Diese Aufnahme ist gleich mehrfach ein Experiment: Richard Wagners monumentales 16-Stunden-Opern-Epos Der Ring des Nibelungen auf eine Stunde zu schrumpfen, das ist an sich schon kühn genug. Der nieder- ländische Komponist Henk de Vlieger hat 1991 ein Orchester-Arrangement geschaffen, das die wichtigsten Szenen und Motive zusammenfasst, ohne Wagners Musik zu beschädi- gen. Wer die Schlüsselszenen der Handlung sowie die musikalischen Höhepunkte kompakt genießen möchte, und ohne störenden Gesang, der wird an dieser Version Vergnügen haben.
Diesen besonderen Ring also hat nun The Baltic Sea Philharmonic unter der Leitung von Kristjan Järvi eingespielt. Auch dies ist ein Abenteuer, denn es handelt sich dabei um ein junges Orchester, erst im April 2016 gegründet, in dem Mitglieder und Alumni des Baltic Sea Youth Philhar- monic musizieren – Nachwuchsmusiker, die aus zehn Ländern entlang der Ostseeküste stammen.
„Bei allen Veröffentlichungen des Kristjan Järvi Sound Project ist es mein Ziel, Konzepte zu entwickeln, die Assoziationen wecken, Themen beleuch- ten, Geschichten erzählen oder einfach nur die Frage nach den ,Warum' provozieren“, schreibt Järvi. Der in Amerika lebende Este hat mit seinen jungen Musikern diese Variante des Rings auf der Insel Usedom eingespielt, an einem Ort, der idyllische Natur und dämonisches Streben vereint: Diese Debüt-CD ist in der ehemaligen Turbinenhalle der Raketen-Versuchsanstalt in Peenemünde entstanden – „eine weitere Metapher für die Macht der Musik, die einstmals angst- und hasserfüllte Räume in Orte der Einheit und Liebe zu verwandeln weiß“, so Järvi.
Das Experiment ist gelungen. Die jungen Musiker überzeugen durch ihr professionelles Spiel; diese Abenteuerreise durch Wagners musikalisches Universum ist ausgesprochen lebendig und leidenschaftlich. Bravi!
Sonntag, 30. April 2017
Samstag, 29. April 2017
von Weber: Complete works for clarinet (Berlin Classics)
„Als Interpret stellt man sich der Aufgabe, die ,perfekte' Gratwande- rung zwischen Texttreue und künstlerischer Freiheit zu meistern und zugleich die Grenzen des ,Erlaubten' auszuloten“, schreibt Sebastian Manz. Dazu ist viel Wissen und Können erforderlich, denn jede Zeit hatte ihre eigenen Auffassungen dazu, wie mit dem Notentext umzu- gehen ist, und jede musikalische Schule zudem ihre ganz spezielle Ausprägung des Erlaubten. Das Spektrum reicht dabei von Hand- schriften der Barockzeit, die zumeist eher als Skizzen des tatsächlichen musikalischen Geschehens anzusehen sind, bis hin zu Noteneditionen der Gegenwart, in denen Komponisten mitunter ihre Vorstellungen bis ins kleinste Detail niedergeschrieben haben.
Mit der Klarinettenmusik Carl Maria von Webers hat sich Sebastian Manz viele Jahre lang auseinandergesetzt: „1999 führte ich das 1. Klarinetten- konzert f-Moll mit dem Orchester der Musikschule Hannover unter der Leitung von Bernd Woller zum ersten Mal auf und bereits ein Jahr später folgte bei der EXPO 2000 in Hannover die Aufführung des Concertino mit dem Jugendsinfonieorchester Hannover unter Leitung von Cornelius Meister“, berichtet der Musiker. „Diese zwei Erfahrungen werde ich nie vergessen. Seitdem spiele ich Weber rauf und runter“, so bei „Jugend musiziert“, oder später im ARD-Wettbewerb, sowie in diversen Konzerten.
Nunmehr sah Manz also den Zeitpunkt gekommen, die Werke Webers für die Klarinette aufzunehmen – und zwar alle. Dabei stand er einmal mehr vor der Frage nach der Texttreue, siehe oben. Und an dieser Stelle kommt ein berühmter Kollege ins Spiel. Denn Weber schuf seine Klarinetten- musik, wie das Concertino und die beiden Konzerte, für Heinrich Joseph Baermann, einen europaweit gefeierten Klarinettenvirtuosen, mit dem er eng befreundet war.
Manz merkt an, dass beispielsweise für Webers Klarinettenkonzert in
f-Moll Baermanns Version allgemein zum Standard geworden ist. „Ver- gleicht man jedoch Webers Original mit der Baermann-Fassung, stellt man fest, dass sich der Klarinettist immer wieder in die Komposition eingemischt hat: Er baut am Ende der Exposition einen eigenen, aus- komponierten Teil ein, der heute als die ,Baermann-Kadenz' bezeichnet wird, und macht in der Partitur zahlreiche eigene Eintragungen zur Dynamik und Artikulation“, so Manz. „Genau diese intensive und detaillierte Auseinandersetzung des Interpreten mit seinem Werk erhoffte sich Weber, der im Original fast keine Anweisungen in die Partitur eingetragen hat. Man könnte sagen: Weber bereitet einen Teppich vor und der Musiker darf sich darauf austoben.“
Und das hat Sebastian Manz nun getan, begleitet von Musikern, mit denen er bestens vertraut ist. Denn neben seinem langjährigen Klavierpartner Martin Klett waren an seiner Seite die Musiker des Zürcher casalQuartetts plus Lars Olaf Schaper, Kontrabass, sowie weitere Kollegen des SWR Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart unter Leitung von Antonio Méndez. Auf der ersten CD ist Webers Kammermusik für Klarinette zu hören – das Grand Duo Concertant op. 48, die Silvana-Variationen op. 33 und das Klarinettenquintett op. 34. Die zweite CD enthält dann das Concertino sowie die beiden Klarinettenkonzerte in f-Moll und Es-Dur.
Weber hat für die Klarinette Melodien erfunden, die jede Primadonna erfreut hätten; sanglich, aber virtuos, effektvoll, mitunter sogar dramatisch, mitunter aber auch ein wenig kapriziös. Sebastian Manz lässt sein Instrument singen – farbenreich, beschwingt, gelegentlich sogar beinahe übermütig. Und seine Musikerkollegen sind dabei stets an seiner Seite, das Zusammenspiel ist phantastisch, die Aufnahme ist rundum ein Genuss. Unbedingt anhören!
Mit der Klarinettenmusik Carl Maria von Webers hat sich Sebastian Manz viele Jahre lang auseinandergesetzt: „1999 führte ich das 1. Klarinetten- konzert f-Moll mit dem Orchester der Musikschule Hannover unter der Leitung von Bernd Woller zum ersten Mal auf und bereits ein Jahr später folgte bei der EXPO 2000 in Hannover die Aufführung des Concertino mit dem Jugendsinfonieorchester Hannover unter Leitung von Cornelius Meister“, berichtet der Musiker. „Diese zwei Erfahrungen werde ich nie vergessen. Seitdem spiele ich Weber rauf und runter“, so bei „Jugend musiziert“, oder später im ARD-Wettbewerb, sowie in diversen Konzerten.
Nunmehr sah Manz also den Zeitpunkt gekommen, die Werke Webers für die Klarinette aufzunehmen – und zwar alle. Dabei stand er einmal mehr vor der Frage nach der Texttreue, siehe oben. Und an dieser Stelle kommt ein berühmter Kollege ins Spiel. Denn Weber schuf seine Klarinetten- musik, wie das Concertino und die beiden Konzerte, für Heinrich Joseph Baermann, einen europaweit gefeierten Klarinettenvirtuosen, mit dem er eng befreundet war.
Manz merkt an, dass beispielsweise für Webers Klarinettenkonzert in
f-Moll Baermanns Version allgemein zum Standard geworden ist. „Ver- gleicht man jedoch Webers Original mit der Baermann-Fassung, stellt man fest, dass sich der Klarinettist immer wieder in die Komposition eingemischt hat: Er baut am Ende der Exposition einen eigenen, aus- komponierten Teil ein, der heute als die ,Baermann-Kadenz' bezeichnet wird, und macht in der Partitur zahlreiche eigene Eintragungen zur Dynamik und Artikulation“, so Manz. „Genau diese intensive und detaillierte Auseinandersetzung des Interpreten mit seinem Werk erhoffte sich Weber, der im Original fast keine Anweisungen in die Partitur eingetragen hat. Man könnte sagen: Weber bereitet einen Teppich vor und der Musiker darf sich darauf austoben.“
Und das hat Sebastian Manz nun getan, begleitet von Musikern, mit denen er bestens vertraut ist. Denn neben seinem langjährigen Klavierpartner Martin Klett waren an seiner Seite die Musiker des Zürcher casalQuartetts plus Lars Olaf Schaper, Kontrabass, sowie weitere Kollegen des SWR Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart unter Leitung von Antonio Méndez. Auf der ersten CD ist Webers Kammermusik für Klarinette zu hören – das Grand Duo Concertant op. 48, die Silvana-Variationen op. 33 und das Klarinettenquintett op. 34. Die zweite CD enthält dann das Concertino sowie die beiden Klarinettenkonzerte in f-Moll und Es-Dur.
Weber hat für die Klarinette Melodien erfunden, die jede Primadonna erfreut hätten; sanglich, aber virtuos, effektvoll, mitunter sogar dramatisch, mitunter aber auch ein wenig kapriziös. Sebastian Manz lässt sein Instrument singen – farbenreich, beschwingt, gelegentlich sogar beinahe übermütig. Und seine Musikerkollegen sind dabei stets an seiner Seite, das Zusammenspiel ist phantastisch, die Aufnahme ist rundum ein Genuss. Unbedingt anhören!
Mittwoch, 26. April 2017
Aksel! Arias by Bach, Handel & Mozart (Signum Classics)
Die Jugend heutzutage singt nicht mehr? Das dies nicht grundsätzlich zutrifft, beweist das britische Label Signum Classics mit dieser CD, die einen exzellenten jungen Sänger vorstellt: Aksel Rykkvin, Jahrgang 2003, bewältigt scheinbar mühelos die schwierigsten Partien. Der Knabensopran singt in Kinderchor der norwegischen Nationaloper und im Knabenchor der Kathedrale von Oslo; er ist aber auch als Solist mittlerweile sehr gefragt.
Das ist kein Wunder, denn er verfügt über eine schöne und sehr geübte Stimme, die zudem erstaunlich tragfähig ist. Nicht jede Koloratur liegt Aksel Rykkvin gleichermaßen, dennoch beeindruckt die Geläufigkeit, mit der er hier Werke von Bach, Händel und Mozart vorträgt. Fast noch wichtiger aber ist sein phänomenales musikalisches Empfinden. Man höre nur die Arie Jauchzet Gott in allen Landen aus der Kantate BWV 51, mit der diese CD beginnt, das bekannte Lascia ch'io pianga aus Händels Oper Rinaldo oder die beiden Arien aus Mozarts Oper Le nozze di Figaro – das könnte auch ein Erwachsener kaum besser gestalten. Begleitet wird der junge Solist vom Orchestra of the Age of Enlightenment unter Nigel Short.
Das ist kein Wunder, denn er verfügt über eine schöne und sehr geübte Stimme, die zudem erstaunlich tragfähig ist. Nicht jede Koloratur liegt Aksel Rykkvin gleichermaßen, dennoch beeindruckt die Geläufigkeit, mit der er hier Werke von Bach, Händel und Mozart vorträgt. Fast noch wichtiger aber ist sein phänomenales musikalisches Empfinden. Man höre nur die Arie Jauchzet Gott in allen Landen aus der Kantate BWV 51, mit der diese CD beginnt, das bekannte Lascia ch'io pianga aus Händels Oper Rinaldo oder die beiden Arien aus Mozarts Oper Le nozze di Figaro – das könnte auch ein Erwachsener kaum besser gestalten. Begleitet wird der junge Solist vom Orchestra of the Age of Enlightenment unter Nigel Short.
Dienstag, 25. April 2017
Glaubensbekenntnisse (Genuin)
Die erste CD des MDR Rundfunk- chores unter seinem neuen künstle- rischen Leiter Risto Joost ist russischer geistlicher Musik gewidmet. Für einen estnischen Dirigenten ist das ein ebenso ungewöhnliches Repertoire wie für die in Leipzig ansässige Sängerschar, die in ihrer Mehrheit ganz sicher nicht dem russisch-orthodoxen Glaubenskreis zugehörig sein dürfte.
Dort hat der Gesang eine bedeutende Tradition, denn im orthodoxen Gottesdienst werden keine von Menschenhand erbauten Instrumente genutzt. Nur die Stimme, als ein Teil von Gottes Schöpfung, darf dort erklingen. Und so sind im Laufe der Jahrhunderte im Osten großartige Chorwerke entstanden, von denen der Westen so gut wie nichts weiß. Nur selten berühren sich diese doch sehr unterschiedlichen kirchenmusika- lischen Welten.
„Lang habe ich nicht eine solch liebliche Harmonie gehört“, schwärmte einst ein Zeitgenosse: „So zarte Stimmen! Solch eine Musik! Solch einen Ausdruck auf allen Gesichtern!“ Diese Begeisterung galt der Musik von Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski (1751 bis 1825). Er kam schon als Siebenjähriger nach St. Petersburg, wo er Mitglied der Hofsängerkapelle wurde. Ausgebildet wurde der talentierte Knabe vor allem von Hofkapell- meister Baldassare Galuppi, und als dieser nach Venedig zurückkehrte, durfte sein Zögling ihn begleiten. Zehn Jahre lernte und wirkte Bortnjanski in Italien, bis er 1779 zurückgerufen wurde.
Zunächst war er als Cembalist bei Hofe tätig; 1784 wurde er dann Kapell- meister des Thronfolgers, für den er unter anderem Opern komponierte. Nachdem sein Dienstherr als Zar Pawel I. die Herrschaft übernommen hatte, wurde Bortnjanski schließlich Leiter der Hofsängerkapelle, die er auf ein legendäres Niveau brachte. Für dieses Ensemble schuf er zahlreiche liturgische A-cappella-Chorwerke.
Der Kirchengesang am Zarenhof beeindruckte den preußischen König Friedrich Wilhelm III. derart, dass er Musik für den Gottesdienst nach dem Vorbild Bortnjanskis vertonen ließ. Werke des russischen Komponisten gehörten zudem zum Repertoire sowohl des Berliner Staats- und Dom- chores wie auch etlicher deutscher Kirchenchöre und Gesangsvereine. So prägte Bortnjanski die evangelische Kirchenmusik jener Zeit wesentlich mit – umso erstaunlicher ist es, dass er heute im Westen weitgehend vergessen ist.
Auf dieser CD sind der Cherubinische Lobgesang Nr. 7 sowie zwei seiner Konzerte zu hören. Diese ausdrucksstarken Werke basieren auf Psalmversen, und verknüpfen den östlichen Chorklang mit westlichen Elementen. Der MDR Rundfunkchor singt Bortnjanskis Musik mit der gewohnten Professionalität. Allerdings ist das Klangbild insgesamt stark durch die Oberstimmen dominiert; die Mittelstimmen wünscht man sich präsenter und die Bässe dominanter. Einen russischen Chor zu imitieren, das wird einem westlichen Ensemble ohnehin nicht gelingen.
Alfred Schnittke (1934 bis 1998) verbrachte einen großen Teil seines Lebens in der Sowjetunion. Sein Vater, ein jüdischer Journalist aus Frankfurt/Main, der 1926 dorthin floh, und seine Mutter, eine Wolga- deutsche, die als Lehrerin arbeitete, waren Kommunisten, so dass Schnittke zur Kirche zunächst keine Beziehung hatte.
Schnittke absolvierte seine musikalische Ausbildung in Wien und am Moskauer Konservatorium. Dort unterrichtete er auch selbst, bevor er sich dann ab 1973 aufs Komponieren konzentrierte. In den 70er Jahren begann auch seine Auseinandersetzung mit dem Glauben; Kirchenmusik hat Schnittke aber nur sehr wenig geschrieben. Grundlage seines Concerto für Chor, das auf dieser CD erklingt, ist das Buch der traurigen Lieder des armenischen Mystikers Gregor von Narek aus dem 10. Jahrhundert – ein großer Text, voll Tiefe und Weisheit. Schnittke lässt seine Vertonung zwischen Meditation und dramatischen Ausbrüchen oszillieren. Musika- lisch ist das äußerst spannend, und sängerisch ist das ohne Zweifel eine enorme Herausforderung, die der MDR Rundfunkchor aber ohne Abstriche hervorragend bewältigt. Das ist große Chorkunst.
Dort hat der Gesang eine bedeutende Tradition, denn im orthodoxen Gottesdienst werden keine von Menschenhand erbauten Instrumente genutzt. Nur die Stimme, als ein Teil von Gottes Schöpfung, darf dort erklingen. Und so sind im Laufe der Jahrhunderte im Osten großartige Chorwerke entstanden, von denen der Westen so gut wie nichts weiß. Nur selten berühren sich diese doch sehr unterschiedlichen kirchenmusika- lischen Welten.
„Lang habe ich nicht eine solch liebliche Harmonie gehört“, schwärmte einst ein Zeitgenosse: „So zarte Stimmen! Solch eine Musik! Solch einen Ausdruck auf allen Gesichtern!“ Diese Begeisterung galt der Musik von Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski (1751 bis 1825). Er kam schon als Siebenjähriger nach St. Petersburg, wo er Mitglied der Hofsängerkapelle wurde. Ausgebildet wurde der talentierte Knabe vor allem von Hofkapell- meister Baldassare Galuppi, und als dieser nach Venedig zurückkehrte, durfte sein Zögling ihn begleiten. Zehn Jahre lernte und wirkte Bortnjanski in Italien, bis er 1779 zurückgerufen wurde.
Zunächst war er als Cembalist bei Hofe tätig; 1784 wurde er dann Kapell- meister des Thronfolgers, für den er unter anderem Opern komponierte. Nachdem sein Dienstherr als Zar Pawel I. die Herrschaft übernommen hatte, wurde Bortnjanski schließlich Leiter der Hofsängerkapelle, die er auf ein legendäres Niveau brachte. Für dieses Ensemble schuf er zahlreiche liturgische A-cappella-Chorwerke.
Der Kirchengesang am Zarenhof beeindruckte den preußischen König Friedrich Wilhelm III. derart, dass er Musik für den Gottesdienst nach dem Vorbild Bortnjanskis vertonen ließ. Werke des russischen Komponisten gehörten zudem zum Repertoire sowohl des Berliner Staats- und Dom- chores wie auch etlicher deutscher Kirchenchöre und Gesangsvereine. So prägte Bortnjanski die evangelische Kirchenmusik jener Zeit wesentlich mit – umso erstaunlicher ist es, dass er heute im Westen weitgehend vergessen ist.
Auf dieser CD sind der Cherubinische Lobgesang Nr. 7 sowie zwei seiner Konzerte zu hören. Diese ausdrucksstarken Werke basieren auf Psalmversen, und verknüpfen den östlichen Chorklang mit westlichen Elementen. Der MDR Rundfunkchor singt Bortnjanskis Musik mit der gewohnten Professionalität. Allerdings ist das Klangbild insgesamt stark durch die Oberstimmen dominiert; die Mittelstimmen wünscht man sich präsenter und die Bässe dominanter. Einen russischen Chor zu imitieren, das wird einem westlichen Ensemble ohnehin nicht gelingen.
Alfred Schnittke (1934 bis 1998) verbrachte einen großen Teil seines Lebens in der Sowjetunion. Sein Vater, ein jüdischer Journalist aus Frankfurt/Main, der 1926 dorthin floh, und seine Mutter, eine Wolga- deutsche, die als Lehrerin arbeitete, waren Kommunisten, so dass Schnittke zur Kirche zunächst keine Beziehung hatte.
Schnittke absolvierte seine musikalische Ausbildung in Wien und am Moskauer Konservatorium. Dort unterrichtete er auch selbst, bevor er sich dann ab 1973 aufs Komponieren konzentrierte. In den 70er Jahren begann auch seine Auseinandersetzung mit dem Glauben; Kirchenmusik hat Schnittke aber nur sehr wenig geschrieben. Grundlage seines Concerto für Chor, das auf dieser CD erklingt, ist das Buch der traurigen Lieder des armenischen Mystikers Gregor von Narek aus dem 10. Jahrhundert – ein großer Text, voll Tiefe und Weisheit. Schnittke lässt seine Vertonung zwischen Meditation und dramatischen Ausbrüchen oszillieren. Musika- lisch ist das äußerst spannend, und sängerisch ist das ohne Zweifel eine enorme Herausforderung, die der MDR Rundfunkchor aber ohne Abstriche hervorragend bewältigt. Das ist große Chorkunst.
Montag, 24. April 2017
Bach: St John Passion (The Choir of King's College)
Auch der King’s College Choir aus Cambridge und die Academy of Ancient Music haben unter Leitung von Stephen Cleobury eine Aufnahme von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion veröffentlicht. Ausgewählt wurde dafür die erste Fassung aus dem Jahre 1724.
Den Herren Choristern zu lauschen, das ist nicht durchweg ein Vergnügen; Koloraturen insbesondere sind ihre Stärke nicht. Diese Schwäche aber gleicht die Einspielung durch die vorzüglichen Musiker und durch ein exzellentes Solistenensemble wieder aus. Die Sängerinnen und Sänger, wie Sophie Bevan, Sopran, Iestyn Davies, Altus, Ed Lyon, Tenor-Arien oder Roderick Williams, Bass-Arien und Pilatus machen diesen Live-Mitschnitt aus dem King's College interesssant. Als Christus ist Neal Davies zu hören, und wie James Gilchrist die Partie des Evangelisten gestaltet, das ist wirklich großartig. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass sich die Johannes-Passion aus Cambridge letztendlich als ein faszinierendes Hörerlebnis erweist.
Den Herren Choristern zu lauschen, das ist nicht durchweg ein Vergnügen; Koloraturen insbesondere sind ihre Stärke nicht. Diese Schwäche aber gleicht die Einspielung durch die vorzüglichen Musiker und durch ein exzellentes Solistenensemble wieder aus. Die Sängerinnen und Sänger, wie Sophie Bevan, Sopran, Iestyn Davies, Altus, Ed Lyon, Tenor-Arien oder Roderick Williams, Bass-Arien und Pilatus machen diesen Live-Mitschnitt aus dem King's College interesssant. Als Christus ist Neal Davies zu hören, und wie James Gilchrist die Partie des Evangelisten gestaltet, das ist wirklich großartig. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass sich die Johannes-Passion aus Cambridge letztendlich als ein faszinierendes Hörerlebnis erweist.
Montag, 17. April 2017
Caldara: Motetti a due o tre voci op. 4 (Pan Classics)
Die Motetti a due o tre voci op. 4 waren die letzten Werke von Antonio Caldara (um 1670 bis 1736), die zu seinen Lebzeiten im Druck erschie- nen sind. Sie wurden 1715 in Bologna veröffentlicht. 1716 übersiedelte der Komponist nach Wien, wo er Vize- kapellmeister am Hofe des Kaisers Karl VI. wurde.
Wie eng verbunden Europas Kultur- metropolen seinerzeit waren, das zeigt ein Blick in ihre Kunstsamm- lungen – und in die Archive. Ein Exemplar von Caldaras Motetten beispielweise gelangte nach Dresden, wo Jan Dismas Zelenka die Stücke, teilweise mit neu unterlegten Texten, zum Gebrauch im Rahmen der Fastenpredigten einrichtete.
Sie gehörten wahrscheinlich seit Mitte der 1720er Jahre in Dresden zum Repertoire, das während der vorösterlichen Fastenzeit alljährlich erklang. So dürfte auch Johann Adam Hiller (1728 bis 1804) sie kennengelernt haben, der seine Ausbildung als Kruzianer in Dresden begann. Hiller, der später nach Leipzig ging und letztendlich sogar Thomaskantor wurde, nahm eine dieser Motetten in seine berühmte Sammlung mit auf – was wiederum dazu führte, dass Caldara in die protestantische Kirchenmusik- praxis mit integriert wurde.
Auf dieser CD sind die zehn Motetten komplett zu hören – eindringlich gesungen von Ingeborg Dalheim, Anna Kellnhofer, Sopran, Franz Vitzthum und Alex Potter, Countertenor, Jan Van Elsacker, Tenor, und Florian Götz, Bariton. Begleitet werden die Sänger vom United Continuo Ensemble, bestehend aus Jörg Meder, Violone, Johannes Hämmerle, Orgel, und Thomas C. Boysen, Theorbe, der auch die Leitung dieses Ensembles inne hat.
Kombiniert wurden die Motetten mit Orgelwerken niederländischer und norddeutscher Komponisten älterer Generationen – Matthias Weckmann (1618/19 bis 1674), Franz Tunder (1614 bis 1667) und Jan Pieterszoon Sweelinck (1562 bis 1621). Johannes Hämmerle spielt sie an der histori- schen Orgel des Schlosses Gottorf. Sehr hörenswert!
Wie eng verbunden Europas Kultur- metropolen seinerzeit waren, das zeigt ein Blick in ihre Kunstsamm- lungen – und in die Archive. Ein Exemplar von Caldaras Motetten beispielweise gelangte nach Dresden, wo Jan Dismas Zelenka die Stücke, teilweise mit neu unterlegten Texten, zum Gebrauch im Rahmen der Fastenpredigten einrichtete.
Sie gehörten wahrscheinlich seit Mitte der 1720er Jahre in Dresden zum Repertoire, das während der vorösterlichen Fastenzeit alljährlich erklang. So dürfte auch Johann Adam Hiller (1728 bis 1804) sie kennengelernt haben, der seine Ausbildung als Kruzianer in Dresden begann. Hiller, der später nach Leipzig ging und letztendlich sogar Thomaskantor wurde, nahm eine dieser Motetten in seine berühmte Sammlung mit auf – was wiederum dazu führte, dass Caldara in die protestantische Kirchenmusik- praxis mit integriert wurde.
Auf dieser CD sind die zehn Motetten komplett zu hören – eindringlich gesungen von Ingeborg Dalheim, Anna Kellnhofer, Sopran, Franz Vitzthum und Alex Potter, Countertenor, Jan Van Elsacker, Tenor, und Florian Götz, Bariton. Begleitet werden die Sänger vom United Continuo Ensemble, bestehend aus Jörg Meder, Violone, Johannes Hämmerle, Orgel, und Thomas C. Boysen, Theorbe, der auch die Leitung dieses Ensembles inne hat.
Kombiniert wurden die Motetten mit Orgelwerken niederländischer und norddeutscher Komponisten älterer Generationen – Matthias Weckmann (1618/19 bis 1674), Franz Tunder (1614 bis 1667) und Jan Pieterszoon Sweelinck (1562 bis 1621). Johannes Hämmerle spielt sie an der histori- schen Orgel des Schlosses Gottorf. Sehr hörenswert!
Graupner: Das Leiden Jesu (cpo)
Fast 50 Jahre leitete Christoph Graupner (1683 bis 1760) die Darmstädter Hofkapelle. Der Musiker, der unter Johann Schelle und Johann Kuhnau an der Thomasschule in Leipzig gelernt und anschließend an der Pleiße Jura studiert hatte, wurde nach einem kurzen Intermezzo in Hamburg 1709 durch Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt engagiert. Wenig später ernannte ihn sein Dienstherr zum Hofkapellmeister, und als Graupner sich später auf Empfehlung seines Freundes Telemann um das Amt des Thomaskantors bewarb, ließ ihn der Landgraf nicht gehen.
So blieb Graupner also in Darmstadt bis ans Ende seiner Tage, und schuf großartige Musik, die nach seinem Tode in Vergessenheit geraten ist. Ein glücklicher Zufall sorgte aber dafür, dass die Werke des Komponisten nahezu geschlossen ins landgräfliche Archiv kamen. Dort haben sie die Zeiten überdauert, so dass sie heute allmählich wieder einem staunenden Publikum vorgestellt werden können.
Wer die Bestände kennt, der weiß, dass da noch so manche Überraschung wartet. Denn Graupners Musik ist nicht nur ausgesprochen originell. Kaum ein zweiter Komponist hat sich zudem so flexibel auf die Fähigkeiten seiner Musiker eingestellt – und derart interessiert auf Anregungen reagiert. Aus seiner Lebensstellung in Darmstadt heraus beobachtete Graupner, was seine Kollegen komponierten, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. So entwickelte er seine Musik weiter – von ausgesprochen barocken Formen bis hin zu Klängen, die man eher der Frühklassik zuordnen würde.
Wie Graupner mit Instrumentierung und Klangfarben experimentierte, das lässt sich sehr schön am Beispiel seiner Kantaten beobachten. Die ersten drei der zehn Passionskantaten, die der Komponist im Jahre 1741 für den landgräflichen Gottesdienst geschaffen hat, sind nun bei cpo erschienen. Florian Heyerick hat sich mit seinem Originalklang-Orchester Mann- heimer Hofkapelle sowie dem Solistenensemble Ex Tempore die Wiederentdeckung dieses Kantatenschatzes auf die Fahnen geschrieben, und man darf davon ausgehen, dass weitere Folgen schon bald vorliegen werden.
Das lohnt sich durchaus; schon die erste Kantate, Erzittre, toll und freche Welt, die den Hörer an die Seite des verzagenden Jesus in den Garten Gethsemane führt, ist ein klangmalerisches Kabinettstück. Hier zeigt sich Graupners besondere Gabe, durch den geschickten Einsatz der jeweils verfügbaren Instrumente ganz erstaunliche Effekte zu erzielen. So ist das Zittern schon zu hören, bevor Tenor Jan Kobow auch nur einen Ton gesungen hat – eine beeindruckende Form der musikalischen Andacht, die von den Musikern der Mannheimer Hofkapelle lustvoll zelebriert wird.
So blieb Graupner also in Darmstadt bis ans Ende seiner Tage, und schuf großartige Musik, die nach seinem Tode in Vergessenheit geraten ist. Ein glücklicher Zufall sorgte aber dafür, dass die Werke des Komponisten nahezu geschlossen ins landgräfliche Archiv kamen. Dort haben sie die Zeiten überdauert, so dass sie heute allmählich wieder einem staunenden Publikum vorgestellt werden können.
Wer die Bestände kennt, der weiß, dass da noch so manche Überraschung wartet. Denn Graupners Musik ist nicht nur ausgesprochen originell. Kaum ein zweiter Komponist hat sich zudem so flexibel auf die Fähigkeiten seiner Musiker eingestellt – und derart interessiert auf Anregungen reagiert. Aus seiner Lebensstellung in Darmstadt heraus beobachtete Graupner, was seine Kollegen komponierten, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. So entwickelte er seine Musik weiter – von ausgesprochen barocken Formen bis hin zu Klängen, die man eher der Frühklassik zuordnen würde.
Wie Graupner mit Instrumentierung und Klangfarben experimentierte, das lässt sich sehr schön am Beispiel seiner Kantaten beobachten. Die ersten drei der zehn Passionskantaten, die der Komponist im Jahre 1741 für den landgräflichen Gottesdienst geschaffen hat, sind nun bei cpo erschienen. Florian Heyerick hat sich mit seinem Originalklang-Orchester Mann- heimer Hofkapelle sowie dem Solistenensemble Ex Tempore die Wiederentdeckung dieses Kantatenschatzes auf die Fahnen geschrieben, und man darf davon ausgehen, dass weitere Folgen schon bald vorliegen werden.
Das lohnt sich durchaus; schon die erste Kantate, Erzittre, toll und freche Welt, die den Hörer an die Seite des verzagenden Jesus in den Garten Gethsemane führt, ist ein klangmalerisches Kabinettstück. Hier zeigt sich Graupners besondere Gabe, durch den geschickten Einsatz der jeweils verfügbaren Instrumente ganz erstaunliche Effekte zu erzielen. So ist das Zittern schon zu hören, bevor Tenor Jan Kobow auch nur einen Ton gesungen hat – eine beeindruckende Form der musikalischen Andacht, die von den Musikern der Mannheimer Hofkapelle lustvoll zelebriert wird.
Samstag, 15. April 2017
Neukomm: Requiem à la mémoire de Louis XVI (Alpha)
Als der Wiener Kongress 1814/15 über die Neuordnung Europas nach der Niederlage Napoleons beriet, gedachten die Beteiligten mit einer feierlichen Messe auch des Königs Ludwig XVI., der 1793 in Paris guillotiniert worden war. Die Musik für dieses Totengedenken lieferte Sigismund Ritter von Neukomm (1778 bis 1858), der Hauskomponist Talleyrands.
Es ist erstaunlich, aber dieser Musiker ist heute nahezu vergessen. Dabei war er zu Lebzeiten auf drei Kontinenten tätig, und enorm erfolgreich. Sigismund Neukomm, der Sohn eines Salzburger Lehrers, war ein Wunderkind. Im zarten Alter von vier Jahren soll er bereits fließend gelesen haben; wenig später begann seine musikalische Ausbildung. So erlernte der Knabe das Orgelspiel beim Domorganisten Franz Xaver Weissager. Er musizierte zudem auf Streich- und Blasinstrumenten, und erhielt Unterricht in Harmonielehre bei Michael Haydn.
Als er 16 Jahre alt war, wurde Neukomm Titularorganist der Salzburger Universitätskirche; außerdem war er als Korrepetitor am Theater tätig. 1797 ging er schließlich mit einer Empfehlung seines Lehrers Michael Haydn nach Wien, wo er erst Schüler und bald auch Mitarbeiter Joseph Haydns wurde. Für diesen erstellte er beispielsweise die Klavierauszüge der Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten.
Außerdem unterrichtete Neukomm; seine wohl bekanntesten Schüler waren Franz Xaver Wolfgang und Carl Thomas Mozart. Das Werk von Wolfgang Amadeus Mozart schätzte Neukomm übrigens sehr – und nach dem Tode Joseph Haydns 1809 stiftete er diesem den Grabstein.
Der Musiker war ausgesprochen reisefreudig. Er wirkte als Kapellmeister in St. Petersburg und in Rio de Janeiro; wenn er nicht unterwegs war, dann lebte er zumeist in Paris. Im Laufe seines langen Lebens schuf Neukomm unglaublich viele Musikstücke, von der Oper bis zum Klavierkonzert und vom Lied bis zum Oratorium. Sein ebenso umfangreiches wie qualitätvolles Lebenswerk ist im Konzertsaal allerdings derzeit faktisch nicht präsent. Die französische Nationalbibliothek besitzt etwa 2.000 Manuskripte des Komponisten, doch dieser Bestand soll bislang schlecht erschlossen sein. Noteneditionen sind rar.
Umso mehr freut diese Einspielung der Trauermusik, die einst in Wien zum Gedenken an den hingerichteten König von Frankreich erklungen ist. Neukomms Musik ist imposant, und dabei ausgesprochen nobel und elegant. Jean-Claude Malgoire hat diese Trauerklänge mit dem Ensemble La Grande Écurie et la Chambre du Roy sowie dem Chœur de Chambre de Namur würdig eingespielt. Clémence Tilquin, Yasmina Favre, Robert Getchell und Alain Buet sind in den Solopartien zu hören. Musiziert wird voll Respekt, sehr gekonnt und historisch authentisch – so erklingen beispielsweise eine Ophicleide, ein auch von Mendelssohn, Berlioz, Verdi und Wagner verwendetes Blechblasinstrument, das später im Orchester durch die Tuba ersetzt wurde, und ein Tamtam, ein großer Gong unbe- stimmter Tonhöhe, der aus Ostasien stammt und in Frankreich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gezielt als Effektinstrument bei Trauermusiken eingesetzt wurde.
Neukomms Trauermusik ist ein Werk mit einer einzigartigen Aura. Dieses Requiem, das der Komponist ursprünglich zu Ehren seiner Lehrer, der Gebrüder Haydn und des Organisten Weissager, zu Papier gebracht hatte, gehört für mich zu den schönsten Werken der Funeralmusik überhaupt. Was für eine Entdeckung!
Es ist erstaunlich, aber dieser Musiker ist heute nahezu vergessen. Dabei war er zu Lebzeiten auf drei Kontinenten tätig, und enorm erfolgreich. Sigismund Neukomm, der Sohn eines Salzburger Lehrers, war ein Wunderkind. Im zarten Alter von vier Jahren soll er bereits fließend gelesen haben; wenig später begann seine musikalische Ausbildung. So erlernte der Knabe das Orgelspiel beim Domorganisten Franz Xaver Weissager. Er musizierte zudem auf Streich- und Blasinstrumenten, und erhielt Unterricht in Harmonielehre bei Michael Haydn.
Als er 16 Jahre alt war, wurde Neukomm Titularorganist der Salzburger Universitätskirche; außerdem war er als Korrepetitor am Theater tätig. 1797 ging er schließlich mit einer Empfehlung seines Lehrers Michael Haydn nach Wien, wo er erst Schüler und bald auch Mitarbeiter Joseph Haydns wurde. Für diesen erstellte er beispielsweise die Klavierauszüge der Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten.
Außerdem unterrichtete Neukomm; seine wohl bekanntesten Schüler waren Franz Xaver Wolfgang und Carl Thomas Mozart. Das Werk von Wolfgang Amadeus Mozart schätzte Neukomm übrigens sehr – und nach dem Tode Joseph Haydns 1809 stiftete er diesem den Grabstein.
Der Musiker war ausgesprochen reisefreudig. Er wirkte als Kapellmeister in St. Petersburg und in Rio de Janeiro; wenn er nicht unterwegs war, dann lebte er zumeist in Paris. Im Laufe seines langen Lebens schuf Neukomm unglaublich viele Musikstücke, von der Oper bis zum Klavierkonzert und vom Lied bis zum Oratorium. Sein ebenso umfangreiches wie qualitätvolles Lebenswerk ist im Konzertsaal allerdings derzeit faktisch nicht präsent. Die französische Nationalbibliothek besitzt etwa 2.000 Manuskripte des Komponisten, doch dieser Bestand soll bislang schlecht erschlossen sein. Noteneditionen sind rar.
Umso mehr freut diese Einspielung der Trauermusik, die einst in Wien zum Gedenken an den hingerichteten König von Frankreich erklungen ist. Neukomms Musik ist imposant, und dabei ausgesprochen nobel und elegant. Jean-Claude Malgoire hat diese Trauerklänge mit dem Ensemble La Grande Écurie et la Chambre du Roy sowie dem Chœur de Chambre de Namur würdig eingespielt. Clémence Tilquin, Yasmina Favre, Robert Getchell und Alain Buet sind in den Solopartien zu hören. Musiziert wird voll Respekt, sehr gekonnt und historisch authentisch – so erklingen beispielsweise eine Ophicleide, ein auch von Mendelssohn, Berlioz, Verdi und Wagner verwendetes Blechblasinstrument, das später im Orchester durch die Tuba ersetzt wurde, und ein Tamtam, ein großer Gong unbe- stimmter Tonhöhe, der aus Ostasien stammt und in Frankreich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gezielt als Effektinstrument bei Trauermusiken eingesetzt wurde.
Neukomms Trauermusik ist ein Werk mit einer einzigartigen Aura. Dieses Requiem, das der Komponist ursprünglich zu Ehren seiner Lehrer, der Gebrüder Haydn und des Organisten Weissager, zu Papier gebracht hatte, gehört für mich zu den schönsten Werken der Funeralmusik überhaupt. Was für eine Entdeckung!
Donnerstag, 13. April 2017
Pergolesi: Adriano in Siria (Decca)
Ein einziger fauler Apfel kann einen ganzen Keller voll Obst verderben – wenn er nicht rechtzeitig erkannt und entfernt wird. Damit lässt sich auch die Handlung dieser langen Oper kurz beschreiben, in der ein Tribun namens Aquilio ohne Rücksicht versucht, seine Interessen durchzu- setzen.
Im Mittelpunkt steht eine junge Dame, die Emirena heißt und dem parthischen Fürsten Farnaspe versprochen ist, sich aber nun nach der Niederlage ihres Vaters Osroa in der Hand des siegreichen Kaisers Adriano befindet. Hadrian wiederum – unter diesem Namen ist der Römer uns bekannt – hat sich in die schöne Gefangene verliebt, obwohl er eigentlich mit der römischen Edelfrau Sabina verlobt ist. Diese wiederum möchte Aquilio für sich gewinnen, und dazu ist ihm jede Intrige und jeder Vertrauensbruch recht.
In seinem Libretto Adriano in Siria hat Pietro Metastasio aus dieser Konstellation drei komplette Akte lang eine komplizierte Geschichte mit allerlei Irrungen und Wirrungen erdacht. Giovanni Battista Pergolesi (1710 bis 1736) nutzte Metastasios Text, als er 1734 im Auftrag für Karl, den König von Neapel, eine Oper zum Geburtstag seiner Mutter Elisabetta Farnese, Königin von Spanien, komponierte. Berühmt ist Pergolesi bis zum heutigen Tag als Schöpfer der Opera buffa La serva padrona sowie des populären Stabat mater. Dass der Komponist seinerzeit auch und vor allem für seine Opere serie gefeiert wurde, ist hingegen ein wenig in Vergessen- heit geraten.
Jan Tomasz Adamus hat sich mit der Capella Cracoviensis und einem handverlesenen Solistenensemble nun einer dieser Opern zugewandt. Pergolesi schuf Adriano in Siria für grandiose Stimmen. So entstand die Partie des Farnaspe für Gaetano Majorano, bekannter unter dem Namen Caffarelli, ausgebildet durch Nicola Porpora. Dieser Kastrat galt seinerzeit als bester Sänger Italiens – und entsprechend umfangreich und anspruchs- voll ist sein Gesangspart.
Den Adriano und seinen Vertrauten Aquilio übernahmen zwei Sopranistin- nen, die auf Hosenrollen spezialisiert waren. Auch die beiden Frauenrollen sind für Sopran geschrieben, und sie fordern neben vokaler Virtuosität durchaus auch Ausdruckstärke. Den Osroa schließlich sang ein hervor- ragender Tenor.
Diese Besetzung mit fünf Sopranen und einem Tenor, zwei Männern und vier Frauen, erscheint in einem Zeitalter seltsam, in dem die Heldinnen auf der Bühne tunlichst nicht nur gut singen sollten, sondern auch möglichst wie ein Model jung und schlank aussehen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen (wahrscheinlich ist das Publikum heutzutage in seiner optischen Wahrnehmung geschulter als im Zuhören). Auch sind seit einigen Jahren wieder zahlreiche Countertenöre verfügbar, die mitunter selbst hohe Partien übernehmen können.
Und so singt hier an der Seite von Franco Fagioli, der sich an die höchst schwierige Partie des Farnaspe wagt, der junge ukrainische Countertenor Juri Mynenko als Adriano. Der Aquilio hingegen blieb mit einer Frauen- stimme besetzt, mit der jungen türkischen Sängerin Çiğdem Soyarslan. Den Osroa, König der Parther, singt Juan Sancho; in den Rollen der Emirena und der Sabina sind Romina Basso und Dilyara Idrisova zu hören.
Die Capella Cracoviensis musiziert auf historischen Instrumenten – mun- ter, mitunter auch emotionsgeladen, dabei aber stets klangschön. Wer Lust hat auf vokale Ausnahmeklänge, auf die hochartifizielle Gesangskunst einer längst versunkenen Opernkultur, die nunmehr schrittweise wieder rekonstruiert wird, der sollte sich insbesondere die Arien mit Franco Fagioli anhören. Es dürfte auf der ganzen Welt derzeit keine drei Sänger geben, die in der Lage sind, eine solche Partie live und ohne Striche zu bewältigen.
Im Mittelpunkt steht eine junge Dame, die Emirena heißt und dem parthischen Fürsten Farnaspe versprochen ist, sich aber nun nach der Niederlage ihres Vaters Osroa in der Hand des siegreichen Kaisers Adriano befindet. Hadrian wiederum – unter diesem Namen ist der Römer uns bekannt – hat sich in die schöne Gefangene verliebt, obwohl er eigentlich mit der römischen Edelfrau Sabina verlobt ist. Diese wiederum möchte Aquilio für sich gewinnen, und dazu ist ihm jede Intrige und jeder Vertrauensbruch recht.
In seinem Libretto Adriano in Siria hat Pietro Metastasio aus dieser Konstellation drei komplette Akte lang eine komplizierte Geschichte mit allerlei Irrungen und Wirrungen erdacht. Giovanni Battista Pergolesi (1710 bis 1736) nutzte Metastasios Text, als er 1734 im Auftrag für Karl, den König von Neapel, eine Oper zum Geburtstag seiner Mutter Elisabetta Farnese, Königin von Spanien, komponierte. Berühmt ist Pergolesi bis zum heutigen Tag als Schöpfer der Opera buffa La serva padrona sowie des populären Stabat mater. Dass der Komponist seinerzeit auch und vor allem für seine Opere serie gefeiert wurde, ist hingegen ein wenig in Vergessen- heit geraten.
Jan Tomasz Adamus hat sich mit der Capella Cracoviensis und einem handverlesenen Solistenensemble nun einer dieser Opern zugewandt. Pergolesi schuf Adriano in Siria für grandiose Stimmen. So entstand die Partie des Farnaspe für Gaetano Majorano, bekannter unter dem Namen Caffarelli, ausgebildet durch Nicola Porpora. Dieser Kastrat galt seinerzeit als bester Sänger Italiens – und entsprechend umfangreich und anspruchs- voll ist sein Gesangspart.
Den Adriano und seinen Vertrauten Aquilio übernahmen zwei Sopranistin- nen, die auf Hosenrollen spezialisiert waren. Auch die beiden Frauenrollen sind für Sopran geschrieben, und sie fordern neben vokaler Virtuosität durchaus auch Ausdruckstärke. Den Osroa schließlich sang ein hervor- ragender Tenor.
Diese Besetzung mit fünf Sopranen und einem Tenor, zwei Männern und vier Frauen, erscheint in einem Zeitalter seltsam, in dem die Heldinnen auf der Bühne tunlichst nicht nur gut singen sollten, sondern auch möglichst wie ein Model jung und schlank aussehen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen (wahrscheinlich ist das Publikum heutzutage in seiner optischen Wahrnehmung geschulter als im Zuhören). Auch sind seit einigen Jahren wieder zahlreiche Countertenöre verfügbar, die mitunter selbst hohe Partien übernehmen können.
Und so singt hier an der Seite von Franco Fagioli, der sich an die höchst schwierige Partie des Farnaspe wagt, der junge ukrainische Countertenor Juri Mynenko als Adriano. Der Aquilio hingegen blieb mit einer Frauen- stimme besetzt, mit der jungen türkischen Sängerin Çiğdem Soyarslan. Den Osroa, König der Parther, singt Juan Sancho; in den Rollen der Emirena und der Sabina sind Romina Basso und Dilyara Idrisova zu hören.
Die Capella Cracoviensis musiziert auf historischen Instrumenten – mun- ter, mitunter auch emotionsgeladen, dabei aber stets klangschön. Wer Lust hat auf vokale Ausnahmeklänge, auf die hochartifizielle Gesangskunst einer längst versunkenen Opernkultur, die nunmehr schrittweise wieder rekonstruiert wird, der sollte sich insbesondere die Arien mit Franco Fagioli anhören. Es dürfte auf der ganzen Welt derzeit keine drei Sänger geben, die in der Lage sind, eine solche Partie live und ohne Striche zu bewältigen.
Mittwoch, 12. April 2017
Bach: Johannes-Passion (MDG)
Rainer Johannes Homburg hat mit „seinen“ Stuttgarter Hymnus-Chor- knaben die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach eingespielt. Dabei entschied sich der erfahrene Kirchenmusiker für die vierte und letzte Version, aus dem Jahre 1749. In dieser verwarf Bach etliche Glättungen und kehrte „zur 25 Jahre alten Urfassung zurück“, so Hom- burg: „Nur die Instrumentation ist nun reicher, insbesondere die Continuo-Gruppe erweitert bis zum Kontrafagott. Diese Fassung ist hier aufgenommen.“
Neben namhaften Solisten – besonders beeindrucken hier Veronika Winter mit ihrem schlanken, klangschönen Sopran und Andreas Post, Tenor, der sowohl die Arien als auch die Partie des Evangelisten klug gestaltet – wirkte an der Aufnahme, die im Mai 2016 aufgezeichnet worden ist, auch die Handel's Company mit. Dieses Instrumentalensemble hat Homburg 1999 mit gegründet, um „Alte“ Musik stilecht aufführen zu können. Es musiziert auf historisch jeweils passenden Instrumenten und orientiert sich an der jeweiligen Aufführungspraxis – verzichtet aber auf den klanglichen Purismus, den „Originalklang“-Ensembles mitunter gern pflegen.
Im Vordergrund steht hier der Ausdruck von Affekten. „Historische Instrumente? So selbstverständliche Voraussetzung interpretatorischen Denkens, dass sie allein schon lange keine Antwort mehr sind“, meint Homburg in seinem Geleitwort zu dieser CD: „Was man mit ihnen macht, entscheidet.“ Bei dieser Aufnahme stellt er die Expressivität von Bachs Musik in den Mittelpunkt der Interpretation, und die jungen Chorsänger folgen ihm dabei mit Begeisterung und Können. Selbst schwierigste Koloraturen singen die Hymnus-Chorknaben erfreulich sicher und blitzsauber. So bleiben musikalische Strukturen auch in den großen Chören stets klar erkennbar. Und die Instrumentalisten sorgen dafür, dass auch Bachs klangliche Finessen gebührend zur Geltung kommen. Eine derart farbenreiche Continuo-Gruppe beispielsweise dürfte selbst den Thomas- kantor entzückt haben. Faszinierend!
Neben namhaften Solisten – besonders beeindrucken hier Veronika Winter mit ihrem schlanken, klangschönen Sopran und Andreas Post, Tenor, der sowohl die Arien als auch die Partie des Evangelisten klug gestaltet – wirkte an der Aufnahme, die im Mai 2016 aufgezeichnet worden ist, auch die Handel's Company mit. Dieses Instrumentalensemble hat Homburg 1999 mit gegründet, um „Alte“ Musik stilecht aufführen zu können. Es musiziert auf historisch jeweils passenden Instrumenten und orientiert sich an der jeweiligen Aufführungspraxis – verzichtet aber auf den klanglichen Purismus, den „Originalklang“-Ensembles mitunter gern pflegen.
Im Vordergrund steht hier der Ausdruck von Affekten. „Historische Instrumente? So selbstverständliche Voraussetzung interpretatorischen Denkens, dass sie allein schon lange keine Antwort mehr sind“, meint Homburg in seinem Geleitwort zu dieser CD: „Was man mit ihnen macht, entscheidet.“ Bei dieser Aufnahme stellt er die Expressivität von Bachs Musik in den Mittelpunkt der Interpretation, und die jungen Chorsänger folgen ihm dabei mit Begeisterung und Können. Selbst schwierigste Koloraturen singen die Hymnus-Chorknaben erfreulich sicher und blitzsauber. So bleiben musikalische Strukturen auch in den großen Chören stets klar erkennbar. Und die Instrumentalisten sorgen dafür, dass auch Bachs klangliche Finessen gebührend zur Geltung kommen. Eine derart farbenreiche Continuo-Gruppe beispielsweise dürfte selbst den Thomas- kantor entzückt haben. Faszinierend!
Montag, 10. April 2017
Fauré/Messager: Messe des pêcheurs de Villerville, Bach/Pergolesi: Tilge, Höchster, meine Sünden (Rondeau)
Wer bei den beiden Werken,die auf dieser CD zu hören sind, meint, er hätte diese Musik doch schon ander- weitig gehört, der hat vollkommen recht. Die Messe des pêcheurs de Villerville haben Gabriel Fauré und André Messager gemeinsam geschaffen. Der Komponist und sein Schüler waren in dem Fischerdorf des öfteren zu Gast; 1881 schufen sie ein Werk, das von Dorfbewohnern zusammen mit Sommergästen in der Dorfkirche aufgeführt wurde, begleitet von Harmonium und einer Geige. Die Kollekte, die dabei eingesammelt wurde, kam den Fischern und ihren Familien zugute.
Im darauffolgenden Jahr waren deutlich mehr Musiker anwesend, was dazu führte, dass die Instrumentalbegleitung der verfügbaren Besetzung angepasst wurde. Auf dieser CD musizieren Eva Ludwig, Flöte, Nikolaus Kolb, Oboe, Sharon Kam, Klarinette, Birte Päplow und Saskia Rohde, Violine, Johanna Held, Viola, Ute Sommer, Violoncello, Heinrich Lade- mann, Kontrabass, und Ulfert Smidt, Orgel.
Im Jahre 1907 verwendete Fauré diese Musik noch einmal: Die Messe basse ist ohne jeden Zweifel eine Variante der Fischermesse – noch schlichter und vielleicht sogar edler als das Original, das einst in der Sommerfrische entstanden ist.
Im Parodieverfahren verwandelte 1746/47 Johann Sebastian Bach das Stabat mater von Giovanni Battista Pergolesi in eine Vertonung von Psalm 51. Er brachte die Musik des Italieners, die ihn inspirierte, vor seine Gemeinde – indem er sie für den evangelischen Gottesdienst tauglich machte.
Für Tilge, Höchster, meine Sünden BWV 1083 wagte Bach aber weit mehr als nur die behutsame Anpassung auf einen neuen Text. Er veränderte Pergolesis Musik mit der offenkundigen Absicht, den Psalmtext musika- lisch auszudeuten. Dies zog stellenweise doch recht deutliche Eingriffe nach sich. So ersetzte Bach lange Notenwerte durch Melismen und überarbeitete auch die Begleitung umfangreich. Allerdings bleibt das Original immer präsent; Bach hat es, bei aller Umdeutung, ausgesprochen respektvoll behandelt.
Der Mädchenchor Hannover singt die beiden Werke sehr hörenswert. Chorleiterin Gudrun Schröfel führt die jungen Sängerinnen mit sicherer Hand – und auch ungemein stilsicher. So erhält jedes Musikstück seinen individuellen Charakter. Faurés Messe des pêcheurs de Villerville erklingt eindringlich und innig, BWV 1083 klar akzentuiert und affektgeladen. Die Soli singen Ania Vegry, Sopran, und Mareike Morr, Alt; das Arte Ensemble musiziert gemeinsam mit dem Marktkirchenorganisten Ulfert Smidt. Eine gelungene Kombination zweier Raritäten.
Im darauffolgenden Jahr waren deutlich mehr Musiker anwesend, was dazu führte, dass die Instrumentalbegleitung der verfügbaren Besetzung angepasst wurde. Auf dieser CD musizieren Eva Ludwig, Flöte, Nikolaus Kolb, Oboe, Sharon Kam, Klarinette, Birte Päplow und Saskia Rohde, Violine, Johanna Held, Viola, Ute Sommer, Violoncello, Heinrich Lade- mann, Kontrabass, und Ulfert Smidt, Orgel.
Im Jahre 1907 verwendete Fauré diese Musik noch einmal: Die Messe basse ist ohne jeden Zweifel eine Variante der Fischermesse – noch schlichter und vielleicht sogar edler als das Original, das einst in der Sommerfrische entstanden ist.
Im Parodieverfahren verwandelte 1746/47 Johann Sebastian Bach das Stabat mater von Giovanni Battista Pergolesi in eine Vertonung von Psalm 51. Er brachte die Musik des Italieners, die ihn inspirierte, vor seine Gemeinde – indem er sie für den evangelischen Gottesdienst tauglich machte.
Für Tilge, Höchster, meine Sünden BWV 1083 wagte Bach aber weit mehr als nur die behutsame Anpassung auf einen neuen Text. Er veränderte Pergolesis Musik mit der offenkundigen Absicht, den Psalmtext musika- lisch auszudeuten. Dies zog stellenweise doch recht deutliche Eingriffe nach sich. So ersetzte Bach lange Notenwerte durch Melismen und überarbeitete auch die Begleitung umfangreich. Allerdings bleibt das Original immer präsent; Bach hat es, bei aller Umdeutung, ausgesprochen respektvoll behandelt.
Der Mädchenchor Hannover singt die beiden Werke sehr hörenswert. Chorleiterin Gudrun Schröfel führt die jungen Sängerinnen mit sicherer Hand – und auch ungemein stilsicher. So erhält jedes Musikstück seinen individuellen Charakter. Faurés Messe des pêcheurs de Villerville erklingt eindringlich und innig, BWV 1083 klar akzentuiert und affektgeladen. Die Soli singen Ania Vegry, Sopran, und Mareike Morr, Alt; das Arte Ensemble musiziert gemeinsam mit dem Marktkirchenorganisten Ulfert Smidt. Eine gelungene Kombination zweier Raritäten.
Montag, 3. April 2017
Brahms: The Complete Solo Piano Music, Vol. 3 (BIS)
„Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer?“, verwunderte sich einst Musikkritiker Eduard Hanslick. Jonathan Plowright hat für die dritte Folge seiner Brahms-Gesamtein- spielung die 16 Walzer op. 39 ausgewählt – höchst vergnügliche, und dabei facettenreiche Werke, die mit den Erwartungen des Zuhörers wie auch des Musizierenden spielen. Soviel Humor hätte man Johannes Brahms gar nicht zugetraut, zumal dieser die Walzer ganz offenkundig zum Verkauf an das geneigte Publikum geschrieben hat: Die erste Fassung entstand für Klavier zu vier Händen, und dann folgten noch einmal zwei Varianten für Klavier solo nach, wobei der Komponist eine davon ganz bewusst vereinfacht hat.
Temperament zeigt Brahms aber auch bei den Variationen über ein unga- risches Lied op. 21 Nr.2. Durch seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Geiger Eduard Reményi lernte er Zigeunermelodien kennen und schätzen – Plowright zeigt, wie raffiniert und virtuos Brahms diese Klänge in seine Werke integriert hat. Wer eher den norddeutsch-nüchternen Brahms schätzt, für den enthält diese CD die Capricci und Intermezzi op. 76 sowie die Sechs Klavierstücke op. 118 – herb bis dramatisch, doch auch innig, kühn und erstaunlich modern. Plowright demonstriert dabei große Klavierkunst; auf die Fortsetzung dieser Gesamtaufnahme darf man schon jetzt sehr gespannt sein.
Temperament zeigt Brahms aber auch bei den Variationen über ein unga- risches Lied op. 21 Nr.2. Durch seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Geiger Eduard Reményi lernte er Zigeunermelodien kennen und schätzen – Plowright zeigt, wie raffiniert und virtuos Brahms diese Klänge in seine Werke integriert hat. Wer eher den norddeutsch-nüchternen Brahms schätzt, für den enthält diese CD die Capricci und Intermezzi op. 76 sowie die Sechs Klavierstücke op. 118 – herb bis dramatisch, doch auch innig, kühn und erstaunlich modern. Plowright demonstriert dabei große Klavierkunst; auf die Fortsetzung dieser Gesamtaufnahme darf man schon jetzt sehr gespannt sein.
Sonntag, 2. April 2017
Fritz Wunderlich (BR Klassik)
Noch einmal Fritz Wunderlich: Auf dieser CD, die von BR-Klassik anlässlich seines 50. Todestages veröffentlicht wurde, sind bislang nicht veröffentlichte Rundfunkauf- nahmen aus den Jahren 1959 bis 1965 zu hören. Die Mitschnitte eini- ger Münchener Sonntagskonzerte und die Studioaufnahmen des Bayerischen Rundfunks zeigen den Sänger auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn, die dann leider viel zu früh beendet war.
Diese CD zeigt, dass Wunderlich auch die sogenannte „leichte Muse“ nicht verschmähte. Im Gegenteil – mit seinen überragenden Fähigkeiten und seinem unverwechselbaren Timbre engagierte sich der Tenor für die Operette oder die deutsche Spieloper. So dürfen wir ihn noch heute auf dieser CD hören mit bekannten Melodien wie Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen aus Albert Lortzings Zar und Zimmermann, Horch, die Lerche singt im Hain aus Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai sowie Liedern aus einst sehr populären Operetten von Franz Lehár, Johann Strauß, Leo Fall und Eduard Künnecke – und natürlich mit Robert Stolz' berühmtem Hit Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau'n.
Wunderlich singt all dies mit der gleichen Intensität und Sorgfalt, mit der er auch Mozarts große Tenorpartien gestaltete. Selbst Schlager klingen, wenn der Tenor sie vorträgt, gar nicht kitschig und albern. An vielen kleinen Details wird man immer wieder feststellen, was für ein großer Sänger Fritz Wunderlich war – und welch ein Verlust sein früher Tod nach einem Treppensturz 1966.
Diese CD zeigt, dass Wunderlich auch die sogenannte „leichte Muse“ nicht verschmähte. Im Gegenteil – mit seinen überragenden Fähigkeiten und seinem unverwechselbaren Timbre engagierte sich der Tenor für die Operette oder die deutsche Spieloper. So dürfen wir ihn noch heute auf dieser CD hören mit bekannten Melodien wie Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen aus Albert Lortzings Zar und Zimmermann, Horch, die Lerche singt im Hain aus Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai sowie Liedern aus einst sehr populären Operetten von Franz Lehár, Johann Strauß, Leo Fall und Eduard Künnecke – und natürlich mit Robert Stolz' berühmtem Hit Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau'n.
Wunderlich singt all dies mit der gleichen Intensität und Sorgfalt, mit der er auch Mozarts große Tenorpartien gestaltete. Selbst Schlager klingen, wenn der Tenor sie vorträgt, gar nicht kitschig und albern. An vielen kleinen Details wird man immer wieder feststellen, was für ein großer Sänger Fritz Wunderlich war – und welch ein Verlust sein früher Tod nach einem Treppensturz 1966.
Samstag, 1. April 2017
Fritz Wunderlich Schlager aus den 50ern / Festliche Arien (SWR Music)
Fritz Wunderlich war ein Phänomen. Im Beiheft zu dieser CD kann man erfahren, dass der Tenor in Kindheit und Jugend eine harte Schule erlebte. Denn schon als Kind musizierte er gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester – um Geld zu verdienen; der Vater war mit einer Gastwirtschaft gescheitert und hatte sich das Leben genommen, als Fritz fünf Jahre alt war.
„Ich habe mein Studiengeld bei der Tanzmusik verdient“, berichtete der Sänger später in einem Interview. „Ich hab also Jazz gemacht, ich habe Trompete geblasen, ich habe Akkordeon gespielt, ich habe Jazz gesungen, nachts, am nächsten Morgen bin ich zum Studium gegangen und habe alte Arien gesungen.“
Schon 1953 holte Willi Stech Wunderlich erstmals ins Studio des Südwest- funks, wo innerhalb weniger Jahre etliche Aufnahmen mit dem Sänger entstanden. Solche alten Schätze hat der SWR nun aus den Tonarchiven geholt und sorgsam remastert, so dass sie heutigen Ansprüchen genügen. Auf dieser Doppel-CD kann man Fritz Wunderlich nun also als Schlager- sänger und mitunter sogar als Trompeter hören. Die Schlager aus den 50er und 60er Jahren allerdings haben musikalisch ein etwas anderes Kaliber, als man das heute gewohnt ist; sie sind nahe Verwandte der Operettenlieder, und dieses Genre ist für Sänger alles andere als einfach – auch wenn es dann letztendlich in der Vorstellung mühelos klingen muss.
Wie er in jenen frühen Jahren die „alten Arien“ gesungen hat, das belegt eine weitere CD mit Aufnahmen, die zwischen 1955 und 1959 entstanden sind. Zu hören sind Rezitative sowie eine Arie aus Bachs Weihnachts- oratorium, aufgezeichnet bei einer Aufführung 1955 in der Stuttgarter Markuskirche, zwei Weihnachtsmotetten von Heinrich Schütz und zwei Kantaten von Dieterich Buxtehunde und Georg Philipp Telemann sowie Ausschnitte aus Händels Messias. Dieser Mitschnitt von 1959 macht deutlich, welch rasante Entwicklung der Sänger innerhalb weniger Jahre genommen hat: Die Stimme gereift, die Technik exzellent, und der Vortrag zunehmend differenzierter.
Zehn Folgen soll die Wunderlich-CD-Serie einmal umfassen, und alle Bereiche seines Wirkens – von Schlagern und Operetten, über „Alte“ Musik bis hin zu Werken des 20. Jahrhunderts. Man darf sehr gespannt sein auf die Entdeckungen, die da noch kommen werden.
„Ich habe mein Studiengeld bei der Tanzmusik verdient“, berichtete der Sänger später in einem Interview. „Ich hab also Jazz gemacht, ich habe Trompete geblasen, ich habe Akkordeon gespielt, ich habe Jazz gesungen, nachts, am nächsten Morgen bin ich zum Studium gegangen und habe alte Arien gesungen.“
Schon 1953 holte Willi Stech Wunderlich erstmals ins Studio des Südwest- funks, wo innerhalb weniger Jahre etliche Aufnahmen mit dem Sänger entstanden. Solche alten Schätze hat der SWR nun aus den Tonarchiven geholt und sorgsam remastert, so dass sie heutigen Ansprüchen genügen. Auf dieser Doppel-CD kann man Fritz Wunderlich nun also als Schlager- sänger und mitunter sogar als Trompeter hören. Die Schlager aus den 50er und 60er Jahren allerdings haben musikalisch ein etwas anderes Kaliber, als man das heute gewohnt ist; sie sind nahe Verwandte der Operettenlieder, und dieses Genre ist für Sänger alles andere als einfach – auch wenn es dann letztendlich in der Vorstellung mühelos klingen muss.
Wie er in jenen frühen Jahren die „alten Arien“ gesungen hat, das belegt eine weitere CD mit Aufnahmen, die zwischen 1955 und 1959 entstanden sind. Zu hören sind Rezitative sowie eine Arie aus Bachs Weihnachts- oratorium, aufgezeichnet bei einer Aufführung 1955 in der Stuttgarter Markuskirche, zwei Weihnachtsmotetten von Heinrich Schütz und zwei Kantaten von Dieterich Buxtehunde und Georg Philipp Telemann sowie Ausschnitte aus Händels Messias. Dieser Mitschnitt von 1959 macht deutlich, welch rasante Entwicklung der Sänger innerhalb weniger Jahre genommen hat: Die Stimme gereift, die Technik exzellent, und der Vortrag zunehmend differenzierter.
Zehn Folgen soll die Wunderlich-CD-Serie einmal umfassen, und alle Bereiche seines Wirkens – von Schlagern und Operetten, über „Alte“ Musik bis hin zu Werken des 20. Jahrhunderts. Man darf sehr gespannt sein auf die Entdeckungen, die da noch kommen werden.
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