vom Blatt zu spielen. In den für Blockflöte arrangierten Opernarien handelte es sich oft um mehr als zwei Oktaven - sie gehören zur gehobenen, schwierigen Litera- tur. Man muss schon ziemlich gut sein, um diese Stücke zu spielen." Bereits wenige Tage nach der Premiere einer neuen Händel-Oper konnte das nach Opern schier narrische Publikum seinerzeit die ersten Arrangements der Ouvertüre sowie der beliebtesten Arien erwerben.
Derartige Hits hat Temmingh gemeinsam mit Musikerfreunden ein- gespielt. Dafür wurden etliche Stücke neu arrangiert, wobei sich die Musiker an zeitgenössischen Quellen orientierten, beispielsweise an den Transkriptionen von William Babell, Händels Cembalisten: "Sie sind unglaublich interessant", so der Flötist, "weil sie niedergeschrie- bene Verzierungen enthalten. Manche von Babells Ornamenten sind ungeheuerlich. Die haben wir übernommen. Selbstverständlich haben wir unsere eigenen verrückten Ideen - aber die verrücktesten stammen immer aus den Quellen."
Auch die Besetzung, für die sich Temmingh entschied, ist - gelinde gesagt - etwas unkonventionell: Neben diversen Blockflöten, Cembalo (Olga Watts), Viola da Gamba (Domen Marincic) sowie Laute und Theorbe (Axel Wolf) erklingen Barockfagott (Lyndon Watts), Barock- harfe (Loredana Gintoli) und sogar ein Salterio (Olga Mischula) - ein Modeinstrument des 18. Jahrhunderts, das einem Hackbrett ähnelt und auch so klingt, aber mit Ringplektren gezupft wird.
Die einzelnen Instrumente werden pfiffig eingesetzt, so dass sich ingesamt ein abwechslungsreiches Klangbild ergibt. Davor kann sich das virtuose Flötenspiel von Temmingh bestens entfalten. Meine Empfehlung, nicht nur für Händel-Fans.
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