Trompeter haben ein Problem: Wollen sie konzertieren, dann müssen sie zumeist weit in der Musikgeschichte zurückgehen, um geeignete Literatur zu finden. Das hat seinen Grund darin, dass Pau- ken und Trompeten üblicherweise zur Klangwelt des Adels gehörten. Mit dem Aufkommen eines bürger- lichen Musiklebens verschwanden sie in die hinteren Reihen des Sin- fonieorchesters; und wer Trompe- tenkonzerte sucht, die nicht aus dem Generalbass-Zeitalter stammen, der muss tief schürfen.
Giuliano Sommerhalder, Jahrgang 1985, seit 2006 Solotrompeter des Gewandhausorchesters Leipzig, hat sorgfältig gesucht - und ganz erstaunliche Werke sowohl für die moderne Trompete als auch für ihren volkstümlichen Bruder, das Cornet à Pistons, entdeckt. So schrieb Oskar Böhme (1870 bis 1938), geboren in Potschappel bei Dresden, ein Trompetenkonzert in e-Moll op. 18, das an Mendels- sohns Violinkonzert erinnert. Die CD enthält auch noch zwei Bravour- stücke für Cornet à Pistons, die erahnen lassen, warum 1897 das Mariinskij-Theater in St. Petersburg den jungen Musiker als Solo- trompeter engagierte. Grandios!
Wilhelm "Wassily" Brandt (1869 bis 1923) stammte aus der Coburger Gegend, spielte mit 18 Jahren bereits als Solotrompeter der Philhar- monie von Helsinki, und wechselte 1890 nach Moskau ans Bolschoi-Theater. Er lehrte bis 1911 als Professor am Moskauer Konservato- rium, und gilt als Begründer der russischen Trompetenschule. Sommerhelder hat hörbar Vergnügen an seinem halsbrecherischen Ersten Konzertstück in f-Moll op. 11, und auch an dem Zweiten Konzertstück in Es-Dur op. 12 mit seinem Marschfinale und seinen Anleihen bei der russischen Ballettmusik.
Russland aber ist den beiden deutschen Trompetenvirtuosen zum Verhängnis und zum Schicksal geworden. Böhme starb, nach offiziel- len Daten 1938, irgendwo in Sibirien. Brandt wurde 1912 an das Konservatorium im wolgadeutschen Saratow berufen. Dort starb er 1923 an Sepsis, "nachdem zwei Jahre Hungersnot, Aufruhr und Seuchen die dortige Bevölkerung dezimiert hatten", so Max Som- merhalder in dem sehr informativen Beiheft: "Das Wrack seines Instrumentes wurde ein halbes Jahrhundert später im über- schwemmten Keller seines Hauses gefunden."
Gustav Cords (1870 bis 1951) und Carl Höhne (1860 bis 1927) lebten in Berlin; Sommerhalder hat aus ihrem Schaffen die Konzert-Fantasie es-Moll bzw. die Slawische Fantasie, beide für Cornet à Pistons, ausgewählt. Glanzstück der CD ist jedoch das Konzert Nr. 1 in c-Moll von Wladimir Ananjewitsch Peskin (1906 bis 1988), der in Genf aufgewachsen war, wo sein revolutionär gesinnter Vater im Exil lebte. 1917 kehrte die Familie nach Russland zurück; Peskin studierte am Moskauer Konservatorium Klavier, musste das Studium jedoch aufgeben, weil seine Hände dieser Belastung nicht gewachsen waren.
Als sein Vater von Stalins Schergen verfolgt und seine Mutter nach Kasachstan deportiert wurde, verdingte sich Peskin als Pianist beim Balalaikaorchester der Roten Armee. Dort lernte er Timofej Dok- schitzer kennen, einen Trompetenstudenten, der später weltberühmt werden sollte. Er wurde sein Klavierbegleiter, und komponierte zahlreiche Stücke für ihn - darunter auch das hochvirtuose Werk, das diese CD eröffnet. Es dürfte weltweit noch immer nicht allzu viele Trompeter geben, die sich an Peskins Werke heranwagen.
Sommerhalder ist diesem irrsinnig schwierigen Stück technisch wie musikalisch in jeder Hinsicht gewachsen. Es klingt, es klingt sogar faszinierend gut, und auch die anderen "romantischen" Stücke gestaltet der junge Trompeter so gekonnt, dass es Spaß macht, ihm zuzuhören. Begleitet wird Sommerhalder von der Neuen Philharmo- nie Westfalen unter Heiko Mathias Förster.
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