Reinhard Keiser (1674 bis 1739) ist uns heute, wenn überhaupt, als fleißiger Opernkomponist bekannt. Diese Tatsache führt umgehend mitten in eine jener Fehden, die von den Beteiligten üblicher- weise mit Inbrunst ausgetragen werden, über die aber nachfolgen- de Generationen nur noch den Kopf schütteln können.
Denn in Hamburg, wo Keiser wirk- te, wurde um 1700 erbittert darum gestritten, wie die rechte Kirchenmusik zu klingen habe. Der Stein des Anstoßes: Die Oper am Hamburger Gänsemarkt, gegründet 1678 als erstes öffentliches Opernhaus in Deutschland. Einige pie- tistisch geprägte Hamburger Pfarrer bekämpften sie heftig; ande- re Pastoren, eher lutherisch orthodox orientiert, waren dafür. Und schon gab es handfesten Ärger.
Diese Auseinandersetzung führte dazu, dass in bestimmten Kirchen das Personal der Hamburger Oper nicht gern gesehen war - und in anderen Gemeinden die "Operisten" bald die Kirchenmusik maßgeb- lich mit prägten. Kunst geht bekanntlich nach Brot, und wenn die Oper geschlossen war - beispielsweise in der vorösterlichen Fasten- zeit - waren die Sänger und Musiker dankbar für geistliche Alter- nativen.
Aus dem gesungenen biblischen Passionsbericht entwickelte sich damals das Oratorium, in dem der biblische Text zusehends an den Rand gedrängt wurde, und schließlich ganz zeitgenössischer Dichtung weichen musste, die in Form von Arien, Chorälen und Instrumental-Zwischenmusiken unters andächtig lauschende Volk gebracht wurde. Ein Prototyp für diese neuartige Form war das Oratorium Der blutige und sterbende Jesus nach einem Text von Christian Friedrich Hu- nold, in Musik gesetzt von Keiser. Der Komponist schuf zudem noch eine weitere, die sogenannte Brockes-Passion und möglicherweise eine Passion nach Markus, in diesem Falle ist die Autorschaft aber umstritten.
Im Zentrum der vorliegenden CD steht Wir gingen alle in der Irre, das Fragment einer Lukas-Passion, umrahmt von Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, einer melodisch wunderschönen Motette um Psalm 4,9, und Seelige Erlösungs-Gedancken, eine Auswahl Aus dem Oratorio / Der / Zum Tode verurtheilte und gecreutzigte / Jesus, die Keiser 1715 selbst zusammengestellt hat, die aber aus Gründen der begrenzten Spieldauer der CD für diese Aufnahme nochmals gekürzt werden musste.
Zu hören sind Eeva Tenkanen und Doerthe Maria Sandmann, Sopran, Olivia Vermeulen, Mezzosopran, Knut Schoch und Julian Podger, Tenor, Raimonds Spogis und Matthias Jahrmärker, Bass sowie die Capella Orlandi Bremen unter Thomas Ihlenfeldt. Sie können sich durchaus auch hören lassen; hier wird durchweg sehr solide und akzeptabel musiziert, wirklich sehr erfreulich.
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