Wenn es um Orgelmusik von Berliner Komponisten des 19. Jahrhunderts geht, dann ist Andreas Sieling ohne Zweifel Experte. Der Kirchenmusiker schrieb seine Promotion über August Wilhelm Bach (1796 bis 1869), der einst an der Berliner Marienkirche wirkte, Orgellehrer von Felix Mendelssohn Bartholdy war, und kein Angehöriger der berühmten Musikerfamilie.
Für diese CD hat er allerdings Werke von anderen Berliner Organisten ausgewählt – eingebettet in drei Präludien und Fugen op. 37 von Felix Mendelssohn Bartholdy erklingen Kompositionen von Otto Dienel (1839 bis 1905), Franz Wagner (1870 bis 1929), August Haupt (1810 bis 1891) sowie Philipp Rüfer (1844 bis 1919).
Es sind einige Raritäten darunter, wie die Konzertfuge des Orgelvirtuosen August Haupt, die bisher noch gar nicht in einer Aufnahme vorlag. Auch die Orgelsonate in g-Moll op. 16 von Philipp Rüfer erklingt in Weltersteinspielung.
Sieling ist seit 2005 Domorganist in der Hauptstadt, und am Berliner Dom steht ihm mit der großen Orgel von Wilhelm Sauer, die 1905 mit dem Gebäude eingeweiht worden ist, das perfekte Instrument für diese Musik zur Verfügung. Seinerzeit war diese Orgel mit 7.269 Pfeifen und 113 Registern, die sich auf vier Manuale und Pedal verteilen, die größte in Deutschland. Das spätromantische Instrument, errichtet damals als Bravourstück der modernsten technischen und musikalischen Möglichkeiten der deutschen Orgelbaukunst, folgt dem Orchesterklang als Klangideal. Die größte Orgel des bedeutenden Orgelbauers ist glücklicherweise trotz aller Bombenschäden am Gebäude so gut erhalten geblieben, dass sie restauriert und dabei wieder in den Originalzustand gebracht werden konnte.
Seit 1993 ist sie wieder spielbar, und Sieling verdeutlicht mit dieser Einspielung, welch überwältigende Nuancen und welche Vielfalt an Farben das Instrument ermöglicht. Für jedes der höchst unterschiedlichen Werke findet er den passenden Klang, und die Aufnahme erfasst zudem die Akustik des Doms so prägnant, dass man meint, im Kirchengestühl zu sitzen. Auf die Spitze getrieben wird dies bei der Zugabe – dabei sind die Türen geöffnet, und die Geräusche der Stadt mischen sich mit der Musik. Keine Frage: Das ist Berlin!