Sonntag, 28. November 2010

Shadows - Baroque Music by Vivaldi, Blavet, Dieupart and Veracini (Solo Musica)

"Aus Liebe zur Barockmusik habe ich dieses Programm eingespielt", schreibt Ramón Ortega Quero, Solo-Oboist des Symphonie- orchesters des Bayerischen Rund- funks und Rising Star der European Concert Hall Organization 2010/11. "Wir haben die drei italienischen Sonaten und drei französische Stücke aufgenommen und versucht, Ähnlichkeiten und Unterschiede beider Stilrichtun- gen deutlich zu machen."
Das ist offenbar gar nicht so einfach, denn die Musiker der Barockzeit reisten umher, um zu lernen, einander zuzuhören und Arbeiten berühmter Kollegen zu kopieren. Italien galt damals als das Maß aller Dinge. Concerti grossi nach Corelli, die Kirchensonate oder die nea- politanische Oper wurden bald in ganz Europa nachgeahmt. 
Die Franzosen bevorzugten Suiten, Folgen von Tanzsätzen; sie über- nahmen aber bald die Innovationen aus Italien. So steht auf dieser CD nur noch ein Werk für den französischen Stil - und die Suite VI in f-Moll stammt lustigerweise von Charles Dieupart, der in London lebte und arbeitete. Die beiden Werke von Michel Blavet, damals der berühmteste Flötist in Frankreich, folgen bereits dem Modell der Sonate. Die CD enthält zudem Sonaten von Francesco Maria Veracini und Antonio Vivaldi - darunter auch die Sonate c-Moll RV 53, das einzige der sechs Werke, das ursprünglich für Oboe entstanden ist.
Alle sechs Werke stehen zudem im Tongeschlecht Moll, was das Label veranlasste, den Titel Schatten für die CD zu wählen. Nach der Affektenlehre, die im Beiheft sogar zitiert wird, haben aber nicht alle Moll-Tonarten etwas Düsteres; erst die Wiener Klassik bevorzugte die Dur-Tonarten, und degradierte Moll zum Kontrast. Johann Mattheson beschreibt in seinem Neu-Eröffneten Orchestre (1713) aber nicht nur die Charaktere der einzelnen Tonarten: "Der gleichsam redende Haut- bois, ital. Oboe, ist bey den Frantzosen, und nunmehro auch bey uns, das, was vor diesem in Teutschland die Schalmeyen (von den alten Musicis Piffari genandt) gewesen sind, ob sie gleich etwas anders eingerichtet. Die Hautbois kommen, nach der Flute Allemande, der Menschen-Stimme wol am nähesten, wenn sie mannierlich und nach der Sing-Art tractiert werden, wozu ein großer Habitus und sonder- lich die gantze Wissenschaft der Singe-Kunst gehöret. Werden aber die Hautbois nicht auff das aller delicateste angeblasen, (es sei denn im Felde oder inter pocula, wo mans eben so genau nicht nimmt) so will ich lieber eine gute Maultrummel oder ein Kamm-Stückchen davor hören, und glaube, es werden ihrer mehr also verwehnet seyn." 
Was die Qualität des Oboenspiels angeht, so ist bei dieser CD nicht viel zu befürchten; auch wenn der Ton vielleicht noch ein wenig weicher, singender, samtiger werden könnte. Und mit Luise Buchberger am Violoncello und Peter Kofler am Cembalo steht Ramón Ortega Quero ein versiertes Continuo zur Seite.

Christmas Season - Weihnachtsfreude (Hänssler)

Beliebte Weihnachtslieder bringt diese Doppel-CD. Sie speist sich aus vier Quellen. Sämtliche Werke gruppieren sich um die bekannten Chöre aus den Bach-Kantaten, wie sie Helmuth Rilling mit der Frank- furter bzw. der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium Stuttgart eingespielt hat. Dazu kommen Chöre aus der Weihnachts-Historie des Arnold Matthias Brunkhorst (um 1670 bis 1725), sehr anspre- chend vorgetragen vom Ensemble Musica Poetica Freiburg unter Hans Bergmann, und Weihnachtsliedsätze aus dem Spätbarock, interpretiert vom Solistenensemble Gerhard Schnitter. Besonders interessant aber ist die vierte Quelle - die Weihnachts-Kantate Auf Christen lasst uns unsern Gott von Johann Christian Heinrich Rinck (1770 bis 1846), hier gesungen vom Collegium Vocale unter Ulrich Stötzel. 
Rinck gehört zu den Vätern der modernen Kirchenmusik. Er lernte sein Handwerk bei dem Bach-Schüler Johann Christian Kittel, und wirkte zunächst in Gießen, später dann in Darmstadt. Rinck galt als einer der besten Organisten seiner Zeit, war ein gefragter Orgel- sachverständiger und unternahm mehrfach Konzertreisen. Großes Ansehen erlangte Rinck auch als Komponist von Orgelmusik; Generationen von Organisten weltweit erlernten das Instrument anhand seiner sechsbändigen Praktischen Orgelschule op. 55. In den 20er Jahren geriet sein Werk in Vergessenheit - denn über der Wiederentdeckung Bachs galt die Musik des 19. Jahrhunderts plötzlich als unattraktiv und minderwertig. Was man daraus lernt? Geschichte wiederholt sich. Und die Erinnerung verblasst bereits nach wenigen Jahrzehnten. -- Frohe Weihnachten! 

Christmas at San Marco (Berlin Classics)

Der Dom San Marco war bis zur Auflösung der Republik Venedig 1797 die Kirche des Dogen, und insbesondere das Weihnachtsfest wurde dort glanzvoll zelebriert. Diese CD zeigt einen Ausschnitt aus den Feierlichkeiten, wie sie für das Jahr 1767 denkbar sind. Vermutet wird, dass damals das Kyrie in F von Ferdinando Bertoni, Messa per San Marco und Adeste fideles von Baldassare Galuppi, eine Sinfonia in G von Gaetano Latilla und das Te Deum in C von Galuppi erklangen. Der seit 1762 amtie- rende maestro di cappella allerdings hielt sich seinerzeit in Russland auf, wo er von 1765 bis 1768 als Hofkapellmeister und -komponist wirkte. 
Eigentlich hatte er wenig Lust, an den Hof Katharinas II. zu gehen, doch venezianische Diplomaten konnten ihn schließlich zu der Reise überreden. Dass die Zarin Galuppi eingeladen hat, das wird nicht überraschen - prägte und repräsentierte der Musiker doch die Musik der Serenissima wie vor ihm nur Johann Adolf Hasse. Galuppi war als Opernkomponist ebenso berühmt wie für seine Kirchenmusik, und zu Lebzeiten weit bekannter als selbst Antonio Vivaldi. 
Die Messkomposition für das Weihnachtsfest 1767 schickte der Musiker aus Moskau nach Venedig. Es war üblich, dass der maestro di cappella Gloria und Credo vertonte, und der erste Organist das Kyrie. Sanctus und Agnus Dei wurden durch ein Motetto und ein Instrumen- talstück ersetzt. Komplettiert wurde die Mitternachtsmesse durch das Te Deum laudamus. Die Position des ersten Organisten diente tradi- tionell zur Vorbereitung auf den Kapellmeisterposten; tatsächlich erhielt Ferdinando Bertoni die Stelle nach dem Tode Galuppis. Vizekapellmeister Gaetano Latilla leitete die cappella ducale während der Russlandreise Galuppis. Er war für eine umfassende Reform dieses Klangkörpers verantwortlich, die ihm die Leistungsfähigkeit sicherte, war aber auch selbst ein exzellenter Komponist, wie die Sinfonia in G zeigt. 
Zu hören sind das Vocal Concert Dresden und das Dresdner Instrumental-Concert unter Peter Kopp. Der Chor singt vorzüglich; allerdings kann das Solistenquintett ihm nicht das Wasser reichen, was die Freude etwas dämpft. Aber für derartige spätbarocke Musik wünscht man sich farbenreiche, typische Stimmen, wie einen strahlenden, beweglichen Sopran, einen dunkel timbrierten Alt. Die Stimmen von Gemma Bertagnolli, Sopran 1, Valentina Varriale, Sopran 2 und Mary-Ellen Nesi, Alt, sowie Julien Behr, Tenor und Clemens Heidrich, Bass, harmonieren zwar gut miteinander. Aber insbesondere die Damen haben eher klassische Opernstimmen, was zu dieser Art Musik meiner Ansicht nach nicht so gut passt.

Mittwoch, 24. November 2010

Ryba: Böhmische Weihnachten (Naxos)

Jakub Jan Ryba (1765 bis 1815) war der Sohn eines Lehrers, der - wie in Böhmen damals weithin üblich - zugleich auch Kantor und Organist war. Sein Vater unterrich- tete ihn an Geige, Klavier und Orgel - und in Latein und Griechisch, denn der Sohn sollte zum Gymna- sium gehen, und dann studieren. Das begehrte Stipendium aber erhielt Ryba nicht. Und so nahm ihn ein Onkel mit nach Prag, damit er dort lerne und studiere. Mit Musizieren verdiente sich Ryba Geld dazu. Doch das reichte offenbar nicht, um die Ausbildung abzusichern. Als Ryba erfuhr, dass in seiner Heimat eine Stelle zu vergeben sei, kehrte er zurück, und arbeitet zunächst als Lehrer- gehilfe, später als Kantor. 
Sein bekanntestes Werk ist die Weihnachtsmesse Hej mistre. Sie ist in Tschechien bis heute überaus populär, und gehört dort zum Weih- nachtsfest wie bei uns die Christmette oder das Krippenspiel. Diese CD enthält zudem noch eine Missa pastoralis, eine Hirtenmesse, die lateinische und tschechische Texte kombiniert, und die liturgische Strenge durch die Gesänge der Hirten abmildert. Die Solisten sind Dagmar Vankátová, Pavla Ksicová, Vladimír Dolezal und Václav Sibera. Es musizieren zudem der Tschechische Madrigalchor - der Kammerchor des traditionsreichen Gesangsvereins Hlahol Prag - und das vereinseigene Kammerorchester unter Leitung von Frantisek Xaver Thuri, einem ausgewiesenen Barock-Experten. Die Sänger sind durchweg exzellent. Leider ist die Aufnahme technisch nicht beson- ders gelungen; so erscheint insbesondere die Lautstärke, mit der die einzelnen Instrumentengruppen und die Sänger zu hören sind, sehr wechselhaft und unausgewogen. Schade.

Dienstag, 23. November 2010

Masaaki Suzuki plays Buxtehude (BIS)

Um Dieterich Buxtehude (um 1637 bis 1707) zu hören und bei ihm Unterricht zu nehmen, reiste Johann Sebastian Bach 1705 vom thüringischen Arnstadt nach Lübeck - mehr als 400 Kilometer, zu Fuß. Diesen "Bildungsurlaub" verlängerte Bach obendrein eigenmächtig, was ihm einigen Ärger bescherte. 
Bachs Entscheidung wird verständ- lich, wenn man die Werke Buxte- hudes hört. Er war der berühm- teste Vertreter der Norddeutschen Orgelschule, und mit Formvorgaben ging er sehr virtuos - man könnte auch sagen kreativ bis ignorant - um. Seine Choralvorspiele gleichen mitunter rhetorischen Rätselstücken, was die Gemeinde jedoch offenbar mit norddeutscher Gelassenheit ertrug, und mit seinen "Abendmusiken", oratorienähnlichen geistlichen Aufführungen in der Adventszeit, etablierte er sogar die wohl ersten öffentlichen Konzerte in Deutschland.
Der brillante japanische Organist und Musikhistoriker Masaaki Suzuki spielt eine kleine, aber feine Auswahl aus Buxtehudes großartigem Orgelwerk. Dafür hat er zwei Instrumente ausgesucht, die in ihrer Grundsubstanz aus dem 17. Jahrhundert und von Orgelbauern stammen, die Buxtehude schätzte. Diese Orgeln befinden sich in den Dörfern Altenbruch und Lüdingworth, drei Kilometer voneinander entfernt, bei Cuxhaven an der Elbmündung. Es waren reiche Dörfer, und die Instrumente haben die entsprechenden Dimensionen und auch klanglich ein Format, das den großen Orgeln der Hansestädte in nichts nachsteht. Suzuki demonstriert die hohe Kunst Buxtehude- scher Orgelmusik - und lässt zugleich das Klangspektrum der beiden Orgeln erahnen. Das Ergebnis ist ein ausgesprochenes Hörvergnügen. Diese Musik war bisher selten in einer so delikaten und zugleich so formbewussten Interpretation zu erleben.

Montag, 22. November 2010

Weyse - The key masterpieces (Dacapo)

Christoph Ernst Friedrich Weyse (1774 bis 1842) ging in seinem Leben nur einmal auf eine Schiffs- reise. Sie führte von seinem Geburtsort Altona in Holstein nach Kopenhagen, und muss wohl un- auslöschliche Eindrücke hinter- lassen haben - jedenfalls hat sich Weyse niemals wieder weiter von Kopenhagen entfernt, als das zu Pferde oder mit der Kutsche binnen Tagesfrist möglich ist. Das war auch nicht erforderlich, denn die musikalische Welt kam schon bald zu ihm, und so pflegte er den Kontakt zu zahlreichen Musikerkollegen wie Franz Liszt, Ignaz Moscheles oder Clara Schumann.
Weyse wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf. Er lernte Cembalo spielen, und sang als Knabensopran, auch solistisch. Seine Ausbildung lag in den Händen seines Großvaters, eines Kantors und Organisten. Als dieser der Meinung war, der Knabe müsse nun einen "richtigen" Musiklehrer bekommen, reiste er nach Hamburg und sprach bei Carl Philipp Emanuel Bach vor. Doch dieser wollte nicht gestört werden. Und so kam der 15jährige Weyse nach Kopenhagen, wo Johann Abraham Peter Schulz, ein Schüler Kirnbergers - bekannt als Schöpfer zahlreicher Lieder im Volkston, wie Der Mond ist aufgegangen oder Ihr Kinderlein, kommet - seit zwei Jahren als Hofkapellmeister wirkte. 
In Dänemark war Weyse sehr bekannt und sehr erfolgreich - schon im Alter von 18 Jahren wurde er Organist an der Deutschen Reformier- ten Kirche in Kopenhagen, sieben Jahre später wurde er Organist an der Kathedrale in Kopenhagen, er erhielt den Professorentitel - und 1819 wurde er zum Hofkomponisten ernannt.
Diese Doppel-CD gibt einen Einblick in sein breites Schaffen, das von Cembalo- und Klavierwerken über Sinfonien, Opern und Singspiele, Kantaten und andere Musikstücke für höfische Feierlichkeiten bis hin zu Kunstliedern reicht - letztere waren so populär, dass Weyse zum Ende des 19. Jahrhunderts nur noch als Liedkomponist bekannt war. 
Sein Stil hat sich im Laufe seines Lebens sehr gewandelt. Erscheinen seine frühen Werke eher galant bis klassizistisch, so klingen seine späteren Stücke sehr romantisch; seine Lieder erinnern in ihrer Leichtigkeit mitunter an Mendelssohn und in den Klavierbegleitungen auch an Schumann. Doch ist seine Musik stets sehr eigenständig; Weyse kannte das Schaffen seiner Zeitgenossen, aber er kopierte es nicht. Besondere Empfehlung: CD 2 enthält Weyses Weihnachts- kantate Nr. 3 Jubler, o jubler i salige toner - passend zum Fest, und wunderschön.

Sonntag, 21. November 2010

Bach: Oboe Concertos (BIS)

Der Oboe war Bach sehr verbun- den. Seine Kantaten enthalten mehr Soli für dieses als für jedes andere Instrument. Erstaunli- cherweise ist aber kein einziges größeres konzertantes Werk des Komponisten für die Oboe erhal- ten. Dabei begleitete das Instru- ment Bach sein Leben lang. So wirkte Bachs Bruder Johann Jacob  Bach (1682 bis 1722) zunächst in der Eisenacher Hofkapelle als Hautboist, und später im Dienst Karls XII. von Schweden.
In Weimar und Köthen müssen Bach exzellente Bläser zur Seite ge- standen haben; und Leipzig war damals ohnehin eine Oboen-Hoch- burg mit mindestens vier Holzblasinstrumentenbauern und einer Vielzahl engagierter Musiker. Die Oboisten Caspar Gleditsch und Gottfried Kornagel waren wie Bach städtische Angestellte und spielten an der Thomaskirche. Schon 1722 hörte Bach Gleditsch auf der kurz zuvor in Leipzig erfundenen Oboe d'amore. 
Mit den Soli aus den Kantaten, die Bach seinerzeit für diese großarti- gen Musiker komponierte, geben sich Oboisten aber ungern zufrie- den. Und so begaben sich immer wieder Neugierige auf die Spurensuche - mit Erfolg: Schon seit 1886 wird das Doppelkonzert BWV 1060 auch mit Violine und Oboe besetzt. In den 30er Jahren wurde zudem entdeckt, dass sowohl die Phrasierung als auch der Tonumfang der Solopartie von BWV 1055 präzise auf die Oboe d'amore passt. Musikwissenschaftler sind zudem der Meinung, das Adagio aus dem Oster-Oratorium BWV 249, um einen Ganzton tiefer transponiert, sei der originale Mittelsatz dieses Konzertes. 
Auf dieser CD, die mit zwei aus Kantaten "rekonstruierten" Oboen- konzerten in F-Dur und in d-Moll beginnt, erklingt dieser Satz allerdings vor dem Konzert - was eine hübsche Idee ist, weil diese Placierung zum Vergleich geradezu einlädt. Alexej Leonidowitsch Ogrintschuk, derzeit Solo-Oboist am Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam, musiziert hier gemeinsam mit Alina Ibragimova, Violine, (im Doppelkonzert), Reinut Tepp, Cembalo, und dem Swedish Chamber Orchestra, Örebro, das er bei dieser Aufnahme auch leitet. Die Einspielung ist hervorragend, was nicht zuletzt an dem samt- weichen, geschmeidigen Oboenton Ogrintschuks liegt. Er gehört ohne Zweifel zu den besten Oboisten der Welt, und er wird auf dieser CD von exzellenten Musikern begleitet. Bravi!

Suites & Correspondances (Ambitus)

Die Komponisten Johann Sebastian Bach und Francois Couperin sollen einen Briefwechsel über Methoden der Cembalo-Ausbildung und über unterschiedliche Möglichkeiten, Instrumente zu stimmen, unter- halten haben. Madame Couperin gewann den Fachsimpeleien der Männer eine ganz eigene, prakti- sche Seite ab, so heißt es: Sie soll mit Bachs Briefen ihre Marmela- dengläser abgedeckt haben.
Diese Geschichte, die die Idee zum Cover dieser CD lieferte, mag er- funden sein.  In jedem Falle aber kannte sich Bach in der französi- schen Musik bestens aus. Er hatte Gelegenheit, Werke französischer Komponisten zu hören, er kopierte auch selbst derartige Werke, und er begegnete französischen Virtuosen, wie dem Flötisten Pierre Gabriel Buffardin, der mehr als 30 Jahre lang am Hofe des sächsi- schen Kurfürsten angestellt war. Es wird vermutet, dass Bach für diesen Musiker Flötensonaten schrieb. Und die Französischen Suiten sollen möglicherweise eine Antwort auf Cembalokompositionen Couperins sein, die Englischen Suiten eine Reaktion auf Werke von Francois Dieupart, dessen Sechs Suiten für Cembalo sich Bach in seiner Weimarer Zeit abgeschrieben hatte - und der ab 1704 in England lebte.
Genaueres werden wir wohl nicht mehr erfahren; gewisse Analogien aber sind in der Tat augenfällig. Insofern ist das Programm dieser CD, das Werke Bachs neben jene von Dieupart, Robert de Visée und Couperin stellt, in jedem Falle eine clevere Idee. Über die Qualität des Spiels aber von La luth enchantée - Marion Fermé, Blockflöten, Anna Kowalska, Laute und Barockgitarre und Anton Birula, Laute und Theorbe - lässt sich hier wenig berichten. Denn die Aufnahme ist derart hallig, dass darunter alle Stücke leiden. So wirkt der Vortrag unpräzise, und eine dynamische Differenzierung lassen diese Klang- verhältnisse gleich gar nicht zu - schade!

Svjatoslav Richter - Concert 1993 (Hänssler)

Das Concerto in F von George Gershwin gehört zu den Raritäten seiner Gattung; es gibt kaum Aufnahmen davon. Swjatoslaw Teofilowitsch Richter (1915 bis 1997) hat es nur ein einziges Mal gespielt - zu den Schwetziger Feststpielen 1993, gemeinsam mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Christoph Eschenbach. Da jedes dieser Konzerte durch den Rundfunk aufgezeichnet und gesendet wurde, existiert auch von diesem denkwürdigen Ereignis ein Mitschnitt, den Hänssler nun in der Edition Schwetzinger Festspiele auf CD gebracht hat.
Richter begann sein Konzert damals mit einem weiteren Werk in derselben Tonart, dem Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 F-Dur op. 103 von Camille Saint-Saens. Der große russische Pianist, der nur unter Aufsicht im Westen gastieren durfte, kombiniert also ein Kon- zert, das von orientalischen Klängen geprägt ist und den Beinamen Ägyptisches trägt, mit Gershwins Werk, das wiederum so amerika- nisch klingt, dass Richter es in seiner Heimat wohl niemals spielen konnte. 
Eine wunderbare, poetische Einspielung, bei der Solist und Orchester einander zuspielen, miteinander wetteifern und aufeinander hören. So wird hier wie aus einem Atem musiziert - ein großartiger Abend muss das gewesen sein, ohne Zweifel, und man freut sich heute über eine grandiose CD.

Mittwoch, 17. November 2010

Myslivecek: Complete Wind Quintets & Octets (cpo)

Josef Myslivecek, geboren 1737 in Prag, gehörte zu jenen jungen Mu- sikern aus Böhmen und Mähren, die im 18. Jahrhundert ihre Heimat verließen, um in den europäischen Musikmetropolen ihr Glück zu versuchen. Myslivecek war dabei ziemlich erfolgreich. Dem begab- ten Prager Müllermeister gelang es, einen Mäzen zu finden, der es ihm ermöglichte, in Venedig Ge- sang und Komposition zu studie- ren. Und er war der einzige dieser oftmals exzellenten tschechischen Musiker, der sich in Italien als Opernkomponist etablieren konnte. Leider starb er bereits 1781 in Rom, verarmt und von der Syphilis entstellt.
Auf dieser CD erklingen allerdings keine Arien, sondern Bläseroktette und -quintette, die wie eine Reverenz an böhmische Traditionen wirken, auch wenn sie italienische Leichtigkeit vortäuschen. Es sind bildhübsche musikalische Miniaturen, geschöpft aus einem schier unendlichen Schatz an Melodien. 
Weniger erfreulich ist leider die Interpretation dieser Werke durch das L'Orfeo Bläserensemble unter Carin van Heerden. Gespielt wird auf historischen Instrumenten, und da mag live schon hier und da, zumal bei den Hörnern, ein Ton danebengehen - doch wenn Profis mehrere Tage an einer solchen Aufnahme arbeiten können, dann sollte das Ergebnis nicht klingen wie ein Musikschulorchester, Leistungsklasse Mittelstufe. Grauslig!

Bach: Goldberg-Variations / Canonic Variations (Etcetera)

Die Goldberg-Variationen gehören wahrscheinlich zu den am häufig- sten eingespielten Werken über- haupt. Der niederländische Orga- nist, Cembalist und Musikwissen- schaftler Pieter Dirksen hat sich mit Bachs Werk gründlichst be- schäftigt - und dann beschlossen, noch eine weitere Aufnahme vorzulegen. Denn mit dem, was Generationen von Pianisten aus den Goldberg-Variationen gemacht haben, ist er nicht zufrieden: "Ich kenne kein anderes Hauptwerk der westlichen Musikgeschichte, bei dem die Intentionen eines Komponisten heute so systematisch ignoriert werden."
Dirksen setzt sich nicht mit seinen Vorgängern auseinander; die berühmte Einspielung mit Glenn Gould sieht er als den ultimativen Beweis dafür, dass die Goldberg-Variationen auf dem Klavier nicht angemessen wiedergegeben werden können. Er selbst geht einen anderen Weg. "Diese Aufnahme versucht den Intentionen Bachs soweit wie möglich gerecht zu werden. Natürlich ist ein zweimanua- liges Cembalo das einzige infrage kommende Instrument, wie Bach deutlich auf seiner Titelseite bemerkt", schreibt Dirksen im Beiheft. 
Er suchte nach einem Cembalo, das den Anforderungen des Werkes möglichst optimal entspricht - und entschied sich für die Kopie eines Instrumentes von Johannes Ruckers, eines berühmten flämischen Cembalobauers des 17. Jahrhunderts, aus der Werkstatt von Sebastián Nunez, Utrecht. Es bietet neben einem ausgewogenen Klangbild den gewünschten Umfang von viereinhalb Oktaven, und zwei gleich starke, zugleich aber etwas unterschiedlich intonierte Achtfuß-Register. "Und so ideal wie eine gute Stradivari für Bachs Musik für Solovioline sein mag, so scheint mir eine ausgezeichnete Kopie eines Instrumentes vom berühmtesten Cembalobauer der Geschichte gerade richtig, den Olymp des Cembalorepertoires zu besteigen", so der Musiker. 
Auch bei der Wahl der Tempi bemüht sich Dirksen, Bach getreu zu folgen. Das bedeutet vor allem, Extreme zu meiden: "Zu schnelle Tempi tendieren bei den doppelmanualigen Variationen dazu, ihre reiche Polyphonie und Motivik zu verschleiern, während zu lang- same Tempi z.B. in der berühmten 25. Variation dazu tendieren, die geigerische Inspiration und Phrasierung in der Stimme der rechten Hand zu verhüllen." Wiederholungen spielt er so, wie sie Bach vorgegeben hat. Das hat den Vorteil, dass der Zuhörer die Musik ungekürzt und in voller ursprünglicher Länge genießen kann - und ein Genuss ist diese Aufnahme. Sie atmet, schwebt und lebt; sie zeigt die musikalische Substanz in ihrer ganzen Pracht und macht Strukturen durchhörbar. 
Und als besonderes Bonbon enthält die Doppel-CD noch Bachs zweites großes Variationswerk - die Canonischen Veränderungen über das Weihnachtslied Vom Himmel hoch, da komm ich her, komponiert für die Orgel. Dirksen spielt sie auf einer Orgel von Albertus Anthoni Hinsz in der Petruskerk Leens aus dem Jahre 1733 - und auch hier überzeugt er durch tiefe Demut vor Bachs Werk: "Ich will es gar nicht besser wissen als Bach", meint der Musiker. Und damit weiß er es zumindest besser als viele seiner Zeitgenossen. Für mich gehört diese Aufnahme zu den musikalischen Ereignissen des Jahres - Dirksen musiziert historisch informiert, aber vom ersten bis zum letzten Ton lebendig und mit einem Engagement, das begeistert.

Dienstag, 16. November 2010

Hasse: Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena (Oehms Classics)

Diese CD, von Oehms Classics kürzlich vorgelegt, gehört eigent- lich in die Tage vor dem Osterfest. Johann Adolf Hasse (1699 bis 1783), Dresdner Hofkapellmeister zur Zeit Augusts des Starken, ver- tonte in seinem Oratorium einen fiktiven Dialog, der die Gefühle von Petrus, Maria Magdalena, Maria, der Mutter des Jüngers Jakobus, Maria Salome, Mutter der Jünger Johannes und Jakobus, und Joseph von Arimatäa angesichts des Kreuzestodes Jesu offenbart. 
Gesungen wurden seinerzeit alle Partien von Frauenstimmen, beglei- tet von Streichern und Continuo. Denn dieses Werk ist für das Ospe- dale degl'Incurabili in Venedig entstanden, an dem Hasse nachweis- lich einige Jahre lang als maestro di cappella tätig war. In der Lagu- nenstadt gab es vier derartige Einrichtungen, die zu Hasses Zeiten bereits Internate waren, an denen Mädchen vor allem auch musika- lisch ausgebildet wurden. Ihre Darbietungen waren weithin berühmt. So berichtete Johann Wolfgang von Goethe 1786 über ein Konzert in der Kirche der Mendicanti: "Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen."
Auch Hasse hat derartige Werke komponiert. Da in der Passionszeit keine Opern aufgeführt werden durften, hörten die Venezianer statt dessen Oratorien. Oftmals verknüpften sie einen Psalm wie das Miserere mit einer vorangestellten Handlung - Hasses Werk ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür. Und die Solistinnen müssen ziemlich gut gesungen haben, denn die Partien, die er für seine Schützlinge schrieb, sind keineswegs einfach. 
Die Struktur des Oratoriums erscheint unkonventionell; Hasse löst sich aus der Abfolge von Rezitativ und Arie, und sucht nach anderen Formen, die die Textaussage besser transportieren. So beginnt das Oratorium mit einer raffinierten Sinfonia, die in ein kunstvoll ausge- arbeitetes Accompagnato-Rezitativ übergeht, in der Petrus um Jesus weint und sein eigenes Versagen beklagt. Ein großes Terzett steht im Mittelpunkt des Werkes. Es vereint die Klage der drei Marien - wobei sie eigentlich nur wenig gemeinsam singen; solistische Abschnitte und Ritornelle haben weitaus größeren Raum. Ein umfangreiches Duett singen zudem Maria Magdalena und Petrus. Es ist ein Stück der Trauer und der Klage, das zum Miserere hinführt. Doch zuvor tritt Joseph von Arimatäa ein und erinnert die Trauernden daran, dass Jesus begraben werden muss. Seine virtuose Arie verweist zudem auf den Opfertod Jesu als Voraussetzung für das ewige Leben. 
Doch die Frauen zögern noch, zum Kreuz zurückzukehren - zumal Petrus nicht mit ihnen gehen kann. Er bittet sie schließlich, Psalm 51 mit ihm zu sprechen - was das Stichwort für den Chor ist. Im Miserere konzentriert Hasse abschließend die ganze Pracht der venezianischen Kirchenmusiktradition - und führt sie weiter; manche Abschnitte erinnern bereits an Mozart. 
Die vorliegende Aufnahme entstand im November 2008 im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Zu hören sind Chor und Orchester dieses Musikfestivals unter Michael Hofstetter. Für die Besetzung der Solopartien wurde eine ebenso salomonische wie klangvolle Lösung gefunden: Die drei Marien werden von Kirsten Blaise und Heidrun Kordes, Sopran, sowie Vivica Genaux - mit einem wundervollen dunkel timbrierten Mezzosopran - gesungen. Petrus singt der junge Schweizer Countertenor Terry Wey, den Joseph Jacek Laszczkowski, ein polnischer Sänger, der sowohl als lyrischer Tenor als auch als Sopran auftreten kann. Diese Stimmen harmonieren sehr gut miteinander, und so erweist sich diese Einspielung als Dokument eines musikalischen Ereignisses, das nicht nur Hasse-Fans begeistern wird. Bravi!

Christmas meets Cuba (Sony Music)

Was kommt wohl heraus, wenn deutsche Jazz-Musiker und kubanische Schlagwerksvirtuosen gemeinsam Weihnachtslieder spielen? Ein gewaltiger Schwung Lebenslust, wie die Klazz Brothers und Cuba Percussion zeigen. Die Musiker kombinieren die "klassi- sche" europäische Musiktradition mit Elementen des Swing und des Latin Jazz - und würzen mit gepfef- ferten kubanischen Rhythmen.
Kilian Forster (Bass), Bruno Böhmer Camacho (Piano), Tim Hahn (Schlagzeug), Alexis Herrera Estevez (Timbalo) und Elio Rodriguez Luis (Congas) wirbeln durch die Weihnachtslieder, dass Scheeflocken und Harmonien durch die Luft stieben. Was für ein Temperament! In zwei Stücken hilft zudem Joo Kraus mit seiner Trompete dabei, weihnachtlichen Glanz zu verbreiten. Damit Lieder auch Lieder bleiben, wirken außerdem mitunter Sänger mit. Der Kammerchor I Vocalisti und der Philharmonische Kammerchor singen wirklich schön; von allen anderen lässt sich zumindest sagen, dass sie nicht übermäßig stören. Die eigentlichen Stars aber sind hier die Instru- mentalisten - und die sind grandios!

Sonntag, 14. November 2010

Telemann: Complete Violin Concertos Vol. 3 (cpo)

Die australische Geigerin Elizabeth Wallfisch hat sich der Barockgeige verschrieben; sie gehört mittler- weile in diesem Bereich zur Riege der renommierten Solisten. Für die vorliegende CD mit Violinkonzer- ten Georg Philipp Telemanns hat sie neben dem Doppelkonzert in G-Dur TWV 52:G1, das sie gemein- sam mit Susan Carpenter-Jacobs spielt, auch zwei großangelegte Konzerte in Ouvertürenform herausgesucht. Das darf man sich nicht zu einfach vorstellen, denn trotz Werkausgabe gilt es immer wieder, in Archiven auf die Spuren- suche zu gehen. Abschriften helfen bei der Datierung. Und auch sonst findet sich in den verschnürten Mappen immer wieder erstaunliches - was hier die Ersteinspielung des vollständigen Ouvertürenkonzertes in A-Dur TWV 55:A7 ermöglicht. Dieses Werk hält auch sonst so einige Überraschungen bereit.
Etwas konventioneller kommt das Ouvertürenkonzert in D-Dur
TWV 55:D14 daher. Immer wieder tritt die Solovioline aus dem Tutti hervor, um in Ritornellform mit dem Rest des Orchesters zu konzer- tieren oder Abschnitte eines Tanzes solistisch anzuführen. Telemann war ja bekanntlich experimentierfreudig; insgesamt zehn solcher Werke sind überliefert; man darf sich also noch auf einige Ent- deckungen freuen. 
Ebenfalls neu: The Wallfisch Band, ein Orchester, in dem führende Barockspezialisten gemeinsam mit den besten Studierenden und Absolventen von Musikhochschulen musizieren. Die jungen Musiker bringen frischen Wind mit - und lernen im Zusammenspiel mit den erfahrenen Kollegen. Das funktioniert ziemlich gut, wie man auf dieser CD hört. Da wird mit Leidenschaft gespielt, mit Selbstbewusstsein und auch mit Humor. Sehr hörenswert.

Caldara in Vienna - Philippe Jaroussky (Virgin Classics)

"Certains d'entre vous connaissent déjà mon attachement à défendre des compositeurs ou interprètes dont l'importance n'est pas reconnue à sa juste valeur dans l'histoire de la musique", schreibt Philippe Jaroussky. "Après Carestini et Johann Christian Bach, il était donc parfaitement logique de m'arreter à un moment ou un autre de ma carrière sur le cas d'Antonio Caldara, un des compositeurs les plus respectés et prolixes de son temps (plus de 3000 oeuvres!)." Caldara, geboren 1670 in Venedig, war ein Schüler Giovanni Legrenzis. Er erhielt seine erste Stelle im Orchester des Markusdomes, und stellte mit 18 Jahren in seiner Heimatstadt seine erste Oper vor. 
Weitere Werke folgten; 1699 wurde Caldara maestro di cappella da chiesa e del teatro am Hofe Ferdinando Carlo di Gonzagas, des letzten Herzogs von Mantua. Als sein Dienstherr 1708 durch den Spanischen Erbfolgekrieg seinen Besitz verlor, ging er nach Rom, und wurde dort 1709 Händels Nachfolger als Kapellmeister von Francesco Maria Ruspoli. 1716 wurde Caldara Vizekapellmeister am Hof Karls VI. in Wien. Da Kapellmeister Johann Joseph Fux von der Gicht geplagt wurde, übertrug er einen wesentlichen Teil seiner Aufgaben auf Caldara. Der Kaiser, der selbst sehr gut Cembalo spielte, schätzte sein Schaffen, das italienische und deutsche Tradition miteinander verband - und bezahlte Caldara großzügig. 1736 starb der Musiker, 1740 der Kaiser. Die Nachgeborenen hatten ihre eigenen Favoriten. Caldaras Werke gerieten bald in Vergessenheit.
Sie sind aber in reichem Umfang erhalten und überliefert, so dass ihre Wiederentdeckung lediglich eine Frage des Engagements ist. Philippe Jaroussky hat nun gemeinsam mit dem Concerto Köln, das von Emmanuelle Haim am Cembalo geleitet wird, Forgotten Castrato Arias eingespielt. Am Hof in Wien sangen berühmte Kastraten, wie Gaetano Orsini und Felice Salimbeni - und Jaroussky hat in der Tat einige interessante Stücke ausgegraben, die technisch allerdings höchst anspruchsvoll sind. 
Jaroussky bewältigt alle Klippen mit Anstand. Der Countertenor hat eine weiche, bewegliche, nicht übermäßig voluminöse, in der Tiefe und in der Mittellage aber überzeugende und klangvolle Stimme. In der Höhe wird sie leider mitunter schrill. Das Concerto Köln begleitet den Sänger versiert und temperamentvoll; das Orchester setzt dabei durchaus eigene Akzente. Insbesondere auch die Holzbläser sind eine Freude.

Samstag, 13. November 2010

Italienische Weihnacht - Solokonzerte und Concerti grossi (Naxos)

Festliche Musik gehört zu Weih- nachten. Das galt ganz besonders für das Zeitalter des Barock, mit seiner emblematischen Kunst- auffassung: Mit Pauken und Trompeten feierte man die Ankunft des Jesuskindleins als den Einzug eines Königs - und Flöten, Oboen und Geigen erinnern bis heute an die Hirten im Felde, die damals nach Bethlehem eilten.
Das Kölner Kammerorchester unter Christian Ludwig hat für diese CD Werke zusammengestellt, wie sie um 1700 bei Hofe zu Weihnachten erklungen sein könnten. Die Italienische Weihnacht beginnt prachtvoll mit der Sonate Nr. 1 in F-Dur für Trompete und Orchester von Pietro Baldassare, gefolgt vom Concerto grosso in C-Dur op. 3 Nr. 12 von Francesco Onofrio Manfre- dini, bekannt auch als Concerto per il Santissimo Natale. Es folgen zwei Flötenkonzerte von Antonio Vivaldi und Giovanni Battista Sammartini, die dem Solisten extreme Virtuosität abverlangen. Hier brilliert Daniel Rothert, der nicht nur flinke Finger zeigt, sondern auch durch seinen Sinn für Phrasierung und durch schöne Töne be- geistert. 
Die junge serbische Musikerin Laura Vukobratovic, Solotrompeterin des Nationaltheaters Mannheim, überzeugt ebenfalls durch Virtuosi- tät. Die Sonate in D-Dur von Giuseppe Torelli für Trompete und Orchester kennt man allerdings von Aufnahmen des sächsischen Startrompeters Ludwig Güttler - und an seine überlegene Gestaltung, an seinen strahlenden Klang reicht sie (noch) nicht ganz heran.
Höhepunkt und Abschluss der CD ist ein berühmtes Weihnachts- konzert, das Concerto grosso f-Moll op. 1 Nr. 8 von Pietro Antonio Locatelli, das mit einer ergreifenden Pastorale endet - und endgültig für Weihnachtsstimmung sorgt. Wer barocken Glanz rings um den Baum verbreiten möchte, dem sei diese blitzsauber musizierte Einspielung empfohlen.

Mittwoch, 10. November 2010

Mozart. Don Giovanni (Preiser)

Eine der ersten Gesamtaufnahmen von Mozarts Oper Don Giovanni, aufgezeichnet 1951 mit Chor und Orchester des Nordwestdeutschen Rundfunks in Hamburg unter Leopold Ludwig - gesungen aber von jener Besetzung, die damals in Wien wirkte. So ist in der Titelrolle der Bariton Paul Schöffler zu hören; den Leporello singt Erich Kunz. Anton Dermota ist als Don Ottavio zu erleben, Ludwig Hof- mann als Il Commendatore und Gustav Neidlinger als Masetto. Das sind durchweg grandiose Sänger, die zu den besten ihrer Generation gehörten. Ähnlich stark ist mit Carla Martinis (Donna Anna), Suzanne Danco (Donna Elvira) und Lore Hoffmann (Zerlina) die Front der Damen besetzt, die gegen Don Giovanni antritt. Man staunt, wie lebendig diese Aufnahme klingt, und welche Qualität diese Stimmen hatten - auch wenn Mono auf Dauer nicht wirklich vergnüglich anzu- hören ist.

Montag, 8. November 2010

Mozart: Piano Concertos Nos. 12, 13 and 14 (Naxos)

Im Juni 1781 kündigte Mozart seine Stelle als Hoforganist des Salzburger Fürsterzbischofs. Er ging nach Wien, und arbeitete dort als freischaffender Musiker, Musikpädagoge und Komponist. 
Die Klavierkonzerte Nr. 12 in A-Dur, Nr. 13 in C-Dur und Nr. 14 in Es-Dur sind sämtlich in seinen ersten drei Wiener Jahren ent- standen. Sie gehören nicht zu seinen "berühmten" Klavierkon- zerten, und sind formal eher un- scheinbar - das zumindest gilt für die Nummern 12 und 13. Im Es-Dur-Konzert beginnt Mozart, sich über Konventionen hinwegzusetzen, und stellt die eigenen Ideen über geltende Formprinzipien.
Das Label Naxos legt nun diese drei Klavierkonzerte vor - allerdings nicht in der gängigen Orchesterversion, sondern in einer Alternative, die Mozart selbst vorgeschlagen hatte: a quattro, das Klavier musi- ziert also gemeinsam mit einem Streichquartett. Es spielen Robert Blocker, Dean of Music und Professor für Klavier an der Universität Yale, und das Biava Quartett, besetzt mit Austin Hartman und Hyunsu Ko, Violine, Mary Persin, Viola und Jason Calloway, Violoncello. Diese jungen Musiker sind gar nicht schlecht, aber die beiden ersten Klavierkonzerte lassen ihnen wenig Raum zum "echten" Quartettspiel. Hier fungieren die Streicher mehr oder minder als Begleiter. Erst im Es-Dur-Konzert kommt es zu einem gewissen musikalischen Dialog zwischen dem Klavier und dem Quartett, und auch die jeweiligen Partien der vier Streicher werden autonomer. Es ist interessant, diese Entwicklung zu verfolgen, aber die Klavierkonzerte, die Mozart spä- ter schuf, sind kühner - und machen auch beim Zuhören mehr Spaß.

Sonntag, 7. November 2010

Evan Chambers: The old burying ground (Dorian)


Und noch eine CD passend zur Jah- reszeit: "Ich liebe es, über Friedhö- fe zu laufen", sagt Evan Chambers. "Sie sind ein idealer Ort, um dar- über nachzusinnen, wie das Leben auf dieser Welt erscheint und verschwindet." Besonders beein- druckt zeigte sich der Komponist von einem alten Friedhof in Jaff- rey, New Hampshire, mit seinen Grabsteinen - und ihren Inschrif- ten. Er hat auf der Grundlage dieser Texte, die er durch moderne Dichtung ergänzte, The old burying ground geschrieben. 
Das ist ein ziemlich makabres Werk, musikalisch irgendwo zwischen Arvo Pärt und dem "klassischen" amerikanischen Folksong, mit An- leihen in Osteuropa und irischen Anklängen. Ach, diese Kindergräber - an Krankheiten gestorben, vom Blitz erschlagen, im Pfarrhaus verbrannt; und dazu gibts immer diese Sprüche, die sich an der Bibel oder an Kirchenliedern orientieren. Jeder Abschnitt dieses Werkes erinnert daran, dass das Leben endlich und der Tod unausweichlich ist. Das hört man nicht besonders gern, zumal der Gott dieser Sprüche fatal versteinert wirkt.
Vorgetragen wird das alles mit sanfter Stimme von dem Folk-Sänger Tim Eriksen, der Sopranistin Anne-Carolin Bird und dem Tenor Nicholas Phan; die Dichter lesen ihre Texte selber. Es spielt das University of Michigan Symphony Orchestra, eines der besten Hochschulorchester der Welt, unter Kenneth Kiesler.

Motetten der Bach-Familie (Capriccio)

Die Musiker der Familie Bach ha- ben nicht nur in Thüringen zahl- reiche Spuren hinterlassen. Thomaskantor Johann Sebastian Bach war nur ein Glied in einem weitverzweigten Netzwerk, wie auch diese CD deutlich macht. Sie passt perfekt zum November; die ausgewählten Motetten wirken wie eine musikalische Predigt zu Aller- heiligen bzw. zum Ewigkeits- sonntag.
Sie sind durchweg anspruchsvoll, und stilistisch höchst individuell. Da die Werke der weniger prominenten Mitglieder der Bach-Familie üblicherweise nur Experten bekannt sind, gibt es viel zu entdecken. Die CD beginnt mit Sei nun wieder zufrieden meine Seele von Johann Bach (1604 bis 1673). Er war der Großonkel von Johann Sebastian, und ist der Ahnherr der Erfurter Linie - die so umfangreich war, dass man in Erfurt im 18. Jahrhundert die Stadtpfeifer noch immer "die Bache" nannte, auch wenn dort längst kein Bach mehr mitspielte.
Es folgen drei Motetten von Johann Christoph Bach (1642 bis 1703), dem ältesten Sohn von Heinrich Bach, dem Stammvater der Arn- städter Linie. Er war möglicherweise dort durch den Kantor Jonas de Fletin ausgebildet worden, der wiederum ein Schütz-Schüler war, und wird in der Familienchronik als "der große und ausdrückende Com- ponist" bezeichnet. 
Johann Michael Bach (1648 bis 1694), der Vater von Bachs erster Frau Maria Barbara, ist gleichfalls mit zwei Motetten auf dieser CD vertreten. Johann Christoph Altnickol (1719 bis 1759), Bachs Schüler und Schwiegersohn, überrascht mit der außerordentlich anspruchs- vollen, farbenreichen Choralmotette Befiehl du deine Wege. Die CD endet mit Ich lieg und schlafe ganz im Frieden von Johann Christoph Friedrich Bach (1723 bis 1795), dem Sohn Johann Sebastians, der als "Bückeburger Bach" bekannt werden sollte, weil er nicht nur ein exzellenter Komponist und Pianist war, sondern auch die hochgräf- lich Schaumburg-Lippische Hofkapelle zu enormem Ansehen führte. 
Die Aufnahme ist zwei Jahre alt; sie zeigt als Momentaufnahme nicht zuletzt das hohe Niveau des Tölzer Knabenchors unter Leitung von Gerhard Schmidt-Gaden. Zu hören sind zudem Niklas Trüstedt, Violine, und Mark Nordstrand, Orgel. Der Chor klingt homogen, singt sehr gut ausbalanciert durch alle Register, und ist jeder Koloratur bestens gewachsen. Auch wenn sie namentlich nicht aufgeführt sind, so verfügt der Chor doch offenbar über eine hohe Anzahl von Chorknaben, die jedes Solo wagen können. All das macht diese CD zu einem klingenden Dokument, das man mit Genuss anhört.

Ein barockes Festkonzert in der Frauenkirche (Berlin Classics)

Im Dezember 2000 konnte man erstmals den geschlossenen Innenraum der Dresdner Frauen- kirche erleben. Bevor die Bau- arbeiten dies wieder unmöglich machen, wurden das Kirchenschiff, das Betstuben-Geschoss und die erste Empore kurzzzeitig für einige Konzerte zugänglich gemacht. Trotz Baustelle konnten so jeweils 1200 Zuhörer das besondere Flair dieses Raumes erleben. 
Auf der vorliegenden CD  ist nun der Mitschnitt des Konzertes vom 27. Dezember 2000 zu erleben, das als besonderes Dankeschön für die langjährige Unterstützung des Wiederaufbaues der Frauenkirche durch die sächsischen Posaunenchöre gedacht war. Ihre Mitglieder haben alljährlich an der Weihnachtlichen Vesper vor der Frauen- kirche mitgewirkt - bei jedem Wetter. Und so fanden sich bei diesem Konzert in der ziemlich kalten Frauenkirche nun das Blechbläser- ensemble Ludwig Güttler und Semper Brass, das Blechbläserensemble der Dresdner Staatskapelle unter der künstlerischen Leitung von Solo-Trompeter Mathias Schmutzler, zum Musizieren zusammen. 
Die beiden renommierten Ensembles stellten Stücke aus ihrem je- weiligen Repertoire vor - insbesondere der Güttler-Fan wird auf dieser CD so manches altbekannte Stück wiederfinden -, spielten aber auch gemeinsam einige Werke, die nur eine derart groß besetzte Bläserformation überhaupt bewältigen kann. So erklingt hier die Canzon XVI für 20 Blechbläser von Giovanni Gabrieli oder das Choralkonzert zu "In dulci jubilo" für vier Trompeten, Pauken und vier Blechbläserchöre von Michael Praetorius. 
Die Klangpracht dieser Musik ist überwältigend. Die Bläser spielen traumhaft schön und sicher - trotz der winterlichen Temperaturen. Man spürt, dass der Wiederaufbau der zerstörten Frauenkirche diesen Musikern ein wichtiges Anliegen war. Mit Engagement und Herzens- wärme haben sie dazu beigetragen, aus einer Ruine wieder einen Ort zu erschaffen, der noch immer Menschen aus aller Welt zusammen- führt.

Samstag, 6. November 2010

Berlin Voices - About Christmas (Hänssler)

Das ist das wohl ausgeflippteste Weihnachtsalbum des Jahres: Esther Kaiser, Sarah Kaiser, Marc Secara und Kristofer Benn - Berlin Voices - singen ihre Lieblings- weihnachtslieder. Das geht bunt durcheinander, von Händel und Bach über diverse internationale Volkslieder bis hin zu einer Kom- position von Esther Kaiser. 
Was für ein Sound! Dieses Wort sei hier ausnahmsweise gestattet, denn diese CD frönt dem Jazz- gesang. Hochklassige, pfiffige Arrangements und exzellente Musiker, die einander mit Lust die Ideen zuspielen - es rundum ist eine Freude, dieser Aufnahme zu lauschen. 
Das liegt nicht zuletzt auch an den vier jungen Sängern mit ihren phantastischen Stimmen. Jedes Mitglied dieses Vokalquartetts klingt unverwechselbar - und doch verschmelzen diese Stimmen im Satz- gesang, als wären sie füreinander gemacht. Hier wird hochprofessio- nell musiziert; diese Partien sind teilweise höllisch schwierig und die Stücke voller harmonischer und vor allem rhythmischer Über- raschungen. Was für farbenreiche, groovy Klänge, und was für ein Temperament - so ist selbst O Tannenbaum zu ertragen. Faszinierend!

Weihnachten am Münchner Hof (Oehms Classics)

Die Hofkapelle München, 1992 wiedergegründet und seit 2009 geleitet von dem Barockgeiger Rüdiger Lotter, hat sich der Erschließung von Werken aus der reichen süddeutschen Musik- tradition verschrieben. Das meint sowohl die italienische geprägte Musik am Hofe der Wittelsbacher, als auch die der Mannheimer Schule. 
Mit dieser CD stellt das Ensemble Werke vor, wie sie am Münchner Hof in der Weihnachtszeit zum Anfang des 18. Jahrhunderts erklungen sein könnten. Besonderes Bonbon: Drei Weihnachtslieder nebst Passacaglia D-Dur von Esaias Reusner (1636 bis 1679), der als erster bedeutender deutscher Komponist für die Laute gilt.
Doch auch die anderen Werke, die für die CD ausgewählt wurden, verbreiten besinnliche Stimmung - vom Concerto C-Dur, op. 5 Nr. 5 von Evaristo Felice Dall'Abaco, mit der wunderbar gespielten Solo- Oboe von Stefan Schilli, über die Sonate Nr. 3 h-Moll "Die Geburt Jesu Christi" aus den Mysteriensonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber, vorgetragen von Rüdiger Lotter, Violine, mit Olga Watts, Truhen- orgel, Bachs Orchestersuite Nr. 3 D-Dur BWV 1068, und das traum- haft schöne Concerto pastorale von Johann Christoph Pez mit Eva Fegers und Anne-Suse Enßle, Blockflöten, bis hin zum Concerto grosse g-Moll, op. 8 Nr. 6 von Giuseppe Torelli, auch als Weihnachts- konzert bekannt, mit Rüdiger Lotter und Susanne Schütz, Solo-Violi- ne. Barocker Wohlklang für Genießer - wer eine eher ruhige, aber doch stimmungsvolle CD zum Fest sucht, dem sei diese sehr empfoh- len.

Freitag, 5. November 2010

Magdalena Kozená: Lettere Amorose (Deutsche Grammophon)

Lettera amorosa lautet der Titel eines Madrigals von Claudio Mon- teverdi. Um es vorwegzunehmen: Dieses berühmte Lied singt Magda- lena Kozená auf dieser CD nicht. Die Liebesbriefe gelten vielmehr ihrer Erinnerung: "Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen und wollte mich wieder darauf zu- rückbesinnen", so die Sängerin, die bereits als Sechsjährige im Kinder- chor der Philharmonie Brno ihre musikalische Ausbildung begann. "Weil diese Stücke keine großen technischen Hürden beinhalten, kommt man näher an den Kern dieser Musik heran. Das ist unwahrscheinlich befreiend: Man singt zum eigenen Vergnügen." 
Monteverdi ist auch dieser CD nur mit einem Madrigal vertreten - es erklingt das bekannte Si dolce è tormento. Gemeinsam mit den Musi- kern des Ensembles Private Musicke um Pierre Pitzl stellte Magdalena Kozená ansonsten eine Auswahl von Werken meist wenig bekannter Monteverdi-Zeitgenossen für diese Aufnahme zusammen - die aber zum Teil melodisch wie harmonisch erstaunlich modern wirken. 
Die Spannbreite dieser Stücke ist erstaunlich groß. Da findet sich neben Felici gl'animi von Girolamo Kapsberger - einem fröhlichen Loblied auf das Landleben - und etlichen Liebesliedern unter ande- rem auch die Canconetta spirituale sopra alla nanna von Tarquinio Merula, ein Wiegenlied der Jungfrau Maria, in dem sie wie in einer Vision das Leiden und die Wunden Christi beklagt, um schließlich dennoch das Kind in den Schlaf zu singen. 
Der Mezzosopranistin liegt dieses Repertoire ausgesprochen gut, und Private Musicke begleitet abwechslungsreich auf Nachbauten histo- rischer Instrumente - von der Barockgitarre nach Stradivari über Viola da gamba, Lirone, Colascione, Theorbe und Violone bis hin zur arpa doppia, einer Harfe, die beidseitig mit Saiten bespannt war und so dem Harfenisten deutlich mehr Möglichkeiten gab als die zuvor üblichen einfachen Instrumente. Lustigerweise sind diese "Original- instrumente" allerdings auf 440 Hertz gestimmt - was man wohl als Tribut an die Sängerin sehen muss, die üblicherweise eher Strauss oder Mozart singt als Alte Musik. Bis auf einige forcierte Töne, wo Kozená die Stimme zu sehr ins Opernfach timbriert, ist diese Ein- spielung aber rundum gelungen. Sie überzeugt nicht zuletzt durch ihre Intimität und stimmige Gestaltung. Brava!

Donnerstag, 4. November 2010

Musik für Viola d'amore (Genuin)

Weil man sie als "altmodisch" empfand, wurden irgendwann im letzten Drittel des 18. Jahrhun- derts Notenbestände der Dresdner Hofkapelle in einem Schrank in der Katholischen Hofkirche verstaut. Sie stammen wohl zum größten Teil aus dem Nachlass des Konzert- meisters Johann Georg Pisendel (1687 bis 1755). Hundert Jahre später wurden die Schätze im "Schranck No:II" wiederentdeckt und in Bestände integriert, die heute zur Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden gehören. 
Auch manche Musikinstrumente sind aus der Mode geraten und aus dem Konzertleben verschwunden. Ein derartiges vergessenes Instru- ment ist die Viola d'amore. Bach hat sie eingesetzt; auch Leopold Mozart kannte sie: „Es ist eine besondere Art der Geigen, die, sonder- lich bey der Abendstille, recht lieblich klinget“,  schrieb er in seiner Violinschule.
Der Hamburger Komponist und Musikschriftsteller Johann Matthe- son preist das Instrument in Das neu-eröffneten Orchestre (1713) mit den Worten: „Die verliebte Viola d’Amore, Gall. Viole d’Amour, führet den lieben Nahmen mit der That, und will viel languissantes und tendres ausdrücken (...) Ihr Klang ist argentin oder silbern, dabey überaus angenehm und lieblich.“ Sie ist länger und breiter als die Bratsche, ähnelt in ihrer Gestalt eher einer Gambe, und verfügt üblicherweise über fünf bis sieben Spielsaiten. Dazu kommen meist noch Resonanzsaiten.
Anne Schumann und Klaus Voigt, klassisch ausgebildet auf Violine und Viola, haben dieses historische Instrument für sich entdeckt. Anne Schumann gab eine Stelle im Gewandhausorchester Leipzig auf, um sich ganz der Barockgeige widmen zu können. Doch der Traum von den Silberklängen der Viola d'amore ließ sie nicht los. Und diese Faszination wollten die beiden mit anderen Menschen teilen: "Angefangen hat alles damit, dass zwei Viola d'amore-Spieler be- schlossen haben, in Standesamt und Kirche ihrer Verbundenheit mit einem lauten Ja Ausdruck zu verleihen. Heiraten normale Menschen, tauschen sie Ringe als Zeichen der Verbundenheit. Ist das Hobby eines Hochzeitspaares die Viola d'amore, muss man mit kapriziösen Ideen rechnen", witzelt Schumann. Und so haben die Musiker zu ihrer Hochzeit Geld für eine CD-Produktion gesammelt - und damit bringen sie nicht nur diese raren Instrumente, sondern - mit einer Ausnahme süddeutscher Provenienz - auch Raritäten aus dem besagten Schrank II wieder zum Klingen. 
Im Beiheft zu dieser CD berichten sie von ihren Erfahrungen mit den spröden Schönheiten mit den Charakterköpfen. Eine Viola d'amore zu spielen, das scheint wohl gar nicht so einfach zu sein - was nicht nur an den geringen Abständen zwischen den Saiten liegt, sondern in erster Linie wohl an dem Labyrinth aus Resonanzen, das für dieses Instrument typisch ist. "Eine Viola d'amore vereint die wohl- klingende Tiefe einer Bratsche mit der virtuosen Höhe einer Geige. Die dicken, dunkel klingenden unteren Saiten eignen sich besonders für das Spielen einer Basslinie, die oberen dünnen für das Singen einer Melodie", begeistert sich Schumann. "Beim Spielen auf zwei Instrumenten entstehen reizvolle Abwechslungen zwischen Melodie und Bass. Außerdem kommt dabei das Phänomen der Resonanz besonders stark zur Wirkung. Die vielen Saiten beider Instrumente bringen sich gegensaitig zum Schwingen. Mich fasziniert Klang, dieses Suchen nach Harmonietönen und Resonanz. Für mich ist Klang die Seele der Musik." 
Aus dem reichen Dresdner Notenfundus wählten Schumann und Voigt Werke, die es ihnen gestatten, die betörende Klangpracht der Viola d'amore in voller Breite zur Entfaltung zu bringen. Teilweise sind die Autoren der Werke nicht bekannt; teilweise sind sie so unbekannt, dass selbst Experten kaum mehr als ihren Namen kennen. Entdeckungen sind es durchweg, und sie werden hier mit Engagement und auch mit Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen vorgestellt. Das gilt nicht nur für die beiden Solisten, sondern ebenso für Alison McGillivray, Violoncello, Petra Burmann, Theorbe und Barockgitarre und Sebastian Knebel, Cembalo. Diese Einspielung ist grandios. Für mich gehört sie zu den Überraschungen des Jahres. Und sie wird hoffentlich mit Preisen überschüttet werden, und so auch außerhalb von Expertenkreisen die verdiente Aufmerksamkeit finden. Es ist allerdings ein Skandal, dass Musiker von solchem Format eine solche Produktion selbst finanzieren müssen.

Mittwoch, 3. November 2010

Mozart: Violin Concertos 3 & 5, Sinfonia Concertante (BIS)

Leopold Mozart muss ein begna- deter Musikpädagoge gewesen sein. Ab 1744 gab er den Salzbur- ger Kapellhausknaben Violin- unterricht. 1756, im Geburtsjahr seines Sohnes Wolfgang Amadeus, erschien sein „Versuch einer gründlichen Violinschule“ - ein Lehrwerk, das damals für Furore sorgte, sehr erfolgreich war und noch heute als eine der wichtigsten Quellen unseres Wissens über die Musizierpraxis des 18. Jahrhun- derts gilt.
Wenn wir heute an seinen Sohn denken, dann haben wir oftmals das Bild vor Augen, das ihn mit seiner Schwester Nannerl am Cembalo zeigt - und vergessen darüber, dass er auch ein Violinvirtuose war. Mozart hat seine Sonaten und Violinkonzerte selbst gespielt, und selbstverständlich war er mit den technischen Möglichkeiten des Instrumentes bestens vertraut.
Richard Tognetti, ein australischer Geiger, hat nun Mozarts Violin- konzerte Nr. 3 in G-Dur KV 216 und Nr. 5 in A-Dur KV 219 sowie die Sinfonia concertante in Es-Dur KV 364 eingespielt. Dabei musiziert er gemeinsam mit Christopher Moore, Viola (Sinfonia concertante) sowie den Australian Chamber Orchestra. Damit existiert nun also auch eine genuin australische Einspielung dieser Werke. 
Sie sind allerdings ohnehin populär, und sie wurden bereits vielfach aufgezeichnet; man hätte sich daher schon einen Grund gewünscht, warum es noch eine Aufnahme sein muss. Doch auch bei mehr- maligem Hören finde ich keinen.

Birth of The Cello - Julius Berger (Solo Musica)

Das Label Solo Musica verblüfft immer wieder mit verrückten musikalischen Projekten. Wer kommt schon auf die Idee, die ersten Werke für Violoncello, die jemals gedruckt wurden, auf einem Violoncello von Andrea Amati - fertiggestellt im Jahre 1566 und damit eines der ältesten derartigen Instrumente der Welt überhaupt - einzuspielen? 
Der Cellist Julius Berger engagiert sich seit vielen Jahren für die Werke von Gianbattista Degli Antonii (1636 bis 1698) und Domenico Gabrielli (1651 bis 1690). Die beiden Musiker stammen aus Bologna; Degli Antonii war Organist der Kirche San Giacomo Maggiore, Gabrielli wirkte als Cellist an St. Petronio. Beide wurden von Francesco II., dem cellospielenden Fürsten von Modena, geschätzt und gefördert. Ihm widmete Degli Antonii daher seine Ricercate sopra il Violoncello, die 1687 in Bologna im Druck erschienen sind. Es wird vermutet, dass Gabrielli seine Sette ricercari per il violoncello solo ein Jahr später geschrieben hat.
Beide Werke stehen bei Musikwissenschaftlern seltsamerweise nicht hoch im Ansehen. Sie werden gern als pädagogische Werke oder als Lehr- und Übungsstücke abgetan. Diese CD beweist jedoch, dass die alten Stücke viel mehr sind als Trainingsmaterial für Musikerfinger. Denn sie sind stimmungsvolle, traumhaft schöne Musik - und Berger, der hier mit ganzer Seele musiziert, tut recht daran, sie Bachs Solo- suiten zur Seite zu stellen. "Für mich gehört die Entdeckung der ersten Werke für Violoncello solo mit dem ältesten Violoncello der Welt zu meinen faszinierendsten Erfahrungen", meint Berger. "Den Zuhörern wünsche ich ähnliche Erlebnisse, ich wünsche Ihnen durch die Musik von Degli Antonii und Gabrielli das, was Bach die ,Recrea- tion des Gemüths' genannt hat." Die Aufnahme ist grandios gespielt, und von nahezu überirdischer Klangschönheit - ein großer Wurf, in jeder Hinsicht. Für mich gehört diese CD zu den besten und interes- santesten Violoncello-Einspielungen der letzten Jahre.

Romantic Inspirations (Profil)

Wer an der Kronberg Academy im Taunus studieren darf, der gehört ohne Zweifel zu den weltweit besten Nachwuchsmusikern. Die jungen Violinisten, Violisten und Violoncellisten absolvieren dort ein zweijähriges Masterstudium, das sie auf eine internationale Solokarriere vorbereiten soll.
Drei dieser Ausnahmemusiker sind nun auf dieser CD mit Werken von Clara und Robert Schumann zu hören. Die koreanisch-britische Geigerin Soojin Han beginnt mit den Drei Romanzen für Violine und Klavier op. 22, komponiert von Clara Schumann 1853 sicherlich für Joseph Joachim. Diese Stücke scheinen Han jedoch nicht besonders zu liegen; ihre Interpretation bleibt blass und wirkt lustlos. 
An Anna Naretto am Klavier aber kann das nicht liegen, denn die Pianistin zeigt in den drei Werken von Robert Schumann, die sie dann mit Peijun Xu, Viola, spielt, dass es ihr weder an Virtuosität noch an Temperament mangelt. Und die junge Bratschistin, die aus Shanghai stammt, überzeugt mit den Märchenbildern für Viola und Klavier
op. 11, den Drei Romanzen op. 94, und ganz besonders auch mit dem berühmten Lied Widmung op. 25 Nr. 1, das sie gemeinsam mit der Pianistin mit sicherer Hand am hier ganz besonders drohenden Kitsch vorbei navigiert. 
Die Fantasiestücke op. 73 aus dem Jahre 1849 komponierte Schu- mann ursprünglich für Klarinette und Klavier. Dass sie auch auf einem Cello ganz hervorragend klingen, beweist Gabriel Adriano Schwabe. Er musiziert gemeinsam mit Nicolai Gerassimez am Klavier - das Wort "begleiten" würde diesem musikalischen Dialog nicht gerecht. Das gilt auch für Adagio und Allegro As-Dur op. 70, wobei dort wohl ein Horn als Melodieinstrument vorgesehen war. Insbesondere dieses Werk verlangt dem Pianisten einiges ab. Schwungvoll agieren die beiden jungen Musiker, spielen sich die Phrasen zu und beeindrucken mit ihrem überlegten und überlegenen Vortrag. Bravi!

Montag, 1. November 2010

Bach: Die Leipziger Orgelchoräle (MDG)

Die Orgel war für Johann Sebastian Bach zeitlebens ein wichtiges Instrument. Zwar gab er 1717 den Beruf des Organisten auf, um zu- nächst als Kapellmeister nach Köthen und dann als Thomaskan- tor nach Leipzig zu gehen. Doch als Orgelexperte war er bei der Ab- nahme neuer Orgeln sehr gefragt, und er spielte nachweislich auch drei große Orgelkonzerte in Dresden.
Gerade in seinen letzten Lebens- jahren wendete sich Bach wieder intensiv der Orgelmusik zu. So überarbeitete er Orgelwerke, die er in seiner Weimarer Zeit geschaffen hatte. In der Staatsbibliothek zu Berlin befindet sich eine Handschrift, in der auf die Sechs Triosonaten BWV 525-530 zunächst 17 Orgelchoräle sowie die Canonischen Veränderungen über Vom Himmel hoch BWV 769 folgen, die Bach wohl 1747/48 komponierte. 
Und er schuf die Kunst der Fuge, die er jedoch nicht vollendete. "Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral: Wenn wir in höchsten Nöthen sind etc. beygefügt worden", schrieb Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel. "Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol in die Feder dictirt. Von der in diesem Choral liegenden Kunst will ich nichts sagen; sie war dem Verf. desselben so geläufig geworden, daß er sie auch in der Krank- heit ausüben konnte. Aber der darin liegende Ausdruck von frommer Ergebung und Andacht hat mich stets ergriffen, so oft ich ihn gespielt habe, so daß ich kaum sagen kann, was ich lieber entbehren wollte, diesen Choral, oder das Ende der letztern Fuge." 
Mit diesem legendären Fragment jedenfalls endet die oben benannte Handschrift. Diese 18 Leipziger Choräle sowie die Canonischen Ver- änderungen spielte der junge kanadische Organist Craig Frederick Humber 2007 für Dabringhaus und Grimm auf der Silbermann-Orgel in der Freiberger Petri-Kirche ein. Sie ist die größte zweimanualige Silbermann-Orgel, und Humber ist von diesem Instrument begeistert: "Erlesen im Klang, beweist sie hohe barocke Handwerks- und Konstruktionskunst und verfügt über Atmung und Ausmaße, die auch doppelt so große Orgeln bei weitem übertreffen", schreibt der Organist im Beiheft. "Ich war sofort beeindruckt von diesem Zauber, dieser Raffinesse und konnte vor allem das Herz und die Seele ihres Erbauers in diesem einzigartigen Instrument hören. Welches Instrument wäre besser geeignet, die Tiefe und Komplexität der Leipziger Choräle hervorzuheben, den Reichtum der Klangfarben, als die Mannigfaltigkeit und Brillanz dieser imposanten Orgel?"
Diese Faszination überträgt sich auf den Hörer dieser Aufnahme. Humber spielt virtuos und registriert klug; er zeigt aber nicht nur Klangfarben, sondern auch musikalische Strukturen auf. Der Organist nutzt zudem für diese Einspielung alle Register der Orgel zu St. Petri, und macht so diese CD zugleich zu einem Porträt dieses Instrumentes. Beeindruckend!