Die Musik von Richard Wagner (1813 bis 1883) hat es dem Organisten und Dirigenten Hansjörg Albrecht offensichtlich angetan. Nach einem Ring ohne Worte, mit der Staatskapelle Weimar, einem Ring, transkribiert für Orgel und einer CD mit Orgelversionen von Ouvertüren und Vorspielen zu Wagners Opern veröffentlicht er nun noch eine weitere CD mit Orgeltranskriptionen. Sie stammen diesmal von Edwin Henry Lemare und dem jungen Komponisten Axel Langmann.
Wagners farbenreiche Orchesterklänge laden regelrecht dazu ein, sie auf der Orgel zu musizieren. All die Leitmotive, Klangeffekte und dazu die enorme dynamische Bandbreite lassen sich damit auf das Beste zelebrieren.
Hansjörg Albrecht hat für diese Aufnahme mit der Orgel der Pfarrkirche Herz-Jesu München, erbaut 2003 von Gerald Woehl, ein grandioses Instrument ausgewählt. Zu hören sind, neben dem Titelstück die Ouvertüren und Vorspiele zu Wagners Opern Die Feen, Lohengrin, Das Liebesverbot und Rienzi, von Albrecht zusammengefasst zu einer Fantasie-Sinfonie. Und als Bonus erklingt das populäre Lied an den Abendstern aus Tannhäuser. Es ist faszinierend, wie „orgel-affin“ Wagners Kompositionen sind; wer es nicht besser weiß, der wird an keiner Stelle auf die Idee kommen, dass es sich um Bearbeitungen handelt. Hansjörg Albrecht zieht buchstäblich alle Register, und kreiert einen großartigen Wagner-Sound. Unbedingt anhören, es lohnt sich!
Für die Zeit vom Aschermittwoch bis zum Ostersonntag sind die Chorwerke bestimmt, die auf dieser CD erklingen. Die sogenannte Heilige Woche mit dem Osterfest ist der Höhepunkt des Kirchenjahres, und so sind im Laufe der Jahrhunderte dafür auch sehr viele Kompositionen entstanden. Massimo Palombella, der Leiter des Chores der Sixtinischen Kapelle, hat für diese Einspielung aus den Originalmanuskripten der vatikanischen Bibliotheken eine Auswahl an Musikstücken zusammengestellt, die sonst nur in den Gottesdiensten des Papstes zu hören sind. Nach Cantate Domino (2015), Palestrina (2016) und Veni Domine - Advent & Christmas at the Sistine Chapel (2017) setzt O Crux benedicta die einzigartige Reihe der Deutschen Grammophon mit Aufnahmen aus der Sixtinischen Kapelle fort.
Der Chor der Sixtinischen Kapelle singt unter Leitung von Maestro Massimo Palombella Kompositionen von Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525 bis 1594), Orlando di Lasso (?1532 bis 1594), Tomás Luis de Victoria (1548 bis 1611) und anderen. Leider zeigt sich hier exemplarisch, dass eine Kollektion schöner Stimmen (die Soli sind prachtvoll!) lang noch keinen guten Chor ergibt. Beim chorischen Singen würde man sich doch mehr Ausdruck, eine gewisse Textverständlichkeit, mehr Struktur und Durchhörbarkeit wünschen. So kommen die prachtvollen Chorwerke nicht wirklich zur Geltung. Schade.
Jede Menge Überraschungen hält diese CD für all jene Musikfreunde bereit, die den Klang des Violoncellos lieben. Dmitrii Khrychev, Solo-Cellist des St. Petersburger Philharmonischen Orchesters und Gründer des Newski Streichquartettes, hat gemeinsam mit seiner Klavierpartnerin Olga Solovieva eine Auswahl getroffen, die deutlich macht, wie präsent und beliebt das Instrument im 19. Jahrhundert in Russland war.
Musiziert wird mit Temperament und Ausdruck. Die Werke auf dieser CD erklingen meist in Weltersteinspielung. Und gleich das erste Stück lässt einen staunen: Die bekannten Rokoko-Variationen von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840 bis 1893) spielt Khrychev in einer Version, die so noch nie zu hören war. Zwar hatte der Komponist das Stück zunächst für Cello und Klavier zu Papier gebracht. Er widmete das Werk dem Cellisten Wilhelm Fitzenhagen, der es dann auch 1877 zur Uraufführung vortrug – in der Orchesterfassung. Der Cellist hat allerdings das Werk stark bearbeitet. So machte er den Solopart virtuoser; er änderte zudem die Reihenfolge der Variationen, strich die achte Variation gänzlich und schrieb sein eigenes Finale. In dieser Fassung wurde das Werk dann gedruckt, und viele Jahre lang ausschließlich auch gespielt.
Grundlage dieser Einspielung hingegen ist Tschaikowskis ursprüngliches Klaviermanuskript. Und, Überraschung, diese Musik ist möglicherweise nicht ganz so brillant wie die Fitzenhagen-Fassung. Aber sie vereint die Leichtigkeit und Eleganz, die dem Werk auch seinen Namen gaben, mit einer Melodik, die ganz eindeutig russisch ist. Hinreißend.
Karl Juljewitsch Davidoff (1838 bis 1889) gehörte zu den besten Cellisten seiner Zeit. Tschaikowski nannte ihn „den Zaren aller Cellisten“. Er hatte in Moskau bei Heinrich Schmidt und in St. Petersburg bei Karl Schuberth studiert, und ging dann nach Leipzig, um dort am Konservatorium bei Friedrich Grützmacher seine musikalische Ausbildung abzuschließen. Als Nachfolger seines Lehrers wurde Davidoff 1860 Solo-Cellist des Leipziger Gewandhausorchesters und Lehrer am Konservatorium. 1862 kehrte er dann nach St. Petersburg zurück, wo er als Solo-Cellist musizierte und eine Professur am neu gegründeten Konservatorium übernahm. Er leitete diese Institution zudem von 1876 bis 1887. Davidoff komponierte zahlreiche Werke für sein Instrument, die glücklicherweise nun schrittweise wiederentdeckt werden. Seine Phantasie über russische Volkslieder op. 7 schrieb er 1860 in Leipzig.
Konstantin Nikolajewitsch Ljadow (1820 bis 1871), der Vater des Komponisten Anatoli Konstantinowitsch Ljadow, war seinerzeit unter anderem Chefdirigent am Mariinski-Theater in St. Petersburg und ein bekannter Komponist. In seiner Fantasy on Gispy Songs op. 12, die im Manuskript überliefert ist, kombiniert er herrliche Melodien aus der russischen Tradition mit virtuosen Effekten.
Anton Stepanowitsch Arenski (1861 bis 1906) hatte zum Violoncello eine ganz persönliche Beziehung: Sein Vater, ein Arzt, musizierte gern auf dem Instrument, oftmals begleitet von seiner Frau, die sehr gut Klavier spielte. Auf dieser CD erklingen sechs Charakterstücke des Komponisten. Die Zwei Stücke op. 12 widmete Arenski Karl Davidoff, die Vier Stücke op.56 dem Cellisten Anatoli Brandukow. Und an den Schluss haben Khrychev und Solovieva dann die Serenade op. 37 von Arenskis Lehrer Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow (1844 bis 1908) gesetzt. Dieses Stück, das später in einer Orchesterfassung bekannt wurde, hat übrigens ebenfalls einen familiären Bezug: Der Sohn des Komponisten spielte Cello.
Rudolf Franz Erwein Graf von Schönborn hatte einen exquisiten Geschmack. Schon seine Eltern hatten darauf geachtet, dass all ihre 14 (!) Kinder eine erstklassige Ausbildung erhielten, wozu auch das Musizieren ganz selbstverständlich gehörte. Und selbstverständlich reisten die jungen Herren nach Italien, wo sie Land und Leute kennenlernten, und natürlich auch die italienische Oper.
Musik aus dem Süden schätzten die Grafen von Schönborn zeitlebens. Sie spielten Kompositionen von Corelli, Albinoni oder Vivaldi – und als Johann Philipp Franz 1718 Fürstbischof von Würzburg wurde, ließ er umgehen Musiker aus Italien kommen. Zu diesen „musici“ gehörte auch Giovanni Benedetto Platti (?1697 bis 1763), ein Oboist und Geiger, der seine Ausbildung wahrscheinlich in Venedig erhalten hat. Über seinen Lebensweg ist wenig bekannt; in diesem Blog wurde darüber bereits an anderer Stelle ausführlicher berichtet.
Platti komponierte nicht nur für seinen Dienstherren, sondern auch für dessen Bruder Graf Rudolf Franz Erwein von Schönborn, der im benachbarten Wiesentheid lebte, und selbst mit Leidenschaft Violoncello spielte. Und „weillen es zum exercitio beständig etwas newes sey will“, so der Graf, sammelte er zudem in seiner Residenz jede Menge Musikalien. Die umfangreiche Kollektion ist noch heute erhalten, und sie erweist sich als eine unglaubliche Fundgrube.
In jüngster Vergangenheit sind etliche Einspielungen erschienen, die auf Noten aus dieser bedeutenden historischen Musikbibliothek beruhen. Unter den Werken Plattis fallen dabei immer wieder Triosonaten auf, bei denen eine der beiden Melodiestimmen über dem Basso continuo in tiefer Lage steht – Musik, die speziell für den Grafen geschrieben wurde.
Eine Auswahl aus diesem Repertoire präsentiert das Ensemble Radio Antiqua auf dieser CD. Es ist, wie bei Ramée nicht anders zu erwarten, eine Einspielung von höchster Qualität. Besonders zu erwähnen ist zudem das aufwendige Beiheft, mit erstklassigen Einführungstexten. Die liebevolle Sorgfalt, mit der jede Edition dieses Labels begleitet wird, beeindruckt immer wieder.
„What is the common ground between the chamber music and the choral works of Felix Mendelssohn Bartholdy?” Mit dieser CD versuchen der Flemish Radio Choir unter Leitung von Hervé Niquet und die Kammermusikpartner Pekka Kuusisto, Violine, Pieter Wispelwey, Violoncello, und Alasdair Beatson am Konzertflügel, eine Antwort auf diese Frage zu geben.
Um die „Vielfalt in der Einheit“ zu erkunden, die der Komponist einst beschwor, kombinierten sie ausgewählte Motetten sowie das Klaviertrio Nr. 2 op. 66 und das Adagio aus der Cello-Sonate op. 58. Musiziert wird zudem großartig. Ein Klangerlebnis, dem man sich nicht entziehen kann.
Blockflöten, Gamben, Theorbe, Laute, Zister und Barockgitarre, dazu ein Cembalo sowie ein Orgelpositiv, eine Leidenschaft für historische Aufführungspraxis, viele gute Ideen und jede Menge Noten – das sind die Zutaten, mit denen das Ensemble La Ninfea seine musikalische Hausapotheke bestückt hat. Ergänzt wird dieses höchst wirksame Rezept durch die ebenso sonore wie wandlungsfähige Stimme von Mirko Ludwig. Damit lässt sich so manches Leiden besiegen: „Music is the Cure!“, lautet denn auch der Titel des aktuellen Albums, das soeben bei Perfect Noise erschienen ist. Was für ein Motto, angesichts der aktuellen Situation.
Corona freilich hatte, als im Mai 2019 dieses Programm im Sendesaal von Radio Bremen aufgezeichnet wurde, noch niemand im Blick – keiner der Musiker, und niemand im Publikum. „Anlass für unseren Recherche-Marathon war die Anfrage im Anschluss an ein Konzert, zum 80. Geburtstag eines pensionierten Apothekers ein Privatkonzert zu geben“, berichtet das Ensemble in einem Begleittext zur CD. Schon auf der Heimfahrt begann die Planung: „Ein ausgiebiger Stau, zwei Tüten Chips, (natürlich alkoholfreies) Bier und eine geheime Anzahl an Gummibärchen waren eine ideale Ausgangssituation für dieses erste Brainstorming.“
Und das Ergebnis überzeugt. Mit einem Kanon, der kunstvoll das Anstoßen auf die Gesundheit begleitet, beginnt und endet das Programm. Das musikalische Gesundheitsprojekt weist zudem darauf hin, dass man es nicht versäumen sollte, seinen Last will and testament zu Papier zu bringen, bevor The sick tune zuschlägt, und La Follia zum Ausbruch kommt. Doch die Heilmittel stehen schon bereit. Athanasius Kircher beispielsweise notierte zu seinem Antidotum Tarantulae, dies sei eine „Melodey wodurch die von der Tarantula gebissene curiret und geheilet werden.“ Und wenn das Antidotum Tarantulae nicht verfängt, dann hilft möglicherweise Oil of Barley, auf gut Deutsch Gerstenöl, „womit ein gereiftes Starkbier gemeint ist“, so heißt es im Beiheft.
Musiziert wird mit Leidenschaft und ausgesprochen kreativ. So haben die Musiker sich bei Io son ferito, einem fünfstimmigen Madrigal von Giovanni Pierluigi di Palestrina, für eine Variante der Madrigaldiminuition entschieden, die den Sänger – der die ausgezierte Partie singt – einmal quer durch alle Stimmen schickt. Eine Herausforderung, der sich Mirko Ludwig versiert stellt.
Kurios wird es dann, wenn La Ninfea mit musikalischen Mitteln eine chirurgische Operation schildert. Dieses sehr spezielle Ereignis, das die Entfernung eines Blasensteines zum Ziel hatte, wurde seinerzeit durch Marin Marais vertont. Der Komponist hat seiner Musik erläuternde Zeilen beigefügt, die den Zuhörer heute eher amüsieren. Wer damals diese Prozedur ohne Betäubung durchleiden musste, denn eine Narkose gab es noch nicht, der fand das sicherlich gar nicht komisch.
Doch in diesem Fall war die Kur offenbar erfolgreich, und erleichtert folgt man La Ninfea, die dies unter anderem mit der Idylle sur la retour du santé du Roy von Marc-Antoine Charpentier gebührend feiert. Womit das Finale auch schon naht – und wir nicken zu Henry Purcells He that drinks is immortal.
Ein grandioses Programm, höchst unterhaltsam, und ausgefeilt präsentiert. Wer also derzeit in Quarantäne sitzt, der sollte es auf gar keinen Fall versäumen, La Ninfeas musikalische Hausapotheke zu konsultieren. Langeweile heilen die Musiker sofort. Unbedingt anhören!
Ebenso spannend ist auch das Paris Album, mit dem sich die Musiker der Triosonate in Frankreich vor 1700 zuwenden. Johannes Pramsoler und das Ensemble Diderot haben dafür Kompositionen ausgewählt, die nach dem Tod von Jean Baptiste Lully entstanden sind. Neben bekannten Werken, wie dem Tombeau de Monsieur de Lully von Jean-Féry Rebel (1666 bis 1747), bietet auch diese CD wieder zahlreiche Welt- ersteinspielungen.
Das Album feiert die die neu gewonnene Freiheit jener Zeit, als die Komponisten begannen, den traditionellen französischen Stil mit Innovationen aus Italien zu verbinden. Das Violoncello spielte dabei übrigens noch keine Rolle; Johannes Pramsohler und Roldán Bernabé musizieren auf dieser CD gemeinsam mit Eric Tinkerhess, Viola da gamba, und mit Philippe Grisvard, Cembalo.
Nicht nur Lullys pompöser Stil, auch die Monarchie als solche war seinerzeit in die Jahre gekommen. Doch während sich in der Oper das Repräsentative noch längere Zeit behaupten konnte, zeigte sich die Kammermusik deutlich flexibler: „Tous les compositeurs de Paris avoient en ce temps-là la fureur de composer des Sonates à la manière Italienne“, vermeldete Sébastian de Brossard, ein Musiker aus Strasbourg, der nach Lullys Tod eine ganz enorme Musikaliensammlung zusammentrug. Er ist auf dieser CD mit zwei Triosonaten vertreten, ebenso André Campra, außerdem erklingt Musik von Louis-Nicolas Clérambault, Elisabeth Jacquet de la Guerre und François Couperin, Nachfolger Lullys im Amte des Hofkomponisten. Johannes Pramsohler und seine Mitstreiter machen mit ihrem Spiel hörbar, wie italienische Einflüsse und französische Eleganz in einer „réunion des gôuts“, so Couperin, ein neues europäisches Klangideal geprägt haben – das übrigens bis nach Sachsen ausstrahlte: Couperins La Convalescente fand sich im Notenbestand des Dresdner Konzertmeisters Johann Georg Pisendel.
Johannes Pramsohler und seine Kollegen vom Ensemble Diderot – Roldán Bernabé, Barockvioline, Gulrim Choi, Violoncello und Philippe Grisvard, Cembalo – setzen mit dieser CD ihre Entdeckungsreise auf den Spuren der barocken Triosonate quer durch Europa fort. Gestartet waren sie mit dem Dresden Album – und nun, fünf Jahre später, präsentieren die Musiker, was sie in England und in Frankreich entdeckt haben.
The London Album enthält Triosonaten aus der Zeit vor 1680. Zur Zeit Henry Purcells schätzten englische Komponisten das neue italienische Genre. Doch auch wenn beispielsweise Robert King (um 1660 bis 1726) eine Sonetta after the Italion way schrieb, die hier in Weltersteinspielung erklingt, bleibt der charakteristische britische Sound doch erstaunlich deutlich erhalten. Die drei Triosonaten von Henry Purcell beispielsweise würde man niemals einem Komponisten vom Festland zuordnen. Und auch Kollegen, die von dort nach England kamen, übernahmen erfolgreich dieses musikalische Idiom, wie Werke von Johann Gottfried Keller und Gerhard Diessener zeigen. Beide waren Cembalisten, und kamen aus Deutschland nach London.
Die Musiker haben für diese CD nicht nur beeindruckende Musikbeispiele aus alten Manuskriptbänden zutage gefördert. Sie haben sich auch mit Lehrwerken der damaligen Zeit auseinandergesetzt, um diese attraktiven Werke obendrein zeitgemäß vortragen zu können. Hochinteressant!