Samstag, 22. Mai 2021

Bill Evans On The Organ (MDG)

 

Lässt sich Musik eines Jazzpianisten auch auf der Orgel spielen? David Schollmeyer, Kantor und Organist an der Bürgermeister-Smidt-Gedächtniskirche in Bremerhaven, stellt mit der vorliegenden Aufnahme unter Beweis, dass es mitunter funktioniert – und, wenn es um Stücke von Bill Evans geht, sogar ganz ausgezeichnet. 

Für seine Einspielung hat Schollmeyer Musik aus allen Schaffensphasen des legendären Jazzpianisten ausgewählt, darunter auch fünf Jazz-Walzer. Er bringt zudem das Kunststück fertig, mit diesem Programm zugleich ein beeindruckendes Porträt der Beckerath-Orgel zu verbinden – ein echter audiophiler Ohrenschmaus für jazzferne Orgelfreunde ebenso wie für orgelferne Jazzfreunde, wirbt das Label Dabringhaus und Grimm. 

Dieser Einschätzung kann ich mich an dieser Stelle anschließen. Denn auch die technische Qualität der Aufnahme von Werner Dabringhaus und Reimund Grimm sowie Tonmeister Holger Schlegel ist einmal mehr berückend; die Super Audio CD vermittelt tatsächlich den Eindruck, dass man sich in der Kirche befindet. Faszinierend! Das wollte ich an dieser Stelle noch ganz besonders hervorheben. Rundum gelungen. 


Romantic Music for Oboe, Bassoon and Organ (Brillant Classics)

 

Experimentierfreudig waren Komponisten auch im 19. Jahrhundert. Den Beweis dafür tritt das Trio Andrea Palladio auf dieser CD an, aufgenommen im Dom von Malo in Vicenza. Zu hören sind Michele Antonello, Oboe, Steno Boesso, Fagott, und Enrico Zanovello an der Giovanni Lorenzi Orgel aus dem Jahre 1878 – eine seltene Instrumentenkonstellation, die sich allerdings als höchst attraktiv erweist. 

Als besondere Entdeckung präsentieren die Musiker ein virtuoses Capriccio per fagotto e organo von Giuseppe Verdi (1813 bis 1901) in Weltersteinspielung. Doch auch die Werke seiner Zeitgenossen Théodore Lalliet (1837 bis 1892), Heinrich Molbe (1835 bis 1915), Carl Friedemann (1862 bis 1952), Stanislas Verroust (1814 bis 1863) und Eugène Jancourt (1815 bis 1901) sind überaus originell, und man fragt sich, wie es möglich sein kann, dass Werke von einer solchen Qualität derart in Vergessenheit geraten. Unbedingt anhören, lohnt sich! 


Freitag, 21. Mai 2021

Trio Viaggio - Frouwentränen (Perfect Noise)


 Liebe und Leid, Verehrung und Verbannung stehen im Mittelpunkt dieses Albums des Trio Viaggio. Annette John, Barbara Heindlmeier und Tanja Ofterdinger haben ein schönes Programm zusammengestellt, das vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart und von Guillaume Dufay über John Playford und Joseph Bodin de Boismortier bis zu Johann Mattheson reicht. 

Das Trio Viaggio stellt auch zwei zeitgenössischer Werke vor, die eigens für das Blockflötentrio geschaffen worden sind – Komposition Nr. 76 (Madrigal) von Erwin Koch-Raphael (*1949) und Ahínnu von Samir Odeh Tamimi (*1970). 

Der Titel des Albums täuscht – es geht keineswegs nur um Jammer und Klage. Die meisten Stücke auf der CD wirken recht beschwingt. So gelingt es den Musikerinnen bereits bei den beiden Playford-Tänzen, aus einer kurzen einstimmigen Melodie ein Arrangement zu erschaffen, das die Füße zucken und die Seele tanzen lässt. Magisch! 


beyond words - Felix Klieser (Berlin Classics)

 

Dass Musik, die ursprünglich für Sängerinnen und Sänger geschrieben worden ist, auch als Sprache ohne Worte funktioniert, beweist Felix Klieser mit diesem Album. Dazu hat der Hornist bekannte Melodien von Bach, Vivaldi, Händel und Gluck ausgewählt. Gemeinsam mit dem Ensemble Chaarts Chamber Artists aus der Schweiz erkundet Klieser die Stücke, und gestaltet jeweils ganz unterschiedliche musikalische Welten. 

In Händels berühmtem Halleluja oder in Vivaldis Gloria übernimmt er den Part des Chores, klar vom Orchester abgesetzt. In vielen Arien, am schönsten sicherlich in Bachs Erbarme dich aus der Matthäus-Passion, tritt er in einen spannungsvollen Dialog mit dem Orchester – und gelegentlich wird er auch ein Teil davon. 

Farbenreich und außerordentlich einfühlsam spürt Felix Klieser dem musikalischen Gehalt der Kompositionen nach; er kombiniert barocken Affekt und romantischen Hornklang. Eine interessante Kombination, und ein Album zum Träumen und Schwelgen. Barock-Puristen freilich wird diese CD eher nicht begeistern. 

Donnerstag, 20. Mai 2021

Vivaldi x2 (Avie Records)

 


 Barockmusik ist oft zugleich Experimentalmusik – neue Formen, neue Instrumente und jede Menge spannende Klangfarben waren zu erkunden, und die Komponisten waren dabei sehr erfindungsreich: Warum ein Violinkonzert schreiben, wenn man auch eines für zwei Hörner, zwei Oboen, Fagott, Violine und Violoncello komponieren kann? 

Im Werk von Antonio Vivaldi (1678 bis 1741) finden sich dafür viele schöne Beispiele, und auf dieser CD präsentiert das Ensemble La Serenissima um Konzertmeister Adrian Chandler eine abwechslungsreiche Auswahl von – mindestens – Doppelkonzerten. Musiziert wird brillant und mit Esprit. Viel Vergnügen! 

Dienstag, 18. Mai 2021

A Dream (Genuin)

 


Noch vor hundert Jahren war es selbstverständlich, dass Virtuosen im Konzert eigene Werke spielten. Pianisten glänzten gern auch mit Improvisationen über populäre Melodien oder Phantasien über besonders anspruchsvolle Stücke von bekannten Kollegen. Damit boten sie einem sachkundigen Publikum anspruchsvolle Unterhaltung, und sie konnten unter Beweis stellen, dass sie nicht nur über eine exzellente Technik verfügten, sondern vor allem auch selbst kreativ waren. 

Improvisation auf einem hohen musikalischen Niveau darf man heutzutage wohl nur noch von Jazzpianisten und von Kirchenmusikern erwarten; dort ist das Improvisieren nach wie vor Bestandteil der Ausbildung. Unter klassisch trainierten Pianisten hingegen gilt es bereits als spektakulär, im Konzert eine eigene Kadenz zu spielen. 

Jürgen Geiger beweist auf seiner aktuellen CD bei Genuin, dass die Kombination aus Klavier und Kirchenmusik durchaus produktiv sein kann. Er hat eine Auswahl virtuoser Klavierliteratur in romantischer Tradition zusammengestellt, die auch Salon-Pièces durchaus nicht verschmäht. (Was unseren Vorvätern Vergnügen bereitet hat - warum soll dies heute eigentlich auf dem Konzertpodium nur noch sehr am Rande, als Zugabe, gespielt werden?) Nicht wenige dieser Werke hat Jürgen Geiger selbst, ganz in der Tradition der alten Virtuosen, bearbeitet. Und einige hat er gänzlich selbst komponiert. 

So erklingt Geigers Musik in einer Reihe mit Stücken von Franz Liszt oder von Leopold Godowsky und Vladimir Horowitz. Der Pianist musiziert mit überragender Technik, Gespür für Klang und Sinn für Dramatik. Ganz großes Kino. 


Sonntag, 16. Mai 2021

Fremde Heimat (Oehms Classics)


 Das Wandern und der Wanderer sind zentrale Sujets der deutschen Romantik. Der Reiz der großen weiten Welt, die Entdeckungslust und der Verlust von Heimat – das sind Erfahrungen, die nicht nur die Dichter, sondern auch Komponisten zu großartigen Werken bewegt haben. Rafael Fingerlos hat eine Liedauswahl zusammengestellt, die vom frohen Aufbruch über die Begegnung mit der Fremde bis hin zur Entfremdung vom Beschreiten des Lebensweges erzählt. 
Die CD macht deutlich, dass abseits von Schuberts Winterreise viel zu entdecken ist. Rafael Fingerlos gelingen zudem sensible, tiefgreifende Liedinterpretationen – und Sascha El Mouissi begleitet den Bariton feinfühlig am Klavier. 

Samstag, 15. Mai 2021

Songbook (Sony)

 


Gitarre und Violoncello? Diese CD beweist, dass es sich dabei um eine überaus reizvolle Kombination handelt. Jan Vogler, ein exquisiter Cellist, musiziert gemeinsam mit dem finnischen Gitarristen Ismo Eskelinen – man lauscht, staunt und fragt sich, warum diese Besetzung eigentlich derart ungebräuchlich ist. 

Denn klanglich harmonieren die beiden Instrumente ausgezeichnet, und auch im Ausdruck bieten sie viele Möglichkeiten: Sowohl Gitarre als auch Violoncello können fein nuanciert große Melodiebögen spannen; sie können aber auch rhythmische Impulse setzen, oder sich hart und schneidend behaupten. 

„Die Gitarre verleiht der Musik eine wunderbare Struktur und läuft – anders als es beim ungleich mächtigeren Klavier gelegentlich der Falle sein kann – nie Gefahr, das Cello mit seinem singenden Charakter zuzudecken“, erläutert Jan Vogler. „Manchmal geht die Gitarre in Führungsposition und forciert die rhythmische Komponente, so dass die melodiösen Linien dadurch auch mal in den Hintergrund treten. Dieses Dialogische und die natürliche, organische komplementäre Ergänzung beider Instrumente, das hat mich sehr gereizt.“ 

Die beiden Virtuosen eröffnen das Album mit einem Cantabile von Niccolò Paganini, komponiert ursprünglich für Geige und Gitarre. „Ich habe so wenig wie möglich geändert“, so Vogler. „Ich spiele lediglich eine Oktave tiefer.“ Auch sonst bietet diese CD Überraschendes – von Astor Piazzollas Histoire du Tango über Werke von Manuel de Falla, Maurice Ravel, Heitor Villa-Lobos bis hin zu den wundervollen Drei Nocturnes von Friedrich Burgmüller. Diese Werke für Violoncello und Gitarre, erschienen 1840, betrachtet Vogler als „einen Glücksgriff“ – der Komponist habe „die klanglichen Möglichkeiten im Zusammenspiel beider Instrumente genau erkannt und nutzt sie im besten Sinne aus.“ 

Ein Originalwerk ist auch die Sonate des Brasilianers Radamés Gnattali. Alles andere sind Bearbeitungen – aber diese sind hervorragend: „Bei den hier ausgewählten Tangos wirkt die Musik ganz anders als mit Flöte oder Geige“, unterstreicht Vogler, „gerade was die dunklen Qualitäten, die tiefrote Glut oder das Verruchte von Piazzollas Musik betrifft.“ Das kann nur bestätigt werden. 

Doch meine ganz persönlichen Lieblingsstücke auf der CD sind Moon River von Henri Mancini, und last but not least Gymnopédie No. 1 von Erik Satie. Das Hörvergnügen wird noch durch die ausgezeichnete technische Qualität der Aufnahmen verstärkt. Rundum ein Genuss! Unbedingt anhören. 


Piano Lessons - Christoph Eschenbach (Deutsche Grammophon)


 Einen großen Musiker erkennt man oft daran, dass er auch scheinbar simple Stücke mit derselben Sorgfalt spielt wie die Virtuosenliteratur. Ein Beispiel dafür bietet diese faszinierende Box, in der auf 16 CD so ziemlich alles zu hören ist, was ein Klavierschüler üblicherweise im Unterricht übt. 

Die Box enthält zahlreiche Klassiker der Klavierpädagogik, von Ferdinand Beyers Vorschule im Klavierspiel über Johann Sebastian Bachs Inventionen, Wolfgang Amadeus Mozarts Sonata facile bis hin zu Ludwig van Beethovens berühmter Mondscheinsonate oder den Liedern ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy. 

Burgmüller, Czerny, Clementi, Diabelli – Christoph Eschenbach zeigt mit seinen Interpretationen, dass selbst Etüden und Sonatinen sehr viel Spaß machen können. Der Pianist, heute Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters, hat diese Kollektion Mitte der 1970er Jahre eingespielt. Sie war bisher aber nur als Japan-Import erhältlich. 

Umso mehr freut man sich darüber, dass diese liebevollen Interpretationen nun für jedermann verfügbar sind. Die Sammlung bietet Musikfreunden fast 17 Stunden Hörvergnügen, und allen Klavierschülern vielfältige Anregungen – denn sämtliche Noten sind über die bekannte Noten-App Tomplay Sheet Music zugänglich, und als Bonus liegt der Box ein Zugangscode bei. Super!