Julius Klengel (1859 bis 1933) war Solo-Cellist des schon damals welt- berühmten Gewandhausorchesters Leipzig. In der Pleißestadt kam er zur Welt, und er wurde in eine hoch- musikalische Familie hineingeboren.
Schon sein Großvater Moritz Klengel spielte als Geiger im Gewandhaus- orchester, und unterrichtete zudem am Leipziger Konservatorium. Sein Vater Wilhelm Julius Klengel war mit Mendelssohn befreundet, und musikalisch beschlagen genug, um seinen sieben Kindern den Anfangsunterricht selbst zu erteilen. Julius' Bruder Paul wirkte ebenfalls als Geiger, Pianist und Komponist.
Julius Klengel galt als Wunderkind. Als er sieben Jahre alt war, begann seine Ausbildung bei Emil Hegar. Dieser war ein Schüler Friedrich Grützmachers, und Stimmführer der Violoncellisten am Gewandhaus- orchester. Mit 15 Jahren trat Klengel selbst in das renommierte Orchester ein; 1881 wurde er Solo-Cellist und zugleich Lehrer am Konservatorium. Außerdem war er als Solist und Kammermusikpartner gleichermaßen gefragt, und ging regelmäßig auf Konzertreisen.
Klengel war auch ein exzellenter Pianist, und er komponierte viele Stücke für das Violoncello. Diese CD porträtiert ihn allerdings weniger als Virtuosen denn vielmehr als Lehrenden: Klengels Concertinos für Cello und Klavier gehören noch heute zu dem Repertoire, das nahezu jeder Cellist im Laufe seiner Ausbildung erarbeitet. Klengel war als Pädagoge von enormer Bedeutung; er hat ganze Heerscharen von Studenten unterrichtet. Zu seinen Schülern zählten legendäre Künstler wie etwa Emanuel Feuermann, Rudolf Metzmacher und Gregor Piatigorsky.
Auf dieser CD werden Klengels Concertinos von Martin Rummel großartig gespielt, der übrigens der letzte Schüler von William Pleeth war, und somit ein Enkelschüler Klengels ist. Rummel musiziert gemeinsam mit der Pianistin Mari Kato – und das Konzertstück d-Moll op. 10 bietet auch ihr die Möglichkeit, gleichberechtigt neben dem Cello zu konzertieren. Sehr gelungen!
Montag, 30. April 2018
Schütz: Kleine geistliche Konzerte II (Carus)
Diese Doppel-CD ist zugleich ein Abschied. Denn die Aufnahme der Kleinen geistlichen Konzerte von Heinrich Schütz ist eine der letzten Produktionen, an denen der Cembalist, Organist und Dirigent Ludger Rémy mitgewirkt hat. Er starb im Juni 2017 nach schwerer Krankheit.
In einem persönlichen Geleitwort würdigt Hans-Christoph Rademann den langjährigen Weggefährten. Und auch die Rezensentin verneigt sich tief vor einem Musiker, der viele Jahre erfolgreich in Mitteldeutsch- land gewirkt und die „Alte“-Musik-Szene überregional entscheidend mit geprägt hat.
Dennoch ist leider festzustellen, dass die Aufnahme in ihrer Qualität, wie schon der erste Teil, an das Niveau nicht heranreicht, das andere Produktionen vorgeben. Es fehlt an Präzision, an Ausdruckswillen, an Energie. So ist Carus mit diesem Teil der Schütz-Gesamteinspielung erstmals keine Referenz gelungen. Schade!
In einem persönlichen Geleitwort würdigt Hans-Christoph Rademann den langjährigen Weggefährten. Und auch die Rezensentin verneigt sich tief vor einem Musiker, der viele Jahre erfolgreich in Mitteldeutsch- land gewirkt und die „Alte“-Musik-Szene überregional entscheidend mit geprägt hat.
Dennoch ist leider festzustellen, dass die Aufnahme in ihrer Qualität, wie schon der erste Teil, an das Niveau nicht heranreicht, das andere Produktionen vorgeben. Es fehlt an Präzision, an Ausdruckswillen, an Energie. So ist Carus mit diesem Teil der Schütz-Gesamteinspielung erstmals keine Referenz gelungen. Schade!
Quantz: Concertos & Trio Sonatas with recorder (Brilliant Classics)
Dass Johann Joachim Quantz (1697 bis 1773), der Flötenlehrer Friedrichs des Großen, zahlreiche Werke für die Traversflöte komponiert hat, ist allgemein bekannt. Er hat allerdings auch einige Konzerte und Sonaten für die Blockflöte geschrieben, in denen er diese teils allein, teils gemeinsam mit Traversflöte oder Violine er- klingen lässt. Stefano Bagliano, einer der besten Blockflötisten Europas, stellt auf dieser CD gemeinsam mit dem Collegium Pro Musica zwei Concerti und zwei Triosonaten vor. Wunderschön!
Carl Philipp Emanuel Bach - Tangere (ECM New Series)
Was für ein Sound! Alexei Lubimov spielt Clavierstücke von Carl Philipp Emanuel Bach – auf einem Tangentenflügel. Das Instrument, das auf dieser CD zu hören ist, stammt aus der Werkstatt von Späth & Schmahl in Regensburg, wo es 1794 gebaut worden ist.
Franz Jacob Späth war der bedeu- tendste Hersteller von Tangenten- klavieren. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Saiten von unten durch emporschnellende Stäbchen aus Holz angeschlagen werden. Mit einem Dämpfer lässt sich der Ton wieder beenden. Außerdem kann er durch Moderatorzüge klanglich verändert werden.
Es erstaunt nicht, dass Musiker die Tangentenflügel schätzten, die wie ein Psalterium, wie eine Harfe oder auch wie ein Hammerklavier klingen konnten. Und weil die Instrumente sehr gefragt waren, nahm Späth seinen Schwiegersohn Christoph Friedrich Schmahl als Partner mit ins Geschäft. Ungefähr zehn Instrumente von Späth und Schmahl sind erhalten geblieben.
Alexei Lubimov spielt den Tangentenflügel auf dieser CD höchst virtuos. Man lauscht verblüfft, und freut sich über das enorme Ausdrucksvermögen dieses Instrumentes. „Historical keyboard instruments contradict the ideal shared by the great pianists of the last century, that of achieving the perfect, ultimate interpretation. And this is absolutely fine!“, schreibt der Pianist im Beiheft. „,Tangere' (to touch) means to find an instrument's personal, individual touch, to touch the hidden secrets of its own proper language.“
In Lubimovs Interpretation wird hör- und nachvollziehbar, wie extra- vagant die Musik des ältesten Bach-Sohnes eigentlich war. Auf dem Tangentenflügel lässt sich ihre kapriziöse Mutwilligkeit so recht auskosten. Das sind Klänge! Wer diese Aufnahme gehört hat, der mag diese Stücke nie wieder anders erleben.
Franz Jacob Späth war der bedeu- tendste Hersteller von Tangenten- klavieren. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Saiten von unten durch emporschnellende Stäbchen aus Holz angeschlagen werden. Mit einem Dämpfer lässt sich der Ton wieder beenden. Außerdem kann er durch Moderatorzüge klanglich verändert werden.
Es erstaunt nicht, dass Musiker die Tangentenflügel schätzten, die wie ein Psalterium, wie eine Harfe oder auch wie ein Hammerklavier klingen konnten. Und weil die Instrumente sehr gefragt waren, nahm Späth seinen Schwiegersohn Christoph Friedrich Schmahl als Partner mit ins Geschäft. Ungefähr zehn Instrumente von Späth und Schmahl sind erhalten geblieben.
Alexei Lubimov spielt den Tangentenflügel auf dieser CD höchst virtuos. Man lauscht verblüfft, und freut sich über das enorme Ausdrucksvermögen dieses Instrumentes. „Historical keyboard instruments contradict the ideal shared by the great pianists of the last century, that of achieving the perfect, ultimate interpretation. And this is absolutely fine!“, schreibt der Pianist im Beiheft. „,Tangere' (to touch) means to find an instrument's personal, individual touch, to touch the hidden secrets of its own proper language.“
In Lubimovs Interpretation wird hör- und nachvollziehbar, wie extra- vagant die Musik des ältesten Bach-Sohnes eigentlich war. Auf dem Tangentenflügel lässt sich ihre kapriziöse Mutwilligkeit so recht auskosten. Das sind Klänge! Wer diese Aufnahme gehört hat, der mag diese Stücke nie wieder anders erleben.
Freitag, 27. April 2018
Shostakovich: Complete Symphonies (Melodija)
In einer limitierten Edition hat das Label Melodija eine neue Gesamteinspielung der Sinfonien Dmitri Schostakowitschs (1906 bis 1975) veröffentlicht. Die 15 CD konnte man gar nicht so schnell anhören und besprechen, wie diese Box vergriffen war. Wer sie kaufen möchte und sie noch irgendwo findet, der sollte wohl rasch zuschlagen, denn es kann sich nur um einige wenige Einzelexemplare handeln. Das erstaunt ein wenig.
Zwar hat sich das Tatarstan National Symphony Orchestra, beheimatet in der Millionenstadt Kazan am Ufer der Wolga, auf zwei umjubelten Deutschlandtourneen als eines der besten modernen russischen Orchester empfohlen. Das Orchester hat zudem unter Leitung seines Chefdirigenten Alexander Sladkovsky bereits eine viel beachtete Aufnahme von Sinfonien Gustav Mahlers vorgelegt.
Aber mit den Sinfonien Schostakowitschs erreicht das Ensemble meiner Meinung nach kein Spitzenniveau. Die 15 Werke hat das Tatarstan National Symphony Orchestra durchweg im Jahre 2016 eingespielt – neben einem umfangreichen Konzert- und Tourneeprogramm, selbstredend. Das ist ein höchst kräftezehrendes Unterfangen. Vielleicht hätte man sich für das Projekt mehr Zeit nehmen sollen. Hört man diese Einspielung im Vergleich zu älteren, beispielsweise jener mit dem Berliner Sinfonie-Orchester unter Kurt Sanderling aus dem Jahre 1961, fällt zum einen auf, dass das Klangbild zu wünschen übrig lässt. Da mangelt es sowohl an Klarheit als auch an farblicher Differenziertheit.
Sladkovsky setzt stark auf Virtuosität und auf Brillanz. Schostakowitsch hat allerdings, unter dem Druck der Verhältnisse, sehr oft doppeldeutig komponiert. Der Sarkasmus, der seine Werke häufig geprägt hat, ist hier kaum wahrzunehmen. Das ist schade, denn bei den meisten Sinfonien Schostakowitschs kommt es genau darauf an, dass der Hörer dies wahrnehmen kann. Für eine neue Referenz ist das eindeutig zu wenig.
Zwar hat sich das Tatarstan National Symphony Orchestra, beheimatet in der Millionenstadt Kazan am Ufer der Wolga, auf zwei umjubelten Deutschlandtourneen als eines der besten modernen russischen Orchester empfohlen. Das Orchester hat zudem unter Leitung seines Chefdirigenten Alexander Sladkovsky bereits eine viel beachtete Aufnahme von Sinfonien Gustav Mahlers vorgelegt.
Aber mit den Sinfonien Schostakowitschs erreicht das Ensemble meiner Meinung nach kein Spitzenniveau. Die 15 Werke hat das Tatarstan National Symphony Orchestra durchweg im Jahre 2016 eingespielt – neben einem umfangreichen Konzert- und Tourneeprogramm, selbstredend. Das ist ein höchst kräftezehrendes Unterfangen. Vielleicht hätte man sich für das Projekt mehr Zeit nehmen sollen. Hört man diese Einspielung im Vergleich zu älteren, beispielsweise jener mit dem Berliner Sinfonie-Orchester unter Kurt Sanderling aus dem Jahre 1961, fällt zum einen auf, dass das Klangbild zu wünschen übrig lässt. Da mangelt es sowohl an Klarheit als auch an farblicher Differenziertheit.
Sladkovsky setzt stark auf Virtuosität und auf Brillanz. Schostakowitsch hat allerdings, unter dem Druck der Verhältnisse, sehr oft doppeldeutig komponiert. Der Sarkasmus, der seine Werke häufig geprägt hat, ist hier kaum wahrzunehmen. Das ist schade, denn bei den meisten Sinfonien Schostakowitschs kommt es genau darauf an, dass der Hörer dies wahrnehmen kann. Für eine neue Referenz ist das eindeutig zu wenig.
Süddeutsche Orgelmeister (Oehms Classics)
Joseph Kelemen, Hauptorganist an St. Johann Baptist in Neu-Ulm, befasst sich seit vielen Jahren mit süddeut- scher Orgelmusik. In dieser Box präsentiert er auf sechs CD eine Werkauswahl bedeutender Orgel- meister des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Region, um die es dabei geht, erstreckte sichseinerzeit vom heutigen Süddeutschland über die deutsch- sprachigen Gebiete Österreichs und der Schweiz sowie vom Elsaß bis hin nach Polen.
Bei allen Unterschieden eint die süddeutsche Orgelmusik ihre Orientierung am Vorbild Italien, berichtet Kelemen im Beiheft zu dieser Box: „Auch der süddeutsche Orgelbau zeigt Anlehnungen an Italien. Wie ihre italienische Schwester – ebenso wie das italienische Cembalo – ist die süddeutsche Orgel in der Regel einmanualig; ihr Pedal beschränkt sich im Umfang auf 1½ Oktaven und wird vornehmlich für Stütztöne zur Verstärkung der Basslinie eingesetzt. Die Diskrepanzen zum norddeutschen Orgelbau sind deutlich – hier finden wir meist mehrere Manuale und eine ausgebaute Pedalklaviatur von zwei Oktaven. Der Klang süddeutscher Orgeln wird oft als ,süß' beschrieben, wogegen das norddeutsche Instrument eher ,schneidend festlich' anmutet.“
Selbstverständlich hat Kelemen für seine Einspielungen passende Instrumente ausgesucht. Musik aus dem Buxheimer Orgelbuch, niedergeschrieben um 1460, spielt der Organist an einem Instrument in der St. Andreaskirche Soest-Ostönnen, erbaut von einem unbekannten Meister um 1425, einer der ältesten spielbaren Orgeln der Welt, sowie an der Ebert-Orgel von 1558 der Hofkirche Innsbruck. Für die Werke von Hans Leo Hassler (1564 bis 1612) wählte er die Orgel der Stiftskirche Klosterneuburg von Johann Freundt 1642 sowie die Günzer-Orgel von 1609 der Kirche St. Martin in Gabelbach bei Augsburg.
Die CD, die dem Schaffen von Johann Caspar Kerll (1627 bis 1693) gewidmet ist, entstand an der Egedacher-Orgel aus dem Jahre 1708 – sie enthält auch noch etliche Register des Vorgängerinstrumentes von Andreas Putz (1633) – die sich im Prämonstratenserstift Schlägl in Oberösterreich befindet. Bei der Einspielung der Musik von Johann Pachelbel (1653 bis 1706) entschied sich Kelemen für die Orgel in St. Petri, Erfurt-Büßleben, erbaut 1702 von Georg Christoph Stertzing, und die Crapp-Orgel von 1712 in der ehemaligen Klosterkirche zu Pappenheim im Altmühltal.
Gleich zwei CD enthalten Werke von Georg Muffat (1653 bis 1704). Für diese Aufnahmen nutzte der Organist noch einmal die Freundt-Orgel der Stiftskirche Klosterneuburg, und die Orgel der Abteikirche St. Mauritius in Ebersmünster bei Schlettstadt im Elsaß. Sie wurde in den Jahren 1730-32 von Andreas Silbermann angefertigt, und gehört zu den am besten erhaltenen Instrumenten dieses berühmten Orgelbauers.
Somit stellt Joseph Kelemen nicht nur wichtige Komponisten jener Zeit aus dem süddeutschen Raum und einige ihrer Werke vor. Er verbindet dies mit einer Auswahl klangschöner und charakteristischer historischer Orgeln. Mit ihren sehr unterschiedlichen Klangwelten, die Kelemen gekonnt in den Mittelpunkt stellt, sind sie die eigentlichen Stars dieser Aufnahmen. Und natürlich musiziert der Organist brillant und sehr differenziert. Hinreißend!
Bei allen Unterschieden eint die süddeutsche Orgelmusik ihre Orientierung am Vorbild Italien, berichtet Kelemen im Beiheft zu dieser Box: „Auch der süddeutsche Orgelbau zeigt Anlehnungen an Italien. Wie ihre italienische Schwester – ebenso wie das italienische Cembalo – ist die süddeutsche Orgel in der Regel einmanualig; ihr Pedal beschränkt sich im Umfang auf 1½ Oktaven und wird vornehmlich für Stütztöne zur Verstärkung der Basslinie eingesetzt. Die Diskrepanzen zum norddeutschen Orgelbau sind deutlich – hier finden wir meist mehrere Manuale und eine ausgebaute Pedalklaviatur von zwei Oktaven. Der Klang süddeutscher Orgeln wird oft als ,süß' beschrieben, wogegen das norddeutsche Instrument eher ,schneidend festlich' anmutet.“
Selbstverständlich hat Kelemen für seine Einspielungen passende Instrumente ausgesucht. Musik aus dem Buxheimer Orgelbuch, niedergeschrieben um 1460, spielt der Organist an einem Instrument in der St. Andreaskirche Soest-Ostönnen, erbaut von einem unbekannten Meister um 1425, einer der ältesten spielbaren Orgeln der Welt, sowie an der Ebert-Orgel von 1558 der Hofkirche Innsbruck. Für die Werke von Hans Leo Hassler (1564 bis 1612) wählte er die Orgel der Stiftskirche Klosterneuburg von Johann Freundt 1642 sowie die Günzer-Orgel von 1609 der Kirche St. Martin in Gabelbach bei Augsburg.
Die CD, die dem Schaffen von Johann Caspar Kerll (1627 bis 1693) gewidmet ist, entstand an der Egedacher-Orgel aus dem Jahre 1708 – sie enthält auch noch etliche Register des Vorgängerinstrumentes von Andreas Putz (1633) – die sich im Prämonstratenserstift Schlägl in Oberösterreich befindet. Bei der Einspielung der Musik von Johann Pachelbel (1653 bis 1706) entschied sich Kelemen für die Orgel in St. Petri, Erfurt-Büßleben, erbaut 1702 von Georg Christoph Stertzing, und die Crapp-Orgel von 1712 in der ehemaligen Klosterkirche zu Pappenheim im Altmühltal.
Gleich zwei CD enthalten Werke von Georg Muffat (1653 bis 1704). Für diese Aufnahmen nutzte der Organist noch einmal die Freundt-Orgel der Stiftskirche Klosterneuburg, und die Orgel der Abteikirche St. Mauritius in Ebersmünster bei Schlettstadt im Elsaß. Sie wurde in den Jahren 1730-32 von Andreas Silbermann angefertigt, und gehört zu den am besten erhaltenen Instrumenten dieses berühmten Orgelbauers.
Somit stellt Joseph Kelemen nicht nur wichtige Komponisten jener Zeit aus dem süddeutschen Raum und einige ihrer Werke vor. Er verbindet dies mit einer Auswahl klangschöner und charakteristischer historischer Orgeln. Mit ihren sehr unterschiedlichen Klangwelten, die Kelemen gekonnt in den Mittelpunkt stellt, sind sie die eigentlichen Stars dieser Aufnahmen. Und natürlich musiziert der Organist brillant und sehr differenziert. Hinreißend!
Mittwoch, 25. April 2018
Auff die Mayerin (Genuin)
Diese CD ist aus einem Studien- projekt hervorgegangen. Die angehende Pianistin Kärt Ruubel fragte sich, warum die Musik ihren Lieblingskomponisten Johann Sebastian Bach erst lang nach seinem Tode so beliebt wurde – und welche Zeitgenossen Bachs eigentlich heute noch auf ihre Wiederentdeckung warten. „Zur Beendigung meines Klavierstudiums an der HMT Rostock fehlte mir noch eine Arbeit im Fach Musikwissenschaft“, berichtet die junge Musikerin. „Ich habe mich daher für das Leben und die Werke von Johann Jakob Froberger entschieden.“
Das ist ein lohnendes Thema – denn Johann Jakob Froberger (1616 bis 1667) hat in seinem kurzen Leben unglaublich viel erlebt (eine Kurzbiographie findet sich in diesem Blog bereits an anderer Stelle), und wunderbare Musik für Tasteninstrumente geschrieben.
Wer sie originalgetreu aufführen möchte, der spielt sie zumeist auf einem Cembalo. Kärt Ruubel freilich suchte nach Aufnahmen mit einem modernen Flügel, und fand kaum eine. Und daher beschloss die estnische Pianistin, diesem Mangel abzuhelfen. Für ihre Debüt-CD bei Genuin hat sie ein berühmtes Werk Frobergers ausgewählt, die Lamentation faite sur la mort très douloureuse de Sa Majesté Impériale, Ferdinand le troisième, und ein weniger bekanntes, die Partita Nr. 6 in G-Dur Auff die Maÿerin.
Eingebettet hat sie diese Musik in drei Suiten von Georg Friedrich Händel, Johann Joseph Fux und Johann Sebastian Bach. Kärt Ruubel musiziert auf einem Konzertflügel, einem Steinway D, aber sie nutzt die klanglichen Möglichkeiten, die das Instrument bietet, sehr dezent und überlegt. Ihr Spiel wirkt stets transparent und beseelt – ein hinreißender Ausflug in eine Klangwelt, die die meisten Pianisten heute allenfalls in den Encores streifen.
Das ist ein lohnendes Thema – denn Johann Jakob Froberger (1616 bis 1667) hat in seinem kurzen Leben unglaublich viel erlebt (eine Kurzbiographie findet sich in diesem Blog bereits an anderer Stelle), und wunderbare Musik für Tasteninstrumente geschrieben.
Wer sie originalgetreu aufführen möchte, der spielt sie zumeist auf einem Cembalo. Kärt Ruubel freilich suchte nach Aufnahmen mit einem modernen Flügel, und fand kaum eine. Und daher beschloss die estnische Pianistin, diesem Mangel abzuhelfen. Für ihre Debüt-CD bei Genuin hat sie ein berühmtes Werk Frobergers ausgewählt, die Lamentation faite sur la mort très douloureuse de Sa Majesté Impériale, Ferdinand le troisième, und ein weniger bekanntes, die Partita Nr. 6 in G-Dur Auff die Maÿerin.
Eingebettet hat sie diese Musik in drei Suiten von Georg Friedrich Händel, Johann Joseph Fux und Johann Sebastian Bach. Kärt Ruubel musiziert auf einem Konzertflügel, einem Steinway D, aber sie nutzt die klanglichen Möglichkeiten, die das Instrument bietet, sehr dezent und überlegt. Ihr Spiel wirkt stets transparent und beseelt – ein hinreißender Ausflug in eine Klangwelt, die die meisten Pianisten heute allenfalls in den Encores streifen.
Weichlein: Messen (Accent)
Wieder einmal präsentiert Gunar Letzbor Werke eines wenig bekann- ten österreichischen Komponisten: P. Romanus Weichlein (1652 bis 1706) war Benediktiner und gehörte dem Stift Lambach an. Er entstammte einer Linzer Musikerdynastie. Andreas Franz Weichlein, so sein Taufname, erhielt ersten Unterricht im Geigenspiel sowie am Clavier wahrscheinlich von seinem Vater, einem Organisten, sowie dem Lam- bacher Stiftsorganisten Benjamin Ludwig Ramhaufski. 1671 trat er als Novize in das Kloster ein. Er studierte Theologie und Philosophie in Salzburg, wo er möglicherweise auch Musikunterricht bei Heinrich Ignaz Franz Biber nahm.
Nach seiner Priesterweihe 1678 war er als Gemeindepfarrer eingesetzt. 1687 wurde er Kaplan und Musikpräfekt im Salzburger Benediktinerin- nenstift Nonnberg; auf Bitten der Äbtissin wurde er 1691 in die neu gegründete Expositur Säben im Südtirol entsandt, wo er bis Januar 1705 tätig war. Dann kehrte er in sein Heimatkloster zurück. Doch schon nach einigen Wochen schickte man ihn wieder in den Pfarrdienst – nach Kleinfrauenhaid im Burgenland. Dort starb er 1706.
Viel mehr ist über den Lebensweg von Pater Weichlein nicht bekannt. Letzbor wurde bei Recherchen auf den Komponisten aufmerksam, der nicht nur Kirchenmusik, sondern auch Werke für die Violine geschrieben hat. Für diese Einspielung allerdings stand der Geiger am Dirigentenpult; mit seinem Ensemble Ars Antiqua Austria und den St. Florianer Sängerknaben stellt er auf dieser Doppel-CD vor allem Messen von Romanus Weichlein vor.
Letzbor will damit nicht nur auf ein Repertoire hinweisen, das seit dem Tode des Komponisten kaum noch aufgeführt worden sein dürfte. Er forscht zudem beständig nach, um herauszufinden, wie diese Musik einstmals geklungen haben könnte. Seine wichtigste Erkenntnis, die auch diese Aufnahme entscheidend geprägt hat: „Es verwundert mich seit langer Zeit, dass gerade berühmte Musiker aus der Alten Musik-Szene auf die Stimmen von Chorknaben bei der Aufführung kirchenmusika- lischer Werke vor Beethoven verzichten“, notierte der Musiker im Beiheft.
Noch im 19. Jahrhundert habe es in Österreich erhebliche Widerstände gegen den Einsatz von Sängerinnen in der Kirchenmusik gegeben. Und auch wenn es verlockend erscheint – aber selbst größere Gruppen von Chorsängern lassen sich nicht einsetzen, wenn man den ursprünglichen Klang rekonstruieren möchte.
Denn selbst an bedeutenden Kirchen standen nur kleine Besetzungen zur Verfügung: „Am Passauer Dom sangen beispielsweise lange Zeit nicht mehr als vier Knabensoprane Figuralmusik und noch weniger Knaben- altisten“, hat Letzbor festgestellt. „In kleineren Kirchenmusiken waren zwei bis drei Knaben eingestellt. In der vorliegenden Aufnahme haben wir die Sängerbesetzung also nochmals reduziert. Manche Knaben sangen nur bei Fortestellen im Tutti.“
Die St. Florianer Sängerknaben freilich bewältigen ihre Partien mühelos – der Chor beeindruckt seit Jahren, und selbst die jüngsten Mitwirkenden sind bereits hervorragend ausgebildet. Immer wieder fällt auf, wie viele schöne und gut geschulte Solostimmen aus dem Ensemble, das von Franz Farnberger geleitet wird, jederzeit hervortreten können. Ergänzt werden die jungen Sänger bei dieser Aufnahme durch Männerstimmen aus dem Kepler Konsort Linz bzw. dem Wiener Vokalensemble Nova.
Bei der Missa Rectorum Cordium, sechsstimmig sowie mit Pauken, Trompeten und Posaunen, hat sich Letzbor allerdings nicht allein auf die Knabenstimmen verlassen. Auf CD 1 sind bei den Solopartien neben dem St. Florianer Sängerknaben Martin Wild der Sopranist Radu Marian und Alto Markus Forster zu hören. Insgesamt ist festzustellen, dass diese Auf- nahme Weichleins Werke gekonnt und in all ihrer Klangpracht vorstellt. Rundum erfreulich!
Nach seiner Priesterweihe 1678 war er als Gemeindepfarrer eingesetzt. 1687 wurde er Kaplan und Musikpräfekt im Salzburger Benediktinerin- nenstift Nonnberg; auf Bitten der Äbtissin wurde er 1691 in die neu gegründete Expositur Säben im Südtirol entsandt, wo er bis Januar 1705 tätig war. Dann kehrte er in sein Heimatkloster zurück. Doch schon nach einigen Wochen schickte man ihn wieder in den Pfarrdienst – nach Kleinfrauenhaid im Burgenland. Dort starb er 1706.
Viel mehr ist über den Lebensweg von Pater Weichlein nicht bekannt. Letzbor wurde bei Recherchen auf den Komponisten aufmerksam, der nicht nur Kirchenmusik, sondern auch Werke für die Violine geschrieben hat. Für diese Einspielung allerdings stand der Geiger am Dirigentenpult; mit seinem Ensemble Ars Antiqua Austria und den St. Florianer Sängerknaben stellt er auf dieser Doppel-CD vor allem Messen von Romanus Weichlein vor.
Letzbor will damit nicht nur auf ein Repertoire hinweisen, das seit dem Tode des Komponisten kaum noch aufgeführt worden sein dürfte. Er forscht zudem beständig nach, um herauszufinden, wie diese Musik einstmals geklungen haben könnte. Seine wichtigste Erkenntnis, die auch diese Aufnahme entscheidend geprägt hat: „Es verwundert mich seit langer Zeit, dass gerade berühmte Musiker aus der Alten Musik-Szene auf die Stimmen von Chorknaben bei der Aufführung kirchenmusika- lischer Werke vor Beethoven verzichten“, notierte der Musiker im Beiheft.
Noch im 19. Jahrhundert habe es in Österreich erhebliche Widerstände gegen den Einsatz von Sängerinnen in der Kirchenmusik gegeben. Und auch wenn es verlockend erscheint – aber selbst größere Gruppen von Chorsängern lassen sich nicht einsetzen, wenn man den ursprünglichen Klang rekonstruieren möchte.
Denn selbst an bedeutenden Kirchen standen nur kleine Besetzungen zur Verfügung: „Am Passauer Dom sangen beispielsweise lange Zeit nicht mehr als vier Knabensoprane Figuralmusik und noch weniger Knaben- altisten“, hat Letzbor festgestellt. „In kleineren Kirchenmusiken waren zwei bis drei Knaben eingestellt. In der vorliegenden Aufnahme haben wir die Sängerbesetzung also nochmals reduziert. Manche Knaben sangen nur bei Fortestellen im Tutti.“
Die St. Florianer Sängerknaben freilich bewältigen ihre Partien mühelos – der Chor beeindruckt seit Jahren, und selbst die jüngsten Mitwirkenden sind bereits hervorragend ausgebildet. Immer wieder fällt auf, wie viele schöne und gut geschulte Solostimmen aus dem Ensemble, das von Franz Farnberger geleitet wird, jederzeit hervortreten können. Ergänzt werden die jungen Sänger bei dieser Aufnahme durch Männerstimmen aus dem Kepler Konsort Linz bzw. dem Wiener Vokalensemble Nova.
Bei der Missa Rectorum Cordium, sechsstimmig sowie mit Pauken, Trompeten und Posaunen, hat sich Letzbor allerdings nicht allein auf die Knabenstimmen verlassen. Auf CD 1 sind bei den Solopartien neben dem St. Florianer Sängerknaben Martin Wild der Sopranist Radu Marian und Alto Markus Forster zu hören. Insgesamt ist festzustellen, dass diese Auf- nahme Weichleins Werke gekonnt und in all ihrer Klangpracht vorstellt. Rundum erfreulich!
Montag, 23. April 2018
Bach: Goldberg Variations / Buxtehude La Capricciosa (Capriccio)
Mit den Goldberg-Variationen
BWV 988 von Johann Sebastian Bach beschäftigt sich Christine Schorns- heim schon seit vielen Jahren. „Angefangen hat es bei mir bereits während meines Klavierstudiums, und unvergessen bleiben mir einige Stunden bei Amadeus Webersinke, der mit 1980 in einem Meisterkurs gehörig den Kopf gewaschen hat und mit unnachgiebiger Strenge versuchte, mir meinen bis dahin offensichtlich recht oberflächlichen Blick auf das Werk auszutreiben“, erinnert sich die Cembalistin. „Am Ende dieses Kurses gab es dann noch die freundliche Ermahnung, die Variationen immer und immer wieder zu studieren und den hoffnungsvollen Satz ,später werden Sie diese Variationen sicher gut spielen!'.“
Mittlerweile gibt die Musikerin selbst Meisterklassen; mit Leidenschaft unterrichtet Christine Schornsheim als Professorin für historische Tasteninstrumente Studierende an der Münchner Musikhochschule. Die Goldberg-Variationen hat sie schon vor mehr als 25 Jahren eingespielt. Dass sie sich nun noch einmal von Grund auf mit dem Werk befasste, verdanken wir dem Cembalobauer Christoph Kern. Denn er ermunterte die Musikerin, die Aria mit 30 Veränderungen ein zweites Mal aufzu- nehmen. Er hat auch das Cembalo angefertigt, das hier zu hören ist, nach einem Vorbild, gebaut von Michael Mietke um 1710 in Berlin.
Schornsheim ließ sich auf das Experiment ein. Dafür kombinierte sie die Goldberg-Variationen mit einem anderen, ebenso bedeutenden, allerdings weit weniger populären Variationswerk – der Aria ,La Capricciosa' BuxWV 250 von Dieterich Buxtehude. (Diese Gegenüberstellung lässt noch immer erahnen, warum der junge Bach seinerzeit zu Fuß von Arnstadt nach Lübeck wanderte, um bei dem älteren Kollegen zu lernen.) „Viele Querverbindungen zeigen sich bei näherer Betrachtung beider Werke“, unterstreicht die Cembalistin im Beiheft. „Die rein norddeutsche Orgel- und Cembalotradition durchbricht Buxtehude bei ,La Capricciosa'. Indem er sich einer in Italien beheimateten Bergamasca als Thema bedient. Dieses Thema wiederum finden wir leicht verändert als ;Kraut und Rüben haben mich vertrieben' im Quodlibet der ,Goldbergvaria- tionen' wieder. Dass wir es bei beiden Werken mit 32 Stücken zu tun haben, wird auch kein Zufall sein.“
Zu jedem dieser insgesamt 64 Stücke findet Schornsheim einen indivi- duellen Zugang; die Cembalistin besteht auf differenziertem Gestus und Ausdruck. Außerdem spielt sie virtuos und mit Temperament, was es zu einem großen Vergnügen macht, ihr zuzuhören.
BWV 988 von Johann Sebastian Bach beschäftigt sich Christine Schorns- heim schon seit vielen Jahren. „Angefangen hat es bei mir bereits während meines Klavierstudiums, und unvergessen bleiben mir einige Stunden bei Amadeus Webersinke, der mit 1980 in einem Meisterkurs gehörig den Kopf gewaschen hat und mit unnachgiebiger Strenge versuchte, mir meinen bis dahin offensichtlich recht oberflächlichen Blick auf das Werk auszutreiben“, erinnert sich die Cembalistin. „Am Ende dieses Kurses gab es dann noch die freundliche Ermahnung, die Variationen immer und immer wieder zu studieren und den hoffnungsvollen Satz ,später werden Sie diese Variationen sicher gut spielen!'.“
Mittlerweile gibt die Musikerin selbst Meisterklassen; mit Leidenschaft unterrichtet Christine Schornsheim als Professorin für historische Tasteninstrumente Studierende an der Münchner Musikhochschule. Die Goldberg-Variationen hat sie schon vor mehr als 25 Jahren eingespielt. Dass sie sich nun noch einmal von Grund auf mit dem Werk befasste, verdanken wir dem Cembalobauer Christoph Kern. Denn er ermunterte die Musikerin, die Aria mit 30 Veränderungen ein zweites Mal aufzu- nehmen. Er hat auch das Cembalo angefertigt, das hier zu hören ist, nach einem Vorbild, gebaut von Michael Mietke um 1710 in Berlin.
Schornsheim ließ sich auf das Experiment ein. Dafür kombinierte sie die Goldberg-Variationen mit einem anderen, ebenso bedeutenden, allerdings weit weniger populären Variationswerk – der Aria ,La Capricciosa' BuxWV 250 von Dieterich Buxtehude. (Diese Gegenüberstellung lässt noch immer erahnen, warum der junge Bach seinerzeit zu Fuß von Arnstadt nach Lübeck wanderte, um bei dem älteren Kollegen zu lernen.) „Viele Querverbindungen zeigen sich bei näherer Betrachtung beider Werke“, unterstreicht die Cembalistin im Beiheft. „Die rein norddeutsche Orgel- und Cembalotradition durchbricht Buxtehude bei ,La Capricciosa'. Indem er sich einer in Italien beheimateten Bergamasca als Thema bedient. Dieses Thema wiederum finden wir leicht verändert als ;Kraut und Rüben haben mich vertrieben' im Quodlibet der ,Goldbergvaria- tionen' wieder. Dass wir es bei beiden Werken mit 32 Stücken zu tun haben, wird auch kein Zufall sein.“
Zu jedem dieser insgesamt 64 Stücke findet Schornsheim einen indivi- duellen Zugang; die Cembalistin besteht auf differenziertem Gestus und Ausdruck. Außerdem spielt sie virtuos und mit Temperament, was es zu einem großen Vergnügen macht, ihr zuzuhören.
Emotions (MDG)
Emotions, Gefühle, nannten Alexandra Troussova und Kirill Troussov ihre jüngste CD. Die Geschwister, die sich dem Klavier und der Geige verschrieben haben, offenbaren mit dieser Entscheidung erneut eine Vorliebe für intelligent gestaltete Konzeptalben. Denn schon ihr Debüt bei Dabringhaus und Grimm, mit dem Titel Memories, überraschte mit höchst sachkundiger Musikauswahl – und mit exzellenter musikalischer Qualität.
Das gilt ohne Einschränkungen auch für Emotions. Auf dieser CD haben die beiden Musiker um die Violinsonate von César Franck und die Sonate für Violine und Klavier in G-Dur von Maurice Ravel noch drei kleinere Werke gruppiert, die aber keineswegs unbedeutend sind. Schon die beiden Stücke zu Beginn, Mélancolie und Andantino quietoso op. 6, machen deut- lich, dass der Organist Franck in seiner Kammermusik nicht nur techni- sche Brillanz, sondern in erster Linie auch die Gabe fordert, wunderbare Melodien ansprechend in Szene zu setzen.
Die beiden Musiker bescheren dem Zuhörer so manchen Gänsehaut-Moment. Selbst bei größter dramatischer Intensität gelingt es den Troussovs, transparent und klar strukturiert zu spielen. Die Geschwister musizieren schon seit ihrer Kindheit gemeinsam. Sie haben dabei einen Grad an Vertrautheit erreicht, der ihnen unglaubliche agogische Freiheiten ermöglicht – für die Interpretation romantischer Musik ist das ein großes Plus.
Man höre nur den zweiten Satz von Ravels Sonate, mit dem Titel Blues. Er klingt tatsächlich wie improvisiert. Und die populäre Tzigane wird bei diesem Duo von rasantem Virtuosenfutter zu allerbester, ausdrucks- starker Kammermusik. Vom ersten bis zum letzten Ton überzeugt diese Einspielung mit unerhörtem Farbenreichtum. Da kann man nur staunen – und die hervorragende Aufnahme macht auch das Timbre von Troussovs Brodsky-Stradivari, auf der seinerzeit Tschaikowskis Violinkonzert erstmals gespielt worden ist, und den Klang des legendären Steinway-Konzertflügels „Manfred Bürki“ erlebbar. Rundum erstklassig, unbedingt zu empfehlen!
Das gilt ohne Einschränkungen auch für Emotions. Auf dieser CD haben die beiden Musiker um die Violinsonate von César Franck und die Sonate für Violine und Klavier in G-Dur von Maurice Ravel noch drei kleinere Werke gruppiert, die aber keineswegs unbedeutend sind. Schon die beiden Stücke zu Beginn, Mélancolie und Andantino quietoso op. 6, machen deut- lich, dass der Organist Franck in seiner Kammermusik nicht nur techni- sche Brillanz, sondern in erster Linie auch die Gabe fordert, wunderbare Melodien ansprechend in Szene zu setzen.
Die beiden Musiker bescheren dem Zuhörer so manchen Gänsehaut-Moment. Selbst bei größter dramatischer Intensität gelingt es den Troussovs, transparent und klar strukturiert zu spielen. Die Geschwister musizieren schon seit ihrer Kindheit gemeinsam. Sie haben dabei einen Grad an Vertrautheit erreicht, der ihnen unglaubliche agogische Freiheiten ermöglicht – für die Interpretation romantischer Musik ist das ein großes Plus.
Man höre nur den zweiten Satz von Ravels Sonate, mit dem Titel Blues. Er klingt tatsächlich wie improvisiert. Und die populäre Tzigane wird bei diesem Duo von rasantem Virtuosenfutter zu allerbester, ausdrucks- starker Kammermusik. Vom ersten bis zum letzten Ton überzeugt diese Einspielung mit unerhörtem Farbenreichtum. Da kann man nur staunen – und die hervorragende Aufnahme macht auch das Timbre von Troussovs Brodsky-Stradivari, auf der seinerzeit Tschaikowskis Violinkonzert erstmals gespielt worden ist, und den Klang des legendären Steinway-Konzertflügels „Manfred Bürki“ erlebbar. Rundum erstklassig, unbedingt zu empfehlen!
Mittwoch, 11. April 2018
Esenvalds: The Doors of Heaven (Naxos)
Mitunter erinnert seine Musik an Arvo Pärt, doch als Nachfolger des weltberühmten Komponisten sehe ich Ēriks Ešenvalds nicht. Die Chorwerke, die auf dieser CD erklingen, verweisen auf eine ganz eigene Klangwelt. Sie lebt weniger aus der Repetition und der Stille und Reduktion als vielmehr aus Klang- flächen und überraschenden harmonischen Effekten. Es ist aber richtig, dass der 1977 geborene Ešenvalds ebenso wie Pärt aus dem Baltikum stammt, jener musikali- schen Wunderkammer Europas, aus der leider viel zu selten Kunde zu uns dringt.
Vor allem als Komponist von Chormusik hat Ešenvalds international hohes Ansehen errungen. Einige seiner Werke werden hier vom Portland State Chamber Choir unter Leitung von Ethan Sperry gesungen, einem der besten jungen Chöre der USA, vielfach preisgekrönt und ausgezeichnet.
Vor allem als Komponist von Chormusik hat Ešenvalds international hohes Ansehen errungen. Einige seiner Werke werden hier vom Portland State Chamber Choir unter Leitung von Ethan Sperry gesungen, einem der besten jungen Chöre der USA, vielfach preisgekrönt und ausgezeichnet.
Ludwig Güttler - Edition Europa (Berlin Classics)
In Vorbereitung auf den 75. Ge- burtstag, den Ludwig Güttler im Juni feiert, hat Berlin Classics nun eine Vier-CD-Box veröffentlicht. Sie fasst noch einmal Werke zusammen, die dem berühmten Trompeter besonders wichtig sind. Das liegt nicht allein an ihrer musikalischen Qualität. Ebenso bedeutsam findet Güttler einen ganz anderen Aspekt der Musik: Sie führt Europa zusammen – und das schon seit Jahrhunderten.
Unbeeindruckt von politischen Ent- wicklungen, reisten Musiker durch die Lande. Sie lernten voneinander, sie korrespondierten miteinander, und sie tauschten ihre Werke aus. So spielte das Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart unter anderem in Italien, in Paris und in London. „Reisen bereichern Persönlichkeit und Personalstil und wirken so auf die Arbeit des Komponisten an jedem Ort weiter“, unterstreicht Ludwig Güttler. Doch ein Musiker musste nicht unbedingt den mühsamen Weg über die Alpen antreten, um von seinen italienischen Kollegen zu lernen.
Als Beispiel führt Güttler Johann Sebastian Bach an, der sich bekanntlich längere Zeit in Norddeutschland aufhielt – aber Vivaldis Konzerte mit Hilfe von Partituren erkundete, die sein Weimarer Dienstherr aus Italien mitgebracht hatte. Auch Georg Philipp Telemann war mit der italienischen Musik bestens vertraut, ohne jemals in Italien gewesen zu sein. Seine weiteste Reise führte nach Paris; seine erste Anstellung hatte er in Polen. All diese Eindrücke und Einflüsse spiegeln sich in seinen Werken.
Gefördert wurde dieser Austausch durch den Adel Europas. In dem Bestreben, dem jeweiligen Hof Glanz zu verleihen und damit das eigene Renommée zu stärken, wetteiferten die Herrscher darum, die besten Musiker zu engagieren. Talente aus dem eigenen Land schickten sie zur Ausbildung bei berühmten Kollegen. So kam der Dresdner Geiger Johann Georg Pisendel zu Antonio Vivaldi nach Venedig, und der Kontrabassist Jan Dismas Zelenka nach Wien, wo er Kontrapunkt und Komposition bei Johann Joseph Fux studierte.
Musikalisch war Europa schon früh vereint – diese Botschaft vermittelt der Trompeter Ludwig Güttler mit einer Auswahl an Einspielungen, die viele Facetten des kulturellen Austausches hörbar werden lässt. Dabei reicht diese Edition von Bach und dessen Zeitgenossen Vivaldi, Telemann, Pisendel, Zelenka, Neruda und Hasse über Haydn und Mozart bis hin zu Antonín Dvořák, der freilich bis nach Amerika reiste. Aber das ist eigentlich schon wieder ein anderes Kapitel europäischer Geschichte.
Unbeeindruckt von politischen Ent- wicklungen, reisten Musiker durch die Lande. Sie lernten voneinander, sie korrespondierten miteinander, und sie tauschten ihre Werke aus. So spielte das Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart unter anderem in Italien, in Paris und in London. „Reisen bereichern Persönlichkeit und Personalstil und wirken so auf die Arbeit des Komponisten an jedem Ort weiter“, unterstreicht Ludwig Güttler. Doch ein Musiker musste nicht unbedingt den mühsamen Weg über die Alpen antreten, um von seinen italienischen Kollegen zu lernen.
Als Beispiel führt Güttler Johann Sebastian Bach an, der sich bekanntlich längere Zeit in Norddeutschland aufhielt – aber Vivaldis Konzerte mit Hilfe von Partituren erkundete, die sein Weimarer Dienstherr aus Italien mitgebracht hatte. Auch Georg Philipp Telemann war mit der italienischen Musik bestens vertraut, ohne jemals in Italien gewesen zu sein. Seine weiteste Reise führte nach Paris; seine erste Anstellung hatte er in Polen. All diese Eindrücke und Einflüsse spiegeln sich in seinen Werken.
Gefördert wurde dieser Austausch durch den Adel Europas. In dem Bestreben, dem jeweiligen Hof Glanz zu verleihen und damit das eigene Renommée zu stärken, wetteiferten die Herrscher darum, die besten Musiker zu engagieren. Talente aus dem eigenen Land schickten sie zur Ausbildung bei berühmten Kollegen. So kam der Dresdner Geiger Johann Georg Pisendel zu Antonio Vivaldi nach Venedig, und der Kontrabassist Jan Dismas Zelenka nach Wien, wo er Kontrapunkt und Komposition bei Johann Joseph Fux studierte.
Musikalisch war Europa schon früh vereint – diese Botschaft vermittelt der Trompeter Ludwig Güttler mit einer Auswahl an Einspielungen, die viele Facetten des kulturellen Austausches hörbar werden lässt. Dabei reicht diese Edition von Bach und dessen Zeitgenossen Vivaldi, Telemann, Pisendel, Zelenka, Neruda und Hasse über Haydn und Mozart bis hin zu Antonín Dvořák, der freilich bis nach Amerika reiste. Aber das ist eigentlich schon wieder ein anderes Kapitel europäischer Geschichte.
Dienstag, 10. April 2018
Zaderatsky: Piano Works (Hänssler Classic)
Wselowod Petrowitsch Saderatski (1891 bis 1953) gehört zu jenen Komponisten, die Verfolgung und Not durchlitten und dennoch großartige Musik geschrieben haben. Dass er Bürgerkrieg und Stalinzeit überlebt hat, das ist schon an sich ein Wunder.
Denn Saderatski stammte aus einer russischen Adelsfamilie. Während seines Studiums am Moskauer Konservatorium war Saderatski der Klavierlehrer des Zarensohns und Thronfolgers Alexej Romanow. Und im Bürgerkrieg kämpfte er unter General Denikin als Offizier der Weißen gegen die Rote Armee. Nach der Gefangennahme rettete Saderatski sein Klavierspiel das Leben - Felix Dsershinski, der Leiter der kommunistischen Geheimpolizei, hörte ihm zu, und schickte ihn dann in die Verbannung.
Der Lebensweg des Komponisten, ausführlicher nachzulesen in diesem Blog an anderer Stelle, war geprägt von Verfolgung, Haft und Schikane. Selbst wenn er ab 1949 am Konservatorium in Lemberg unterrichten konnte, durfte seine Musik weder im Druck veröffentlicht noch aufgeführt werden. Das Beiheft zu dieser CD-Box ist voll von erschütternden Anekdoten aus jenen Jahren des Grauens.
Jascha Nemtsov, selbst Sohn eines Gulag-Überlebenden, engagiert sich seit Jahren für die Wiederentdeckung der Musik von Saderatski. Nicht wenige Werke des Komponisten sind leider verloren. In dieser Box stellt Nemtsov auf fünf CD nun die Klaviermusik vor, soweit sie überliefert ist. Enthalten sind, neben den 24 Präludien und Fugen, die Nemtsov bereits separat veröffentlicht hatte, die Zyklen Die Heimat, Die Front und Legenden aus den 40er Jahren, drei Klaviersonaten, 24 Präludien aus dem Jahre 1934, sowie Das Album der Miniaturen, Porzellantassen und Mikroben der Lyrik, entstanden 1929/30.
Denn Saderatski stammte aus einer russischen Adelsfamilie. Während seines Studiums am Moskauer Konservatorium war Saderatski der Klavierlehrer des Zarensohns und Thronfolgers Alexej Romanow. Und im Bürgerkrieg kämpfte er unter General Denikin als Offizier der Weißen gegen die Rote Armee. Nach der Gefangennahme rettete Saderatski sein Klavierspiel das Leben - Felix Dsershinski, der Leiter der kommunistischen Geheimpolizei, hörte ihm zu, und schickte ihn dann in die Verbannung.
Der Lebensweg des Komponisten, ausführlicher nachzulesen in diesem Blog an anderer Stelle, war geprägt von Verfolgung, Haft und Schikane. Selbst wenn er ab 1949 am Konservatorium in Lemberg unterrichten konnte, durfte seine Musik weder im Druck veröffentlicht noch aufgeführt werden. Das Beiheft zu dieser CD-Box ist voll von erschütternden Anekdoten aus jenen Jahren des Grauens.
Jascha Nemtsov, selbst Sohn eines Gulag-Überlebenden, engagiert sich seit Jahren für die Wiederentdeckung der Musik von Saderatski. Nicht wenige Werke des Komponisten sind leider verloren. In dieser Box stellt Nemtsov auf fünf CD nun die Klaviermusik vor, soweit sie überliefert ist. Enthalten sind, neben den 24 Präludien und Fugen, die Nemtsov bereits separat veröffentlicht hatte, die Zyklen Die Heimat, Die Front und Legenden aus den 40er Jahren, drei Klaviersonaten, 24 Präludien aus dem Jahre 1934, sowie Das Album der Miniaturen, Porzellantassen und Mikroben der Lyrik, entstanden 1929/30.
Rediscovered Treasures from Dresden (Deutsche Harmonia Mundi)
Der Geiger Robin Peter Müller hat sich mit dem La Folia Barock- orchester an ein außergewöhnliches Projekt gewagt: Die Musiker haben eine komplette CD mit Konzerten veröffentlicht, deren Komponisten unbekannt sind. Chapeau! Denn dieses Album ist wirklich sehr interessant und hörenswert. Die ausgewählte Musik hat durchaus Qualität, auch wenn der Komponist anonym bleibt.
Was? Man weiß nicht, wer diese Musik komponiert hat?? Aber wie soll man sie dann würdigen – gilt doch seit der Romantik der Künstler als zwar begnadete, aber zumeist auch tragische Figur. Denn der faire Ausgleich für überdurchschnittliche Begabung ist beständiges Leiden. Wer daran zweifelt, der lese nur, was die Zeitung mit den vier Buchstaben tagtäglich über Stars und Sternchen berichtet.
Das Genie, so das romantische Konzept, ringt seine Werke seiner Seele und auch seiner Biograpie ab, und bei einem großen Künstler wird daher traditionell auch irgend ein großes Defizit vermutet. So entstehen Legenden; man denke nur an die Geschichte vom ewig notleidenden Mozart, der zum Schluss an unbekannter Stelle in einem Armengrab verscharrt worden sei.
Dass Musiker noch im Barock mitunter ziemlich umfangreich aus Werken von Kollegen zitierten, oder bestimmte Stücke immer wieder neu verwendeten – man denke beispielsweise an Händels Arien oder an Bachs Kantaten – passt aber nicht so recht in dieses Konzept vom Originalgenie. Auch Anonymität verstört, denn in diesem Falle fehlt die enge Verknüp- fung von Urheber und Werk.
Bei der Erschließung von Archivbeständen sind Werke, die sich nicht einem Komponisten zuordnen lassen, daher ein wenig benachteiligt. Das gilt auch für die Notenbibliothek, die einst in dem berühmten „Schranck No:2“ gefunden wurde und sich heute in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden befindet. Sie stammt zum großen Teil aus dem Nachlass des Konzertmeisters Johann Georg Pisendel (1687 bis 1755), und enthält eine gewaltige Anzahl von Notenhand- schriften.
In den Fächern 1 bis 28 befanden sich Werke von Adam bis Zipoli, sorg- sam alphabetisch geordnet. Es folgen drei Fächer mit Sammelhandschrif- ten, ein Fach, dessen Inhalt leider verloren gegangen ist, und dann, in den Fächern 33 bis 40, folgen die Anonyma. Einiges davon konnte die Musikwissenschaft mittlerweile Komponisten zuordnen. Doch es warten noch immer genug Rätsel in diesem Notenbestand – und wer sich damit befassen will, der muss heute auch nicht mehr nach Dresden reisen, über dicken Findbüchern grübeln, und dann darauf warten, im Lesesaal in den Originalen blättern zu dürfen, unter dem wachen Blick des Aufsichts- personals. Heute sind all diese Handschriften im Internet zugänglich, jederzeit und für jedermann.
Ein wenig wundert man sich da schon, dass nicht mehr Musiker daran gehen, diese Schätze zu heben. Dass sich die Mühe lohnt, zeigt diese CD, die übrigens durchweg Weltersteinspielungen enthält. Bei der Auswahl habe man „zwei Tage lang sämtliche Concerti aus den Handschriften mit dem ganzen Ensemble“ einfach durchgespielt, berichtet Müller. Für fünf Konzerte haben sich die Musiker dann entschieden.
Das La Folia Barockorchester musiziert mit Präzision und Temperament. Mein persönlicher Favorit ist das Concerto à 5 obligati in F-Dur. Es ist sehr wahrscheinlich zur Zeit August des Starken entstanden. Konzertmeister war damals der Flame Jean Baptiste Woulmyer. Der Amtsvorgänger Pisendels orientierte sich am französischen Vorbild – nachfolgende Generationen schauten eher nach Italien.
Was? Man weiß nicht, wer diese Musik komponiert hat?? Aber wie soll man sie dann würdigen – gilt doch seit der Romantik der Künstler als zwar begnadete, aber zumeist auch tragische Figur. Denn der faire Ausgleich für überdurchschnittliche Begabung ist beständiges Leiden. Wer daran zweifelt, der lese nur, was die Zeitung mit den vier Buchstaben tagtäglich über Stars und Sternchen berichtet.
Das Genie, so das romantische Konzept, ringt seine Werke seiner Seele und auch seiner Biograpie ab, und bei einem großen Künstler wird daher traditionell auch irgend ein großes Defizit vermutet. So entstehen Legenden; man denke nur an die Geschichte vom ewig notleidenden Mozart, der zum Schluss an unbekannter Stelle in einem Armengrab verscharrt worden sei.
Dass Musiker noch im Barock mitunter ziemlich umfangreich aus Werken von Kollegen zitierten, oder bestimmte Stücke immer wieder neu verwendeten – man denke beispielsweise an Händels Arien oder an Bachs Kantaten – passt aber nicht so recht in dieses Konzept vom Originalgenie. Auch Anonymität verstört, denn in diesem Falle fehlt die enge Verknüp- fung von Urheber und Werk.
Bei der Erschließung von Archivbeständen sind Werke, die sich nicht einem Komponisten zuordnen lassen, daher ein wenig benachteiligt. Das gilt auch für die Notenbibliothek, die einst in dem berühmten „Schranck No:2“ gefunden wurde und sich heute in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden befindet. Sie stammt zum großen Teil aus dem Nachlass des Konzertmeisters Johann Georg Pisendel (1687 bis 1755), und enthält eine gewaltige Anzahl von Notenhand- schriften.
In den Fächern 1 bis 28 befanden sich Werke von Adam bis Zipoli, sorg- sam alphabetisch geordnet. Es folgen drei Fächer mit Sammelhandschrif- ten, ein Fach, dessen Inhalt leider verloren gegangen ist, und dann, in den Fächern 33 bis 40, folgen die Anonyma. Einiges davon konnte die Musikwissenschaft mittlerweile Komponisten zuordnen. Doch es warten noch immer genug Rätsel in diesem Notenbestand – und wer sich damit befassen will, der muss heute auch nicht mehr nach Dresden reisen, über dicken Findbüchern grübeln, und dann darauf warten, im Lesesaal in den Originalen blättern zu dürfen, unter dem wachen Blick des Aufsichts- personals. Heute sind all diese Handschriften im Internet zugänglich, jederzeit und für jedermann.
Ein wenig wundert man sich da schon, dass nicht mehr Musiker daran gehen, diese Schätze zu heben. Dass sich die Mühe lohnt, zeigt diese CD, die übrigens durchweg Weltersteinspielungen enthält. Bei der Auswahl habe man „zwei Tage lang sämtliche Concerti aus den Handschriften mit dem ganzen Ensemble“ einfach durchgespielt, berichtet Müller. Für fünf Konzerte haben sich die Musiker dann entschieden.
Das La Folia Barockorchester musiziert mit Präzision und Temperament. Mein persönlicher Favorit ist das Concerto à 5 obligati in F-Dur. Es ist sehr wahrscheinlich zur Zeit August des Starken entstanden. Konzertmeister war damals der Flame Jean Baptiste Woulmyer. Der Amtsvorgänger Pisendels orientierte sich am französischen Vorbild – nachfolgende Generationen schauten eher nach Italien.
Donnerstag, 5. April 2018
Karg-Elert: Music for Piano and Organ (Toccata Classics)
Beinahe ebenso beliebt wie das Klavier war zur Zeit der Romantik das Harmonium. Und weil es interessante Klangfarben mitbrachte, durfte es nicht nur in so manchem gutbürgerlichen Haushalt Einzug ins Musikzimmer halten. Auch erstaun- lich viele Komponisten schrieben Werke dafür.
Annikka Konttori-Gustafsson, Piano, und der Organist Jan Lehtola präsentieren auf dieser CD einige Beispiele dafür – und zwar, bis auf das Andante cantabile von Jean Sibelius (1865 bis 1957), durchweg in Weltersteinspielungen. Zu hören sind Sibelius' Schauspielmusik zu Pelléas und Mélisande, bearbeitet für Harmonium und Klavier von Sigfrid Karg-Elert (1877 bis 1933), sowie zwei Zyklen Karg-Elerts für diese Besetzung, Poesien op. 35 und Silhouetten op. 29.
Musikalisch sind diese Werke ziemlich reizvoll. Allerdings wird der Hörgenuss dadurch etwas getrübt, dass in Finnland, wo die Aufnahmen entstanden sind, kein Kunstharmonium aufzutreiben war. Und deshalb spielt Jan Lehtola auf der Orgel der Sovitutsenkirkko in Hollola. Das moderne Instrument, errichtet von Veikko Virtanen Oy, verfügt über 26 Register auf zwei Manualen und Pedal. Es klingt aber nicht wirklich wie ein Harmonium (das zudem deutlich weniger Register aufbieten könnte). Insofern ist dies tatsächlich eine Orgel-CD, auch wenn Jan Lehtola ziemlich zurückhaltend registriert.
Annikka Konttori-Gustafsson, Piano, und der Organist Jan Lehtola präsentieren auf dieser CD einige Beispiele dafür – und zwar, bis auf das Andante cantabile von Jean Sibelius (1865 bis 1957), durchweg in Weltersteinspielungen. Zu hören sind Sibelius' Schauspielmusik zu Pelléas und Mélisande, bearbeitet für Harmonium und Klavier von Sigfrid Karg-Elert (1877 bis 1933), sowie zwei Zyklen Karg-Elerts für diese Besetzung, Poesien op. 35 und Silhouetten op. 29.
Musikalisch sind diese Werke ziemlich reizvoll. Allerdings wird der Hörgenuss dadurch etwas getrübt, dass in Finnland, wo die Aufnahmen entstanden sind, kein Kunstharmonium aufzutreiben war. Und deshalb spielt Jan Lehtola auf der Orgel der Sovitutsenkirkko in Hollola. Das moderne Instrument, errichtet von Veikko Virtanen Oy, verfügt über 26 Register auf zwei Manualen und Pedal. Es klingt aber nicht wirklich wie ein Harmonium (das zudem deutlich weniger Register aufbieten könnte). Insofern ist dies tatsächlich eine Orgel-CD, auch wenn Jan Lehtola ziemlich zurückhaltend registriert.
Dienstag, 3. April 2018
Graupner: Lass mein Herz (Accent)
Schier unerschöpflich scheint der Schatz an Kantaten zu sein, den Christoph Graupner (1683 bis 1760) für Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt und dessen Nachfolger geschaffen hat.
Die Werke, die der Hofkapellmeister komponierte, sind heute nahezu vollständig in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek zu finden, wo nicht zuletzt unter den mehr als 1.400 Kantaten noch so manches Juwel seiner Wieder- entdeckung harrt. Drei davon, aus Graupners frühen Jahren in Darmstadt, stellt Dorothee Mields mit dem Ensemble Harmonie Universelle auf dieser CD vor.
Im Jahre 1711 entstanden die Kantaten Ach Gott, wie manches Herzeleid zum ersten Sonntag nach Trinitatis und Reiner Geist, lass doch mein Herz zum Pfingstsonntag. Für den dritten Sonntag nach Trinitatis bestimmt war die Kantate Verleih, dass ich aus Herzensgrund aus dem Jahre 1716.
Die Texte schrieb Hofbibliothekar Georg Christian Lehm. Er hatte, wie Graupner, in Leipzig studiert und nebenher Libretti für die Leipziger Oper geschrieben. Leider starb er bereits 1717. Graupners Musik deutet die Texte gekonnt aus – allerdings hat er für die (Berufs-)Sängerinnen, die diese Monologe einst vorgetragen haben, nicht nur eindringliche, sondern vor allem auch ziemlich virtuose Stücke geschaffen.
Dorothee Mields erweist sich als ideale Interpretin für Graupners Kantaten. In den Chorälen gestaltet sie mühelos weite Melodiebögen, und auch die anspruchsvollen Koloraturen, die so manche Arie fordert, gelingen ihr problemlos. Ihre Technik ist makellos; allerdings geht es der Sopranistin nicht vordergründig darum, mit Kehlfertigkeit zu glänzen. In ihrer Interpretation steht stets der Text im Mittelpunkt, und der Zuhörer darf sich freuen, denn man versteht tatsächlich auch jedes Wort.
Das Ensemble Harmonie Universelle, geleitet von seinen Konzertmeistern Florian Deuter und Mónica Waisman, ergänzt die Kantaten noch durch die Ouvertüren Suite GWV 442, in der besonders die beiden Oboen da caccia einen herausragenden Part spielen, und durch das Concerto g-Moll GWV 334, wo zwei Violinen solistisch agieren. Es sind beides bedeutende Werke, und sie werden meisterhaft gespielt. Unbedingt anhören, diese CD lohnt sich!
Die Werke, die der Hofkapellmeister komponierte, sind heute nahezu vollständig in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek zu finden, wo nicht zuletzt unter den mehr als 1.400 Kantaten noch so manches Juwel seiner Wieder- entdeckung harrt. Drei davon, aus Graupners frühen Jahren in Darmstadt, stellt Dorothee Mields mit dem Ensemble Harmonie Universelle auf dieser CD vor.
Im Jahre 1711 entstanden die Kantaten Ach Gott, wie manches Herzeleid zum ersten Sonntag nach Trinitatis und Reiner Geist, lass doch mein Herz zum Pfingstsonntag. Für den dritten Sonntag nach Trinitatis bestimmt war die Kantate Verleih, dass ich aus Herzensgrund aus dem Jahre 1716.
Die Texte schrieb Hofbibliothekar Georg Christian Lehm. Er hatte, wie Graupner, in Leipzig studiert und nebenher Libretti für die Leipziger Oper geschrieben. Leider starb er bereits 1717. Graupners Musik deutet die Texte gekonnt aus – allerdings hat er für die (Berufs-)Sängerinnen, die diese Monologe einst vorgetragen haben, nicht nur eindringliche, sondern vor allem auch ziemlich virtuose Stücke geschaffen.
Dorothee Mields erweist sich als ideale Interpretin für Graupners Kantaten. In den Chorälen gestaltet sie mühelos weite Melodiebögen, und auch die anspruchsvollen Koloraturen, die so manche Arie fordert, gelingen ihr problemlos. Ihre Technik ist makellos; allerdings geht es der Sopranistin nicht vordergründig darum, mit Kehlfertigkeit zu glänzen. In ihrer Interpretation steht stets der Text im Mittelpunkt, und der Zuhörer darf sich freuen, denn man versteht tatsächlich auch jedes Wort.
Das Ensemble Harmonie Universelle, geleitet von seinen Konzertmeistern Florian Deuter und Mónica Waisman, ergänzt die Kantaten noch durch die Ouvertüren Suite GWV 442, in der besonders die beiden Oboen da caccia einen herausragenden Part spielen, und durch das Concerto g-Moll GWV 334, wo zwei Violinen solistisch agieren. Es sind beides bedeutende Werke, und sie werden meisterhaft gespielt. Unbedingt anhören, diese CD lohnt sich!
Sonntag, 1. April 2018
Haydn: The Seven Last Words of our Saviour on the Cross (Capriccio)
Noch ein Nachtrag zur Passionszeit: Einspielungen von Joseph Haydns Passionsmusik Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz gibt es in großer Zahl – aber eine der schönsten und zugleich eine der unbestrittenen Referenzen ist im vergangenen Jahr bei Capriccio digital remastered wieder erschienen. Entstanden ist sie 1992 als Live-Mitschnitt eines Konzertes mit den Camerata Salzburg – das Ensemble hieß damals noch Camerata Acade- mica des Mozarteums Salzburg – unter Leitung von Sándor Végh.
Der ungarische Violinist, ein Schüler von Jenö Hubay, kam 1972 als Professor für Geige an das Mozarteum. Er musizierte mehrfach mit den Camerata, und 1978 wurde er zum künstlerischen Leiter des Ensembles gewählt, dem er dann bis zu seinem Tode 1997 vorstand. Végh war ein Musiker von Format. Das zeigt sich auch in dieser Aufnahme, mit ihrer ganz erstaunlichen Eindringlichkeit und Intimität. Welche Klarheit der Strukturen! Man meint mitunter, ein Streichquartett zu hören, doch in diesem Falle musiziert tatsächlich ein Kammerorchester. Auch wenn man dieses Werk heute wahrscheinlich ganz anders spielen würde, lohnt es sich unbedingt, diese Aufnahme anzuhören. Faszinierend!
Der ungarische Violinist, ein Schüler von Jenö Hubay, kam 1972 als Professor für Geige an das Mozarteum. Er musizierte mehrfach mit den Camerata, und 1978 wurde er zum künstlerischen Leiter des Ensembles gewählt, dem er dann bis zu seinem Tode 1997 vorstand. Végh war ein Musiker von Format. Das zeigt sich auch in dieser Aufnahme, mit ihrer ganz erstaunlichen Eindringlichkeit und Intimität. Welche Klarheit der Strukturen! Man meint mitunter, ein Streichquartett zu hören, doch in diesem Falle musiziert tatsächlich ein Kammerorchester. Auch wenn man dieses Werk heute wahrscheinlich ganz anders spielen würde, lohnt es sich unbedingt, diese Aufnahme anzuhören. Faszinierend!
Duo Gurfinkel Concertante (Avi-Music)
Gute Laune haben mir die Zwillings- brüder Daniel und Alexander Gurfinkel mit ihrer Debüt-CD beschert. Sie sind Klarinettisten in der dritten Generation; schon ihr Großvater Arkadi Gurfinkel war ein Klarinettenvirtuose, und ihr Vater Michael Gurfinkel musiziert als Solo-Klarinettist im Israel Symphony Orchestra und an der Israeli Opera.
Auf dieser CD präsentieren Daniel und Alexander Gurfinkel Virtuosenmusik für Klarinettenduo und Sinfonieorchester; begleitet werden sie vom Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus unter Leitung seines experimentier- freudigen GMD Evan Alexis Christ. Zu hören sind Introduction et Rondo capricciosa a-Moll op. 28 von Camille Saint-Saëns, das Duo Concertant op. 33 von Carl Baermann, das Divertimento Il Convegno op. 76 von Amilcare Ponchielli, die Carmen-Fantasie von Georges Bizet, eine Suite aus Romeo und Julia von Sergej Prokofjew, und eine Fantasie über das Thema aus Rhapsodie in Blue von George Gershwin, durchweg in ansprechenden Arrangements. Etliche davon hat Eugene Levitas geschrieben.
Den beiden Solisten geben diese Bearbeitungen Gelegenheit, sowohl Brillanz als auch Musikalität zu beweisen. Ihr Zusammenspiel ist exquisit, und Sinn für Humor haben sie offensichtlich auch. So ist diese CD vom ersten bis zum letzten Ton ein Genuss – mir hat diese Einspielung großes Vergnügen bereitet.
Auf dieser CD präsentieren Daniel und Alexander Gurfinkel Virtuosenmusik für Klarinettenduo und Sinfonieorchester; begleitet werden sie vom Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus unter Leitung seines experimentier- freudigen GMD Evan Alexis Christ. Zu hören sind Introduction et Rondo capricciosa a-Moll op. 28 von Camille Saint-Saëns, das Duo Concertant op. 33 von Carl Baermann, das Divertimento Il Convegno op. 76 von Amilcare Ponchielli, die Carmen-Fantasie von Georges Bizet, eine Suite aus Romeo und Julia von Sergej Prokofjew, und eine Fantasie über das Thema aus Rhapsodie in Blue von George Gershwin, durchweg in ansprechenden Arrangements. Etliche davon hat Eugene Levitas geschrieben.
Den beiden Solisten geben diese Bearbeitungen Gelegenheit, sowohl Brillanz als auch Musikalität zu beweisen. Ihr Zusammenspiel ist exquisit, und Sinn für Humor haben sie offensichtlich auch. So ist diese CD vom ersten bis zum letzten Ton ein Genuss – mir hat diese Einspielung großes Vergnügen bereitet.
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