Pierre Rode (1774 bis 1830) gehört zu den Vätern der französischen Violinschule. Er kam in Bordeaux als Sohn eines Parfumeurs zur Welt. Sein musikalisches Talent wurde schon früh erkannt und gefördert; sein erster Lehrer war André-Joseph Fauvel, der den begabten Jungen 1787 nach Paris brachte. Dort unterrichtete ihn Giovanni Battista Viotti, der ihn bald schon zu seinem Meisterschüler machte.
Von 1789 bis 1792 musizierte Rode im Orchester am Théâtre de Monsieur; 1792 spielte er bei den traditionellen Passionskonzerten sehr erfolgreich als Solist. Das war der Startschuss für eine Karriere als reisender Virtuose. Außerdem wurde Rode im November 1795 als Professor an das neu gegründete Pariser Conservatoire berufen. Dort erarbeitete er gemeinsam mit seinen Kollegen Pierre Baillot und Rodolphe Kreutzer eine Méthode du violon; dieses bedeutende Lehrwerk wurde 1802 veröffentlicht. Als Solist war Rode ebenfalls sehr erfolgreich. Er wirkte als Konzertmeister und Sologeiger an der Pariser Oper, und musizierte als Solist in der Privatkapelle Napoleons. Von 1804 bis 1808 hielt er sich in Russland auf, wo er vom Zaren zum Hofgeiger ernannt wurde.
Doch nach seiner Rückkehr konnte er an seinen früheren Erfolg nicht an- knüpfen. So konstatierte der Virtuose Louis Spohr, der Rode sehr verehrte, in seiner Selbstbiographie: „Ich fand sein Spiel jetzt kalt und manierirt, vermisste die frühere Kühnheit in Besiegung großer Schwierigkeiten und fühlte mich besonders unbefriedigt vom Vortrage des Cantabile.“
Rode reiste wieder durch Europa. In Berlin heiratete er, und stand in engem Kontakt zur Familie Mendelssohn. 1819 kehrte er zurück in die Umgebung von Bordeaux, wo er die Jahre mehr oder minder im Ruhestand verbrachte. 1828 versuchte Rode noch einmal, in Paris ein Konzert zu geben – und erlebte damit eine solche Katastrophe, dass einige seiner Biographen darin die Ursache für den frühen Tod des Geigers 1830 sehen.
Pierre Rode hat auch komponiert, nahezu ausschließlich Musik für Violine, darunter die berühmten 24 Capricen, aber auch Sonaten, Quartette und 13 Konzerte. Erstaunlicherweise sind diese anspruchsvollen Werke bislang auf CD gar nicht und auch nur teilweise als Noteneditionen erhältlich gewesen. Friedemann Eichhorn, Professor an der Hochschule für Musik in Weimar und Leiter der Meisterkurse an der renommierten Kronberg Academy, hat die Konzerte Rodes neu ediert und gemeinsam mit der Jenaer Philharmonie unter Nicolás Pasquet bei Naxos eingespielt. Mittlerweile ist die Serie mit vier CD komplett.
Es sind tatsächlich Weltersteinspielungen – was angesichts der herrlichen Melodien erstaunt. Wie kann derartige Musik komplett in Vergessenheit geraten? Eichhorn hat sie nun in Zusammenarbeit mit Pasquet und mit dem größten Konzertorchester Thüringens zurück auf die Bühne gebracht. Das war ganz sicher ein langer Weg, doch das Ergebnis ist überaus erfreulich. Rodes Konzerte sind ansprechend, und technisch sehr anspruchsvoll – eine lohnende Aufgabe für Violinvirtuosen, die heute wahrscheinlich, was die reine Fingerfertigkeit betrifft, so versiert sind wie nie zuvor. Man darf sich also wünschen, dass man diese Musik in Zukunft auch wieder im Konzertsaal hören kann. Und wer Spaß an musikalischen Knobeleien hat, der wird Eichhorns Kadenzen mit doppeltem Vergnügen lauschen. Großen Dank an die Musiker – und gern mehr davon.
Donnerstag, 24. September 2015
Mittwoch, 23. September 2015
Karg-Elert: Opern von Richard Wagner in Bearbeitungen für Harmonium und Klavier (Pan Classics)
„Nur der Ausdruck und der Inhalt
eines Stückes diene dem Harmo- nisten als Richtschnur in der
Registerwahl, nicht aber aus- schließlich die klangliche Eigenart der
Originalfassung eines Satzes“, erklärt Sigfrid Karg-Elert.
„Deshalb glaubte sich der Verfasser im künstlerisch freien Recht,
als er bei sämtlichen Bearbeitungen der Wagnerischen Werke für
Harmo- nium und als Duos für Klavier und Harmonium eine
Orchester- ähnlichkeit überhaupt nicht erstrebte (so gewagt dies auch
erscheinen mag!), sondern, was Satz, Farbe und Technik anbelangt, die
,spezifische Harmoniumwirkung' so stark, als just eben künstlerisch
tunlich, zu erreichen bemüht war.“
Der heutige Hörer schluckt beim Lesen einer solchen Anweisung: Harmonium?? das war doch quasi ein Akkordeon im Klaviergehäuse, bei dem die Bälge getreten werden, ein Orgelersatz für den Hausgebrauch. Doch wenn ein bedeutender Komponist wie Karg-Elert enorme Mengen an Musikstücken für dieses Instrument geschaffen hat, dann muss das (Kunst-)Harmonium seinerzeit durchaus einen wichtigen Platz im Konzertleben gehabt haben. Insofern sorgt eine Neuerscheinung aus dem Hause Pan Classics spontan für Neugier: „Auserlesene Stücke aus Opern von Richard Wagner für Harmonium und Klavier übertragen“, über- schrieb Sigfrid Karg-Elert 1914 seine Sammlung von 30 Bearbeitungen für diese heutzutage vollkommen ungebräuchliche Duobesetzung.
Jan Hennig, Kunstharmonium, und Ernst Breidenbach, Klavier, haben eine Auswahl dieser Arrangements eingespielt. Es erklingen beispielsweise der Einzug der Gäste auf der Wartburg aus Tannhäuser, das Vorspiel zum 1.Akt und der Brautchor aus Lohengrin, Siegmunds berühmtes Liebeslied („Winterstürme wichen dem Wonnemond“) aus Die Walküre oder das Spinnerlied aus Der fliegende Holländer. Und die Klangeffekte, die die Kombination der beiden Duopartner ermöglicht, sind in der Tat schlicht unglaublich. Das Harmonium kann endlos lange Töne aus dem Pianissimo heraus aufblühen und wieder verklingen lassen, und es begeistert durch Ausdrucksstärke und durch die breite Palette seiner Klangfarben. Das Klavier hingegen lässt sich sehr viel virtuoser und klar akzentuiert einsetzen, was dem Harmonium aufgrund der Klangerzeugung mit schwingenden Durchschlagzungen nicht in gleicher Weise gelingen kann. Aus diesen Unterschieden ergibt sich der Reiz dieser Duobesetzung – und klanglich wirkt das überaus faszinierend. Hennig und Breidenbach präsentieren hier eine der schönsten Wagner-Bearbeitungen, die derzeit auf CD zu erwerben ist. Überraschung! Unbedingt anhören!
Der heutige Hörer schluckt beim Lesen einer solchen Anweisung: Harmonium?? das war doch quasi ein Akkordeon im Klaviergehäuse, bei dem die Bälge getreten werden, ein Orgelersatz für den Hausgebrauch. Doch wenn ein bedeutender Komponist wie Karg-Elert enorme Mengen an Musikstücken für dieses Instrument geschaffen hat, dann muss das (Kunst-)Harmonium seinerzeit durchaus einen wichtigen Platz im Konzertleben gehabt haben. Insofern sorgt eine Neuerscheinung aus dem Hause Pan Classics spontan für Neugier: „Auserlesene Stücke aus Opern von Richard Wagner für Harmonium und Klavier übertragen“, über- schrieb Sigfrid Karg-Elert 1914 seine Sammlung von 30 Bearbeitungen für diese heutzutage vollkommen ungebräuchliche Duobesetzung.
Jan Hennig, Kunstharmonium, und Ernst Breidenbach, Klavier, haben eine Auswahl dieser Arrangements eingespielt. Es erklingen beispielsweise der Einzug der Gäste auf der Wartburg aus Tannhäuser, das Vorspiel zum 1.Akt und der Brautchor aus Lohengrin, Siegmunds berühmtes Liebeslied („Winterstürme wichen dem Wonnemond“) aus Die Walküre oder das Spinnerlied aus Der fliegende Holländer. Und die Klangeffekte, die die Kombination der beiden Duopartner ermöglicht, sind in der Tat schlicht unglaublich. Das Harmonium kann endlos lange Töne aus dem Pianissimo heraus aufblühen und wieder verklingen lassen, und es begeistert durch Ausdrucksstärke und durch die breite Palette seiner Klangfarben. Das Klavier hingegen lässt sich sehr viel virtuoser und klar akzentuiert einsetzen, was dem Harmonium aufgrund der Klangerzeugung mit schwingenden Durchschlagzungen nicht in gleicher Weise gelingen kann. Aus diesen Unterschieden ergibt sich der Reiz dieser Duobesetzung – und klanglich wirkt das überaus faszinierend. Hennig und Breidenbach präsentieren hier eine der schönsten Wagner-Bearbeitungen, die derzeit auf CD zu erwerben ist. Überraschung! Unbedingt anhören!
Jonas Kaufmann - The Age of Puccini (Decca)
„Beim Verismo geht es nur um Seele und Leidenschaft, doch gerade das liebe ich so daran!“, meint Jonas Kaufmann. Der Tenor hat in seinem Repertoire etliche Partien aus dem Zeitalter Puccinis.
Bei der Auswahl der Arien für diese CD wurden nicht nur die Publikumsrenner berücksichtigt – natürlich erklingen berühmte Stücke wie Che gelida manina aus La Bohème und E lucevan le stelle aus Tosca. Doch der Sänger hat auch weniger bekannte Werke erkundet, und auf dieser CD gemeinsam mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano so manche Entdeckung zusammengetragen. Auch hier überzeugt Jonas Kaufmann mit intelligenter Gestaltung, einem faszinierenden Timbre und exzellenter Technik. Bravo!
Bei der Auswahl der Arien für diese CD wurden nicht nur die Publikumsrenner berücksichtigt – natürlich erklingen berühmte Stücke wie Che gelida manina aus La Bohème und E lucevan le stelle aus Tosca. Doch der Sänger hat auch weniger bekannte Werke erkundet, und auf dieser CD gemeinsam mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano so manche Entdeckung zusammengetragen. Auch hier überzeugt Jonas Kaufmann mit intelligenter Gestaltung, einem faszinierenden Timbre und exzellenter Technik. Bravo!
Montag, 21. September 2015
Graupner: Concerti e Musica di Tavola (cpo)
Musik der Darmstädter Hofkapelle präsentiert eine CD aus dem Hause cpo. Sie dokumentiert zugleich, auf welch hohem Niveau am Hofe des Landgrafen Ernst Ludwig in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts musiziert wurde. Hofkapellmeister Christoph Graupner (1683 bis 1760) war weithin sehr geschätzt; in seinen ersten Jahren am Hofe komponierte er fast ausschließlich Opern und Kantaten. Allerdings stand es um die Finanzen seines Dienstherrn nicht zum Besten, was unter anderem dazu führte, dass 1722 der Opernbetrieb in Darmstadt eingestellt wurde. Noch im gleichen Jahr bewarb sich Graupner um die Stelle des Thomaskantors, die nach dem Tode seines früheren Lehrers Johann Kuhnau vakant war.
Die Leipziger hätten ihn gern genommen – doch der Landgraf verweigerte seinem Hofkapellmeister den Abschied. Statt dessen erhöhte er Graupners Jahresgehalt von 500 auf 900 Gulden, und garantierte diesem seine Besoldung bis ans Lebensende. Einem solche Argument war schon damals schwer zu widersprechen.
Andere Mitglieder der Hofkapelle hatten weniger Glück, wie das Beispiel des Flötisten und Oboisten Johann Michael Böhm zeigt, ausgebildet in Dresden, und mit Telemann verschwägert. Er erhielt offenbar längere Zeit kein Gehalt ausgezahlt, was ihn in große Not brachte und schließlich dazu veranlasste, 1729 aus Darmstadt zu fliehen. Böhm ging nach Ludwigsburg, und seine umfangreiche Musikaliensammlung nahm er mit. Man darf annehmen, dass Graupner die dadurch dezimierten Notenbestände wieder aufzufüllen hatte; im Frühjahr 1730 jedenfalls wies der Landgraf an, dem Musiker seien mehr Papier und Federkiele zuzuteilen, weil dieser „die Besorgung der Taffel-piècen und Concerts nunmehro auch zur Incumbenz habe“.
Dennoch nehmen in dem umfangreichen Werk des Komponisten – das Graupner-Werke-Verzeichnis zählt allein über 1400 Vokalmusiken – die Instrumentalkompositionen eher bescheidenen Raum ein; 310 Werke sind erfasst, darunter 44 Konzerte, fünf Tafelmusiken, 112 Sinfonien und 80 Ouvertürensuiten. Bemerkenswert erscheint zudem, dass Streicher als Soloinstrumente in Graupners Konzerten kaum eine Rolle spielen. Bläser hingegen, insbesondere die Traversflöte, aber auch Oboe, Oboe d'amore, Chalumeau und Fagott, setzte er gern ein und komponierte für sie mitunter ziemlich virtuose Partien. Insgesamt scheint er aber eher an Klangeffekten interessiert gewesen zu sein als an technischer Bravour.
Dafür spricht auch, dass er die Soloinstrumente gern in Gruppen konzer- tieren ließ – auf dieser CD gibt es dafür wunderbare Beispiele, wie ein Concerto für Chalumeau, Fagott und Violoncello solo, zwei Violinen, Viola und Cembalo. Die Accademia Daniel unter Leitung von Shalev Ad-El spielt aber auch eines der raren Violinkonzerte des Komponisten. Musiziert wird auf historischen Instrumenten, gekonnt und mit Esprit. Eingespielt hat das israelische Ensemble diese CD übrigens in Chemnitz-Hilbersdorf.
Die Leipziger hätten ihn gern genommen – doch der Landgraf verweigerte seinem Hofkapellmeister den Abschied. Statt dessen erhöhte er Graupners Jahresgehalt von 500 auf 900 Gulden, und garantierte diesem seine Besoldung bis ans Lebensende. Einem solche Argument war schon damals schwer zu widersprechen.
Andere Mitglieder der Hofkapelle hatten weniger Glück, wie das Beispiel des Flötisten und Oboisten Johann Michael Böhm zeigt, ausgebildet in Dresden, und mit Telemann verschwägert. Er erhielt offenbar längere Zeit kein Gehalt ausgezahlt, was ihn in große Not brachte und schließlich dazu veranlasste, 1729 aus Darmstadt zu fliehen. Böhm ging nach Ludwigsburg, und seine umfangreiche Musikaliensammlung nahm er mit. Man darf annehmen, dass Graupner die dadurch dezimierten Notenbestände wieder aufzufüllen hatte; im Frühjahr 1730 jedenfalls wies der Landgraf an, dem Musiker seien mehr Papier und Federkiele zuzuteilen, weil dieser „die Besorgung der Taffel-piècen und Concerts nunmehro auch zur Incumbenz habe“.
Dennoch nehmen in dem umfangreichen Werk des Komponisten – das Graupner-Werke-Verzeichnis zählt allein über 1400 Vokalmusiken – die Instrumentalkompositionen eher bescheidenen Raum ein; 310 Werke sind erfasst, darunter 44 Konzerte, fünf Tafelmusiken, 112 Sinfonien und 80 Ouvertürensuiten. Bemerkenswert erscheint zudem, dass Streicher als Soloinstrumente in Graupners Konzerten kaum eine Rolle spielen. Bläser hingegen, insbesondere die Traversflöte, aber auch Oboe, Oboe d'amore, Chalumeau und Fagott, setzte er gern ein und komponierte für sie mitunter ziemlich virtuose Partien. Insgesamt scheint er aber eher an Klangeffekten interessiert gewesen zu sein als an technischer Bravour.
Dafür spricht auch, dass er die Soloinstrumente gern in Gruppen konzer- tieren ließ – auf dieser CD gibt es dafür wunderbare Beispiele, wie ein Concerto für Chalumeau, Fagott und Violoncello solo, zwei Violinen, Viola und Cembalo. Die Accademia Daniel unter Leitung von Shalev Ad-El spielt aber auch eines der raren Violinkonzerte des Komponisten. Musiziert wird auf historischen Instrumenten, gekonnt und mit Esprit. Eingespielt hat das israelische Ensemble diese CD übrigens in Chemnitz-Hilbersdorf.
Samstag, 19. September 2015
Mitteldeutsche Barockkantaten II (Amati)
Der Pflege des mitteldeutschen Musikerbes hat sich Michael Scholl mit der von ihm gegründeten Biede- ritzer Kantorei verschrieben. Auf dieser CD stellt das Ensemble, unterstützt durch die Cammermusik Potsdam auf historischen Instru- menten, zwei Kantaten von Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) und eine von Johann Friedrich Fasch (1688 bis 1758). Also Solisten wirken mit Heidi Maria Taubert, Sopran, Steve Wächter, Altus, Michael Zabanoff, Tenor und Matthias Vieweg, Bariton. Telemanns Jauchzet dem Herrn alle Welt ist ein großformatiges Opus, mit Pauken und Trom- peten, entstanden wohl für die 50-Jahr-Feier der Weißenfelser Schloss- kirche 1732. Also hat Gott die Welt geliebet, geschrieben für den zweiten Pfingsttag, zeichnet sich ebenfalls durch Jubel und Klangpracht aus. Johann Friedrich Fasch, Hofkapellmeister in Zerbst – seinerzeit ein bedeutendes musikalisches Zentrum – setzte in seiner Kantate Der Gott- lose ist wie ein Wetter die biblische Erzählung in Musik, die berichtet, wie Jesus durch die Pharisäer befragt wird, ob er es denn für recht ansähe, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Textprobe: „Wir wollen nach dem Guten streben / wir wollen Gott und Kaiser geben, / was einem jeden zugehört. / Die Obrigkeit soll Schloss und Gaben, / und Gott das Herz zur Wohnung haben. / So leben wir wie Christus lehrt.“
Freitag, 18. September 2015
Andreas Ottensamer - Brahms (Deutsche Grammophon)
Johannes Brahms, geboren und aufgewachsen in Norddeutschland, gilt üblicherweise nicht gerade als Volksmusikexperte; seine Hinwen- dung zu ungarischen Melodien wird eher als ein Flirt mit exotischen Klängen gesehen, und nicht als Ergebnis einer ernsthaften und tiefgreifenden Auseinandersetzung mit den Originalen. Für sein zweites Album bei der Deutschen Grammo- phon hat sich der Klarinettist Andreas Ottensamer im Werk des Komponisten auf die Spurensuche begeben.
Selbst zur Hälfte Ungar, hat er mit scharfem Blick in die Noten und Dokumente geschaut, und festgestellt, dass das ungarische Idiom für Brahms' Tonsprache weit mehr war als nur Kolorit. Im Mittelpunkt der CD steht das legendäre Klarinettenquintett op. 115, in dem man mitunter sogar eine komplette ungarische Kapelle zu hören meint. „Jeder Klari- nettist träumt davon, dieses Stück zu spielen“, meint Ottensamer. Weni- ger offensichtlich ist das ungarische Element in den beiden nachfolgenden Walzern des Komponisten. Sie erscheinen höchst wienerisch – doch die Musiker zeigen, dass sie auch durch den Csárdás mit geprägt wurden.
Andreas Ottensamer hat sich für diese Aufnahmen ein Ensemble zusam- menstellt, das diese Musik ebenfalls quasi im Blut hat: Leonidas Kavakos und Christoph Koncz, Violine, Antoine Tamestit, Viola, Stephan Koncz, Violoncello, Ödön Rácz, Kontrabass und Oszkár Ökrös am Zymbal sorgen mit Leidenschaft und virtuosem Spiel für facettenreiche Klänge. Die Musik klingt, zumal bei den beiden ausgewählten Ungarischen Tänzen, wie improvisiert. Und wer sich fragt, ob diese Tänze denn wirklich ungarische Originale sind, der erhält mit dieser CD auf diese Frage ebenfalls eine Antwort.
Zum Abschluss erklingen zwei Sätze, Két Tétel, von Leó Weiner, die sehr schön in diesen Reigen passen. Und zum Kehraus gibt’s dann noch ein Medley mit Tanzliedern aus Transsylvanien, und mit so mancher über- raschenden Wendung. Das Ensemble wird eigens dazu durch das Akkor- deon von Predrag Tomić verstärkt. Sehr spannend!
Selbst zur Hälfte Ungar, hat er mit scharfem Blick in die Noten und Dokumente geschaut, und festgestellt, dass das ungarische Idiom für Brahms' Tonsprache weit mehr war als nur Kolorit. Im Mittelpunkt der CD steht das legendäre Klarinettenquintett op. 115, in dem man mitunter sogar eine komplette ungarische Kapelle zu hören meint. „Jeder Klari- nettist träumt davon, dieses Stück zu spielen“, meint Ottensamer. Weni- ger offensichtlich ist das ungarische Element in den beiden nachfolgenden Walzern des Komponisten. Sie erscheinen höchst wienerisch – doch die Musiker zeigen, dass sie auch durch den Csárdás mit geprägt wurden.
Andreas Ottensamer hat sich für diese Aufnahmen ein Ensemble zusam- menstellt, das diese Musik ebenfalls quasi im Blut hat: Leonidas Kavakos und Christoph Koncz, Violine, Antoine Tamestit, Viola, Stephan Koncz, Violoncello, Ödön Rácz, Kontrabass und Oszkár Ökrös am Zymbal sorgen mit Leidenschaft und virtuosem Spiel für facettenreiche Klänge. Die Musik klingt, zumal bei den beiden ausgewählten Ungarischen Tänzen, wie improvisiert. Und wer sich fragt, ob diese Tänze denn wirklich ungarische Originale sind, der erhält mit dieser CD auf diese Frage ebenfalls eine Antwort.
Zum Abschluss erklingen zwei Sätze, Két Tétel, von Leó Weiner, die sehr schön in diesen Reigen passen. Und zum Kehraus gibt’s dann noch ein Medley mit Tanzliedern aus Transsylvanien, und mit so mancher über- raschenden Wendung. Das Ensemble wird eigens dazu durch das Akkor- deon von Predrag Tomić verstärkt. Sehr spannend!
Bach: Messe in h-Moll (Carus)
Gibt es eine „wahre“ h-Moll-Messe? Hans-Christoph Rademann, neuer Leiter der Internationalen Bach- akademie Stuttgart, hat sich gemeinsam mit dem Bachforscher Uwe Wolf auf die Suche nach dem „unverfälschten“ Werk begeben. Entstanden ist die „große catho- lische Messe“, wie sie Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel nannte, über einen langen Zeitraum. Bach begann seine Arbeit an diesem Werk, um nach dem Tode Augusts des Starken 1733 seinen neuen Landesherrn, den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen, damit zu beeindrucken, auf dass ihn derselbige im Gegenzug mit einem Hoftitel ehre. Ein Stimmensatz von Kyrie und Gloria befindet sich daher in der Musikaliensammlung des kursächsischen Hofes, heute im Bestand der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden.
In seinen letzten Lebensjahren schließlich hat der Komponist das Opus noch einmal überarbeitet und durch Hinzufügung von Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei von einer Kyrie-Gloria-Messe zu einer Missa tota erweitert. Dazu hat er Teile aus anderen Werken übernommen und bearbeitet; einige Abschnitte hat er auch gänzlich neu geschrieben. Als Bach starb, hatte er die h-Moll-Messe fertiggestellt. Die autographe Partitur befindet sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin.
Das Manuskript besaß einst Carl Philipp Emanuel Bach; er setzte sich aktiv für die Verbreitung des Werkes ein, aber er hat auch sehr viel hineinge- schrieben, wo ihm Stellen unleserlich, unverständlich oder undeutlich erschienen. Musikwissenschaftlern ist es in mühevoller Arbeit gelungen, diese Eingriffe zu identifizieren und weitgehend den ursprünglichen Notentext zu edieren. Dabei war es sehr hilfreich, dass es eine große Anzahl von Abschriften gibt – der Bach-Schüler Johann Philipp Kirn- berger beispielsweise besaß eine, Prinzessin Anna Amalia von Preußen ebenfalls, und Baron Gottfried van Swieten, österreichischer Gesandter am preußischen Hof, erwarb in Berlin eine Kopie, die später in Wien Haydn, Mozart und auch Beethoven aufmerksam studierten.
Bach selbst hat dieses Werk in seinen meisten Teilen wohl niemals auf- geführt. Erst die Romantiker holten die h-Moll-Messe aus der Schublade. Im 19. Jahrhundert wurzelt die Aufführungstradition dieses Werkes – und danach klingen auch die meisten Einspielungen noch heute; man höre nur die alte Aufnahme mit der Gächinger Kantorei unter ihrem Begründer Helmuth Rilling. Sein Nachfolger Rademann hat nun vieles geändert. So hat er den Chor erheblich verkleinert und auf einen schlanken, transparenten Klang eingeschworen. War man von den Gächingern bisher eher Breitwand-Bach in großer Besetzung gewohnt, so wird man nun erfreut feststellen, dass Leichtigkeit und Eleganz die neue Einspielung prägen. Dazu tragen auch die Musiker des Freiburger Barockorchesters bei, die ihren Part mit Präzision und Spielfreude gestalten.
Die Aufnahme basiert auf der aktuellen Notenedition aus dem Carus-Verlag; sie beruht nicht allein auf dem Berliner Partiturautographen, sondern bewertet in jenen Teilen, die Bach einst für den Kurfürsten geschaffen hat, den Dresdner Stimmensatz als den von Bach am weitesten ausgearbeiteten Notentext und somit als Hauptquelle. Das bringt einige reizvolle Veränderungen mit sich, beispielsweise im Domine Deus und im Quoniam.
Die erste CD ermöglicht es, die h-Moll-Messe als Kyrie-Gloria-Messe in der Fassung von 1733 anzuhören. Auf der zweiten CD erklingt dann nicht nur jener umfangreiche Rest, um den der alte Bach sein Werk später ergänzt hat. Zu hören sind auch jene Alternativfassungen aus der Partitur, die sie sich stark von der frühen Version unterscheiden, sowie eine ursprüngliche Variante von Sanctus und Pleni sunt coeli aus dem Jahre 1724. Damit hat diese Aufnahme in jedem Falle einen hohen musikhistorischen Wert. Auch wenn man darüber, welches nun die „wahre“ h-Moll-Messe ist, auch weiterhin auf so manchem Kolloquium wird diskutieren können.
In seinen letzten Lebensjahren schließlich hat der Komponist das Opus noch einmal überarbeitet und durch Hinzufügung von Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei von einer Kyrie-Gloria-Messe zu einer Missa tota erweitert. Dazu hat er Teile aus anderen Werken übernommen und bearbeitet; einige Abschnitte hat er auch gänzlich neu geschrieben. Als Bach starb, hatte er die h-Moll-Messe fertiggestellt. Die autographe Partitur befindet sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin.
Das Manuskript besaß einst Carl Philipp Emanuel Bach; er setzte sich aktiv für die Verbreitung des Werkes ein, aber er hat auch sehr viel hineinge- schrieben, wo ihm Stellen unleserlich, unverständlich oder undeutlich erschienen. Musikwissenschaftlern ist es in mühevoller Arbeit gelungen, diese Eingriffe zu identifizieren und weitgehend den ursprünglichen Notentext zu edieren. Dabei war es sehr hilfreich, dass es eine große Anzahl von Abschriften gibt – der Bach-Schüler Johann Philipp Kirn- berger beispielsweise besaß eine, Prinzessin Anna Amalia von Preußen ebenfalls, und Baron Gottfried van Swieten, österreichischer Gesandter am preußischen Hof, erwarb in Berlin eine Kopie, die später in Wien Haydn, Mozart und auch Beethoven aufmerksam studierten.
Bach selbst hat dieses Werk in seinen meisten Teilen wohl niemals auf- geführt. Erst die Romantiker holten die h-Moll-Messe aus der Schublade. Im 19. Jahrhundert wurzelt die Aufführungstradition dieses Werkes – und danach klingen auch die meisten Einspielungen noch heute; man höre nur die alte Aufnahme mit der Gächinger Kantorei unter ihrem Begründer Helmuth Rilling. Sein Nachfolger Rademann hat nun vieles geändert. So hat er den Chor erheblich verkleinert und auf einen schlanken, transparenten Klang eingeschworen. War man von den Gächingern bisher eher Breitwand-Bach in großer Besetzung gewohnt, so wird man nun erfreut feststellen, dass Leichtigkeit und Eleganz die neue Einspielung prägen. Dazu tragen auch die Musiker des Freiburger Barockorchesters bei, die ihren Part mit Präzision und Spielfreude gestalten.
Die Aufnahme basiert auf der aktuellen Notenedition aus dem Carus-Verlag; sie beruht nicht allein auf dem Berliner Partiturautographen, sondern bewertet in jenen Teilen, die Bach einst für den Kurfürsten geschaffen hat, den Dresdner Stimmensatz als den von Bach am weitesten ausgearbeiteten Notentext und somit als Hauptquelle. Das bringt einige reizvolle Veränderungen mit sich, beispielsweise im Domine Deus und im Quoniam.
Die erste CD ermöglicht es, die h-Moll-Messe als Kyrie-Gloria-Messe in der Fassung von 1733 anzuhören. Auf der zweiten CD erklingt dann nicht nur jener umfangreiche Rest, um den der alte Bach sein Werk später ergänzt hat. Zu hören sind auch jene Alternativfassungen aus der Partitur, die sie sich stark von der frühen Version unterscheiden, sowie eine ursprüngliche Variante von Sanctus und Pleni sunt coeli aus dem Jahre 1724. Damit hat diese Aufnahme in jedem Falle einen hohen musikhistorischen Wert. Auch wenn man darüber, welches nun die „wahre“ h-Moll-Messe ist, auch weiterhin auf so manchem Kolloquium wird diskutieren können.
Donnerstag, 17. September 2015
Vivaldi - Bach - Händel: Concertos & Sonatas (Supraphon)
Wenn ein Fagottist nicht nur im Ensemble mitspielen will, dann ist das gar nicht so einfach. Denn das Repertoire für Fagott solo ist nicht besonders umfangreich. Erst in jüngster Zeit haben Komponisten das Instrument wiederentdeckt – dazu demnächst mehr. Wer ältere Literatur spielen möchte, der muss bis in die Barockmusik zurückgehen. Konzerte und Sonaten für Fagott sind aber auch in der „Alten“ Musik nicht gerade üppig vertreten.
Deshalb hat Václav Vonášek für seine CD die beiden „originalen“ Werke von Antonio Vivaldi, der sehr viel Musik für das Fagott komponiert hat, durch Transkriptionen ergänzt. „Die natürlichste Art, Flötenkompositionen für das Fagott zu bearbeiten, ist das Transponieren um eine Duodezim nach unten – so viel beträgt nämlich der Unterschied zwischen den Grundton- reihen der beiden Instrumente“, erläutert der Fagottist. Er hat so die Flötensonate in E-Dur BWV 1035 von Johann Sebastian Bach sowie die Flöten-Solosonate in a-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach mit seinem Instrument eingespielt. Zwischen den beiden Sonaten erklingt zudem die Arie Dopo notte aus der Oper Ariodante von Georg Friedrich Händel. Die Anregung dazu verdankt der Musiker, so berichtet er in dem sehr infor- mativen Beiheft zu dieser CD, dem Tenor Rolando Villazón. Dieser zeige mit seiner Interpretation, dass man kein Mezzosopran sein muss, um dieses Werk (das für eine Kastratenstimme geschrieben wurde) über- zeugend vortragen zu können. Und in der Tat klingt die bekannte Melodie auch auf dem Fagott prächtig. Generell ist das wohldurchdachte und ausgesprochen farbenreiche Spiel von Václav Vonášek sehr zu loben. Das Ensemble Barocco sempre giovane begleitet den Solisten gekonnt. Unbedingt anhören!
Deshalb hat Václav Vonášek für seine CD die beiden „originalen“ Werke von Antonio Vivaldi, der sehr viel Musik für das Fagott komponiert hat, durch Transkriptionen ergänzt. „Die natürlichste Art, Flötenkompositionen für das Fagott zu bearbeiten, ist das Transponieren um eine Duodezim nach unten – so viel beträgt nämlich der Unterschied zwischen den Grundton- reihen der beiden Instrumente“, erläutert der Fagottist. Er hat so die Flötensonate in E-Dur BWV 1035 von Johann Sebastian Bach sowie die Flöten-Solosonate in a-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach mit seinem Instrument eingespielt. Zwischen den beiden Sonaten erklingt zudem die Arie Dopo notte aus der Oper Ariodante von Georg Friedrich Händel. Die Anregung dazu verdankt der Musiker, so berichtet er in dem sehr infor- mativen Beiheft zu dieser CD, dem Tenor Rolando Villazón. Dieser zeige mit seiner Interpretation, dass man kein Mezzosopran sein muss, um dieses Werk (das für eine Kastratenstimme geschrieben wurde) über- zeugend vortragen zu können. Und in der Tat klingt die bekannte Melodie auch auf dem Fagott prächtig. Generell ist das wohldurchdachte und ausgesprochen farbenreiche Spiel von Václav Vonášek sehr zu loben. Das Ensemble Barocco sempre giovane begleitet den Solisten gekonnt. Unbedingt anhören!
Abonnieren
Posts (Atom)