Sonntag, 19. Juli 2009
La Diva - Handel: Arias for Cuzzoni (Berlin Classics)
"Es scheint, als habe Händel diese Arien nicht nur für die Cuzzoni geschrieben, sondern auch für mich", scherzt Simone Kermes. Denn als die Leipziger Sopranistin ihre Händel-Lieblingsarien für diese CD auswählte, musste sie feststellen, dass der Komponist sie seinerzeit alle für Francesca Cuzzoni, eine der Starsolistinnen seiner Zeit, geschrieben hatte. Das Album zeigt das ganze Spektrum menschlicher Leidenschaften - Liebe und Verführung, Hoffnung, Zorn, Trotz, Hass, Rachsucht, Verzweiflung und Todesahnung. Kermes ist ihnen allen gewachsen. Die Sängerin begeistert mit locker perlenden, stets sicher geführten Koloraturen ebenso wie mit großen Bögen und lyrischem Schmelz. Egal, wie furios sie agiert - Timbre und Intonation sind in jeder Situation unter Kontrolle. Gigantisch! Chapeau! Soviel Stimmkultur macht einfach Freude. Die Lautten Compagney Berlin begleitet Kermes mit Feingefühl und auch mit Temperament. Bravi!
Samstag, 18. Juli 2009
Haydn in London - La Gaia Scienza (Winter & Winter)
Als Haydn seine Stelle bei Fürst Esterhazy verloren hatte, reiste er 1791 zu Konzerten nach London. Dort hatte er enormen Erfolg: In London brach - wenn man Zeitgenossen glauben darf - ein regelrechtes Haydn-Fieber aus. Diese CD lässt ahnen, warum. Mein Haydn-Bild jedenfalls hat sie vom Kopf auf die Füße gestellt, erweist sich der Komponist doch keineswegs als Meister des Galant-Routinierten, sondern als Mann mit Humor, der für einen geistreichen Scherz immer zu haben ist. Das gilt nicht nur für "The Surprise", hierzulange bekannt als Sinfonie mit dem Paukenschlag - und auf der CD zu hören in einer Adaption für Fortepiano, Flöte, Violine und Violoncello. Auch die Klaviertrios sind überaus delikate Kabinettstückchen. Marco Brolli, Traversflöte, Stefano Barneschi, Violine, Paolo Beschi, Violoncello, und Federica Valli, Fortepiano, musizieren, dass es eine Freude ist. Besondere Überraschung: Der Klang des Hammerklaviers, erbaut 2005 von Andrea Restelli in Mailand nach einem Vorbild von Ludwig Dulcken aus den 1790er Jahren - und so erstaunlich wandlungsfähig, so perfekt im Zusammenspiel mit der Flöte! Historische Instrumente öffnen mitunter ganz erstaunliche Klangräume.
Destination London (Berlin Classics)
"Music for the Earl of Abingdon", lautet das Motto dieser CD. Ihre Lordschaft, weitgereist, hatte einen erlesenen Musikgeschmack - und spielte offenbar ziemlich ordentlich Flöte. Davon jedenfalls zeugen diese durchweg hübschen Stücke, die von ihm komponiert oder ihm gewidmet wurden - Trios und Quartette von Abel, Stamitz, Johann Christian Bach und Joseph Haydn. Wilbert Hazelzet und Marion Moonen, Traversflöte, Bernadette Verhagen, Viola und Barbara Kernig, Violoncello, interpretieren diese charmante Kammermusik mit hörbarer Spielfreude. Das fällt nicht schwer, denn die klangschönen Kabinettstückchen haben durchaus Anspruch. Umso mehr freut man sich über ihre Wiederentdeckung.
Gods, Kings and Demons - René Pape (Deutsche Grammophon)
Götter, Geister und Könige sind seit mehr als 20 Jahren das Metier von René Pape. Jetzt hat die Deutsche Grammophon den Dresdener entdeckt. Gratulation! Drei große, leidgeprüfte Könige hat der Dresdner Bassist auf der Opernbühne oft gesungen, und diese Partien bilden auch den Kern seines Debüt-Albums: Verdis König Filippo, Wagners König Marke und Mussorgskys Boris Godunow. Wagners Wotan, Rubinsteins Demon, Dvoráks Wassermann und Offenbachs gespenstischer Dappertuto ergänzen diesen Reigen. Doch gekrönt wird das Album von Mephistopheles - gleich dreifach vertreten durch die Opern Gounods, Boitos und Berlioz'.
Papes Stimme ist wandlungsfähig; statt an schlichtem Schöngesang darf sich der Hörer dieser CD an Figuren erfreuen, wie sie plastischer kaum erscheinen könnten. Das dreckige Lachen des Teufels, der über die Unwissenheit der Menschen spottet, die abgrundtiefe Trauer des betrogenen Königs, die Mahnung des lebensklugen Wassermannes an die verliebte Seejungfrau, und schlussendlich der Tod des Usurpators - all diese Szenen erfüllt Pape singend mit Leben. Dabei wird er kongenial begleitet von der Staatskapelle Dresden unter Sebastian Weigle. Das traditionsreiche Orchester demonstriert auf dieser CD - wie auch allabendlich in der Dresdner Semperoper - dass seine Leidenschaft nicht nur dem Konzert, sondern auch und vor allem der Oper gehört. Wer erleben musste, wie anderenorts "im Graben" jenseits der Premiere oftmals Dienst nach Vorschrift geschoben wird, der weiß dieses Engagement besonders zu schätzen.
Donnerstag, 16. Juli 2009
Musik am Dresdner Hof (Berlin Classics)
Konzerte für große Gruppen von Soloinstrumenten waren um 1700 offenbar sehr beliebt - ganz besonders am Dresdner Hof, wo es wohl schon damals zahlreiche exzellente Musiker gab. Den Virtuosi Saxoniae um Ludwig Güttler bereiten die anspruchsvollen Stücke, die seinerzeit am kurfürstlichen Hof erklangen, noch heute hörbar Vergnügen. In diversen Archiven fand sich glücklicherweise noch etliches Notenmaterial aus jener Zeit. Die Virtuosi Saxoniae, versierte Spezialisten für die Musik des 18. Jahrhunderts - im Hauptberuf Musiker der Staatskapelle Dresden - spielen auf modernen Instrumenten, setzen aber ansonsten weitgehend auf die historische Spielweise. So klingen die Concerti von Vivaldi, Pisendel, Hasse, Quantz, Telemann, Graun, Heinichen, Fasch und Zelenka erstaunlich frisch und kein bisschen museal.
Mittwoch, 15. Juli 2009
Schumann: Kinderszenen - Norman Shetler (Berlin Classics)
"Schätze der Klassik", nennt das Label die Reihe, in der diese CD erschienen ist. Diese Einspielung aus dem Jahre 1977 erweist sich in der Tat als kleiner Brillant - wohlüberlegt geschliffen, facettenreich, und überaus wertbeständig. Liebevoll inszeniert Shetler die Kinderszenen; er spielt sie schlicht, ohne romantischen Puderzucker - wunderschön! Ergänzt wird diese hübsche kleine Sammlung durch das Blumenstück op. 19, die Drei Romanzen op. 28 und die Arabeske.
Und es blitzten die Sterne - Fritz Wunderlich (Deutsche Grammophon)
Das ist Gesang! Diese herrliche Stimme, perfekte Technik, intelligente Gestaltung - es ist immer wieder eine Freude, Wunderlich zu hören. Erneut hat die Deutsche Grammophon aus ihren Archivbeständen eine CD mit Aufnahmen dieses grandiosen Tenors zusammengestellt, diesmal mit Opern-Arien von Mozart, Verdi, Puccini, Rossini, Tschaikowski und Lortzing. Sie lassen ahnen, welche Möglichkeiten der Sänger gehabt hätte - wenn er denn nicht so jung ums Leben gekommen wäre. Phantastisch!
Dienstag, 14. Juli 2009
Bach: Weltliche Kantaten (Berlin Classics)
Und noch ein Schatz aus der wohlgefüllten Reserve des früheren VEB Deutsche Schallplatten: 8 CD mit den weltlichen Kantaten Bachs - ebenfalls meine besondere Empfehlung. Denn eine bessere Besetzung, als hier von Peter Schreier dirigiert wird, kann man sich kaum vorstellen. Gesangssolisten wie Edith Mathis, Arleen Augér, Peter Schreier, Theo Adam oder Siegfried Lorenz. Dazu die Berliner Solisten, ein vielfach ausgezeichneter Kammerchor, der aus zwölf Mitgliedern des Rundfunkchores Berlin bestand, von Dietrich Knothe geleitet wurde, und leider die Wiedervereinigung nicht überlebte. Und schließlich das Kammerorchester Berlin - mit Instrumentalsolisten, die zu den besten Musikern des Landes gehörten. Die Qualität der Aufnahme hält, was diese Namensliste verspricht.
Bach: Geistliche Kantaten (Berlin Classics)
Ein Auswahl Bach-Kantaten aus dem reichen Fundus des VEB Deutsche Schallplatten - die nach wie vor zum Besten gehört, was auf dem Markt zu bekommen ist. Das liegt nicht zuletzt an der erstklassigen Besetzung. Es musizieren Solisten wie Arleen Augér, Siegfried Lorenz oder Peter Schreier, gemeinsam mit dem Thomanerchor Leipzig in seiner Blütezeit unter Hans-Joachim Rotzsch und dem Neuen Bachischen Collegium Musicum. Diese Sammlung dokumentiert das hohe Niveau, auf dem das Erbe des Thomaskantors von seinen Amtsnachfolgern seinerzeit an der Pleiße gepflegt wurde. Leider nur elf CD - zu DDR-Zeiten gab's keine Gesamtaufnahme...
Albrecht Mayer in Venedig (Decca)
"Nichts in der Musik ist höher oder reiner als der Gesang", schwärmt Albrecht Mayer. "Ein Instrument auf das Niveau eines großen Sängers zu bringen, ist die größte Leistung, die uns möglich ist." Das stimmt nicht ganz, wie die vorliegende CD zeigt. Denn Mayers Oboe kann mehr als nur singen. Sie jubiliert, sie träumt, sie ist übermütig - und sie galoppiert hochvirtuos durch die schwierigsten Passagen. In Venedig war die Oboe um 1700 offenbar ein hoch geschätztes Instrument, für das namhafte Komponisten schrieben. Die schönsten Werke aus jener Blütezeit hat Albrecht Mayer nun gemeinsam mit dem New Seasons Ensemble, ausgewiesenen Barock-Spezialisten, eingespielt. Atemlos lauscht man den Oboenkonzerten von Vivaldi, Platti, Marcello, Lotti und Albinoni. Mayer, der Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, ist ein Phänomen - und der Kritiker freut sich über seine Musizierfreude.
Freitag, 10. Juli 2009
Mozart: Piano Concertos K. 414 & 491 - Maurizio Pollini (Deutsche Grammophon)
Ein Kontrastprogramm: Mozarts Konzert Nr. 12 in A-Dur KV 414 - brillant, nuancenreich, heiter, von Einfällen schier übersprudelnd. Und, vier Jahre später entstanden, Nr. 24 in c-moll KV 491 - düster, unruhig, geheimnisvoll, immer am Rand jener Abgründe, die auch im "Don Giovanni" oder im Requiem anklingen. Pollini wird beidem gerecht. Der Maestro konzertiert - und die Wiener Philharmoniker assisitieren ihm zwischen Forte und Pianissimo, dass es eine Freude ist. Kammermusik vom allerfeinsten!
Violin Masterworks (Decca)
Da hängt der Himmel voller Geigen: "The world's favourite Violin Classics", verspricht Decca - und fasst auf immerhin 35 CD zusammen, was sich in den Archiven des Labels zwischen Bach und Bloch, Beethoven und Barber, Locatelli und Sibelius oder Paganini und Prokofiev fand. Und das ist eine ganze Menge! Der Schuber enthält die wichtigsten Repertoirestücke, eingespielt von vielen herausragenden Solisten. Unmöglich, sie alle aufzuzählen: Bach mit Gideon Kremer und Arthur Grumiaux, Beethoven mit Henryk Szeryng und Arthur Grumiaux, begleitet übrigens von Clara Haskil am Klavier. Mozart mit Szeryng und Grumiaux. Paganini mit Szeryng und mit Ruggiero Ricci. Mendelssohn, Prokofiev, Tschaikovsky und Sibelius, gespielt von Leila Josefowicz. Vivaldis Konzerte, interpretiert von Salvatore Accardo. Und zu guter Letzt zwei CD mit Grumiaux' Encores. Wiederentdeckungen sind garantiert; Überraschungen hingegen sind wohl eher nicht die Aufgabe einer solchen Sammlung. Was bleibt? Viele Stunden allerschönster Musik.
Beethoven: Concerto No. 5 "Emperor" - Hélène Grimaud (Deutsche Grammophon)
Als "Philosophin am Klavier" preist das Label die Interpretin, und das Booklet bringt eine entsprechend reiche Auswahl von Zitaten. Leseprobe: "Man hört Beethovens Kompositionen den Kampf an, das Ringen um jeden Ton, um jeden Akkord. Er hat sich an einer Weltvorstellung abgearbeitet, die für mich absolut zeitgemäß ist, um nicht zu sagen modern. Schließlich leben auch wir in einer Welt, die wir kaum noch greifen können, in der die Irritationen größer sind als die Vorstellungen von einem komplexen Gesamtbild. Auch wir zweifeln immer wieder daran, dieser Welt eine Form zu geben - eine Form, nach der wir uns sehnen. Beethoven hat uns vorgemacht, dass die Arbeit an den Brüchen und an der Fehlerhaftigkeit des Menschen in musikalische Schönheit münden kann. Er hat den Himmel auf Erden gesucht. Er war stets bereit, die Welt auf den Kopf zu stellen." O je. - Grimaud versucht sich daran ebenfalls, wie man hört. Melodische Linien sind offenbar verdächtig - bitte kein Pathos! "Statt Blut, Schweiß und Tränen hören wir Gedanken, Reflexionen, Ideen", textet das Label. Dass zu guter Letzt doch noch, irgendwie, Musik daraus wird, dankt der Hörer der überragenden Staatskapelle Dresden unter Vladimir Jurowski. Der Orchesterpart ist die eigentliche Überraschung dieser Aufnahme. Hier klingt Beethoven tatsächlich neu und unerhört - und in jenen Passagen, wo die Solistin mit dem Orchester musiziert, wird sie davon getragen. Ansonsten kann diese Interpretation leider nicht begeistern. Das gilt ebenso für die Klaviersonate Nr. 28 in A-Dur, das zweite Stück auf der CD. Die Welt ordnen durch Musik? Gut und schön. Aber hier höre ich vor allem das Ringen um Ordnung; die Musik bleibt dabei auf der Strecke.
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