Donnerstag, 31. Dezember 2020

Beethoven: Complete Symphonies (Naxos)


 Kurz vor dem Jahresende möchte ich unbedingt noch auf eine faszinierende Aufnahme sämtlicher Sinfonien von Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827) hinweisen, mit dem das Label Naxos den Jubilar aufs Würdigste geehrt hat. Eingespielt wurde sie von Ádám Fischer mit dem Dänischen Kammerorchester. 

Der Dirigent baut damit auf zwei anderen Großprojekten auf: In den Jahren 1987 bis 2001 erarbeitete er mit der Österreichisch-Ungarischen Haydn-Philharmonie alle 104 Sinfonien von Joseph Haydn, und ab 2006 wandte er sich dann mit dem Dänischen Kammerorchester den Sinfonien Wolfgang Amadeus Mozarts zu. 

Das Dänische Kammerorchester freilich hieß damals noch Nationales Kammerorchester Dänemarks, und war ein Ensemble des dänischen Rundfunks. Allerdings setzte sich 2014 die Kulturministerin des Landes über eine Empfehlung des Parlaments hinweg und ordnete die Auflösung des damals bereits seit 75 Jahre bestehenden Orchesters an. Dank einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne konnte dies jedoch verhindert werden: Seit 2015 ist der Klangkörper unabhängig, und trägt den Namen Dänisches Kammerorchester. 

Aus der Perspektive dieser beiden Aufnahmeprojekte heraus hat Ádám Fischer einen ganz besonderen Zugang zu Beethovens Sinfonien gefunden: Er ordnet diese Kompositionen in den musikhistorischen Kontext ein, und interpretiert sie aus diesem heraus. Erkennbar wird dabei, dass Beethoven mit den Konventionen seiner Zeit bestens vertraut war – und sich mit Wucht darüber hinwegsetzte, wo immer er sich dadurch eingeengt fühlte. 

Fischer arbeitet mit den Musikern des Dänischen Kammerorchesters Strukturen und Details gleichermaßen plastisch heraus. Es ist phänomenal, aber diese Musiker lassen uns mit ihrem virtuosen Spiel und ihrer präzisen Artikulation Beethovens Sinfonien vollkommen neu entdecken. Es ist, als hörte man diese Werke zu ersten Mal. 

So erweist sich beispielsweise Beethovens Achte, im Konzert eher selten zu hören, urplötzlich als Sinfonie von Format, hochinteressant. Und die Pastorale, derart lebendig vorgetragen, zeigt auf einmal, dass sie keineswegs nur ein Landidyll abbildet. Fischer macht auch die Naturgewalten hörbar – die Sturm-Szene beispielsweise lässt er bedrohlich brausen und toben; seine Interpretation fegt außerdem so manches Vorurteil hinweg. Der Heros wird wieder zum Komponisten; statt einer Gipsbüste, die nur noch zur Deko taugt, zeigt uns Fischer hier einen Menschen mit vielerlei Leidenschaften. 

Seine Beethoven-Einspielungen bieten statt Klangbrei und Pathos jede Menge Akzente und feinste Nuancen. Man hört Stimmverläufe, die bislang noch nie aufgefallen sind. Und auch die gewählten Tempi tragen zur Sogwirkung dieser Aufnahmen zweifelsohne mit bei. 

Fischer hat sich mit den umstrittenen Vorgaben des Komponisten intensiv auseinandergesetzt. „Zu meiner Studentenzeit glaubte man noch allgemein, dass Beethovens Metronom fehlerhaft sei, mit der Begründung, dass die Tempi zu schnell und unspielbar seien“, meint der Dirigent. „Ich glaube, dass weder ein unvorsichtiger Ansatz, der Beethovens Metronomangaben ignoriert, noch ein unerbittliches Festhalten an ihnen der Musik gerecht werden kann.“ 

Die Musiker des Dänischen Kammerorchesters haben keine Schwierigkeiten damit, Fischers Tempovorgaben zu folgen. Der Dirigent kann somit eine brillante, mitreißende Interpretation verwirklichen, die gerade durch die kammermusikalische Präzision eine beeindruckende Dynamik entfaltet. Chapeau! 

Strauss: Tondichtungen (Oehms Classics)


 Mit dieser Box, die sämtliche sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss (1864 bis 1949) zusammenfasst, ist dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Leitung von Sebastian Weigle ein großer Wurf geglückt. Das Orchester, mehrfach vom Fachmagazin Opernwelt als „Orchester des Jahres“ ausgezeichnet, findet unter Leitung seines Generalmusikdirektors für jedes dieser sehr unterschiedlichen Werke einen überzeugenden Zugang. Von Ein Heldenleben op. 40 bis zu Don Quixote op. 35 (mit Isang Enders, Violoncello, und Thomas Rössel, Viola) – die Aufnahmen erfreuen, denn sie verbinden Präzision, Differenziertheit und Durchhörbarkeit mit Spielfreude und Klangschönheit. Welch ein Erlebnis! 

Dienstag, 29. Dezember 2020

Leclair: Concerti per Violino (Glossa)


 Jean-Marie Leclair (1697 bis 1764) gilt als Gründer der französischen Violinschule. Wie kaum ein anderer wusste er italienische Virtuosität mit kantablem Spiel und dem Streben nach schönem Ton, ganz nach französischem Geschmack, zu verbinden. Über den Lebensweg des Musikers, der eigentlich Korbmacher hätte werden sollen, wurde in diesem Blog bereits an anderer Stelle berichtet. Als Geiger muss er ein Ereignis gewesen sein; in seinen Werken lässt sich noch heute nachvollziehen, dass er über eine exzellente Technik verfügte. 

Auf dieser CD mit dem La Cetra Barockorchester Basel stellt sich Leila Schayegh den spieltechnischen Herausforderungen in den Konzerten Leclairs. Die Schweizer Barockgeigerin beeindruckt durch ihre ebenso temperamentvolle wie klangschöne Interpretation. Mit ihrer Einspielung, die inzwischen in einer weiteren CD eine Fortsetzung fand, zeigt Leila Schayegh, wie reizvoll und hörenswert doch Leclairs Violinkonzerte sind. Musiziert wird mit fundiertem historischen Wissen ebenso wie mit Spielfreude und einer gehörigen Portion Eleganz. Bravi!

Englishman in Tyrol (Querstand)


 Der Gambist William Young gehörte zu den Superstars des 17. Jahrhunderts. Er wurde als neuer Orpheus gefeiert. Kaiser und Könige ehrten ihn, und noch Jahrzehnte nach seinem Tod galt er als eine Legende. 

Juliane Laake, die sich für Leben und Werk des Musikers interessierte, musste allerdings feststellen, dass die Spurensuche gar nicht so einfach ist: „William Young scheint vom Himmel gefallen zu sein, als er 1652 in Innsbruck als Gambist und Kammerdiener am Hof des Erzherzogs Ferdinand Karl aus dem Hause Habsburg erstmals nachweisbar ist“, schreibt die Gambistin im Beiheft. „Nichts wissen wir über seine frühen Jahre in England und wo er von wem wie ausgebildet wurde – ja, nicht einmal sein Geburtsjahr steht fest.“ 

Seine Musik allerdings zeigt, dass er mit den Traditionen ebenso wie mit den unterschiedlichen Stilen und Entwicklungen seiner Zeit bestens vertraut war. In seine Werke hat er das Erbe der altenglischen Consort-Musik ebenso souverän integriert wie die damals ganz neue italienische Sonate. Gefällige Tanzmelodien und eingängige Rhythmen stehen neben kühner Harmonik und strenger Polyphonie. 

Bekannt ist, dass Young 1652 mit seinem Dienstherrn und dessen Ehefrau Anna de’Medici eine längere Reise durch Italien absolviert hat. Ein Jahr später ließ er in Innsbruck einen Notenband drucken. Die Sonate à 3, 4 e 5 blieben seine einzige Veröffentlichung; wer Musik von William Young heute spielen will, der muss sich seine Stücke in ganz Europa aus Handschriften heraussuchen. 

Doch der Aufwand lohnt, wie diese CD beweist. Youngs Sonaten, Fantasies und Tanzsätze sind die Wiederentdeckung des Jahres – außergewöhnlich versiert wechselt dieser Musiker zwischen den Welten. Und fast jedes Stück, das Juliane Laake hier gekonnt mit ihrem Ensemble Art d’Echo vorstellt, erklingt in Weltersteinspielung. Unbedingt anhören, großartig! 


Montag, 28. Dezember 2020

Messiaen: Catalogue d'Oiseaux (Pentatone)


 Olivier Messiaen (1908 bis 1992) war nicht nur ein Komponist, sondern auch ein passionierter Ornithologe. Diese Leidenschaft hat sich auch in einem großartigen Werk manifestiert: „Mit seinem radikalen Naturalismus bildet der Catalogue d’Oiseuax eine Ausnahme innerhalb der Klavierliteratur“, schreibt Pierre-Laurent Aimard. „Es ist die große Hymne an die Natur von einem Mann, der nie damit aufgehört hat, sich über die Schönheit der Landschaft oder den Zauber des Vogelgesangs zu erstaunen.“ 

Geschrieben hat Messiaen die Stücke für seine Frau, die Pianistin Yvonne Loriod. Mit beiden war Aimard eng befreundet. So erscheint es nur konsequent, wenn er sich nach seinem Wechsel von der Deutschen Grammophon zu Pentatone bei dem neuen Label, dem er nunmehr als Exklusivkünstler verbunden ist, Messiaens eher selten gespielten Zyklus zuwendet. 

Die Box beeindruckt schon beim Auspacken durch ihre liebevolle Gestaltung. Neben den drei CD enthält sie eine hochinteressante Bonus-DVD sowie ein umfangreiches Beiheft, Federchen inklusive. Das pure Entzücken aber bricht aus, sobald die ersten Töne zu hören sind. Einmal mehr wird Aimard seinem Ruf als herausragender Messiaen-Interpret gerecht. Er bringt mit seinem Klavierspiel die Vogelwelt geradezu zu uns ins Zimmer. Man hört die Bewohner dieser klingenden Landschaftstableaus nicht nur krächzen, pfeifen und zwitschern, sondern auch trippeln und umherfliegen – mal eilig, mal majestätisch. Auch die Umgebung und sogar das Wetter hat Messiaen in Noten gefasst, und Aimard nimmt uns durch seine Interpretation mit hinein in diese doch eigentlich sehr persönliche Welt. Faszinierend! Diese Einspielung gehört ganz klar zu den musikalischen Großereignissen des Jahres. 


Bach Cantatas (Accentus)


 Seine erste CD als Leiter des Leipziger Thomanerchores widmete Gotthold Schwarz Kantaten von Johann Sebastian Bach. Der Sänger und Kirchenmusiker, der mit den Thomanern schon seit vielen Jahren als Stimmbildner und vertretungsweise auch als Chorleiter arbeitete, wurde 2016 zum 17. Thomaskantor nach Bach berufen. 

In der Beschäftigung mit Bachs Kantaten, die nach wie vor für das Repertoire des berühmten Leipziger Knabenchores von zentraler Bedeutung sind, sieht Schwarz „eine lebenslange und wunderschöne Aufgabe und Herausforderung“. Für diese CD hat er drei Kompositionen ausgewählt, die sich mit dem besonderen Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen auseinandersetzen: Allein zu dir, Herr Jesu Christ BWV 33, Wer Dank opfert, der preiset mich BWV 17, und Was Gott tut, das ist wohlgetan BWV 99. Die Thomaner sowie Solisten musizieren dabei gemeinsam mit dem Sächsischen Barockorchester.


Sonntag, 27. Dezember 2020

Wilhelm Friedemann Bach: Duets for Two Flutes (Naxos)

 


Wilhelm Friedemann Bach (1710 bis 1784), der älteste Sohn Johann Sebastian Bachs, gilt der Nachwelt ebenso als Tastenvirtuose denn als schwieriger Charakter. Dass er auch Flötenduette komponiert hat, erstaunt. Und wann diese sechs Duette entstanden sind, das kann nur vermutet werden. Quantz jedenfalls, Hausvirtuose und Flötenlehrer Friedrichs des Großen, hat Auszüge aus einigen dieser Stücke für seine Solfeggi verwendet. 

Bachs Duette für zwei Flöten erweisen sich als höchst anspruchsvoll. Die beiden Stimmen sind eng verflochten, sie imitieren einander, wetteifern in den Figurationen und singen gefühlvoll gemeinsam in den langsamen Sätzen. Patrick Gallois und Kazunori Seo präsentieren Bachs Kompositionen auf dieser CD mit Ebenmaß und Eleganz. 


Die Späth-Orgel in St. Oswald Regensburg (Tyxart)


 Am 27. Dezember 1750, „mit Musiken von Trp. Und Pauken“, wurde die Orgel der Regensburger Oswaldkirche eingeweiht. Erbaut wurde dieses Instrument von dem ortsansässigen Frantz Jacob Späth (1714 bis 1786). Berühmtheit erlangte der experimentierfreudige Meister allerdings als Erfinder des Tangentenflügels. 

Die Orgel in der Oswaldkirche hat Frantz Jacob Späth gemeinsam mit Johann Andreas Stein errichtet. Dieser hatte das Handwerk bei Johann Andreas Silbermann in Straßburg erlernt, und nach seiner Tätigkeit bei Späth ließ er sich schließlich in Augsburg als Orgel- und Klavierbauer nieder. In seiner Bewerbung dort führte er an, er habe „in Regensburg in der großen schönen Orgel von St. Oswald das ganze Pfeiffwercke, als das Wesen einer Orgel, von meiner eigenen Handt verfertiget und intonieret.“ 

Glücklicherweise blieb das Instrument über Jahrhunderte unverändert; eine Erweiterung durch Paul Ott aus dem Jahre 1954 wurde in den Jahren 1986 bis 1991 durch die Bonner Orgelbaufirma Klais im Zuge einer umfassenden Restaurierung wieder rückgängig gemacht. So präsentiert sich die Späth-Orgel heute wieder im exzellenten und ursprünglichen Zustand. 

Roman Emilius, Stadt- und Dekanatskantor in Regensburg, stellt auf dieser CD das Instrument vor, das durch einzigartige Klangfarben begeistert. In bester süddeutscher Tradition, wirkt diese Orgel ausgesprochen charaktervoll und ausdrucksstark. Und mit seinem geschickt zusammengestellten Programm bringt Roman Emilius die Vorzüge des Instrumentes hervorragend zur Geltung. Für Kenner und Liebhaber bietet seine Werkauswahl zudem auch einige spezielle Höhepunkte. Humor und Orgel – eine Kombination, die ich nur empfehlen kann. 


Dienstag, 22. Dezember 2020

Machet die Tore weit (Christophorus)


 Der Weihnachtsmusik an der Leipziger Thomaskirche widmet sich auch dieses Album aus dem Hause Christophorus. Das Johann Rosenmüller Ensemble, geleitet von Arno Paduch, und der Kammerchor der Erlöserkirche Bad Homburg, geleitet von Susanne Rohn, konzentrieren sich dabei auf die Werke von Bachs Amtsvorgängern. Als Solisten wirken mit Antonia Bourvé und Simone Schwark, Sopran, Johanna Krell, Alt, Florian Cramer und Hansjörg Mammel, Tenor sowie Markus Flaig, Bass. 

Und auch wenn die Namen von Thomaskantoren wie Tobias Michael, Sebastian Knüpfer, Johann Schelle oder Johann Kuhnau heute dem Publikum kaum noch bekannt sind, erweist sich doch die Beschäftigung mit ihren Festmusiken als überaus lohnend. Man höre nur Schelles prachtvolles Machet die Tore weit, oder Knüpfers Dies est laetitiae für 22 Stimmen, üppig besetzt mit einem fünfstimmigen Trompetenchor nebst Pauken, dazu Streicher, Fagott, drei Flöten sowie sechs Solisten und vierstimmigem Chor. Dieses Konzert sowie Machet die Tore weit von Tobias Michael erklingen in Weltersteinspielung. Was für eine Klangpracht! 


Christmas in Europe (Deutsche Harmonia Mundi)

 


Einer der besten Chöre der Welt singt Weihnachtslieder aus den unterschiedlichsten Regionen Europas: Einmal mehr hat sich Thomas Hengelbrock mit dem von ihm 1991 gegründeten Balthasar-Neumann-Chor auf musikalische Entdeckungsreise begeben. Und so erklingen auf diesem Album Weihnachtslieder in 16 verschiedenen Sprachen von Italienisch bis Isländisch und von Katalanisch bis Tschechisch. Schlagwerk und Orgel begleiten die Sängerinnen und Sänger dezent dabei.

Sächsische Weihnacht (Berlin Classics)

 


Ludwig Güttler und seinem Blechbläserensemble gelingt es noch immer, das Publikum zu überraschen. In diesem Jahr haben die Musiker ein Album zusammengestellt, dass den ganz besonderen Zauber der sächsischen Weihnacht in jede Stube bringt. Dazu haben die Musiker die schönsten Stücke aus den Konzertprogrammen der letzten Jahre ausgewählt. 

Sämtliche Aufnahmen waren bislang unveröffentlicht, und sie sind geprägt durch die spezielle Atmosphäre der sächsischen Kirchen, in denen sie jeweils aufgezeichnet worden sind: „Die Frauenkirche hat eine Bedeutung durch ihre Geschichte bis hin zum Wiederaufbau, für den eine Weltkulturgemeinschaft gewonnen werden konnte“, erläutert Güttler in einem Interview, das im Beiheft zu finden ist. „Die restaurierte Stadtkirche in Pirna ist ein Kleinod, eine der letzten spätgotischen Hallenkirchen hierzulande mit einem wunderbar weiten Klang. Die lichtdurchflutete Dorfkirche Polditz ist klanglich einzigartig, veredelt durch eine fantastische Ladegast-Orgel. (..) Auf zu Unrecht kaum wahrgenommene Orte einen Lichtstrahl zu lenken, für mehr Wahrnehmung und Wertschätzung, ist mein Ziel.“ 

Bläserklänge gehören zur sächsischen Weihnacht ebenso wie Pyramiden, Räucherwerk und Kerzenschein. Das Blechbläserensemble um Ludwig Güttler stellt bekannte weihnachtliche Melodien in teilweise ganz erstaunlichen Arrangements neben Kompositionen alter und neuer Meister. Die Übergänge sind dabei fließend – oder hätten Sie gewusst, dass Ludwig van Beethoven Fünf Variationen über Tochter Zion geschrieben hat? 

Prächtige mehrchörige Werke, unter anderem von Valerius Otto, Antonio Vivaldi und Johann Heinrich Schmelzer stehen neben modernen Stücken, wie den Seven Madrigals on Negro Spirituals op. 58b von Adolf Busch. Zu meinen ganz persönlichen Favoriten gehören auch Allemande und Courante für zwei Pauken von Ludwig Güttler – ein Stück, das deutlich macht, wie ausdrucksstark man auf diesen Schlaginstrumenten musizieren kann. 

Insgesamt erweist sich diese CD mit ihrem liebevoll zusammengestellten und brillant musizierten Programm unter all den vielen Aufnahmen, die der exzellente Trompeter im Laufe seines langen Musikerlebens eingespielt hat, als ein echter Höhepunkt. Für mich ist das das schönste Album zur Weihnacht 2020. 


Freitag, 18. Dezember 2020

It's Christmas! (Sony)


Was macht ein international gefeierter Opernsänger, wenn Corona ihm statt des üblicherweise prall gefüllten Terminkalenders eine Zwangspause beschert? Jonas Kaufmann hat das Krisenjahr genutzt, um musikalische Projekte zu verwirklichen, für die bei normalem Spielbetrieb an den Opernhäusern weltweit wohl kaum Zeit gewesen wäre. 

Für dieses Weihnachtsalbum hat er seine Lieblings-Weihnachtslieder aus Deutschland und aus aller Welt zu einem Programm zusammengestellt, dass auch Freunden populärer Klänge leuchtende Augen bescheren dürfte. Auf „It’s Christmas“ erklingen einerseits auf CD 1 deutsche Weihnachtslieder, die für Jonas Kaufmann mit der Erinnerung an glückliche Weihnachten im Kreise der Familie verbunden sind. Zu hören sind daher nicht nur bekannte Lieder wie Stille Nacht, Alle Jahre wieder oder Leise rieselt der Schnee, sondern auch bayerische Volksweisen wie Es wird scho glei dumpa oder Im Woid is so staad

Auch amerikanische Weihnachts-Songs wie White Christmas, O Holy Night oder Winter Wonderland gehören zu Kaufmanns Favoriten, weil sein Vater nach der Bescherung oft die legendären Weihnachts-Schallplatten von Bing Crosby, Sinatra und Ella Fitzgerald auflegte. CD 2 enthält zudem eine kleine Auswahl französischer, englischer, italienischer und schwedischer Weihnachtslieder. 

Begleitet wird der Startenor bei den Klassikern vom Mozarteum Orchester Salzburg, dem Bachchor Salzburg und den St. Florianer Sängerknaben unter Leitung von Jochen Rieder. Die Cologne Studio Big Band hingegen ist sein Partner für viele der internationalen Weihnachtshits. Bei Let it snow und Have yourself ist zudem Till Brönner als Solist zu hören. 

Jonas Kaufmann gelingt bei diesem Album die perfekte Balance zwischen Moderne und Tradition. Die zeitgenössischen Arrangements sorgen ebenfalls für stilistische Vielfalt und musikalische Abwechslung. Eine Einspielung, die man auch verschenken kann – sie dürfte so ziemlich der ganzen Familie gefallen. 


Dienstag, 15. Dezember 2020

Adventskonzert (Berlin Classics)


Man glaubt es kaum, aber die vorweihnachtlichen Konzerte des Dresdner Kreuzchores in einem Fussballstadion gibt es erst seit 2015. Damals hatte der weltberühmte Knabenchor anlässlich seines 800jährigen Bestehens die Dresdner erstmals zum Adventskonzert eingeladen. Mittlerweile hat sich das Konzert zu einem Event entwickelt, zu dem alljährlich mehr als 25.000 Menschen anreisen; zudem erleben Hunderttausende das Programm zu Hause am TV mit. 

Wenn die großen Stars aus Klassik und Pop gemeinsam mit den Kruzianern Weihnachtslieder singen, wenn das Publikum begeistert mit einstimmt, und wenn auf den Rängen und auf dem Rasen tausende kleine Lichter aufleuchten, dann ist wieder ein Jahr vergangen, und einmal mehr steht Weihnachten vor der Tür. In diesem Jahr allerdings hat die Corona-Pandemie auch dieses Großereignis verhindert. 

Dennoch muss das Publikum nicht auf die stimmungsvollen Klänge verzichten. Denn die Kruzianer sind unter der Leitung von Kreuzkantor Roderich Kreile ebenso ins Studio gegangen wie Rockstar Peter Maffay, die finnische Sopranistin Camilla Nylund, Tenor Klaus Florian Vogt, die Musicalsängerin Sabrina Weckerlin sowie die norwegische Trompeterin Tine Thing Helseth. So entstand unter strengen Hygienebedingungen dieses Album. Und man staunt, wie professionell sich die Jungs auf die ungewohnten Arbeitsbedingungen eingestellt haben – zu hören ist das nicht; alles klingt gewohnt klar und weihnachtlich. 

An der Seite der Chorsänger und der Solisten musiziert auch in diesem Jahr das Cross Bell Orchestra, bestehend aus renommierten Band- und Studiomusikern, unter der Leitung von Peter Christian Feigel. Ob Orgel- oder Saxophonsound – auf zwei CD erklingen bekannte Weihnachtsmelodien in klassischen und modernen Arrangements. Ein wichtiger Höhepunkt im umfangreichen Programm ist die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium, gelesen von Samuel Koch. 

So bringt dieses Album festliche Stimmung in die vorweihnachtliche Stube – auch wenn in diesem Jahr die Weihnachtsmärkte abgesagt sind, in den Gottesdiensten nicht gesungen werden darf, und alle Konzerte ausfallen müssen. Von Herzen Dank an alle Beteiligten, für ein Stück Normalität in einer äußerst seltsamen Zeit. 


O nata lux (Berlin Classics)


 Kann man Licht hörbar machen? Die Zurich Chamber Singers zeigen auf dieser CD, wie wunderbar das geht. Auch wenn O nata lux von Thomas Tallis eigentlich keine Motette zum Weihnachtsfest ist, kann man sich kaum ein besseres Stück vorstellen, um dieses Programm zu eröffnen. 

Die jungen Sängerinnen und Sänger um Chorleiter Christian Erny kombinieren auf dieser CD traditionelle und moderne Chorsätze aus den verschiedensten Regionen Europas. Der Zuhörer kann sich auf so manche Überraschung einstellen. Denn die Zurich Chamber Singers bescheren uns mitunter sogar magische Klänge. Ein faszinierendes Album. Bravi! 


Montag, 7. Dezember 2020

Vom Himmel hoch, da komm ich her (Christophorus)

 


Beim Lesen der Stichworte Weihnachten und Leipzig denkt jeder Musikfreund sogleich an den Thomaskantor Johann Sebastian Bach und sein berühmtes Weihnachtsoratorium. Diese CD aus dem Hause Christophorus zeigt, dass Bachs Amtsvorgänger ebenfalls hinreißend schöne Kompositionen zum Fest geschaffen haben. Der Kammerchor der Christuskirche Karlsruhe hat gemeinsam mit dem Ensemble L’arpa festante sowie den Solisten Monika Mauch, Hanna Zumsande, Franz Vitzthum, Sebastian Hübner und Ekkehard Abele unter Leitung von Peter Gortner in einem Konzert am 22. Dezember 2019 Festmusiken von Sebastian Knüpfer, Johann Schelle und Johann Kuhnau aufgeführt. 

Die ausgewählten Werke nehmen Bezug auf Martin Luthers Choral Vom Himmel hoch, da komm ich her, der von allen drei Thomaskantoren in den Mittelpunkt ihrer Kompositionen gestellt wurde. Während Knüpfers Kantate Ach mein hertzliebes Jesulein noch hörbar auf Stadtpfeifertraditionen beruht, setzt Schelle bereits auf Pauken und Trompeten, um das neu geborene Kind gebührend zu feiern. In seiner Choralkantate Vom Himmel kam der Engel Schar hat er sechs Strophen des Weihnachtsliedes verwendet. Sein Actus Musicus auff Weyh-Nachten aus dem Jahr 1683 hingegen ist ein knapp halbstündiges Oratorium, das die Zuhörer seinerzeit nicht nur zur Andacht angehalten, sondern mit allerlei Liedzitaten sowie mit einer breiten Palette an Klangfarben auch erfreut und gut unterhalten haben dürfte. 

Kuhnaus Magnificat hingegen glänzt bereits in hochbarocker Pracht. Die Musiker haben dieses Werk, so wie es damals üblich war, um vier weihnachtliche Einlagesätze erweitert. Ein ansprechendes Konzertprogramm, das weihnachtlichen Jubel auch in diesem Corona-Jahr in jede Stube bringt; leider wird die Freude zu Hause am Lautsprecher ein wenig getrübt durch die Akustik der Karlsruher Kirche, die im dem Live-Mitschnitt ziemlich präsent wirkt. 


Lost Concertos for Anna Maria (Glossa)


 Nicht wenige Komponisten haben ihren Platz in der Musikgeschichte durch Partnerschaften mit herausragenden Virtuosen gefunden. Im Falle von Antonio Vivaldi waren dies die Mädchen und Frauen, die im Orchester des Ospedale della Pietà musizierten. Sie kamen bereits im Säuglingsalter in dieses Waisenhaus, und die meisten von ihnen blieben ein ganzes Leben lang dort. 

Waren die figli begabt, wurden sie in den coro aufgenommen und erhielten dann eine erstklassige musikalische Ausbildung. Die Gottesdienste und Konzerte in der Kapelle der Pietà waren eine Attraktion; die musizierenden Mädchen hatten ein Publikum, das aus ganz Europa anreiste, um ihnen zuzuhören. 

Wie die Virtuosinnen hießen, für die Vivaldi seine Werke schrieb, und wie sie lebten, das lässt sich meist nur aus den alten Verwaltungsakten rekonstruieren. Anna Maria (1696 bis 1782), die Lieblingsschülerin Vivaldis, ist da eine Ausnahme. Denn auch wenn sie selbst das Ospedale wohl niemals verlassen hat, reichte ihr Ruf weit über die Grenzen Venedigs hinaus, und in vielen Reiseberichten jener Zeit wird ihr technisch versiertes und ausdrucksvolles Spiel gepriesen. 

Ein elegant in rotes Leder gebundenes Stimmbuch ist erhalten geblieben, aus dem sie musiziert hat; darin findet sich der Konzertmeisterpart für insgesamt 31 Violinkonzerte. 26 dieser Werke hat Antonio Vivaldi komponiert. Doch für einige dieser Kompositionen fehlen die anderen Stimmen. Sechs dieser Werke, die bislang nicht aus anderen Quellen komplettiert werden konnten, hat der Dirigent Federico Maria Sardelli nun rekonstruiert. 

Möglich wurde dies, weil seinerzeit neben der Solo-Stimme zur besseren Orientierung stets auch der Bass notiert wurde. Außerdem hat Sardelli Vivaldis Konzerte sorgfältig studiert, und sich bei der Wiederherstellung der verlorenen Stimmen an ihnen orientiert. Die Lösungen, die er letztendlich gefunden hat, überzeugten nicht nur den renommierten Vivaldi-Forscher Michael Talbot, der seine Gedanken dazu in dem sehr informativen Beiheft zu Papier gebracht hat. 

Auch das breite Publikum kann nun diese rekonstruierten Konzerte genießen, denn der Barockgeiger Federico Guglielmo hat diese mit dem Ensemble Modo Antiquo unter Leitung Sardellis bei Glossa eingespielt. Was für ein kühnes Projekt - und es ist rundum gelungen, Gratulation! Man darf wohl davon ausgehen, dass diese rekonstruierten Konzerte ihren Platz im Konzertleben finden werden. Die drei Doppelkonzerte für Orgel und Violine beispielsweise sind echte Repertoireschätze. 


Montag, 30. November 2020

White Christmas - Calmus Ensemble (Carus)

 


Mit dem stimmungsvollen Weihnachtsprogramm von Calmus startet das Klassikblog in die Adventszeit. Das renommierte Leipziger Ensemble hat dafür eine Liedauswahl zusammengestellt, die die verschiedensten Himmelsrichtungen ebenso einschließt wie die unterschiedlichsten Musiktraditionen. Dennoch wirkt diese Liedfolge sehr harmonisch. Schaut man ins Beiheft, wird man allerdings feststellen, dass nur ein einziges Stück in diesem Jahr aufgenommen worden ist – alles andere war in anderem Kontext schon einmal zu hören. Macht nichts. Calmus erfreut alle Jahre wieder mit kreativen Arrangements und perfektem Ensemblegesang. Bravi! 

Dienstag, 24. November 2020

Care Pupille - Samuel Marino (Orfeo)

 


Ein neuer Star betritt die Opernbühne: Samuel Mariño ist ein Stimmphänomen. Auf dieser CD präsentiert der junge venezolanische Sopranist Arien von Georg Friedrich Händel und dem frühen Christoph Willibald Gluck. Und sein Gesang lässt erahnen, wieso die Stimmakrobatik der Kastraten einst das Publikum derart fasziniert hat. 

Mariño beeindruckt durch technische Perfektion, eine unglaubliche Atemführung, absolut mühelos wirkende Koloraturen, eine sagenhafte Höhe und eine Ausdrucksstärke, die selbst den Hörer am Lautsprecher mitreißt. Mariños Gesang ist berückend. Seine Stimme hat, ganz besonders im Mezza voce und im Piano, eine Klarheit, Reinheit und auch Zartheit, der man sich nicht entziehen kann. Dennoch hat sein Vortrag Biss und wirkt ausgesprochen maskulin. 

In der mittlerweile langen Riege der Herren, die sich für die hohe Stimmlage entschieden haben, ist Mariños Stimmklang einzigartig. In seinem Programm auf dieser CD zeigt der junge Sopranist sowohl Virtuosität, Leidenschaft und Kraft als auch seine Fähigkeit zu Pathos und Kantilene. 

Mit seinem Gesang gestaltet er die unterschiedlichsten Figuren eindrücklich, und das Händelfestspielorchester Halle/Saale unter Leitung von Michael Hofstetter bietet dem Solisten dafür einen wunderbar farbigen orchestralen Rahmen. Hingewiesen sei zudem darauf, dass die Gluck-Arien durchweg in Weltersteinspielung erklingen. Phänomenal! 


Concertos 4 Violins (Berlin Classics)

 


Violinkonzerte von Antonio Vivaldi gehören zu den Allzeit-Lieblingsstücken sowohl des Publikums als auch der Virtuosen. Neben den populären „Vier Jahreszeiten“ schuf der Komponist allerdings auch Werke, die weit seltener zu hören sind. Die Konzerte für vier Violinen aus der Sammlung L’ Estro Armonico gehören zu diesen Raritäten. Auf dieser CD aus dem Hause Berlin Classics haben die Konzertmeister des renommierten Alte-Musik-Ensembles Concerto Köln noch einige weitere Musikstücke hinzugefügt, die ähnlich hohe Ansprüche an die Kunstfertigkeit der Virtuosen stellen. 

Evgeny Sviridov ist Solist im Concerto E-Dur op.11 Nr. 9 von Francesco Antonio Bonporti, der junge spanische Geiger Jesús Merino Ruiz interpretiert das Concerto in g-Moll op. 3 Nr. 6 von Pietro Castrucci. Das komplette Solistenquartett spielt zudem im Concerto in a-Moll op. 7 Nr. 11 von Giuseppe Valentini, und im Concerto in F-Dur op. 4 Nr. 12 von Pietro Antonio Locatelli. Letzteres erweist sich als ein funkensprühend brillantes Stück, in dem die „quattro violini obbligati“ so raffiniert miteinander konzertieren, dass der Zuhörer mitunter glaubt, nur ein Instrument zu hören. 

Es ist ohnehin faszinierend, wie harmonisch Mayumi Hirasaki, Shunske Sato, Evgeny Sviridov, Jesús Merino Ruiz als Gast und die anderen Mitglieder des Ensembles Concerto Köln miteinander musizieren. Aufgewachsen und ausgebildet rund um den Globus, bringen die Musiker hier all ihr Können und ihre Leidenschaft zusammen, um mit sehr viel Musizierlust ihr Publikum zu begeistern. Das Ergebnis ist ein Album der Extraklasse, und es vermag auch klanglich-technisch rundum zu überzeugen. 


Freitag, 20. November 2020

Nunc dimittis - Music from the Düben Collection (Passacaille)

 

Sammlungen zusammenzutragen, das war einstmals nicht nur repräsentatives Hobby gekrönter Häupter, sondern auch für Musiker eine Notwendigkeit. Denn über Jahrhunderte wurden Noten ausschließlich in Form von Abschriften weitergegeben. Wer also die Aufgabe hatte, einer Kapelle vorzustehen, der wurde damit fast automatisch notgedrungen auch zu einem Knotenpunkt in einem europäischen Netzwerk, in dem Kompositionen weiterverbreitet worden sind. 

Besonders sichtbar wird dies am Beispiel von Gustav Düben (1628 bis 1690). Er war der Sohn eines Organisten, der aus Deutschland stammte, bei Jan Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam studiert hatte und dann in schwedische Dienste getreten war. Nach einer Studienreise durch Norddeutschland konnte auch Gustav Düben Mitglied der königlichen Hofkapelle werden. 1663 wurde er als Organist der deutschen Kirche von Stockholm sowie als Hofkapellmeister Amtsnachfolger seines Vaters. 

Die Musikaliensammlung, die Gustav Düben im Verlaufe seiner Amtszeit zusammengetragen hat, ist erhalten geblieben. Sie wurde von der Familie 1732 als Schenkung an die Universitätsbibliothek Uppsala übergeben, und sie gilt heute als in Qualität und Umfang einzigartiges Zeugnis europäischer Musikgeschichte. Knapp 2.000 Manuskripte und Notendrucke umfasst die Sammlung Düben. Die Musikstücke stammten dabei nicht nur von Musikerkollegen aus dem Osterseeraum, sondern auch aus wichtigen europäischen Musikmetropolen wie Paris, Wien oder Rom. 

Die Noten kann man sich im Internet anschauen; ediert ist nur ein kleiner Teil davon. Dass die Beschäftigung mit dieser musikalischen Schatzkammer aber lohnt, beweist die vorliegende CD, veröffentlicht bei Passacaille durch Dominik Wörner und das Kirchheimer Dübenconsort. Das mit namhaften „Alte-Musik“-Spezialisten erstklassig besetzte Ensemble lädt unter der Leitung von Jörg-Andreas Bötticher zu Entdeckungen ein – und davon gibt es eine ganze Menge. 

Denn für diese Aufnahme haben die Musiker gemeinsam mit dem Bassbariton zwölf Stücke aus der Düben-Sammlung ausgewählt; die meisten davon erklingen in Weltersteinspielung. In dem Programm stehen Solo-Kantaten von Samuel Capricornius (1628 bis 1665), Johann Krieger (1651 bis 1735), Kaspar Förster (1616 bis 1673) und Carlo Pallavicino (1630 bis 1688) neben anspruchsvoller Instrumentalmusik beispielsweise von Johann Michael Nicolai (1629 bis 1685) oder Sebastian Knüpfer (1633 bis 1735). Zu hören ist auch die Vertonung des Nunc dimittis durch Heinrich Schütz (1585 bis 1672), allerdings in einer Version mit drei zusätzlichen Mittelstimmen, die Gustav Düben hinzugefügt hat.


Joseph Haydn and his London Disciples (Genuin)


Als Joseph Haydn (1732 bis 1809) einst aus der ungarischen Provinz nach London kam, wurde er dort von der Gesellschaft begeistert gefeiert. Die Kompositionen des Musikers waren in Großbritannien bekannt und beliebt; unter den Neugierigen, die versuchten, den maestro persönlich zu treffen, waren auch etliche Kollegen. Viele behaupteten, Haydns Schüler gewesen zu sein – Rebecca Maurer hat für diese CD zwei Musiker aufgespürt, die wohl tatsächlich eine Verbindung zu dem Hochgeehrten hatten. 
Thomas Haigh, ein Geiger und Pianist aus Manchester, über den sonst nicht viel bekannt ist, hat neben eigenen Werken auch eine große Anzahl von Klavierarrangements populärer Musikstücke geschaffen. Mit Haydns Kompositionen hat er sich gründlich auseinandergesetzt, denn er hat etliche seiner Sinfonien und Ouvertüren für das Klavier bearbeitet. 
Rebecca Maurer stellt allerdings Werke vor, in denen Haigh in origineller Weise Vorbild und eigene musikalische Gedanken verbindet: Three Canzonetta’s of Dr. Haydn’s Arranged as Rondos for the Piano Forte sind kurz nach Haydns English Canzonettas um 1796 publiziert worden. Eine Fantaisie, veröffentlicht 1817, kombiniert muntere Tanzmelodien, Zitate aus Haydns Paukenwirbel-Sinfonie und Variationen über Gott erhalte Franz den Kaiser. Haydn war bekanntermaßen ein Mann von Humor; diese skurrile Zusammenstellung reicht aber weit über das hinaus, was er selbst in seinen Werken an musikalischen Scherzen versteckt hat. 
Christian Ignatius Latrobe (1758 bis 1836) traf Joseph Haydn 1791, und er widmete seinem Idol noch im gleichen Jahr die Three Sonatas for the Pianoforte op. 3. Rebecca Maurer hat für diese Einspielung daraus einen langsamen Satz der Sonata I in A Dur ausgewählt. Im Kontrast zu diesen Werken, die durchweg wohl eher für das häusliche Musizieren entstanden sind, interpretiert die Pianistin aber auch Haydns für den Konzertsaal bestimmte Sonaten in Es-Dur Hob. XVI:52 und C-Dur Hob. XVI:50. Es sind dies virtuose Werke, perfekt auf die damaligen Bedürfnisse der besten Pianisten Londons und auch auf die Möglichkeiten der englischen Instrumente abgestimmt. 
Wie faszinierend diese Musik einstmals geklungen hat, das demonstriert Rebecca Maurer mit dieser CD. Denn die international gefragte Hammerklavier-Virtuosin konnte für die Aufnahme ein originales Londoner Fortepiano von 1816 aus der Werkstatt von John Broadwood & Sons nutzen. Es befindet sich heute in Salzburg, in der Sammlung von Thomas Albertus Irnberger. Dort ist die Einspielung auch aufgezeichnet worden. 
Zuvor hatte sich Maurer mit dem Instrument ausgiebig vertraut gemacht, und seine Klangmöglichkeiten und Spieleigenschaften sorgsam erkundet. Das Ergebnis ist eine faszinierende, bis ins letzte Detail stilsichere und zudem mitunter augenzwinkernde Interpretation. Rebecca Maurer präsentiert sowohl die Musikstücke – überwiegend in Weltersteinspielungen – als auch das historische Instrument wunderbar. Hinreißend! 

Telemann (Accent)


Einmal mehr widmet sich Dorothee Mields dem Werk Georg Philipp Telemanns. Gemeinsam mit dem Blockflötisten Stefan Temmingh, Domen Marinčič, Viola da gamba, Daniel Rosin, Barock-Violoncello, und Wiebke Weidanz, Cembalo, hat die Sopranistin für diese Aufnahme bei Accent ein höchst ansprechendes Programm zusammengestellt. Neben drei Solo-Kantaten aus dem Jahrgang 1725/26, im Druck erschienen unter dem Titel Harmonischer Gottesdienst, haben die Musiker dafür auch eine Sonatine sowie drei Triosonaten ausgewählt. Diese musikalisch sehr abwechslungsreichen Stücke, von den Instrumentalisten virtuos prädentiert, erweisen sich als hochkarätige Fassung für die bewusst kurz und prägnant gehaltenen Kirchenkantaten, die dennoch bis zum heutigen Tage als Juwelen des Repertoires gelten können. Bravi! 

Montag, 26. Oktober 2020

Apparatus Musico-Organisticus (Musikmuseum)


 Zwei ebenso klangschöne wie charaktervolle Orgeln aus dem Tirol hat Peter Waldner für diese Einspielung ausgewählt. Die historische Orgel der Pfarrkirche St. Blasius in Taufers (Münstertal) wurde von Johann Caspar Humpel 1709 errichtet, und 1807 durch Andreas Mauracher ergänzt. Weitere Umbauten erfolgten 1844 durch Alois Schönach sowie im Jahre 1952 durch Carl Schäfer. 2001 wurde das Instrument durch die Orgelbauwerkstatt Martin Vier restauriert und dabei in jenen guten Zustand gebracht, der auf dieser CD nun zu erleben ist. 

Die Orgel der reformierten Kirche San Flurin in Ramosch (Graubünden) wurde um 1680 von Carlo Prati angefertigt, wohl der bedeutendste Orgelbauer jener Zeit in der Region. Davon blieb aber nur das Pfeifenwerk erhalten, das Andreas Mauracher um 1800 in ein neu errichtetes Instrument übernahm. 1908 passte Jakob Metzler diese Orgel dem veränderten musikalischen Geschmack an. Die Restaurierung 1987 durch Arno Caluori berücksichtigte all diese Besonderheiten, und stellte im Wesentlichen den Zustand um 1800 wieder her. Sogar eine Balganlage mit zwei großen Keilbälgen wurde rekonstruiert. 

Wie sehr nicht nur die Tiroler Orgellandschaft, sondern auch die Musik, die in der Region beheimatet ist, durch die benachbarten Regionen mit geprägt wurde, das demonstriert Peter Waldner mit einer Auswahl barocker Orgelwerke aus Tiroler Quellen. So befindet sich in der Bibliothek des Klosters Marienberg oberhalb von Burgeis das einzige in Tirol erhaltene Exemplar von Georg Muffats Apparatus musico-organisticus

In Marienberg fanden sich auch fünf kunstvolle Fugen aus der Anmuthigen Clavier-Übung des Zittauer Komponisten Johann Krieger. Komplettiert wird das Programm durch eine Passacaglia seines Bruders Johann Philipp Krieger, sowie durch eine Canzona von Ingenuin Molitor aus dem Brixner Orgelbuch und ein anonymes Ricercare aus dem Stamser Orgelbuch

Mit dieser Musikauswahl gibt Peter Waldner nicht nur einen Einblick in das Repertoire, das zur Zeit der Entstehung beider Instrumente in der Region üblich war. Er stellt auch die beiden Orgeln mit ihren Klangmöglichkeiten aufs Beste vor. Rundum gelungen!


Samstag, 10. Oktober 2020

Lortzing: Opera Overtures (Naxos)

 

Dass die Opern von Gustav Albert Lortzing (1801 bis 1851) einstmals, neben den Werken von Mozart und Verdi, an deutschen Bühnen die meistgespielten waren, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Doch Lortzing war ein Theatermann, vom Scheitel bis zur Sohle, und er verstand sich darauf, sein Publikum gut zu unterhalten. Von seinen Werken erfreuen sich vor allem Der Wildschütz sowie Zar und Zimmermann bis zum heutigen Tage großer Beliebtheit. 

Auch unter den weniger populären Opern gibt es möglicherweise einiges, was der Wiederentdeckung lohnen würde – darauf lässt zumindest diese CD mit Ouvertüren schließen. Das Malmö Opera Orchestra unter Leitung von Jun Märkl jedenfalls macht neugierig auf Werke wie Undine, Hans Sachs oder Die Opernprobe. Hochinteressant! 


Mittwoch, 7. Oktober 2020

Baltikum (SWR Music)

 

Auf musikalische Entdeckungsreise begibt sich das SWR Vokalensemble unter Leitung von Marcus Creed. Der Chor hat in der Vergangenheit bereits, von Amerika über Russland bis Japan, eine ganze Reihe unterschiedlicher Musikkulturen erkundet. 

Die baltischen Länder sind ein lohnendes Ziel, denn sie haben eine grandiose Chortradition, und auch heute noch unglaublich viele sehr gute Chöre. Was also zeichnet zeitgenössische Chormusik aus dem Baltikum aus? Das SWR Vokalensemble präsentiert Werke vorwiegend jüngerer Komponisten aus Estland, Lettland und Litauen. Hierzulande bekannt ist Arvo Pärt, der auf der CD mit Ja ma kuulsin hääle den Schlusspunkt setzt. 

Zu hören sind außerdem Kompositionen von Maija Einfelde, Rytis Mažulis, Pēteris Vasks, Veljo Tormis, Andris Dzenītis und Justė Janulytė. Die ausgewählten Stücke sind durchweg höchst anspruchsvoll, und musikalisch ausgesprochen individuell gestaltet. Sie zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie allesamt den Chor und seinen ganz besonderen Klang in den Mittelpunkt stellen. Das SWR Vokalensemble zeigt einmal mehr seine Flexibilität, und bezaubert mit einer enormen Palette an Klangfarben. 


Dienstag, 6. Oktober 2020

Reflecting Beethoven - Herbert Schuch (Avi-Music)

 

„Zu viel Beethoven gibt es nicht!“, meint Herbert Schuch. Zum Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 legt der Pianist deshalb allen Musikfreunden ein Album auf den Gabentisch, das drei Klaviersonaten des Komponisten in den Mittelpunkt stellt. Schuch hat dafür die Pathétique op. 13 sowie die Sonaten op 31 Nr. 1 und 2 – letztere bekannt unter „Der Sturm“ – ausgewählt. Diese kombiniert er mit Miniaturen, die mit Beethovens Musik korrespondieren. 

So erklingen nach der Klaviersonate op. 13 – für Schuch „ganz große italienische Oper mit schwerer Einleitung, großem Drama, Streitgespräch zweier Personen beim Seitenthema, dem Mittelsatz als Belcanto-Arie und dem Finale als Abschiedsszene“ – die Pathétique Variations von Mike Garson, dem langjährigen Keyboarder David Bowies. Sie erscheinen wie eine improvisierte Reflektion des großen Vorbildes aus heutiger Perspektive – oder vielleicht sollte man besser sagen „Perspektiven“? Denn der Stilpluralismus unserer zeitgenössischen Musik erzeugt viele Facetten, die höchst unterschiedliche Klangbilder auslösen. 

Coup de dés en échos von Henri Pousseur hat Schuch Beethovens Klaviersonate Nr. 16 vorangestellt. Damit setzt er einen Kontrast, denn dieses Stück ist ein modernes, von Pousseur John Cage gewidmet. Die Sturm-Sonate wiederum beantwortet Schuch mit Leander Ruprechts Sonata d-Moll (2nd Version); er macht darin aus Musik wieder Geräusch. Das ist in diesem Fall sogar witzig.


Sonntag, 4. Oktober 2020

John Williams in Vienna (Deutsche Grammophon)

 

Im Januar 2020 dirigierte John Williams erstmals die Wiener Philharmoniker – und sowohl die Presse als auch das Publikum gerieten darüber schier in Ekstase: „Besuch vom lieben Gott“, titelte beispielsweise der Standard. 

Es war ohne Zweifel ein Ereignis, und wer Karten bekommen hatte, der konnte sich freuen. Im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins erklangen im Konzert diesmal ausschließlich Werke des legendären amerikanischen Filmkomponisten – und als Stargast stand auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter mit auf der Bühne. 

Die Musiker schätzen nicht nur Williams‘ Musik; sie waren auch von seiner hochprofessionellen Probenarbeit und von seiner präzisen Schlagtechnik begeistert gewesen, so wird berichtet. Die Blechbläser sollen darum gebeten haben, den Imperial March unbedingt mit ins Programm zu nehmen. Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit; auch der Komponist versicherte, die Arbeit mit den Wiener Philharmonikern sei für ihn „eine ganz besondere Ehre“

Die bekannten Melodien aus Filmen wie Star Wars, Indiana Jones, Jurassic Park wirken in dieser Aufnahme sehr edel; man vergisst beinahe, dass es sich nicht um sinfonische Musik, sondern eigentlich um Filmsoundtracks handelt. Die Kompositionen von John Williams haben aber durchaus das Format, um auch im Konzertsaal, ganz ohne Leinwand, das Publikum zu begeistern. Das spricht für die Qualität seiner Musik. 

Diese CD dokumentiert das besondere Konzert – und vielleicht gelingt es bei nächster Gelegenheit, neben den phantastischen Filmmusiken auch einmal ein „richtiges“ Orchesterwerk von John Williams mit ins Programm zu nehmen. May the Force be with you! 


Staatskapelle Berlin - Legendary Eterna Recordings (Berlin Classics)

 

Die Staatskapelle Berlin feiert 450jähriges Bestehen – und Berlin Classics gratuliert mit einer 5-CD-Box zu diesem Jubiläum. Das Label hat dafür legendäre Aufnahmen des Orchesters mit Otmar Suitner und Günther Herbig herausgesucht. Sie wurden seinerzeit in der Christus-Kirche Berlin-Schöneweide aufgenommen, und bei Eterna als Schallplatte veröffentlicht. 

Für die Neuedition wurden diese Einspielungen nun neu von den Originalbändern remastert. Otmar Suitner leitete die Staatskapelle Berlin von 1964 bis 1990. Freuen darf man sich auf feinsinnige Interpretationen der Mozart-Ouvertüren ebenso wie auf Musik von Richard Strauss und Paul Dessau, die Suitner allesamt besonders schätzte. 

Neben Strauss‘ Symphonischer Phantasie aus Die Frau ohne Schatten wurde für diese Kollektion auch Penthesilea von Hugo Wolf sowie die Musik zu Kleists Das Käthchen von Heilbronn op. 17 von Hans Pfitzner ausgewählt; für beides hatte sich Suitner besonders eingesetzt. Zu hören sind zudem Bruckners Siebente und Mahlers Zweite; Günther Herbig, der in den 70er Jahren viele Konzerte mit der Staatskapelle dirigierte, wird ebenfalls mit einer CD geehrt. Darauf erklingen Mendelssohns Sommernachtstraum sowie die Orchestermusik Nr. 4 von Paul Dessau. 


Mirror Strings - Dedication

„Dedication“ heißt das neue Album der Mirror Strings. Das darf man durchaus wörtlich nehmen – denn alle Stücke wurden speziell für das Quartett geschrieben. Zugleich musizieren Luisa Marie Darvish Ghane und Johann Jacob Nissen, Gitarre, und Samuel Selle sowie Phillip Wentrup, Violoncello, brillant und mit Passion. Sie erkunden die Werke, die sich sowohl stilistisch als auch kulturell sehr voneinander unterscheiden, mit Hingabe. 


Ob le miroir magique von Shadi Kassaee, Kijiji von Volker Luft, Four Chords von Gulli Björnsson oder Wintermusik von Torben Maiwald – jeder Komponist bringt seine Persönlichkeit, sein individuelles Musikverständnis und sein ästhetisches Konzept mit ein. Sophia’s Flight heißt das Stück von Sebastian Sprenger, Tilman Hübner nannte sein Stück Quartett 7. Komplettiert wird das Programm durch Simone von Tristan Xavier Köster, Hypnosistum von Catalina Rueda und BraadiCardia von Maximilian Guth. 
Es ist ein abwechslungsreiches Programm, beinahe eine musikalische Weltreise: Minimal Music trifft auf afrikanische Musiktraditionen, persische Einflüsse begegnen Rock und Pop; Generationen und Ideen kommunizieren spannungsreich miteinander. Die Besetzung der Mirrorstrings macht vieles möglich – elegische Melodien ebenso wie wilde, rhythmusbetonte Stücke. Die Kombination aus Celli und Gitarren erweist sich als höchst flexibel und auch klanglich sehr attraktiv. Man staunt erneut, warum bislang noch niemand darauf gekommen ist. Bravi! Unbedingt anhören, es lohnt sich wirklich. 

Mittwoch, 16. September 2020

Grigory Sokolov. Beethoven - Brahms - Mozart. (Deutsche Grammophon)

Grigory Sokolov ist als Pianist noch immer eine Klasse für sich. Seit vielen Jahren spielt der Musiker ausschließlich Solo-Recitals. Er tritt nur in Mitteleuropa auf, und er meidet Medienrummel ebenso wie Marketingstrategen. Er gibt keine Interviews, und er stellt seine Programme so zusammen, wie er es für richtig hält. 
Viele Jahre lang hat Sokolov keinerlei Aufnahmen erlaubt. Es ist ein großer Gewinn, dass er nun zumindest ausgewählte Live-Mitschnitte für eine Veröffentlichung freigibt. 
Denn seine Konzentration auf die Musik, seine brillante Technik und seine bewundernswerte Autonomie ermöglichen ihm Interpretationen von enormer Tiefe und Klarheit. Sokolov musiziert mit höchster Präzision; seine Artikulation ist atemberaubend, Nuancen- und Farbenreichtum seines Spiels sind faszinierend. Das ist Klavierkunst auf allerhöchstem Niveau, wie aus einer anderen Welt. 
Diese Box enthält die Sonate in C-Dur op. 2 Nr. 3 sowie die Bagatellen op. 119 von Ludwig van Beethoven, sowie die Klavierstücke op. 118 und 119 von Johannes Brahms und sieben wunderbare Zugaben. Diese wählt Sokolov stets mit derselben Sorgfalt aus wie die „großen“ Stücke. 
Zu hören sind in diesem Falle das Impromptu in As-Dur D 935/2 von Franz Schubert, Les Sauvages von Jean-Philippe Rameau, das Intermezzo in b-Moll op. 117/2 von Johannes Brahms, Le Rappel des Óiseaux, ebenfalls von Rameau, das Prelude in gis-Moll op. 32/12 von Sergej Rachmaninoff, Schuberts  Allegretto in c-Moll D 915 und Des pas sur la neige aus den Préludes von Claude Debussy. Als Zugabe gibt es außerdem eine DVD, mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. 

Sonntag, 13. September 2020

Fantasies & Illusions - Bach's Sons And The Fortepiano (K&K)

Einen Hammerflügel-Hurrikan entfesselt Slobodan Jovanović auf diesem Album aus dem Hause K&K, bei dem es sich ausnahmsweise einmal nicht um einen Konzertmitschnitt handelt. Der Pianist, der sich auf historische Tasteninstrumente spezialisiert hat, musiziert auf einem Fortepiano aus der Werkstatt von Susanne Merzdorf, angefertigt nach einem Vorbild von Anton Walter aus dem Jahre 1782. 
In diese Einspielung startet er mit der Sonata Nr. 4 in A-Dur Wq 55,4 von Carl Philipp Emanuel Bach (1714 bis 1788). Sie stammt aus der ersten Sammlung „Für Kenner und Liebhaber“, und führt direkt hinein in ein Jahrhundert, in dem sich Komponisten oftmals mit Dienstverhältnissen arrangierten, und in dem Musik häufig in erster Linie eine Gebrauchsfunktion hatte. 
So wirkte Carl Philipp Emanuel Bach viele Jahre als Cembalist Friedrichs des Großen. Wie wenig ihn allerdings mit den musikalischen Ideen seines flötenspielenden Dienstherren verbindet, das zeigt auch das zweite Werk, das Jovanović auf dieser CD erklingen lässt. Die Fantasie in fis-Moll Wq 67 „C.P.E. Bachs Empfindungen“ ist ein ebenso unerhörtes wie ungestümes Stück, einzigartig, ebenso wild wie ausdrucksvoll. 
Ein ganz ähnliches Temperament offenbart sein jüngerer Bruder Wilhelm Friedemann Bach – aber seine Fantasie in a-Moll, die Jovanović für diese Einspielung ausgewählt hat, bleibt vergleichsweise zahm. Die zwölf Polonaisen hingegen sind alles andere als harmlose Salonstücke; kein Wunder, dass Zelter sie seinerzeit „mühsam“ fand. Bei den Polonaisen in e-Moll und f-Moll demonstriert Bach, dass er Empfindsamkeit durchaus kann. Doch interessanter sind die Polonaisen Es-Dur und F-Dur – sie weisen weit voraus in die Romantik. Wilhelm Friedemann Bach überrascht immer wieder neu. Dieser Musiker, der es in keiner Anstellung lange aushielt, muss ein unglaublich versierter Pianist gewesen sein – und ein musikalischer Visionär. Seine Harmonik nimmt mitunter bereits das 19. Jahrhundert vorweg. Faszinierend. 
Eingebettet in seine Werke, spielt Slobodan Jovanović ein eigenes Stück. Iluzija, Illusion, ist auf dem Konzertflügel entstanden. Es profitiert aber erheblich vom farbenreichen, differenzierten Klang des Hammerflügels; Jovanović bringt es auf dieser CD in einen spannungsreichen Dialog mit den Kompositionen der beiden Bach-Söhne. 

Samstag, 12. September 2020

Suoni amorosi (Deutsche Harmonia Mundi)

Liebevolle Klänge präsentiert das Duo Gioco di Salterio auf diesem Album. Mit ihrer Musikauswahl, die weit in die Vergangenheit reicht, erinnern Birgit Stolzenburg und Hans Brüderl zugleich an Klänge aus ferner Zeit: In der Renaissance wurden in Europa viele Musikinstrumente gespielt, die in späteren Jahrhunderten an Bedeutung verloren haben, und teilweise sogar in Vergessenheit geraten sind. 
Lauten und Theorben sind mittlerweile wieder zu hören. Aber das Hackbrett und seine Verwandten erklingen, außerhalb der Brauchtumspflege, eher selten. Dieses Saiteninstrument wird mit kleinen Hämmerchen angeschlagen. Birgit Stolzenburg lässt hier Salterio, Dulce Melos, Dulcimer und Kontrabass-Hackbrett erklingen. Hans Brüderl spielt Vihuela, Renaissancegitarre, Renaissancelaute und Theorbe, und gemeinsam zeigen die beiden Musiker, welche Vielfalt an Klangmöglichkeiten dieses Instrumentarium ermöglicht. Dafür hat das Duo Gioco di Salterio Werke vom 14. bis zum 18. Jahrhundert ausgewählt. Berückend! 

Sonntag, 6. September 2020

Joseph Haydn - Four Sonatas (Genuin)

Klaviersonaten von Joseph Haydn (1732 bis 1809) widmet sich Brigitte Meyer auf dieser Genuin-CD. Die Schweizer Pianistin entstammt wie Friedrich Gulda und Martha Argerich der Wiener Talentschmiede des großen Lehrers Bruno Seidlhofer. Für diese Einspielung wählte sie vier sehr unterschiedliche Klaviersonaten aus dem umfangreichen Gesamtwerk Haydns aus. 
Die D-Dur-Sonate Hob. XVI:24 orientiert sich am Vorbild Carl Philipp Emanuel Bachs – aber Haydn führt dieses in einzigartiger, impulsiver Weise weiter. „Ich spüre hier immense Lebensfreude“, so Meyer, „und um die auszudrücken, muss man über die Technik verfügen, um beispielsweise auch schnellere Tempi wählen zu können. Für mich fordert die Sonate in D-Dur viel Phantasie vom Interpreten.“ 
Die Sonate in As-Dur Hob XVI:46 hingegen sei weit detaillierter ausgearbeitet: „Haydn schafft hier eine eigene Sprache, mit fließender Harmonie und großer rhythmischer Lebendigkeit“, schreibt die Pianistin im Beiheft. „Seine kühne und oft überraschende Art mit Harmonien umzugehen, ist für den Interpreten aufschlussreich und äußerst inspirierend.“ 
Die beiden Sonaten in C-Dur und Es-Dur Hob. XVI:50 und 52 komponierte Haydn anlässlich seiner Reise nach London 1794/95. Es sind virtuose Werke, bestimmt für den Vortrag auf englischen Instrumenten, kühn und modern. 
Brigitte Meyer findet für jedes der vier so verschiedenen Werke einen eigenen Ausdruck. Auf dem modernen Fazioli-Flügel musiziert sie fein nuanciert, sehr elegant, dabei kraftvoll und mit Esprit. Hinreißend musiziert, ich habe jeden Ton genossen. Das ist ein sehr interessanter Beitrag zum Beethoven-Jubiläumsjahr. 

Schütz: Schwanengesang (Carus)

Der Residenzstadt Dresden war Heinrich Schütz (1585 bis 1672) eng verbunden. Und es waren auch Dresdner, die das Schaffen des langjährigen kursächsischen Hofkapellmeisters aus Archiven wieder zurück in das Bewusstsein der musikliebenden Öffentlichkeit gerückt haben. Heinrich Schütz, ein Schüler von Giovanni Gabrieli, gilt als „Vater der modernen deutschen Musik“. Ebenso wie Scheidt und Schein – deshalb bekannt als „die drei großen Sch“ der miktteldeutschen Musikgeschichte – integrierte er Innovationen aus Italien in die deutsche Musiktradition. Seine Kompositionen begeistern noch heute, denn Schütz ist Meister darin, Texte mit dem Medium Musik auszudeuten. 
Die Neue Schütz-Ausgabe begann in den 50er Jahren, die Werke des Komponisten aus quellenkritischer Perspektive wieder zugänglich zu machen. In den 60er Jahren entstand zudem eine ebenso exzellente wie umfangreiche Einspielung dieser eindringlichen und zumeist geistlichen Werke, getragen vom Dresdner Kreuzchor unter Leitung des Kreuzkantors Rudolf Mauersberger und seines Nachfolgers Martin Fläming. Das wird kaum ein Zufall gewesen sein; die Kruzianer dürfte inmitten des real existierenden Sozialismus besonders der Bekenntnischarakter von Schütz‘ Musik inspiriert haben. Beteiligt an diesem Projekt war auch die Capella Fidicinia Leipzig, die auf historischen Instrumenten musizierte. 
Für damalige Verhältnisse war das außergewöhnlich. Veröffentlich wurde die Einspielung einst bei dem DDR-Label Eterna – man staunt noch heute darüber, wie unter dem Etikett der Pflege des kulturellen Erbes im Arbeiter- und Bauernstaat eine solche Edition möglich war. 
Dann war es der Musikhistoriker Wolfgang Steude, der sich unermüdlich dafür eingesetzt hat, die Musik des Dresdner Hofes aus dem Vergessen wieder auf die Bühnen zu holen. Noch heute engagieren sich erfreulich viele Ensembles in der Elbestadt dafür. Steude baute das Dresdner Heinrich-Schütz-Archiv auf, und er war Mitherausgeber des Schütz-Jahrbuches. 
In jüngster Vergangenheit hat sich nun Hans-Christoph Rademann Schütz‘ Kompositionen zugewandt. Mit Blick auf die Veröffentlichung der Stuttgarter Schütz-Ausgabe, die beim Carus-Verlag erscheint und aufführungspraktisch orientiert ist, hat der renommierte Chordirigent mit dem Dresdner Kammerchor sowie einem handverlesenen Kreis von Gesangs- und Instrumentalsolisten seine Schütz-Gesamteinspielung gestartet. Im Juni 2019 wurde diese mit der 20. und letzten Folge abgeschlossen. 
Mit diesem Projekt verwirklicht Rademann offensichtlich ein Herzensanliegen: „Als ich im Jahre 1975 als Sängerknabe im Dresdner Kreuzchor Heinrich Schütz erstmals intensiv kennengelernt habe, hatte sich mir noch längst nicht erschlossen, welch ungeheurer Schatz diese Musik ist“, schreibt er im finalen Begleitheft. „Nun, nach Abschluss der Gesamtaufnahme mit dem Dresdner Kammerchor, unseren wunderbaren Solistinnen und Solisten sowie den Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, bleiben ein ehrfürchtiges Staunen und eine große Dankbarkeit. Alle Mitwirkenden sind ungemein erfüllt und bereichert durch diese Meisterwerke.“ 
Schütz‘ Musik ist einzigartig. Niemand sonst hat Klang und Wort so eng miteinander verbunden: „Musik und Sprache erzeugen bei Schütz eine Welt der Bilder, die nicht nur unser Verstand aufnehmen kann“, formuliert Rademann. „So entsteht die Empfindung einer Klarheit, die man auch als eine Form der Wahrheit oder der Erkenntnis bezeichnen kann.“ 
Nach den Madrigalen und Hochzeitsmusiken, die in Folge 19 zu hören waren, versammelt die abschließende 20. Folge unter dem Titel „Psalmen und Friedensmusiken“ einerseits zum Teil großangelegte Gelegenheitskompositionen sowie Auftragswerke außerhalb des Dresdner Hofs. Andererseits erklingt sehr Persönliches wie beispielsweise der umfangreiche Klagegesang, mit dem Schütz den Tod seiner Frau Anna Magdalena betrauert. Wenn Georg Poplutz dieses Lied singt, meint man, den Komponisten selbst zu hören. 
Besonders erwähnt sei an dieser Stelle zudem die Einspielung des 119. Psalms, in Schütz‘ Todesjahr 1672 veröffentlicht, und das letzte Werk des Komponisten. Dieser sogenannte Schwanengesang, ist Schütz‘ musikalisches Testament. Auch bei diesem Werk ist Rademann eine Interpretation gelungen, die das enge Verhältnis zwischen Wort und Musik deutlich werden lässt. „Die Werke von Heinrich Schütz können uns das geben, was wir gerade in der heutigen Zeit so dringend benötigen: Konzentration, Fokussierung und Ruhe in uns selbst. Sie kann uns die Bibel neu nahebringen und verlebendigt das Wort“, so das Fazit von Hans-Christoph Rademann. „Ich wünsche Ihnen, den Hörerinnen und Hörern unserer Gesamtaufnahme, dass Sie dies für sich entdecken können.“  Dem ist nichts hinzuzufügen. Chapeau! 

Mittwoch, 29. Juli 2020

Weber: Der Freischütz (Oehms Classics)

Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz zählt an jedem deutschen Stadttheater, das auf sich hält, zum Kernrepertoire. Die wichtigste Rolle in diesem Stück hat, die Solisten mögen mir verzeihen, ohne Zweifel der Chor. Vom fröhlichen Treiben beim Schützenfest über den Spuk in der Wolfsschlucht, wo der Schurke Kaspar den Jägerburschen Max dazu verführt, Freikugeln zu gießen, über den berühmten Jägerchor bis hin zum großen Finale – fast immer ist das Volk präsent. 
Regisseurin Tatjana Gürbaca, die dieses Stück 2018/19 auf die Bühne des Aalto-Musiktheaters Essen gebracht hat, treibt dies auf die Spitze, und ersetzt auch den Teufel Samiel durch das Gewisper und Gezischel der Menge: Das Böse ist in uns allen, und es ist quasi als Kopfkino immer dabei. Die Bilder lassen vermuten, dass sie die Oper keineswegs, wie vorgesehen, in einem böhmischen Dorf, "kurz nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges", spielen lässt. 
Für diese Aufnahme ist das egal. Denn ansonsten ist alles wie üblich. Heiko Trinsinger ist ein ebenso stimmgewaltiger wie grimmiger Kaspar, Maximilian Schmitt singt den Max so weinerlich, dass man dem Burschen mitunter am liebsten ein Taschentuch reichen würde. Albrecht Kludszuweit gestaltet mit seinem Gesang den reichen Bauern Kilian so plastisch, dass man die Figur geradezu vor sich sieht. Das lässt sich auch für Karel Martin Ludvik sagen, dessen Erbförster Kuno so beharrlich für die Tradition steht wie eine deutsche Eiche. Seine Tochter Agathe, mit dem strahlenden Sopran von Jessica Muirhead, ist natürlich wohlerzogen, fromm und, in Maßen, naturverbunden. 
In dieser ländlich-sittlichen Idylle wirkt das Ännchen, gesungen von Tamara Banješević, wie die zugereiste Cousine aus der Stadt – wirklich sehr nett und sehr bemüht, aber auch sehr fremd. Das Tableau komplettieren Uta Schwarzkopf und Helga Wachter als Brautjungfern, Martijn Cornet als Fürst Ottokar und Tijl Faveyts als Eremit. 
Viel Farbe und Flair bringen die Essener Philharmoniker unter Leitung von Tomáš Netopil. Doch Chor und Extrachor des Aalto-Theaters erweisen sich letztendlich als Dominante des Geschehens. Ohne Frage: Die Chöre haben Wucht. 

Sonntag, 26. Juli 2020

Franz Liszt - The Sound of Weimar (Gramola)

In Sondershausen, im Dachgeschoss der Landesmusikakademie, gibt es eine kleine Ausstellung. Sie macht deutlich, wie groß die Bedeutung der einstigen Residenz und ihres Orchesters seinerzeit für die europäische Musikwelt war. Und sie rückt vor allem einen Komponisten und Kapellmeister in den Mittelpunkt: Franz Liszt (1811 bis 1886) ist hier nicht als Tastenheros präsent, sondern vor allem als Schöpfer und Interpret von Orchestermusik. 
Im November 1842 wurde der Klaviervirtuose von Großherzog Carl Alexander im nahegelegenen Weimar zum Kapellmeister ernannt. War er zunächst nur sporadisch anwesend, so ließ er sich 1848, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Caroline zu Sayn-Wittgenstein, dort nieder. Die Jahre in Thüringen waren für den Musiker eine höchst produktive Zeit: In Weimar entstanden viele seiner Kompositionen; Liszt etablierte sich zudem als Dirigent, und er brachte mit dem Orchester in den Hofkonzerten viele Werke von Zeitgenossen zur Aufführung. So unterstützte er Richard Wagner, und er schätzte auch Hector Berlioz sehr. Dieses Engagement beeinflusste aber auch sein eigenes Schaffen. 
Liszt nicht nur als Klaviervirtuosen, sondern auch als Schöpfer von Orchestermusik zu präsentieren, ist das Anliegen der vorliegenden Aufnahmen, die in den Jahren 2010 bis 2017 im Franz Liszt Konzertsaal im burgenländischen Raiding, dem Geburtsort des Musikers, aufgezeichnet worden sind. Martin Haselböck hat mit dem Orchester Wiener Akademie Liszts Orchesterwerke erkundet. Beteiligt waren daran mitunter auch der Chorus sine nomine, Tenor Steve Davislim und der Pianist Gottlieb Wallisch. 
Das Spannende an dieser Aufnahme ist nicht nur ihr beachtlicher Umfang; auf den neun CD findet sich von der Faust-Sinfonie über die kompletten Sinfonischen Dichtungen wie Les Préludes, Hunnenschlacht und Mazeppa bis hin zu den Ungarischen Rhapsodien das komplette Orchesterwerk des Komponisten. 
Musiziert wird in reduzierter Besetzung und auf historischen Instrumenten; so verwenden die Streicher Darmsaiten in Verbindung mit den damals üblichen Bögen. Haselböck nimmt die Partitur ernst, und er vermeidet Pathos. Das Ergebnis beeindruckt. So führen die hellen, klaren Frauenstimmen des Chorus sine nomine, umrankt von allerlei Harfen-Arpeggien und allgemeiner Dreiklangsseligkeit, den Hörer hier nicht in die finsteren Abgründe des Kitsches, sondern in die lichten Weiten des Paradieses. 
Auch bei den Sinfonischen Dichtungen gelingt es Haselböck, deutlich werden zu lassen, wie kühn und neu diese Stücke einst gewesen sein müssen. Manches, was Liszt seinerzeit in Weimar ausprobierte, wie die Arbeit mit Leitmotiven, das haben andere Komponisten wie Richard Wagner und Richard Strauss dann aufgenommen und weitergeführt, vielleicht auch vollendet. 
Der Farbenreichtum und generell der Orchesterklang dieser Aufnahmen dürfte dem einst von Liszt in Weimar erzeugten sehr nahe kommen. Den Musikern des Orchesters Wiener Akademie gelingt aber nicht nur die Rekonstruktion dieses einzigartigen „Sound of Weimar“, sondern zugleich die Rehabilitation des Sinfonikers Franz Liszt. Eine Referenzaufnahme, die seine noch immer unterschätzte Orchestermusik in bestes Licht rückt. Bravi!

Samstag, 18. Juli 2020

Farinelli - Cecilia Bartoli (Decca)

Carlo Broschi (1705 bis 1782), bekannter unter seinem Künstlernamen Farinelli, war ein Superstar des 18. Jahrhunderts. Wo immer er auftrat, geriet das Publikum schier in Ekstase. Die Arien, die Komponisten speziell für ihn geschrieben haben, sind eine Klasse für sich. Schaut man in die Noten, so muss der Kastrat eine unglaubliche Technik, einen sagenhaften Stimmumfang, vor allem auch in der Höhe, und schier endlos Luft zur Verfügung gehabt haben. 
Heute, wo die Musik der Barockoper durch spezialisierte Ensembles allmählich wieder zum Klingen erweckt wird, sind seine Arien noch immer eine Herausforderung für Sängerinnen und Sänger. „Farinelli hatte eine durchdringende, voll, satte, helle und wohlmodulierte Sopranstimme“, so schrieb einst der Flötist Johann Joachim Quantz. „Passagenwerk und allerhand Melismen stellte keine Schwierigkeit für ihn dar. Sein Einfallsreichtum bei der freien Verzierung von Adagios war stets ausgesprochen ergiebig.“ 
Farinelli und seiner Gesangskunst widmet Cecilia Bartoli ihr neues Album. Die Koloratur-Mezzosopranistin hat sich barocker Musik seit vielen Jahren verschrieben. Gemeinsam mit dem Ensemble Il Giardino Armonico unter Leitung von Giovanni Antonini hat sie für diese Einspielung ein ebenso abwechslungsreiches wie anspruchsvolles Programm zusammengestellt, das auch zwei Weltersteinspielungen enthält. Um den berühmten Kollegen zu ehren, zieht Cecilia Bartoli alle Register ihres Könnens. In ihrem Gesang kombiniert sie Virtuosität mit emotionaler Unmittelbarkeit, und die Reife ihrer Stimme unterstreicht den starken Ausdruck eher noch. Beeindruckend!