Freitag, 31. Januar 2020

The Young Beethoven (MDG)

 „Je ne peux pas me resoudre de travailler pour la flute, cet instrument étant trop borné et imparfait”, so schrieb Ludwig van Beethoven 1806 an den Edinburgher Verleger George Thomson, der ihn um leichte Stücke für das Instrument gebeten hatte. Dennoch brachte er in den Jahren 1818/19 einige Volksliedvariationen zu Papier, denn Kunst geht nach Brot – und Geld gab es dafür. In Beethovens Werk spielt die Flöte ansonsten kaum eine Rolle. Selbst in seiner Orchestermusik tritt sie kaum einmal wirklich solistisch in Erscheinung; typischerweise musiziert sie zusammen mit anderen Holzbläsern, oder aber sie wird zur Oktavierung der 1. Violine eingesetzt. 
Das hatte seinen Grund darin, dass die Traversflöte, seit Quantz‘ Tagen unverändert geblieben, für die modernen Orchester und Konzertsäle jener Zeit, die immer größer wurden, zu leise war und darüber hinaus klanglich unausgewogen. Erst nach der Weiterentwicklung des Instrumentes durch Theobald Böhm (1794 bis 1881), der diese Mängel beseitigte, wurde die Querflöte auch wieder ein attraktives Konzertinstrument. 
Doch zu Lebzeiten Ludwig van Beethovens (1770 bis 1827) wurde es in erster Linie von Liebhabern gespielt – auch einige seiner Freunde schätzten die Flöte. Und so komponierte Beethoven, vor seinem Abschied aus Bonn 1792, für den Notar Johann Martin Degenhart ein ebenso heiteres wie virtuoses Flötenduo
Helen Dabringhaus spielt dieses Werk gemeinsam mit ihrem einstigen Lehrer Vukan Milin, Soloflötist des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover. Und auch sonst fand sich in Beethovens Schaffen doch noch einiges an Flötenmusik, was durchaus Qualität hat, wie man beim Anhören dieser CD feststellen wird. Neben zwei Sonaten, die für eine Aufführung mit der Flöte von unbekannter Hand mehr oder minder stark bearbeitet wurden, erklingt insbesondere eine Serenade in D-Dur für Flöte, Viola und Violine, 1802 in Wien erschienen und im Jahr darauf in einer Bearbeitung für Flöte und Klavier noch einmal publiziert. Dieses gelungene Arrangement hat Beethoven zwar nicht selbst erstellt, aber doch „durchgesehen und stellenweise ganz verbessert“, wie er dann an den Verleger schrieb. So fand es dann als op. 42 auch Aufnahme ins Werkverzeichnis. 
Die Zugabe erklingt kurioserweise im Programm an zweiter Stelle; eher als ein Echo aus romantischer Zeit erscheint der einzelne langsame Satz aus Beethovens erstem Klavierkonzert in C-Dur op. 15, den Theobald Boehm einst effektvoll für Flöte und Klavier arrangiert hat.
Dabei musiziert Helen Dabringhaus im Duo FlautoPiano mit Fil Liotis. Die junge Flötistin spielt faszinierend; ihr Flötenton ist wunderbar rund, sehr präsent und wandlungsfähig. jede Phrasierung ist klug gewählt, und jede noch so feine Nuance mit Bedacht platziert. Auch ihr Klavierbegleiter ist exzellent – insgesamt erscheint diese CD, mit Blick auf den jungen Beethoven, als ein ebenso gelungener wie überraschender Auftakt zum Beethovenjahr 2020. Bravi! 

1st Chopin Festival Hamburg 2018 (Naxos)

Klängen aus der Vergangenheit zu lauschen, und sie mit dem Sound moderner Instrumente zu vergleichen – dazu lädt das Chopin Festival Hamburg ein. Es wird von der Chopin-Gesellschaft Hamburg & Sachsenwald e.V. veranstaltet, und bietet neben erstklassigen Konzerten für das interessierte Publikum auch Meisterkurse für angehende Pianisten. 
Es ist das erste und einzige Festival, das die Klangwelten moderner und historischer Flügel in den Wettbewerb schickt – und die Jury sind die Zuhörer. Auf dieser CD wurden Höhepunkte aus dem ersten Festivaljahrgang 2018 zusammengefasst . Zu hören sind Werke von Chopin, Debussy, Dussek, Gutmann, Liszt und Schubert, gespielt von Elisabeth Brauß, Tobias Koch, Alexei Lubimov, Ewa Pobłocka, François-Xavier Poizat und Hubert Rutkowski. 
„Einzigartig an diesem Klassik-Festival ist, dass sie Werke auf original historischen Intrumenten spielen und dazu im Vergleich – und in derselben Vorstellung – auch auf einem Flügel der Gegenwart“, erklärt Rutkowski, der dieses musikalische Ereignis als Festival-Intendant mit konzipiert hat. 
Die Möglichkeit dazu bietet die Sammlung Musikinstrumente im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg mit ihren Beständen, so dass die Auswahl an Instrumenten von jenen der Meister des 19. Jahrhunderts, wie Broadwood, Pleyel, Brodmann oder historischem Steinway, bis hin zu modernen Flügeln von Shigeru Kawai und Steingraeber reicht. Ein hochspannendes Unterfangen, dokumentiert auf einer CD, die zum Ausflug in ein längst verklungenes Klavier-Universum einlädt. 

Buxtehude:Ciaccona: Il Mondo che Gira (Alpha)

Eine beliebte Kompositionsmethode in der Barockzeit war es, ein Stück auf einem kurzen Thema im Bass aufzubauen, das beständig wiederholt wurde. Dieser gleichbleibende Ostinato-Bass gab den Musikern die Möglichkeit, Oberstimmen mit umso größerer Freiheit zu gestalten. Auch Dieterich Buxtehude (um 1637 bis 1707) schätzte diese musikalische Technik, wie diese Einspielung beweist. Das Ensemble Stylus Phantasticus hat dafür nicht nur im Orgelwerk, sondern auch in etlichen anderen Kompositionen des norddeutschen Meisters Beispiele gefunden und zu einem attraktiven Programm zusammengestellt. 
Dieser Aufnahme zu lauschen, ist rundum ein Genuss. Neben Sonaten erklingen insbesondere die Passacaglia BuxWV 161 und die Ciaccona BuxWV 160 – und zwar in Arrangements für zwei Violinen, Viola da gamba und Basso continuo. Glanzpunkte setzen die Sopranistin María Cristina Kiehr mit der Solokantate Herr, wenn ich nur dich hab‘ BuxWV 38 sowie Víctor Torres mit Quemadmodum desiderat cervus BuxWV 92, einer Ciaccona für Bariton, zwei Violinen und Basso continuo. 
Das Ensemble präsentiert zudem eine Sonate von Dietrich Becker (um 1623 bis 1679), einem Zeitgenossen Buxtehudes, einem renommierten Violinisten, der zuletzt als Leiter der Ratsmusik und als Musikdirektor am Dom in Hamburg wirkte. Obwohl von ihm erstaunlich viele Werke überliefert sind, steht seine Wiederentdeckung noch bevor.  

Donnerstag, 30. Januar 2020

Abendlieder (Sony)

Bekannte und weniger populäre, aber dennoch entdeckenswerte Abend- und Wiegenlieder präsentiert der Philharmonische Kinderchor Dresden auf seinem neuen Album, das soeben bei Sony erschienen ist. Eigentlich sind mehrere Chöre beteiligt – denn neben dem Konzertchor, in dem Kinder und Jugendliche ab einem Alter von ca. zwölf Jahren mitwirken, ist in zwei Liedern auch der Kinderchor zu hören, in dem die Kleineren das Chorsingen erlernen.
Geleitet wird der Philharmonische Kinderchor Dresden, der 1967 auf Initiative von Kurt Masur hin gegründet wurde, seit 2012 durch Gunter Berger. Derzeit gehören insgesamt etwa 140 Kinder zu den verschiedenen Formationen des Chores. Der Chor arbeitet eng mit der Dresdner Philharmonie zusammen. Bei diesem Aufnahmeprojekt wurden die Jungen und Mädchen, die allesamt hinreißend singen, von Iris Geißler an diversen Tasteninstrumenten begleitet, mitunter auch durch das Collenbusch Quartett oder aber durch ein Bläserquintett. A cappella erklingen beispielsweise Guten Abend, gut Nacht von Johannes Brahms, das französische Kinderlied Au clair de la lune, oder Esti dal von Zoltán Kodály. Nicht unbedingt erwartet hätte man das Cantique de Jean Racine von Gabriel Fauré. Hier wird auch die Orgel mit einbezogen, die sich im neuen Konzertsaal des Kulturpalasts Dresden befindet. Auch sonst hält die musikalisch wie klanglich sehr hochwertige Einspielung einige Überraschungen bereit. Wer Chormusik liebt, der wird erfreut sein.



Dienstag, 28. Januar 2020

Horizons - Singer Pur (Oehms Classics)

„Der Geist weht, wo er will“, schrieb das Ensemble Singer Pur als Motto über sein neues Album Horizons. Die Regensburger A-cappella-Formation hat auf ihren Reisen mittlerweile fast 60 Länder kennengelernt. Die Sänger kamen dabei in Kontakt zu den unterschiedlichsten Kulturen – was auch ihr Repertoire beeinflusst hat, wie wir hören. 
Singer Pur laden ein zu einer Reise durch Zeit und Raum – vom gregorianischen Pfingstchoral Veni, creator spiritus immer wieder durchrankt, erklingen Melodien verschiedenster Weltreligionen, Kontinente und Jahrhunderte. Ein „geist-reiches“ Album, ausgesprochen abwechslungsreich und anregend. Großartig! 

Louis Spohr - The Clarinet Concertos (Orfeo)

Louis Spohr (1784 bis 1859) war als Violinvirtuose einst ein europäischer Superstar; er war ebenso populär wie Paganini. Doch anders als sein italienischer Kollege war Spohr stets darauf bedacht, seine Kenntnisse und Erfahrungen weiterzugeben. Und so unterrichtete er auch enorm viele Schüler – es sollen mehr als 200 gewesen sein. Außerdem war Spohr auch als Komponist eine Instanz. 
Seine vier Klarinettenkonzerte konnten sich bis heute im Repertoire halten. Geschrieben hat Spohr sie seinerzeit für Johann Simon Hermstedt. Dieser musizierte im thüringischen Sondershausen als Mitglied der Hofkapelle, und er muss ein exzellenter Klarinettist gewesen sein. Denn Spohrs Konzerte gelten bis heute als Herausforderung; wichtig waren ihm „schöner Ton“, „reine Intonation“ und „immense Fertigkeit“. Und gleich im ersten Konzert überschritt Spohr den damals verfügbaren Tonumfang der Klarinette – was Hermstedt dazu veranlasste, sich ein neues Instrument bauen zu lassen, mit dem das Konzert dann spielbar war. 
Diese Doppel-CD präsentiert Spohrs Klarinettenkonzerte komplett, in einer sehr gelungenen Studio-Einspielung aus dem Jahre mit dem Solisten Karl Leister und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Leitung von Rafael Frühbeck de Burgos. 

Mittwoch, 22. Januar 2020

Variety - The Art of Variation (Deutsche Harmonia Mundi)

Das Chamäleon ist, bedenkt man es recht, ein perfektes Wappentier für die Barockmusik. Denn wann immer man es anschaut, es erscheint immer wieder neu und irgendwie anders. Es passt sich seinem Untergrund an – was beispielsweise hätte uns Bach hinterlassen, wenn er nicht Thomaskantor in Leipzig geworden wäre? Und was wäre geschehen, wenn Händel nicht nach London gegangen wäre, sondern beispielsweise eine Anstellung als Hofkapellmeister in Dresden akzeptiert hätte? 
Auch die barocken Kompositionen geben den Interpreten meist großen Freiraum. Wie sie korrekt aufzuführen sind, darum wurden heftige Debatten geführt, und jede Menge Aufsätze publiziert. 
Mittlerweile dürfte klar sein: Die eine unverrückbar „richtige“ Interpretation wird wohl ein Phantom bleiben. Jede Aufführung klingt anders, und das ist auch gut so. Das Chamäleon darf weiter die Farbe wechseln. Und wir Musikliebhaber erfreuen uns an Kompositionen, die anspruchsvoll sind, aber nicht unzugänglich, die herausfordernd und abwechslungsreich sind, und dazu vergnüglich anzuhören. 
Barockmusik, in ihren vielen höchst unterschiedlichen Facetten, bereitet noch immer den Interpreten und dem Publikum gleichermaßen Freude. Das gilt auch für das jüngste Album des Ensembles Les Passions de l’Ame aus Bern. Das Orchester für „Alte“ Musik um Konzertmeisterin Meret Lüthi präsentiert Werke der Komponisten Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 bis 1704), Johann Joseph Fux (1660 bis 1741) und Johann Heinrich Schmelzer (um 1623 bis 1680). 
Zentrales Thema des Programmes ist die Variation, nicht nur in der Barockzeit ein beliebtes Kompositionsverfahren. Die ausgewählten Musikstücke bieten den Musikern vielerlei Möglichkeiten, ihre Virtuosität zu zeigen – und sie sind auch für die Zuhörer höchst attraktiv. Denn sie begeistern durch ihren enormen musikalischen Einfallsreichtum ebenso wie durch spektakuläre Spieltechniken und Show-Effekte. Die Instrumentalisten von Les Passions de l’Ame überzeugen durch Spielfreude und Ausdrucksstärke. Wunderbar, diese Aufnahme hört man sich wirklich gern an.